Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 16.02.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister
Betreff: "Mehr Öffentlichkeit bei Verträgen wagen"
- Antrag Nr. 439/2016 (SÖS-LINKE-PluS) vom
22.12.2016 -

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 15.02.2017, öffentlich, Nr. 33

Ergebnis: mehrheitliche Ablehnung (2 Ja- und 15 Gegenstimmen)


Nachdem OB Kuhn ihm das Wort erteilt, wird von StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) erläutert (leicht überarbeiteter Wortlaut):

"Das Öffentlichkeitsprinzip ist zentrale Säule der demokratischen Kommunalverfassung. Öffentlichkeit ermöglicht mitschreitende Kontrolle des Verwaltungshandelns und der Ratsarbeit, schafft Transparenz für die interessierte Bürgerschaft, ist letztlich Grundlage für die Willensbildung in der Stadtgesellschaft. Das Öffentlichkeitsprinzip regelt das Verhältnis zwischen Bürger und Stadt zugunsten des mündigen Bürgers. Von diesem Prinzip darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, die in der Gemeindeordnung (GemO) klar umrissen sind. Jedoch verwässert sich dieses Prinzip zunehmend, insbesondere dann, wenn Kommunen sich wirtschaftlich betätigen in Form von Eigenbetrieben oder privatwirtschaftlichen Rechtsformen, um Aufgaben der Daseinsvorsorge zu erfüllen. Und es verwischt dort, wo Leistungen durch Dritte im Auftrag der Kommune erbracht oder Rechtsgeschäfte geregelt werden.

100.000 Verträge sind in diesem Zusammenhang unterzeichnet worden. Vom städtebaulichen Vertrag mit einem Investor, Gesellschafterverträgen kommunaler Unternehmen bis hin zu Konzessionsverträgen oder Projektfinanzierungsverträgen mit Volumina von hunderten Millionen € an Steuergeldern. Doch es gilt: Diese Verträge sind dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Häufig ist es selbst uns Räten erschwert, diese Verträge einzusehen. Spezielle Datenräume werden zu diesem Zweck eingerichtet, die Einsicht wird nur unter Androhung von Strafen bei Verletzung der Geheimhaltung gewährt. Fachlicher Beistand zur Interpretation der Unterlagen wird untersagt. Der ehrenamtliche Gemeinderat muss allein die vollen Konsequenzen seines Abstimmungsverhaltens erahnen. Er steht damit in der Defensive und kann seiner Kontrollfunktion nicht ausreichend nachkommen. Die meisten Räte entscheiden über komplexe, juristische Vertragswerke, teilweise mit hunderten Seiten komplexer juristischer Sprache, teilweise auch in Englisch, indem ihnen lediglich die Grundzüge der Verträge in Vorlagen dargestellt werden. Dabei weiß jeder Rat aus eigener Erfahrung, der Teufel steckt im Detail. Und diese Details liegen im Verborgenen.

Wir sehen im übergeordneten Öffentlichkeitsprinzip der Kommunalverfassung den Auftrag, auch diese im Schatten liegenden Bereiche des kommunalen Handelns ans Licht zu bringen. Das Öffentlichkeitsprinzip auf Vertragswerke auszudehnen, stärkt die Bürgergesellschaft. Die Zugänglichmachung von Verträgen ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Stadtgesellschaft und kann verlorenes Vertrauen in das Handeln des Rates und der Verwaltung zurückbringen. Entscheidungen der Vergangenheit haben dieses Vertrauen erschüttert. Sei es die Totalprivatisierung der Energie- und Wasserversorgung, deren Rückabwicklung die Stadt unglaublich teuer zu stehen kommt, seien es die Cross-Border-Leasing-Verträge, die heute als Steuerhinterziehungsmodelle klassifiziert werden. Wenn die Verwaltung schreibt, dass sich der 'Umgang mit der Veröffentlichung von Verträgen bewährt hat', so entspricht das nicht unserer Einschätzung. Und es ist bedauerlich, dass hier keine Einsicht über Fehlentscheidungen der jüngeren Vergangenheit vorhanden ist.

Unser Antrag soll Teil eines Erneuerungsprozesses der kommunalen Demokratie in unserer Stadt sein und die Legitimation für unser Handeln erhöhen. Transparenz ist das Gebot der Kommunalverfassung, nicht Herrschaftswissen auf Seiten der Fachverwaltung gegenüber der Öffentlichkeit anzuhäufen. Eine Abwägung gegen dieses Prinzip halten wir für höchst fragwürdig, insbesondere wenn die Verwaltung die finanziellen Interessen der Stadt anführt, die angeblich negativ betroffen seien. Die Hansestadt Hamburg hat mit ihrem Transparenzportal einen ähnlichen Schritt vollzogen und scheint keinen Anlass zu haben, diesen Schritt rückgängig zu machen. Wir sind der Auffassung, dass die Interessen Dritter nicht höher zu werten sind als die Interessen der Stadtgesellschaft. Eine marktkonforme kommunale Demokratie lehnen wir von SÖS-LINKE-PluS ab. Genauso wenig können wir der Kommunalverfassung entnehmen, dass eine Kommune wie ein Wirtschaftskonzern zu führen sei und sich Vorteile durch Geheimhaltung gegenüber Dritten verschaffen sollte. Mit der Novelle der Gemeindeordnung im Oktober 2016 hat der Landtag das Öffentlichkeitsprinzip noch einmal gestärkt. Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die Veröffentlichung von Originalverträgen, in denen Schwärzungen nur dort punktuell und bei einem berechtigten nachgewiesenen Interesse eines Dritten vorgenommen werden. Starten Sie mit uns heute eine Transparenzoffensive! Wir hoffen, dies liegt im Interesse aller Ratsfraktionen."

StR Dr. Reiners (CDU) erklärt, dass die CDU-Gemeinderatsfraktion das Verwaltungshandeln stütze. Das Verwaltungshandeln im Stuttgarter Rathaus sei an der Gemeindeordnung und an der Hauptsatzung orientiert und keinesfalls zu beanstanden. Demokratisches Handeln und Verwaltungshandeln sollte insbesondere heute vor dem Hintergrund einer im Vergleich zu früheren Jahren viel größeren kritischen Öffentlichkeit sicherlich von hoher Transparenz geprägt sein, damit Handeln nachvollziehbar wird und eine hohe Legitimation erfährt. Nach Meinung seiner Fraktion sei das Verwaltungshandeln im Stuttgarter Rathaus von solch einer hohen Transparenz, Kooperation und Partizipation geprägt. Die vollumfängliche Offenlegung von Verträgen bedeute u. a. mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand. Würde das Ansinnen der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS geteilt, würde dies zwangsläufig die Verwaltung lahmlegen und umfangreiche Stellenforderungen nach sich ziehen. Zudem sei das Verwaltungshandeln immer wieder von diversen Interessen betroffen, die eine vollumfängliche Offenlegung schlichtweg nicht zuließen. Die Stuttgarter Stadtverwaltung habe die nötige Sachkompetenz, arbeite solide, genieße den großen Respekt seiner Fraktion und habe ihr uneingeschränktes Vertrauen. Ein solcher Vertrauensvorschuss würde auch der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS gut anstehen, da durch den Antrag viel mehr Misstrauen geschürt, Misskredit verteilt und in die Öffentlichkeit getragen werde, was für das Arbeiten und das Ansehen aller Akteure im Stuttgarter Rathaus kontraproduktiv sei. Die Stadt sei in ihren wesentlichen Dingen transparent genug. Die CDU-Gemeinderatsfraktion lehne deshalb den Antrag Nr. 439/2016 der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS ab.

StR Winter (90/GRÜNE) erinnert an die ausführliche Diskussion in der gestrigen Sitzung des Verwaltungsausschusses; die Stellungnahme der Verwaltung zum Antrag Nr. 439/2016 sei für seine Fraktion nachvollziehbar. Die von StR Ozasek angesprochenen Cross-Border-Leasing-Verträge wären heute nicht mehr vorstellbar. Zur Forderung der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS, sämtliche Verträge, auch der Eigenbetriebe, öffentlich zu machen, verweist StR Winter auf die jeweiligen Jahresberichte der Eigenbetriebe, die alle Zahlen, Daten und Fakten enthalten. In den letzten Jahren habe die öffentliche Behandlung erheblich zugenommen und er sei sehr froh, dass auf diesem Weg weitergegangen werde. Seine Fraktion begrüße sehr und unterstütze es, dass die Verwaltung - wie gestern von BM Dr. Mayer im Verwaltungsausschuss angekündigt - hier weitere Schritte unternehmen wolle. Seine Fraktion könne die Argumentation der Verwaltung nachvollziehen, was es bedeuten würde, sämtliche Verträge auf öffentliche Behandlung umzustellen, und sie freue sich, dass mit fast jedem Jahr mehr Transparenz und Öffentlichkeit gewagt werden könne und sehe dies in dieser Form auf Grundlage der geltenden Rechtsvorschriften auch als möglich an.

StR Pfeifer (SPD) erklärt, dass seine Fraktion der Stellungnahme der Verwaltung zustimmen und den Antrag der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS nicht unterstützen wird, auch weil kein Bedarf für einen dringenden Erneuerungsprozess der kommunalen Demokratie gesehen werde. Seines Erachtens sei man auf einem ganz guten Weg, an dem nichts erneuert werden müsse. Er verweist auf den jährlich aktualisierten Beteiligungsbericht der Stadtverwaltung, der ein hohes Maß an Offenlegung wirtschaftlicher Zusammenhänge und persönlicher Verhältnisse beinhaltet. Seine Fraktion stehe zu dieser Veröffentlichung, weil öffentliches Handeln und öffentliche Finanzverantwortung tatsächlich Transparenz benötigen. Seine Fraktion stehe zur Aufgabenverteilung zwischen einer Stadtverwaltung mit hoher Sachkompetenz und dem Gemeinderat und meine, dass mit dem Antrag Nr. 439/2016 eine Grenze überschritten werde.

Wie seine Vorredner ist auch StR Zeeb (FW) der Meinung, dass in der Stuttgarter Stadtverwaltung sehr viel veröffentlicht und sehr transparent gehandhabt wird. In der freien Wirtschaft sei es nicht unüblich, dass bei besonderen Dingen Vertraulichkeitsvereinbarungen abgeschlossen werden, die für den Fall der Nichteinhaltung mit hohen Strafen belegt würden. Dies habe auch seinen Grund. Und es sei ein Grund, dass Vieles in der Verwaltung nicht funktionieren würde, wenn alles sofort nach außen getragen würde. Seine Fraktion halte die Stellungnahme der Verwaltung für korrekt und werde sich entsprechend verhalten.

StR Prof. Dr. Maier (AfD) kündigt die Ablehnung des Antrags Nr. 439/2016 durch seine Fraktion an. Er verweist dazu erläuternd auf die Diskussion im gestrigen Verwaltungsausschuss, wo die Sorgen der Verwaltung vorgetragen wurden, dass die Zahl möglicher Vertragspartner in der Privatwirtschaft sich wohl drastisch reduzieren würde, wenn die Geschäftsgeheimnisse durch ein totales Transparenzgebot nicht mehr gewahrt werden könnten. Wenn sich aber die Zahl der möglichen Anbieter von Leistungen für die Stadt drastisch reduziere, wüchsen auch die Kosten. Dieser Marktmechanismus könne nicht geleugnet werden. Unter Abwägung des verständlichen Interesses an mehr Transparenz und unter Abwägung des Interesses an einem fairen Umgang mit Geschäftspartnern werde seine Fraktion dem Antrag der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS nicht zustimmen.

Nachdem StR Dr. Oechsner (FDP) für die FDP darlegt, dass die Stellungnahme der Verwaltung zum Antrag Nr. 439/2016 für einleuchtend und richtig erachtet und dem Antrag deshalb nicht zugestimmt werde, erklärt demgegenüber StR Dr. Schertlen (STd) seine Zustimmung zu dem Antrag. Er halte es für notwendig, dahingehend eine Umkehr zu erreichen, dass eine Begründung erfolgen muss, wenn Dinge nicht öffentlich bleiben, und nicht wie bisher, wenn Dinge öffentlich gemacht werden. Da eine Stadtverwaltung im Sinne der Bürger/-innen zu agieren habe, sei gerade deswegen Transparenz erforderlich.

EBM Föll führt aus (leicht gekürzter, überarbeiteter Wortlaut): "Ich will nochmals kurz auf den Inhalt der Stellungnahme hinweisen. Ich habe auch gestern ausdrücklich gesagt, in der Verwaltung gilt der Grundsatz, überall dort, wo wir Ermessen haben, öffentlich oder nicht öffentlich vorzugehen, dies zugunsten der Öffentlichkeit und auch der Veröffentlichung zu entscheiden. Das ist der Grundsatz. Und dem kommen wir auch nach. Da gibt es noch ein paar alte Zöpfe, darüber haben wir auch gestern gesprochen, wo es überhaupt keinen Grund gibt, Vorlagen, die eingebracht werden, nicht öffentlich einzubringen oder auch nicht öffentlich vorzuberaten. Zum Teil ist es auch so, dass die gemeinderätlichen Gremien diese Themen dann nicht öffentlich beraten, während die örtlichen Bezirksbeiräte das in öffentlicher Sitzung tun. Da gibt es noch ein paar Dinge, die ein bisschen unrund laufen. Das kann man mit Sicherheit verbessern. Aber überall dort, wo wir Vertragsbeziehungen haben und wo es möglich ist, diese zu veröffentlichen, tun wir das auch. Übrigens auch bei der Vielzahl der von StR Ozasek genannten Verträge. Jeder städtebauliche Vertrag ist ein öffentlicher Vertrag. Die Konzessionsverträge - jüngst - sind öffentlich zugängliche Verträge gewesen. Und der neue § 41 der Gemeindeordnung verpflichtet auch jede Kommune, diese Dokumente zusammen mit dem Sitzungsprotokoll entsprechend zu veröffentlichen. Damit sind diese Verträge auch öffentlich gemacht.

Im Übrigen will ich natürlich schon sagen: Die Vorstellung, dass die Stadt keine eigenen wirtschaftlichen Interessen hat, ist eine naive Vorstellung. Natürlich haben wir eigene wirtschaftliche Interessen, und zwar dahingehend, dass wir dort, wo wir beispielsweise Leistungen einkaufen, wo wir Vertragsbeziehungen mit Unternehmen eingehen, die bestmögliche Leistung zu günstigen Konditionen von den Unternehmen einkaufen wollen. Das tun wir nicht um der Stadt selbst willen, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Und wir haben auch im Übrigen die Aufgabe, sorgsam und treuhänderisch mit den Finanzen der Bürgerschaft, die uns als Stadt zur Verfügung stehen, umzugehen. Es gibt sehr wohl eigene wirtschaftliche Interessen, die die Stadt hat. Und die kann sie auch nur wahrnehmen, wenn sie nicht sozusagen in völliger Transparenz dasteht. Wenn Ihre Vertragspartner Ihre eigenen Kalkulationen kennen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, warum Sie keine günstigen Vertragsabschlüsse mehr hinbekommen.

Im Übrigen will ich auch hinweisen - das ist auch ein relativ neues Instrument - auf die Informationsmöglichkeiten nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG), die ja nun auch für Beteiligungsunternehmen gelten. Sie wissen, dass wir diesen neuen Möglichkeiten sehr, sehr sorgfältig nachgehen und wir auch nicht irgendwelche abschreckenden Gebühren dafür eingeführt haben, sondern sozusagen an der wirklich alleruntersten Grenze dessen bleiben, was dort an Gebühren tatsächlich verlangt werden kann. Auch dort gibt es Informationsmöglichkeiten. Und von daher muss ich wirklich sagen, der Inhalt des Antrags der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS beschreibt schon die heutige Wirklichkeit nicht mehr korrekt. Aber er geht natürlich in der Zielsetzung, Hunderttausende von Verträgen, die die Stadt und ihre Beteiligungsunternehmen abgeschlossen haben und abschließen werden, diese sozusagen pauschal zunächst einmal veröffentlichen zu wollen und die Einzelfallprüfung dann zu machen, welcher Vertrag nicht veröffentlicht wird, das geht an der Wirklichkeit schlicht und ergreifend vorbei. Das ist auch gar nicht leistbar. Von daher kann ich Sie nur bitten, den Antrag auch entsprechend abzulehnen."

StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) zeigt sich erfreut über die Ankündigung von EBM Föll gestern im Verwaltungsausschuss, dass künftig bei Einbringungen der Öffentlichkeitsgrundsatz gelten soll. Dies sei Inhalt auch anderer Anträge seiner Fraktionsgemeinschaft gewesen. EBM Föll macht darauf aufmerksam, dass gegebenenfalls die Geschäftsordnung entsprechend geändert werden muss. StR Rockenbauch setzt sich nochmals für mehr Öffentlichkeit und Transparenz ein, geht aber davon aus, dass der Antrag seiner Fraktionsgemeinschaft abgelehnt wird.


OB Kuhn stellt nach Abschluss der Aussprache fest:

Der Gemeinderat lehnt den Antrag Nr. 439/2016 der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS bei 8 Ja-Stimmen mehrheitlich ab.
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