Stellungnahme zum Antrag
56/2008

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 04/25/2008
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 6750



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    Küstler Ulrike (DIE LINKE.) , DIE LINKE. im Stuttgarter Gemeinderat
Datum
    02/18/2008
Betreff
    Behindern 1-€-Jobs die Eingliederung Arbeitsloser?
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:


Zu 1. Informationen über den Inhalt der IAB-Untersuchung

Zu 2. Übereinstimmung der Erfahrungen in Stuttgart mit den Ergebnissen der
IAB Untersuchung


Ø Der Untersuchung lag bei Betrachtung des Beginns einer AGH-(Arbeits-gelegenheit-)Förderung der Zeitraum Februar bis April 2005 zugrunde, also ein Zeitraum kurz nach der Einführung des SGB II. Die Autoren räumen ein, dass es in dieser Umbruch- und Aufbauphase teilweise zu einer Teilnehmerauswahl gekommen sein könnte, für deren Erfolgsaussichten auf dem ersten Arbeitsmarkt eine AGH-Förderung eher nachteilig ist. Die geringe Erfahrung der Fallmanager und persönlichen Ansprechpartner könnte nach Meinung der Verfasser hierfür ursächlich gewesen sein.

Als Beobachtungsfenster der Eingliederungserfolge und Erhöhung der Beschäftigungschancen diente ein Zeitraum von 20 Monaten.

Ø Den von Februar bis April 2005 begonnenen AGH-Teilnehmern wird eine potentielle Vergleichsgruppe gegenübergestellt, die sich bzgl. beobachtbarer Charakteristika von dem geförderten Personenkreis nur wenig unterscheidet (= statistische Zwillinge).

Ø Die Untersuchung differenziert zwischen Ost- und Westdeutschland (aber nicht nach kleinräumigeren Gebieten) und nach Männern und Frauen. Daten aus den Optionskommunen standen nicht zur Verfügung.


Nachstehend sind den Feststellungen und Kernaussagen der Untersuchung (in Kursiv- und Fettdruck) jeweils die Stuttgarter Erfahrungen gegenüber gestellt:


AGH ist die bedeutendste Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktpolitik im
SGB II; 2005 wurden 600.000 Eintritte gefördert, 2006 und 2007 waren es jeweils ca. 750.000.

Diese Aussage der Studie kann für Stuttgart bestätigt werden.

Im Bereich der Landeshauptstadt hat die Förderung von Zusatzjobs, die schon im Rahmen der Hilfe zur Arbeit nach dem BSHG entweder in Prämien- oder in Entgeltform eingesetzt wurde, eine ca. 30-jährige, bewährte Tradition. Die AGH sind ein „Schwergewicht“ innerhalb der Eingliederungsleistungen nach dem SGB II. Dies wird daran deutlich, dass 2005 ca. 57%, 2006 ca. 56 % und 2007 ca. 50% des dem JobCenter zur Verfügung stehenden Eingliederungsbudgets gebunden waren. Für 2008 sind ca. 43,5% vorgesehen. Zwar musste der Mitteleinsatz zu Gunsten anderer Eingliederungsinstrumente zurückgefahren werden, aber nach wie vor ist festzustellen, dass eine Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt mit ihren Stabilisierung- und Qualifizierungseffekten als vorbereitende Maßnahme für eine anzustrebende Eingliederung auf den ersten Arbeitsmarkt in erheblichem Umfang nachgefragt ist.


Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt knapp 30 Std. wöchentlich.

Die tatsächliche Stundenleistung der AGH-Teilnehmer beläuft sich in Stuttgart auf durchschnittlich 17 Std. wöchentlich. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die „Einsperreffekte“ geringer sind, da den persönlichen Ansprechpartnern und den Teilnehmern mehr Zeit für die Suche nach einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz zur Verfügung steht.


2005 dauerten die individuellen AGH-Förderungen bis zu sechs Monate.

Die Dauer der AGH-Förderung mit durchschnittlich bis zu sechs Monate kann für Stuttgart bestätigt werden.


Der Einsatz des Instruments AGH war stark auf den Personenkreis der Jugendlichen und jungen Erwachsenen konzentriert (= ca. 25%). Demgegenüber standen die älteren erwerbsfähige Hilfebedürftige (erwerbsfähige Hilfebedürftige = 50+) wesentlich weniger im Fokus der AGH (= ca. 15%). Insgesamt konnte jedoch eine Fokussierung auf einige wichtige Problemgruppen am Arbeitsmarkt nicht festgestellt werden.

Der Einsatz des Instruments AGH war in Stuttgart im Gegensatz zu den Untersuchungsergebnissen nicht so stark auf den Personenkreis der Jugendlichen und jungen Erwachsenen konzentriert, rund 15% (2006) bzw. 16% (2007) gehörten diesem Personenkreis an.

Die älteren erwerbsfähige Hilfebedürftige (55+) waren mit 7,5% der Eintrittsfälle vertreten und unterschreiten damit die erhobene Quote um die Hälfte. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Untersuchung den Personenkreis der 50+ im Fokus hatte, in Stuttgart jedoch als „Ältere in AGH“ Personen mit 55+ definiert werden.

Bzgl. der Fokussierung auf einige wichtige Problemgruppen am Arbeitsmarkt ist im Gegensatz zum Untersuchungsergebnis festzustellen, dass in Stuttgart die AGH bei den 5 Sozialunternehmen auf langzeitarbeitslose Menschen mit mehreren, besonderen Vermittlungshemmnissen zielgruppenspezifisch ausgerichtet sind. Hierfür wurde ein ausdifferenziertes Modell von Leistungstypen entwickelt.

Personen, bei denen keine wesentlichen Vermittlungshemmnisse vorliegen und bei denen dennoch keine Integrationen am ersten Arbeitsmarkt kurzfristig möglich sind und für die auch keine SGB III Maßnahmen in Frage kommen, münden in das Programm „5000 Chancen. Aktiv für Stuttgart“ (SAVe) ein.


In den ersten sechs Monaten kommt es zu so genannten Einsperreffekten, d.h. in dieser Zeit ist die Chance, regulär am Arbeitsmarkt beschäftigt zu werden, geringer als bei einer Nichttförderung. Der Effekt ist bei einer Förderdauer von vier bis sechs Monaten besonders stark.

Der Einsperreffekt wird zwar nach sechs Monaten geringer, signifikante positive Eingliederungseffekte sind jedoch nur bei westdeutschen Frauen festzustellen. Bei diesen ist die Wahrscheinlichkeit, einer ungeförderten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen um drei Prozentpunkte höher.

Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu den „Einsperreffekten“ liegen dem JobCenter nicht vor.

Festzuhalten ist jedoch, dass knapp 18% der bei den Sozialunternehmen aus einer AGH ausgeschiedenen Personen unmittelbar danach eine unselbständige Beschäftigung, Berufsausbildung oder selbständige Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt aufgenommen haben. Angesichts der vielfach multiplen Vermittlungshemmnisse der oft schon jahrelang arbeitslosen Personen ein achtenswertes Ergebnis. Im Übrigen ist den persönlichen Ansprechpartnern bewusst, dass auch während einer AGH-Förderung die Integrationsbemühungen der Teilnehmer in den ersten Arbeitsmarkt nachdrücklich zu verfolgen sind.


Die Eingliederungswirkungen sind je nach Personengruppe unterschiedlich. Für den Personenkreis U25 ist die AGH-Förderung ineffektiv, bei jungen westdeutschen Frauen sind sie positiv, allerdings nicht signifikant.

Bei westdeutschen Männern und Frauen sowie bei älteren Teilnehmern 50+ sind Eingliederungseffekte zu erkennen.



Bei Teilnehmergruppen mit Migrationshintergrund gibt es eine Ausnahme bei westdeutschen Frauen: Hier ist die Beschäftigungsquote mit 7 Prozentpunkten nach Ablauf des 20-monatigen Beobachtungszeitraums besonders hoch, ansonsten gibt es nur geringe Unterschiede bzgl. der Wirkungen der Zusatzjobs auf die Eingliederung von Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund.

Eine Wechselbeziehung zwischen Höhe der regionalen Arbeitslosenquote und Eingliederungswirkung konnte nicht nachgewiesen werden. Jedoch spielt die Arbeitsmarktnähe eine Rolle. So waren bei „Kurz“zeitarbeitslosen (noch beschäftigt in 2004) die Effekte durchweg negativ, wogegen sich bei westdeutschen Frauen, die zuletzt zwischen 1992 und 2001 beschäftigt waren, positive Effekte ergeben haben (Beschäftigungsquote nach AGH-Teilnahme: 6 Prozentpunkte höher).

Das Betrachten der Wirkungen vor dem Hintergrund der Berufsausbildung der Teilnehmer ergab, dass nur bei westdeutschen Männern mit betrieblicher oder außerbetrieblicher Ausbildung ein positiver Effekt zu verzeichnen war.

Hierzu liegen dem JobCenter keine Auswertungen vor. Allgemein kann hierzu jedoch Folgendes gesagt werden:

Mit dem in Stuttgart entwickelten System der AGH-Förderung nach Leistungstypen ist sichergestellt, dass ausschließlich BetreuungskundInnen mit AGH gefördert werden. Dabei steht zunächst die Integration dieses Personenkreises in den ersten Arbeitsmarkt im Hintergrund. Vordergründig geht es um die Herstellung und den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und um das Erzielen von Integrationsfortschritten innerhalb des vorgenannten Kundensegments. Hierzu zählen die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes, Herstellung psychischer und physischer Stabilität, Erwerb von Schlüsselqualifikationen, Umgehen mit Schuldenproblematik, Auseinandersetzung mit Suchtmittelabhängigkeit und mit Themen wie Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen u. v. m. Diese Integrationsfortschritte sind zwar im Gegensatz zu Integrationen auf den ersten Arbeitsmarkt schwieriger abzubilden, trotzdem aber von großem Wert.

Die Evaluation des Frauenprojekts FRIDA, mit der die Nachhaltigkeit in einem Zeitraum bis zu 6 Jahren (nach Maßnahmeantritt) ausgewertet wurde, zeigt, dass selbst nach langer Zeit durch eine AGH-Förderung positive Effekte feststellbar sind.


Die Teilnahme an einem Zusatzjob führt nicht zu einer Vermeidung von Bedürftigkeit. Im 20-monatigen Beobachtungszeitraum sind die meisten auf Alg II als aufstockende Leistung angewiesen.

Konkrete gesicherte Erkenntnisse liegen dem JobCenter hierzu nicht vor.

Allgemein kann gesagt werden, dass immer mehr so genannte Entgeltaufstocker festzustellen sind. Ca. 6.000 erwerbsfähige Hilfebedürftige üben entweder einen Mini- oder Midi-Jobs aus oder sind sogar vollzeitbeschäftigt ohne dass Hilfebedürftigkeit beseitigt ist. Daran hat auch die verbesserte konjunkturelle Lage nichts geändert.



Bei diesem Personenkreis ist es permanenter Auftrag der persönlichen Ansprechpartner, nach Prüfung aller in Betracht kommenden Qualifizierungsmöglichkeiten Arbeitstellen nachzuweisen, die den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein Leben ohne staatliche Transferleistung ermöglichen.


Zusammenfassend kann als Fazit der IAB Studie festgehalten werden:

Ø Die Teilnahme an einer AGH erhöht die Eingliederungschancen und damit die Beschäftigungsfähigkeit innerhalb der ersten 20 Monate für die Teilnehmergruppen der westdeutsche Frauen und der Langzeitarbeitslosen.

Ø Eine erfolgreiche Beseitigung der Hilfebedürftigkeit wird innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt in eine AGH nicht erzielt.

Ø Es gibt keine klaren Indizien dafür, dass Personen durch AGH von der Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit abgehalten werden.

Ø Defizite, wie die mangelnde Gewöhnung an regelmäßige Erwerbsarbeit sprechen dafür, dass AGH u. a. langfristig erwerbslose Personen wieder zurück an den Arbeitsmarkt führen können.


Zu 3. Die Verwaltung stellt dar, was sie unternimmt, um die negativen Effekte der 1-€-Jobs zu vermeiden oder auszugleichen


Negative Effekte durch die Förderung von Zusatzjobs sind – wie vorstehend ausgeführt – nicht zu verzeichnen. Gegensteuernde Maßnahmen sind deshalb verwaltungsseitig entbehrlich.


Zu 4. Sachstand bei der Landeshauptstadt zur Absicht der Bundesregierung, tariflich und sozialversicherungspflichtig abgesicherte Arbeitsangebote für Langzeitarbeitslose zu fördern


Es wird davon ausgegangen, dass über die Umsetzung des Programms JobPerspektive nach § 16a SGB II berichtet werden soll.

Durch das Zweite SGB II-Änderungsgesetz wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 2007 das Förderinstrument „Beschäftigungszuschuss“ (= Programm JobPerspektive) eingeführt. Zielgruppe sind Menschen mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen, die auf absehbare Zeit keine Vermittlungschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Ihnen sollen mit dem neuen Instrument längerfristige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet werden.


Der Beschäftigungszuschuss nach § 16a SGB II wird Arbeitgebern gewährt. Wegen EU-beihilferechtlicher Gesichtpunkte musste jedoch eine Übergangsfrist vorgesehen werden, die zum 31. März 2008 ausläuft. Bis dahin kommen zunächst nur soziale Unternehmen als Arbeitgeber in Betracht, die zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten anbieten können.

Die Förderung setzt voraus, dass Arbeitgeber erwerbsfähige Hilfebedürftige einstellen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 SGB III sind. Daneben müssen mindestens zwei weitere Vermittlungshemmnisse „objektiver Natur“ in der Person des erwerbsfähige Hilfebedürftige vorliegen (Lebensalter, Migrationshintergrund, fehlende schulische oder berufliche Qualifikation, gesundheitliche Einschränkungen, Sucht- oder Schuldenprobleme).

Der Beschäftigungszuschuss beläuft sich auf bis zu 75% des tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelts einschl. des pauschalierten Anteils des Arbeitgebers am Sozialversicherungsbeitrag mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung.

Mit den für das Programm zugewiesenen Bundesmitteln von 2,944 Mio. EUR können 2008 in Stuttgart 246 Plätze in finanziert werden.

Um die Bereitschaft, entsprechende Beschäftigungsverhältnisse bei den Sozialunternehmen einzurichten, zu verbessern, gewährt die Landeshauptstadt Stuttgart ergänzend einen kommunalen Zuschuss in Höhe der fiktiven Kosten des kommunalen Anteils (= 67,4%) an den Leistungen der Unterkunft. Die Zusatzleistung beläuft sich mithin auf 255,45 EUR mtl, da der durchschnittliche monatliche Aufwand an Unterkunft und Heizung 379 EUR beträgt.

Der städtische Zuschuss wird im 1. Jahr in voller Höhe gewährt werden. Im 2. Jahr wird der Zuschuss auf zwei Drittel der fiktiven Kosten des kommunalen Anteils an den Unterkunftskosten reduziert, im 3. Jahr auf ein Drittel. Ab dem 4. Jahr wird nicht mehr bezuschusst.

Der Personenkreis der „Entfristeten“ wird ab 01. Dezember 2007 in das Programm aufgenommen. Hierbei wird von 60 Personen ausgegangen.

Darüber hinaus wurde bisher in 105 Fällen hinsichtlich der Stellung von Förderanträgen nach § 16a SGB II beim JobCenter Stuttgart angefragt. Die Anfragen bezogen sich auf so genannte Neufälle, also auf Fälle, die nicht durch Übernahme der „Entfristeten“ in das Programm JobPerspektive aufgenommen werden.

Die persönliche Ansprechpartner haben bisher 55 der Anfragen geprüft. Voraussichtlich kann die weit überwiegende Anzahl der Anfragen befürwortet werden.



Behandlung im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen

Aufgrund der umfangreichen schriftlichen Beantwortung halte ich einen ergänzenden mündlichen Bericht im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen für entbehrlich.






Dr. Wolfgang Schuster