Stellungnahme zum Antrag
380/2004

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 04/18/2005
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 8201-00



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    FDP-Gemeinderatsfraktion
Datum
    12/16/2004
Betreff
    VVS und SSB müssen noch attraktiver werden!
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:



Ein Verbundvergleich - erst recht mit einem ausländischen Verbund, der andere gesetzliche und finanzielle Grundlagen hat – ist direkt nicht möglich. Selbst in Deutschland sind nach übereinstimmender Ansicht von Fachleuten Vergleiche schwierig, so dass schon einem nationalen “Benchmarking” Grenzen gesetzt sind.

Folgende Rahmenbedingungen können stark abweichen und die Vergleichbarkeit einschränken:

§ die Struktur des Verbundgebiets (Siedlungsstruktur etc.),
§ seine naturräumlichen Gegebenheiten (z.B. Topografie),
§ die Kfz-Dichte (Pkw-Zahlen, Pkw-Verfügbarkeit je Haushalt),
§ die vorhandenen Straßen (Autobahnen, Bundesstraßen...) und deren Ausbaustandards),
§ vor allem das Parkplatzangebot sowie Art und Umfang der Parkraumbewirtschaftung (in den Innenstädten, P+R-Plätze...),
§ eventuelle verkehrsrechtliche Einschränkungen für den Autoverkehr oder Bevorrechtigungen für Busse und Bahnen,
§ natürlich das ÖPNV-Angebot (oberirdisch / unterirdisch, Art der Verkehrsmittel, Alter und Qualität der Fahrzeuge etc.),
§ aber auch die Möglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer,
§ wirtschaftliche Rahmenbedingungen (verfügbares Einkommen, Zahl an Arbeitsplätzen im Kerngebiet, Beschäftigtenzahl insgesamt / Arbeitslosenquote, Einpendlerzahlen, Bevölkerungsstruktur, Anzahl Schüler, Studierende etc.),
§ Finanzbedingungen (Für welche Maßnahmen stehen Bundesmittel / Landesmittel / kommunale Mittel zur Verfügung? Wer erstattet Kostenunterdeckungen für Schwerbe-hinderte / für verbilligte Schülerfahrten / für tarifbedingte Verluste etc.? Wer finanziert In-vestitionen? Wer deckt das Defizit ab? Gibt es Querverbundlösungen?).

Wie das Beispiel Zürich zeigt (so auch der angesprochene Artikel in der Stuttgarter Zeitung), kommt den politischen Rahmenbedingungen maßgebliche Bedeutung zu. Insbesondere die Stadt Zürich (ihm folgend auch der Kanton) hat schon frühzeitig die Signale auf “Grün” für den öffentlichen Verkehr gestellt und konsequent auf “Rot” für den fließenden und ruhenden Autoverkehr.




Der Antrag im Einzelnen:

zu 1. Erfahrungsaustausch des VVS-Aufsichtsrats mit dem Züricher Verkehrsverbund (ZVV) am 15. / 16. November 2004

Der ZVV ist mit der erfolgreichste Verbund überhaupt und damit ein Vorbild für alle Verkehrs- und Tarifverbünde. Ziel der Reise war es, seine Arbeit und deren Rahmenbedingungen den Mitgliedern des Aufsichtsrats näherzubringen.

Die Schweiz ist schon immer ein Land der Bahnfahrer gewesen. Anders als Deutschland besitzt sie keine nennenswerte Autoindustrie. Die Schweizer haben überwiegend ein Halb-Preis-Abonnement in Besitz und fahren pro Kopf der Bevölkerung weitaus die meisten Bahnkilometer in Europa. Das Thema ökologische Verkehrserziehung gehört in den Schweizer Schulen zum Alltag. Busse und Bahnen werden von klein auf als selbstverständliches Verkehrsmittel genutzt, sodass es z.B. in Zürich zum guten Ton gehört, als Arbeiter wie als Manager, Banker oder Politiker mit seinem “Trämli” zur Arbeit zu fahren.

In der Schweiz wird mehr in das verkehrliche Angebot investiert als in Deutschland und im VVS. Das gilt für den Fernverkehr wie den Regionalverkehr. Das Beispiel Zürich zeigt dies anschaulich: Im ZVV leben halb so viele Menschen wie im VVS, aber sie haben ein relativ besseres Verkehrsangebot z.B. hinsichtlich Netzlänge, Anzahl der Fahrzeuge und Anzahl und Länge der S-Bahnlinien. Allerdings sind dadurch auch die Kosten je Einwohner höher als im VVS.

Auffallend sind die unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen:

Im Kanton Zürich ist gesetzlich geregelt, dass sämtliche Orte mit mehr als 300 Einwohnern stündlich mit Zubringerbussen bedient werden. Laut kantonalem Richtplan soll die Hälfte der gesamten Verkehrszunahme in und um Zürich durch öffentliche Verkehrsmittel aufgefangen werden. Die Umsetzung dieser Bestimmungen ist auf den ZVV übertragen, der neben der Tarifbildung zugleich für den Ausbau der Bus- und Bahnnetze verantwortlich ist. Das dafür notwendige Budget erhält er vom Kantonsrat. Das Betriebsdefizit teilen sich der Kanton und die 171 im ZVV zusammengeschlossenen Gemeinden je zur Hälfte.

Die Stadt Zürich betreibt seit Jahrzehnten eine restriktive Politik gegenüber Autofahrern. Es ist nahezu unmöglich, in der Zürcher Innenstadt einen öffentlichen Parkplatz zu bekommen; zudem kostet das Parken mit fast 5,00 € die Stunde erheblich mehr als z.B. in Stuttgart. Jahrelang wurden keine neuen Parkplätze mehr gebaut; erst seit kurzem ist der Bau neuer Tiefgaragen gestattet, allerdings nur wenn dieselbe Anzahl oberirdischer Stellplätze abgebaut wird.





zu 2. Mehr Fahrgäste gewinnen

Entscheidende Veränderungen beim Mobilitätsverhalten der Bevölkerung nach dem Beispiel Zürichs wären nur dann möglich, wenn im Bereich des VVS der ÖV gegenüber dem IV priorisiert würde mit der Folge, dass Fahrten mit Bus und Bahn im Vergleich zum Pkw noch weit attraktiver würden.

Dazu gehören noch mehr Investitionen in das Streckennetz von S-Bahn und Stadtbahn, um die Pünktlichkeit zu verbessern bzw. auf einem hohen Niveau zu halten und das Vertrauen der Kunden in einen vorteilhaften weil zuverlässigen und schnellen ÖV noch mehr zu stärken. Einen entscheidenden Beitrag wird dazu das Projekt “Stuttgart 21” leisten.

Eine verbesserte Fahrgastinformation, die Einführung neuer Tarifangebote und deren konsequente Vermarktung – wie zum Beispiel der seit Jahresbeginn 2005 erhältlichen flexiblen Monatskarte – sind ebenfalls Anreize, noch mehr als bisher mit Bus und Bahn statt mit dem Auto zu fahren.

Die Tarifstrategie des VVS ist der des ZVV ähnlich. Zeitkartenkunden, die das Grundangebot mit finanzieren, werden aber dort noch mehr bevorzugt. Der ZVV ist bei den Jahreskarten noch günstiger als der VVS, dafür teurer bei den Einzelfahrscheinen. Spezielle Schüler- oder Seniorenvergünstigungen gibt es in Zürich jedoch nicht.


zu 3. Alleinzuständigkeit des VVS beim ÖPNV in der Region

Die Zusammenarbeit eigenständiger Verkehrsunternehmen in der heutigen Organisationsform, koordiniert durch die Verbundgesellschaft, ist kein Hindernis für ein erfolgreiches, integriertes ÖPNV-Angebot in der Region Stuttgart. Alle Beteiligten arbeiten im VVS gut zusammen.

Was für eine noch stärkere Position des ÖPNV in Stuttgart und den angrenzenden Landkreisen fehlt sind weitere Finanzmittel und noch weiterer Vorrang des ÖPNV gegenüber dem motorisierten Individualverkehr.






Dr. Wolfgang Schuster