Stellungnahme zum Antrag
434/2006

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 06/20/2007
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 6565-04



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    FDP-Gemeinderatsfraktion
Datum
    12/21/2006
Betreff
    Urbanes Wohnen in Stuttgart
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:


Der „Trend zurück in die Stadt“ ist noch nicht hinreichend statistisch und prognostisch erfasst. Dennoch ist auffällig, dass trotz der seit knapp 10 Jahren bestehenden und noch anhaltenden Flaute im Bausektor seit 1999 ein Anstieg der Bevölkerungszahl zu verzeichnen war, wobei die Nachfrage nach Wohnraum weit überwiegend in der Innenentwicklung gedeckt werden konnte.

Um genauere Daten zu erhalten, wird das Statistische Amt eine detaillierte Analyse der Wanderungsstatistik erstellen und eine Befragung zu den Wanderungsmotiven der Zugezogenen durchführen (siehe die Beantwortung des Antrags Nr. 420/2006 der SPD-Gemeinderatsfraktion). Die Ergebnisse werden in das Konzept „urbanWohnen in Stuttgart“ einfließen, das gegenwärtig auf den Weg gebracht wird.


Zu 1)

Grundlage für die Festlegung von Wohnanteilen ist der FNP 2010 bzw. schon seit 1979 der Gebietstypenplan, der räumlich differenziert Orientierungswerte festlegt und als Potenzialplan weiterentwickelt werden kann. Er könnte künftig Richtwerte für Wohndichten und Mindestwohnanteile beinhalten, die dann bei einer bestimmten Größenordnung von Projekten (Geschossflächen) ausgehandelt oder bauleitplanerisch festgesetzt werden. Dies wäre dann wiederum die Grundlage für das Konzept „urbanWohnen“, in dem das Repertoire an geeigneten Wohnformen festgelegt und auch Möglichkeiten für die Weiterentwicklung des innerstädtischen Gebäudebestandes (Aufstockungen, An- und Umbauten, etc.) gefunden werden sollen. Der

FNP 2010, der bereits für gemischte Bauflächen (M) einen Mindestwohnanteil von 40 % vorsieht, könnte zukünftig auch für gemischte Bauflächen Verwaltung (MV) in der Innenstadt und in zentralen Lagen der Stadtbezirke mind. 20 % Wohnanteil als Planungsziel oder planungsrechtlichen Rahmen festlegen.

Inwieweit die Festsetzung eines Mindestwohnanteils bei der Realisierung von Neubauprojekten mit Büro- und Geschäftshäusern in den genannten Lagen sinnvoll und durchsetzungsfähig ist, hängt im Einzelfall von den jeweiligen Randbedingungen ab und sollte zunächst im Rahmen des Innenstadtkonzepts („Stadtkernziele“) diskutiert und konkretisiert werden. Die Stadt München hat dieses beispielsweise für ihre Kerngebiete zwingend mit 30 % Wohnen festgesetzt („Perspektive München“ seit 1996). Die Stadt Frankfurt hat ähnliche Ansätze Ende der 1980er Jahre praktiziert. Dabei haben die genannten Städte die Erfahrung gemacht, dass es einer konsequenten Haltung im Rahmen der Genehmigungspraxis bedarf.

Denn eine wesentliche Frage stellt sich bei der rechtlichen Durchsetzbarkeit von Mindestwohnanteilen im konkreten Fall. Nur in einem geringen Teil der Innenstadt ist die planungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben nach § 34 BauGB („Einfügen nach Art und Maß der baulichen Nutzung der näheren Umgebung“ - bis 80 m im Radius um das Vorhaben) zu beurteilen, ansonsten gilt das jeweilige qualifizierte (zumeist ältere) Baurecht in Verbindung mit dem Baustaffelrecht. Mindestwohnanteile, die in Umstrukturierungsgebieten oder bei Investitionsvorhaben festgelegt werden sollen, können daher allenfalls über neue Bebauungspläne zwingend durchgesetzt werden, die parzellen- oder geschossweise entsprechende Festsetzungen über die Wohnnutzung beinhalten. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan bietet dabei gute Möglichkeiten, konkrete, auf das Wohnen hin zweckgerichtete Festsetzungen zu formulieren, deren Umsetzung im dazugehörigen Durchführungsvertrag zusätzlich geregelt ist.

Schon in früheren Jahren wurde Eigentümern oder Bauherren nahe gelegt, Wohnanteile zu verwirklichen (siehe die Wüstenrot und Württembergische Versicherung oder die Allianz in Stuttgart-West). Bei der Forderung nach Mindestwohnanteilen kam den Beratungsgesprächen und Verhandlungen stets eine besondere Bedeutung zu. Die Möglichkeit der Umsetzung (jedoch nicht rechtlichen Durchsetzung) von Mindestwohnanteilen ist vor allem dann gegeben, wenn die Zulässigkeit der Bauvorhaben von der Erteilung einer Befreiung gem. § 31 (2) BauGB abhängig ist. In diesen Fällen soll künftig die Befreiung unter Würdigung von übergeordneten Zielen, wie z. B. dem Innenstadtkonzept, erfolgen. Dieses lässt dann auch zu, in bestimmten Bandbreiten Quoten auszuhandeln, aber je nach Vorhabentyp flexibel zu bleiben.


Zu 2)

Die Möglichkeiten können - im Einzelfall und das Einvernehmen mit dem Investor vorausgesetzt - dann soweit gehen, dass an Stelle des Vorhabens in der Nachbarschaft oder in einem anderen Teil der Innenstadt ersatzweise Wohnungsbau realisiert werden kann; so ist dieses auf der Grundlage einer Durchsetzbarkeit von Zielen durch städtebaulichen Vertrag gem. § 11 BauGB regelbar. Auch eine Mitfinanzierung sozialintegrativer Wohnprojekte ist so ggf. möglich.


Heute werden aufgrund einer veränderten Marktsituation und anderer Kalkulationsgrundlagen von vielen Vorhabenträgern ohnehin Investitionsmodelle favorisiert, die von einem Anteil an Wohnen im mittleren bis oberen Preissegment ausgehen. Diese Modelle sind für Investoren aufgrund der Risikominderung der Nutzungsmischung interessant. Zu nennen sind das mehrfach prämierte Projekt 10.14 an der Furtbachstraße (Stuttgart-Süd), die Neubebauung an der Weimarstraße 25 (LEG) oder das Umbauvorhaben am Feuersee (Projekt Westland).


Zu 3)

Bei der Umwandlung von Wohnungen in tertiäre Nutzungen, auch bei der Zweckentfremdung von Wohnraum in planerisch festgelegten Wohngebieten, ist eine Einflussnahme auf die Nutzungsänderung nur auf dem Wege der Verhandlungen im Baugenehmigungsverfahren möglich.

Bei planerisch vertretbaren und begründbaren Nutzungsänderungen von Wohnen in Büro-, Geschäfts-, Verwaltungs- oder Hotelnutzungen, die in den dem Wohnen vorrangig zugedachten Lagen in einem größeren Umfang nur in Ausnahmefällen stattfinden sollten, soll Ersatz an anderer Stelle geschaffen werden, wieder unter Anwendung des § 11 BauGB - Städtebaulicher Vertrag. Das könnte bedeuten, dass der jeweilige Vorhabenträger verpflichtet wird, sich an Wohnbauprojekten durch die Realisierung von Wohnraum oder durch Geldleistungen zur Förderung eines zielgruppenspezifischen Wohnungsbaus konkret zu beteiligen.

In festgesetzten Mischgebieten ist es weiterhin möglich, dem Wohnen dienende Nutzungen ergänzend sowie andere nicht störende Nutzungen (z. B. Büro- und Geschäftsbauten) gleichberechtigt zuzulassen. Hier sind im Umkehrschluss allerdings auch Mindestanteile für die in Mischgebieten zulässigen gewerblichen Nutzung zu sichern und mögliche Nutzungskonflikte mit bestehenden Betrieben in die Abwägung einzubeziehen.

Die Rückumwandlung von Büroflächen in Wohnraum, z. B. auch in Hanglagen, wird von der Verwaltung als klares Ziel gesehen und wo irgend möglich unterstützt (siehe Studentenwohnungen in der Heilmann- und in der Neckarstraße). Dabei wird auch das rechtliche Instrumentarium weitest möglich ausgenutzt.



Zu 4)

Leer stehender Wohnraum wurde in Stuttgart aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen bislang nicht systematisch erfasst. Dennoch kann nach Recherchen der Immobilienwirtschaft davon ausgegangen werden, dass die Leerstandsquote gering ist (deutlich unter 1 % des Wohnungsbestandes). Inwieweit es hier noch Potentiale gibt, lässt sich jedoch nicht zwingend aus diesen Angaben ableiten, da nicht alle Formen des Leerstands angezeigt oder erfasst werden. In einem gewissen Umfang lassen sich Leerstandsquoten mit Hilfe von Instrumenten z. B. der Stadterneuerung zusätzlich vermindern.

Zudem werden Baulückenaktionen in den Stadtbezirken weiter geführt. Aus den früheren Aktionen 1990 - 2005 sind noch ca. 5 000 WE nicht aktiviert. In diesem Zeitraum sind dennoch jährlich etwa 250 WE in Baulücken gebaut worden. Für die noch nicht bearbeiteten Stadtbezirke wird erwartet, dass ein bereits erfasstes Potenzial von 12 000 WE auf echten Baulücken bis 2020 zu etwa 50 % aktivierbar ist. Unter „Baulücken“ wird dabei ein breites Spektrum von echten Baulücken und unechten Baulücken (baurechtlich mögliche Erweiterungen auf Grundstücken) unterhalb der Schwelle der Zeitstufenliste (unter 20 WE bzw. 0,2 ha Grundstücksgröße) verstanden. Dieses macht rechnerisch insgesamt ca. 400 WE/Jahr aus. Die konkrete Umsetzung hängt von der Marktlage und von der Mitwirkungsbereitschaft der jeweiligen privaten Eigentümer ab. Bei der Ansprache der Eigentümer sieht die Verwaltung weiterhin Handlungsbedarf.







Dr. Wolfgang Schuster