Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
91
1
VerhandlungDrucksache:
353/2011
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 09.06.2011
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21
Entscheidung über Zulässigkeit

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 08.06.2011, öffentlich, Nr. 174

Ergebnis: Vorberatung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 20.05.2011, GRDrs 353/2011, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids über den "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21" ist unzulässig.
2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauensleuten der Antragsteller die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags bekannt zu geben.

Zur dieser Vorlage liegt der Antrag Nr. 239/2011 der Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/ DIE GRÜNEN vom 03.06.2011 mit der Stellungnahme des Herrn Oberbürgermeisters vom 08.06.2011 vor. Beide sind der Niederschrift beigefügt.


Die Ausführungen von OB Dr. Schuster sowie den Mitgliedern des Gemeinderats sind nachfolgend im teilweise gekürzten und redigierten Wortlaut wiedergegeben. OB Dr. Schuster dankt den zahlreich erschienenen Bürgerinnen und Bürgern für ihr Interesse und führt aus:

"Es geht um das Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 und die Frage: Ist dieses rechtlich zulässig? Für die rechtliche Zulässigkeit bedarf es einer Reihe von Voraussetzungen. Sie sind genau geregelt. Wenn sie vorliegen, muss der Gemeinderat das Bürgerbegehren zulassen und durchführen, wenn nicht, darf der Gemeinderat ein solches Bürgerbegehren nicht zulassen. Es geht also nicht um eine inhaltliche Frage, nicht darum, ob man ein Großprojekt wie Stuttgart 21 besser oder schlechter findet, sondern schlicht um die Frage, ob das uns jetzt vorliegende Bürgerbegehren rechtlich so möglich ist.

Ich muss ganz offen sagen, ich habe von den Initiatoren des Bürgerbegehrens erwartet, dass sie vorher sorgfältig die Rechtsfragen prüfen, denn ich halte es nicht für gut, dass so viele Bürgerinnen und Bürger mit dem Versprechen, man mache ein Bürgerbegehren, um Unterschriften gebeten werden, es anschließend aber nicht eingehalten wird. Das ist kein guter politischer Stil.

Schon vor zwei Jahren, als ebenfalls eine große Zahl von Unterschriften gesammelt wurde, hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass dies eine Irreführung der Bürger war. Ich muss leider feststellen, dass das wiederum der Fall ist. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern das hat das Verwaltungsgericht so festgestellt.

Und jetzt haben wir die Fragestellung: Kann man über die Frage abstimmen, ob die Verträge verfassungsgemäß sind oder nicht? Das ist eine Rechtsfrage, und über sie kann man nicht abstimmen, denn sie sind entweder rechtlich korrekt oder nicht. Deshalb hätte ich eigentlich erwartet, dass man diese Frage z. B. im politischen Raum stellt und dann die Verwaltung auffordert, ihr nachzugehen. Aber es geht nicht, dass wir über Rechtsfragen abstimmen. Die Initiatoren hätten sich vorher erkundigen sollen und nicht so viele Unterschriften sammeln und damit zur Frustration derer, die ihre Unterschriften abgegeben haben, beitragen sollen.

Das Zweite ist die Frage: Sind die Verträge per se verfassungsgemäß oder nicht? Dieser Frage sind wir sorgfältig nachgegangen, und auch nach erneuter Prüfung muss ich Ihnen sagen, ich habe keinerlei Zweifel daran, dass das, was der Gemeinderat schon vor Jahren beschlossen hat, verfassungsgemäß ist. Die Einzelheiten hierzu finden Sie in der Vorlage. Ich möchte nur nochmals sagen: Ich halte die Mitfinanzierung der Stadt an dem Projekt Stuttgart 21 - selbst wenn es 'worst case' teurer würde - für angemessen und richtig, weil wir letztlich - nicht Sie vielleicht persönlich, aber zumindest unsere Kinder und Enkelkinder - davon profitieren werden. Wir wollen mehr Verkehr auf die Schiene bringen und wir wollen, dass unsere Kinder ebenfalls noch einen Anschluss an das europäische Schienennetz haben, dass sie in Stuttgart noch Wohnungen und Arbeitsplätze finden.

Es tut mir leid für all diejenigen, die sich die Mühe gemacht haben, das Bürgerbegehren zu unterschreiben. Aber ich finde es nicht fair von denen, die es initiiert haben, weil sie genau gewusst haben, dass es rechtlich so nicht möglich ist."

StR Stopper (90/GRÜNE):

"Wir streiten heute in der Tat nicht über Stuttgart 21, wir haben keine politische Entscheidung über dieses Projekt vorliegen. Wir haben heute als Gemeinderat über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens 'Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21' zu entscheiden. Wir werden uns auf diese Frage konzentrieren, und ich muss Ihnen sagen, Herr Oberbürgermeister, manche Ihrer Vorbemerkungen fand ich da nicht hilfreich. Anders als Sie und auch die Verwaltung - BM Dr. Schairer hat ja gestern Ausführungen dazu gemacht - halten wir das Bürgerbegehren nicht für eine Täuschung der Bürger, sondern für den begrüßenswerten Versuch, eine möglichst rasche Klärung der Frage herbeizuführen, ob die Finanzierung des Projektes verfassungswidrig ist. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens haben, gestützt auf das Rechtsgutachten von Prof. Meyer, stichhaltige und wohlbegründete Argumente vorgetragen, dass dieses Projekt und die Finanzierungsverträge zu diesem Projekt schlicht verfassungswidrig sind.

Darüber können wir nicht einfach hinweggehen. Die Verträge bzw. das Bürgerbegehren ermöglichen es uns, diese Verfassungsfrage möglichst zügig auch vor Gericht zu klären. Sie haben recht, das können wir nicht hier entscheiden, das können auch nicht die Bürger entscheiden - aber das ist auch nicht Gegenstand des Bürgerbegehrens. Die Bürger sollen nicht entscheiden, ob es verfassungsmäßig ist oder nicht, sondern in dem Bürgerbegehren wird ein Ausstiegsszenario vorgelegt, das sich auf diese Verfassungsfrage stützt; es wird aber nicht eine Bürgerentscheidung über eine Verfassung sein.

Wenn man die Frage der Verfassungsmäßigkeit ernsthaft erörtert, dann können wir - gerade auch als Gemeinderat - darüber nicht leichtfertig hinweggehen. Wir gehen im schlimmsten Falle das Risiko ein, dass diese Frage in ein paar Jahren, falls das Projekt umgesetzt und gebaut wird, vor Gericht geklärt wird und dann tatsächlich beschieden wird, dass die Finanzierungsverträge verfassungswidrig sind. Dann sitzen wir Stuttgarter auf einer milliardenteuren Bauruine und haben die Folgen zu tragen. Das ist das Risiko, dem wir bei dieser offenen Verfassungsfrage ausgesetzt sind.

In diesem Bürgerbegehren geht es auch darum, wenigstens partiell den demokratischen Makel zu beseitigen, der dem gesamten Entscheidungsprozess zu diesem Projekt seit der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung vom November 1995 anhaftet.

Wir haben immer gesagt, dass das Projekt, das innerhalb der Bürgerschaft so heftig umstritten ist und zu dem es heftigste Proteste und unglaubliches Engagement von Befürworterseite und von Gegnerseite gibt, den Bürgern zur Entscheidung vorgelegt gehört und nicht in anderen Gremien zu entscheiden ist. Insofern haftet dem Projekt aus unserer Sicht durchaus ein demokratischer Makel an, und dieser könnte durch einen Bürgerentscheid tatsächlich behoben werden, wenigstens in Teilen noch.

Natürlich geht das nicht mehr direkt, das ist ganz klar, und es geht auch nicht einfach, sondern es ist schwierig, einen Weg zu finden, das noch zu ermöglichen. Dass die Initiatoren des Bürgerbegehrens mit dem vorliegenden Bürgerbegehren das ermöglicht haben, dafür sollten wir dankbar sein, weil tatsächlich nach akribischer - und davon haben wir uns überzeugt - und fachlich hochkompetenter ehrenamtlicher Arbeit ein Weg zu einem Bürgerentscheid gefunden wurde.

Noch einmal zur Klarstellung: Nicht die Bürger sollen über die Verfassungswidrigkeit entscheiden, sondern mit einem solchen Bürgerentscheid wird lediglich aufgezeigt, dass es einen Weg des Projektausstiegs gibt. Die Bürger sollen entscheiden, ob die Stadt diesen Weg gehen soll oder nicht.

Mehr als 35.000 Bürgerinnen und Bürger haben in kürzester Zeit das Bürgerbegehren unterzeichnet, und damit haben die Bürgerinnen und Bürger, die Vertrauensleute und die Initiatoren einen Rechtsanspruch darauf, dass der Gemeinderat und der Oberbürgermeister eine saubere, unvoreingenommene, an der rechtlichen Zulässigkeit orientierte Entscheidung fällen. Und gerade weil es bei dieser Entscheidung nicht um eine Positionierung für oder gegen Stuttgart 21 geht, sondern um die rechtliche Zulässigkeit dieses Antrags, muss sich heute niemand für oder gegen das Projekt stellen, wenn er über den Bürgerentscheid abstimmt.

Sie, Herr Oberbürgermeister, haben uns mit der Vorlage zu diesem Bürgerbegehren eine Entscheidungshilfe gegeben. Wir halten allerdings die Vorlage und auch das zugrunde liegende Gutachten nicht für geeignet, den Gemeinderat angemessen und unabhängig zu beraten. Schon Ihr Hinweis, Herr Oberbürgermeister - auch in der Beantwortung unseres jüngsten Antrags Nr. 239/2011 -, die wesentlichen Aspekte der Unzulässigkeit seien bereits beim ersten Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 geprüft und sowohl von der Stadt wie vom Regierungspräsidium und zuletzt vom Verwaltungsgericht Stuttgart anerkannt worden, geht fehl. Die Grundlagen des vorliegenden Begehrens sind fundamental anders.

Ich will im Folgenden kurz begründen - so kurz es geht, angesichts der Bedeutung dieser Entscheidung -, warum wir zu dem Schluss gekommen sind, dass das Bürgerbegehren entgegen der Beschlussvorlage der Verwaltung zulässig ist. Es wird von der Vorlage und vom Gutachter behauptet, das Bürgerbegehren verfolge ein rechtswidriges Ziel. Diese Behauptung stützt sich auf die aus meiner Sicht doch ziemlich gewagte Konstruktion, dass verfassungswidrige Verträge nicht kündbar sind, weil sie ja von Anfang an nichtig sind. Dementsprechend sei die angestrebte Kündigung ein rechtlich unzulässiges Ziel. Das halte ich doch für abenteuerlich. Das würde bedeuten, ein Gericht sagt mir, dieser Vertrag ist zwar verfassungswidrig, aber du kannst ihn nicht kündigen, also muss dieser Vertrag erfüllt und das Projekt durchgezogen werden.

Im Übrigen wird im Text des Bürgerbegehrens ausdrücklich ausgeführt, dass sich die Stadt zunächst auf die Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung beruft. Sie erklärt damit die Nichtigkeit der Verträge. Auf dieser Grundlage ist es völlig unerheblich, wie eine Kündigung rechtlich zu würdigen ist. Schlimmstenfalls läuft eine Kündigung dann ins Leere. Das wäre aber völlig unschädlich - die Verträge sind schlicht nichtig.

Zum anderen stützt sich die Behauptung, dass es sich hier um rechtswidrige Ziele handelt, auf aus unserer Sicht unzulässige Argumente in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der Mischfinanzierung. Während das Bürgerbegehren sich auf das Gutachten von Prof. Meyer stützt und dieser deutlich zu dem Schluss gekommen ist, dass die Mischfinanzierung sowohl der Neubaustrecke als auch des Projektes Stuttgart 21 verfassungswidrig sind, berufen sich die Vorlage der Verwaltung und das Gutachten von Prof. Dolde auf die wiederum gewagte Konstruktion der sogenannten unechten Gemeinschaftsaufgabe. Diese ist umstritten und steht rechtlich auf tönernen Füßen. Anders als die Verwaltung das an anderer Stelle auch ausgeführt hat, handelt es sich bei dieser Rechtsauffassung von Prof. Dolde keineswegs um eine etablierte und allgemein anerkannte Rechtslage. Es ist in diesem Falle einfach so, dass hier bei bisherigen Mischfinanzierungsprojekten kein Kläger war, und dann gibt es eben auch keinen Richter und keine Entscheidung dazu. Eine gerichtliche Klärung ist nur erforderlich, wenn es einen Kläger gibt. Aber dieses Risiko haben wir hier beim Projekt Stuttgart 21, und wir als Stadt Stuttgart sollten dieses Risiko nicht über die Bauzeit eingehen, sondern frühzeitig eine Klärung herbeiführen.

Sie haben auch ausgeführt, dass es bis zum Gutachten von Prof. Meyer zur Finanzierung von Stuttgart 21 keinerlei gutachterliche Überprüfung der Verfassungsfrage gegeben hat. Es gibt aus unserer Sicht also hinreichend Grund zur Sorge, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung nicht ordentlich geklärt wurde und dass hier vor Gericht Ungemach droht. Insofern sollten wir einer gerichtlichen Überprüfung nicht im Wege stehen. Für uns als Gemeinderäte ist es völlig unerheblich, ob uns diese Mischfinanzierung politisch passt oder nicht. Es geht hier darum, ob die Mischfinanzierung verfassungsmäßig ist.

Und auch hier ist die Ausführung des Gutachtens von Prof. Dolde problematisch. Selbst wenn man die Konstruktion der unechten Gemeinschaftsaufgabe teilt, bleibt die ungeklärte Frage, warum der Finanzierungsanteil der Stadt Stuttgart so stark variiert - einmal waren es 1 %, bei dem Risikotopf sind es 18 %, und im Endeffekt sind es unter Umständen 6 % nach den gültigen Verträgen. Da ist offensichtlich viel Willkür im Spiel. Und das ist ein großes Risiko, was die Verfassungsmäßigkeit der Finanzierungsverträge anbelangt.

Sie führen in der Vorlage weiter aus, dass das Bürgerbegehren wegen des Verstreichens der 6-Wochen-Frist unzulässig wäre. Auch hier halte ich es für sehr konstruiert: Ein Beschluss oder ein Vertrag, der verfassungswidrig und damit nichtig ist, kann auch keine Rechtskonstruktion wie eine 6-Wochen-Frist zur Folge haben, sondern entweder er ist verfassungswidrig und nichtig oder eben nicht. Dann kann er Rechtsfolgen haben. Aber wenn er nichtig ist, kann er nicht eine Frist zur Folge haben. Insofern gilt hier das Argument der Verfristung nicht.

Es wird weiter in der Vorlage behauptet, das Bürgerbegehren sei unzulässig, weil es sich mit Finanzfragen befasse. Das Bürgerbegehren stützt sich zwar auf die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit der Finanzierungsverträge, es geht aber im Kern um die Mitgliedschaft im Projekt Stuttgart 21. Diese soll förmlich beendet werden. Und ich möchte Sie wie gestern auch noch einmal daran erinnern, dass die Stadtverwaltung in einer Antwort auf einen SPD-Antrag von 2009 geschrieben hat: 'Ein Bürgerentscheid ist nämlich nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die zu treffende Entscheidung auch finanzielle Auswirkungen hat, weil dies bei nahezu jeder kommunalpolitisch bedeutsamen Gemeindeangelegenheit zutrifft und sonst entgegen der Absicht des Gesetzgebers kaum noch Spielräume für eine direkte Beteiligung der Bürger an kommunalen Entscheidungen bestünden.' Diese Argumente müssen selbstverständlich auch für das Bürgerbegehren gelten.

Als Fazit in unserer Auseinandersetzung kann man sehr deutlich sagen: Die rechtliche Begründung der Unzulässigkeit des Begehrens ist unsicher. Die Vorlage der Verwaltung und das Gutachten der Kanzlei Dolde & Partner sind zumindest im Vergleich zu dem, was das Bürgerbegehren möchte, ein erhebliches rechtliches Risiko. Ich denke, dass wir mit der Zustimmung zum Bürgerentscheid ein geringeres Risiko eingehen, als wenn wir uns auf das höchst umstrittene und unsichere rechtliche Terrain begeben, auf das uns das Gutachten und die Vorlage führen. Insofern haben wir heute nicht nur, was die rechtliche Zulässigkeit, sondern auch die damit verbundene politische Chance anbelangt, den Auftrag als Gemeinderat, dieses Bürgerbegehren auf den Weg zu bringen und einen Bürgerentscheid herbeizuführen.
Es ist eine große Chance für die Stadt und für die Bürgerinnen und Bürger, bei diesem Projekt noch einmal das Heft des Handelns in eigene Hände zu nehmen. Noch einmal - vielleicht ein letztes Mal - haben die Politik und die Bürgerschaft der Stadt die Chance, hier selbstständig und eigenständig eine Entscheidung zu diesem Projekt herbeizuführen. Es würde nicht das Ende des Projektes bedeuten, das darf man nicht unterstellen, aber es wäre ein klares Bekenntnis der Bürgerinnen und Bürger, wenn sie sich in einem Bürgerentscheid für oder gegen diese Frage entscheiden könnten. Ich finde, wir sollten diese Chance nutzen. Die rechtlichen Ausführungen der Unzulässigkeit sind schwach, und insofern sollten wir heute die Chance nutzen und den Bürgerentscheid auf den Weg bringen."

StR Kotz (CDU):

"Wir dürfen heute als Gemeinderat nicht das tun, was wir eigentlich wollen und wofür wir gewählt worden sind, nämlich politische Entscheidungen zu treffen, sondern wir müssen heute eine juristische Entscheidung treffen, eine Rechtsfrage beurteilen. Deswegen kann und muss man andere Maßstäbe anlegen, als es vielleicht in den politischen Willensbekundungen möglich und denkbar wäre. Es geht allein um die Frage: Ist das Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 zulässig oder nicht?

Wir teilen die Einschätzung der Verwaltung und den externen juristischen Sachver-stand, dass dieses Bürgerbegehren nicht zulässig ist. Es geht den 35.000 Bürgerinnen und Bürgern, die hier unterschrieben haben, ja auch nicht darum, das Grundgesetz oder die Verfassung zu schützen und dass hier kein Verfassungsbruch begangen wird, sondern es geht in ihrer Zielsetzung selbstverständlich darum, das Projekt Stuttgart 21 zu verhindern über den Umweg, dass sie hier die Verfassungsmäßigkeit infrage stellen.

Als wir Ende Februar erkannt haben, dass ein erneutes Bürgerbegehren im Umlauf ist, haben wir als CDU-Fraktion die Verwaltung bereits am 01.03.2011 mit einem Antrag gefragt, weil wir eben nicht wollten, dass bürgerschaftliches Engagement nicht zielführend eingesetzt wird und dass die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt wieder in großem Umfang getäuscht werden. Die Verwaltung hat unseren Antrag am 11.03.2011 beantwortet, und sie ist schon damals zu der klaren Einschätzung gekommen, dass das Bürgerbegehren nicht zulässig sein wird - wenn es denn mal zu dieser Entscheidung im Gemeinderat kommt.

Wer gestern die Ausführungen im Verwaltungsausschuss miterleben konnte - sowohl von BM Dr. Schairer als auch von Herrn Dr. Porsch -, der kann auch nicht nur einen Funken daran glauben, dass es eine Zulässigkeit dieses Bürgerbegehrens gibt, weil diese juristische Darstellung so klar und eindeutig und auch für jeden nachvollziehbar war, dass es da keine Fragestellung mehr geben kann.

Zu dem Zwischenruf, dass über die Anwendung des Rechts die Gerichte entscheiden, möchte ich sagen, dass das sehr wohl richtig ist; aber wir haben leider in der Vergangenheit bei allen gerichtlichen Auseinandersetzungen zu diesem Projekt niemals den Eindruck gehabt, dass die Gegner des Projekts die gerichtlichen Entscheidungen dann auch akzeptiert haben. Wir halten eine erneute Gerichtsentscheidung für völlig unnötig, weil die Projektgegner eine weitere gerichtliche Entscheidung, die zugunsten des Projektes ausgehen würde, nicht akzeptieren würden.

Wenn man die Klarheit der juristischen Argumente sieht und den juristischen Sachverstand, der auf Seiten der Gegner des Projektes ja vorhanden ist, dann drängt sich der Eindruck auf, dass diese klare Nichtzulässigkeit diesen Damen und Herren auch bewusst sein musste und dass deswegen klar ist, dass es sich um eine Täuschung handelt, die natürlich in die Wahlkampfzeit hervorragend hineinpasste und ja auch die entsprechenden Erfolge hatte. Ich hatte mir eigentlich erhofft, dass nun mit dem Ende der Wahlkampfzeit diese Zeit der Täuschung ein Ende hat. Wenn ich aber den Kollegen Stopper mit seinem Wortbeitrag gehört habe, der Schreckensszenarien an die Wand malt, als würde eine Bauruine in Stuttgart stehen bleiben, wenn irgendwann ein Gericht anders urteilen würde, als würde die Bahn Investitionen - dann vielleicht schon von mehreren hundert Millionen - einfach brach liegenlassen, dann wird hier die Bevölkerung weiterhin getäuscht, wie der Fortgang dieses Projektes im Zweifelsfall aussieht.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass in dieser Stadt die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam ihre Kraft und ihr Engagement einsetzen, dieses Projekt gemeinsam weiter voranzutreiben, dass wir die großen und zahlreichen städtebaulichen und verkehrlichen Entscheidungen, die noch zu treffen sind, gemeinsam treffen und unsere Kraft dafür einsetzen. Ich wünsche mir auch in diesem Haus einen demokratischen Umgang mit allen und ihren Meinungen. Wir akzeptieren die Meinung der Gegner, aber wir treten für unsere Meinung ein. Und deswegen werden wir der Vorlage zustimmen."

StRin Dr. Blind (SPD):

"Wir sind froh, wenn Bürger sich in die Politik einmischen, vielleicht nicht nur mit Beifallklatschen und Pfeifen. Politische Entscheidungen werden besser, wenn Bürger ihre Meinung, ihren Sachverstand und ihr Wissen einbringen. Deshalb ist der SPD-Fraktion Bürgerbeteiligung wichtig. Und deshalb war es ja auch die SPD, die einen Volksentscheid für ganz Baden-Württemberg vorgeschlagen hat. Die neue Landesregierung hat diesen Vorschlag aufgenommen. Alle Bürgerinnen und Bürger von Baden-Württemberg werden im Herbst über Stuttgart 21 entscheiden, genauer, über die Finanzbeteiligung des Landes, wozu dann natürlich auch Schadensersatz gehört.

Heute aber geht es um ein Bürgerbegehren, einen Bürgerentscheid in Stuttgart. Und auch ich betone - wie meine Vorredner -, dass es nicht um eine politische Entscheidung geht. Der Gemeinderat hat keinerlei Entscheidungsspielraum. Er muss die Rechtslage feststellen.

Nun kann man trefflich darüber streiten, ob diese Finanzierungsverträge verfassungswidrig sind oder nicht. Die Grünen behaupten, dass sie verfassungswidrig sind und haben das sehr ausführlich begründet. Wir meinen, dass sie es nicht sind. Aber für unsere Entscheidung heute ist es überhaupt nicht relevant, ob die Verträge nun verfassungswidrig sind oder nicht.

Der Bürgerentscheid will, dass die Stadt die Verträge kündigt, weil sie verfassungswidrig seien. Jetzt nehmen wir doch einmal an, dass die Verträge tatsächlich verfassungswidrig wären, dass sie also ungültig, dass sie nichtig sind. Gehen wir einfach mal davon aus, die Antragsteller hätten Recht damit, dass die Verträge ungültig sind. Und was ist dann? Ungültige Verträge kann man nicht kündigen. Einen ungültigen Vertrag kündigen, das ist wie eine Ehescheidung von einem Mann, mit dem ich nicht verheiratet bin. So etwas ist unsinnig, so etwas ist nicht möglich, oder, etwas vornehmer ausgedrückt, das ist rechtswidrig. Und deshalb ist dieser Bürgerentscheid auch dann nicht zulässig, wenn die Verträge rechtswidrig wären.

Es gibt weitere Gründe, warum das Bürgerbegehren unzulässig ist. Das ist z. B. die vorgeschriebene 6-Wochen-Frist, innerhalb derer man Einspruch erheben muss. Das war ja auch einer der Gründe, warum das Verwaltungsgericht das letzte Bürgerbegehren zu Stuttgart 21 für unzulässig erklärt hat. Also die Rechtslage ist klar. Das Bürgerbegehren ist nicht zulässig. Der Gemeinderat muss nur die Rechtslage feststellen. Deshalb stimmen wir der Vorlage zu.

Auch ich habe großen Respekt vor dem Engagement der vielen Menschen, die sich für dieses Bürgerbegehren eingesetzt haben, und ich bin froh, dass im Herbst die Bürgerinnen und Bürger in einem großen baden-württemberg-weiten Volksentscheid über Stuttgart 21 abstimmen können."

StR Zeeb (FW):

"Die Ausführungen von BM Dr. Schairer über die Rechtsfragen gestern im Verwaltungsausschuss waren für uns eindeutig und hilfreich. Wir, die Freien Wähler, wollen 35.000 Bürger auf einem rechtlich nicht abgesicherten Weg nicht wissentlich in die Irre führen. Man kann von uns Gemeinderäten nicht verlangen, dass wir hier eine andere Position vertreten sollen als die von der Verwaltung in diesem Fall schlüssig dargestellte Vorlage. Unserer Meinung nach mögen diesen Rechtsstreit, der da ansteht, die Antragsteller ausfechten, aber doch nicht die Stadt und der Gemeinderat.

Zulässige Bürgerbegehren werden wir immer unterstützen, z. B. wenn es um die Kosten von mehreren hundert Millionen Euro für eine stadteigene Energieversorgung geht. Es ist uns sehr wichtig, da die Meinung der Bürger zu hören. Aber wir lehnen Aktionismus im Gemeinderat ab. Wir täuschen die Bürger nicht. Schließlich ist es doch wieder nur ein Baustein, um mit völlig ungeeigneten Mitteln das Projekt Stuttgart 21 zu stoppen.

Wir appellieren eindringlich an die Antragsteller und das Aktionsbündnis, den Schlichterspruch nun endlich zu akzeptieren, so wie es ihre 'Vortänzer' vorgemacht haben. Wir bitten auch die vielen Gerichtsurteile in dieser Sache zu akzeptieren, denn das ist Demokratie. Und wir bitten natürlich den im Zug der Diskussion über städtebauliche Themen gestarteten Dialog weiter sachlich und konstruktiv fortzusetzen. Demokratie, zu der wir gerne stehen, lebt auch vom Zuhören. Die Fraktion der Freien Wähler unterstützt die Meinung der Verwaltung gemäß der vorliegenden Drucksache."

StR Dr. Lübbe (FDP):

"Die FDP-Gemeinderatsfraktion befürwortet grundsätzlich im Sinne der Basisdemokratie wichtige Entscheidungen für die Einbindung des Bürgers, d. h. wir befürworten solche Bürgerbegehren, was ja auch meine Vorredner bereits erwähnt haben, aber nur dann - und darauf legen wir Wert -, wenn ein solches Bürgerbegehren rechtsstaatlich fundiert und rechtlich unangreifbar ist. Es geht uns darum - und ganz besonders in diesem emotional stark belasteten Fall -, beim Bürger keine falschen Hoffnungen zu wecken, trotz der 35.000 geleisteten Unterschriften. Wir wollen, dass man mit dem Bürger ehrlich, fair und offen umgeht. Und das wollen Sie da oben auf der Zuschauertribüne nicht.

In der vorliegenden Beschlussvorlage über das Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 wird nach unserer Meinung hinreichend ausführlich, juristisch einwandfrei und unwiderlegbar die Unzulässigkeit dieses Antrags dargestellt. Vor allem in dem Gutachten von Prof. Dolde werden unmissverständlich Fakten, nicht Deutungen oder Auslegungen, nein, Fakten aufgezählt, wie unter anderem die Verfolgung eines rechtswidrigen Zieles unter Punkt 4, unzureichende Begründung unter Punkt 7 und andere Punkte mehr, wie gestern im Verwaltungsausschuss auch ausführlich von BM Dr. Schairer aufgezählt, Gründe, die auch in der Zusammenfassung bei Gegenüberstellung des Gutachtens der Kanzlei Prof. Meyer für uns keinerlei andere Auslegung erlauben, als den Antrag für unzulässig zu erklären - was die FDP-Gemeinderatsfraktion hiermit auch tut."

StR Stocker (SÖS und LINKE):

"Was wir hier erleben und was wir hier noch erleben werden, kommt uns nur zu bekannt vor. Das haben wir vor drei Jahren in ähnlicher Weise erlebt. Das alles ist mehr oder weniger eine Wiederholung. Die Verwaltung und die Mehrheit des Gemeinderates wollen keinen Bürgerentscheid. Sie bestellt sich dazu wie gehabt ein Gutachten und geht hinter diesem Gutachten in Deckung, bzw. BM Dr. Schairer nennt es eine Beratung. Ich nehme das Wort gerne auf: Es ist eine Beratung, 'wie verhindert man einen Bürgerentscheid'. Es ist kein Wunder, dass dabei das Gleiche herauskommt.

Lassen Sie mich einschieben, Herr Oberbürgermeister, eines geht auf keinen Fall: Sie können nicht den Initiatoren des Bürgerbegehrens unterstellen, sie wüssten von vornherein, dass ihr Vorhaben rechtswidrig ist, und sie würden ein rechtswidriges Bürgerbegehren von 35.000 Menschen unterschreiben lassen. Das geht auf keinen Fall. Was aber gegangen wäre, Herr Oberbürgermeister, Sie hätten die Initiatoren hier einmal begrüßen können; sie sind nämlich da.

Herr Prof. Dolde hebt ausdrücklich und schwerpunktmäßig auf das Vertragsrecht ab. In Kurzfassung könnte man sein Ergebnis wie folgt zusammenfassen: Demokratie verstößt gegen Vertragsrecht. Er stellt Verträge als unkündbar dar. Aber das gilt nun einfach nicht, auch im Vertragsrecht nicht, denn ein Vertrag gilt auch dann nicht mehr, wenn die Geschäftsgrundlage wegfällt. Ein Vertrag gilt dann nicht mehr, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern zerstört ist. Und daran hat die Bahn in den letzten Jahren ja hinreichend gearbeitet.

Ich will nur die letzten Ereignisse nennen. Es gibt ein 121-seitiges Dossier über die Risiken bei Stuttgart 21. Hat die Stadt dieses Dossier vorliegen? Meines Wissens nicht. Die Bahn verweigert es der Öffentlichkeit. Die Bahn kommt plötzlich auf die Idee, die doppelte Menge an Grundwasser abzupumpen, ohne dass die Stadt vorher informiert wird, und die Stadt muss jetzt dazu Stellung nehmen und hat keinerlei Aussagen darüber, welche Auswirkungen diese doppelte Menge an Grundwasserentnahme hat.

Ich will noch ein weiteres Moment nennen, den sogenannten Stresstest, wo von vornherein klar und auch in der Schlichtung so vereinbart war, dass wir dabei sind. Die Bahn verweigert uns die Teilnahme an diesem Stresstest. Das alles dient nicht dazu, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien aufzubauen, zu stabilisieren und zu erhalten, sondern es zerstört das Vertrauensverhältnis.

Das Bürgerbegehren hat die Absicht der Kündigung der Verträge. Die Verträge sind aufgeführt im Bürgerbegehren, und begründet wird es damit, dass die Verträge verfassungswidrig sind. Nun sagt Herr Prof. Dolde, wenn die Verträge tatsächlich verfassungswidrig sind - StR Stopper hat es schon angekündigt -, dann kann man sie nicht kündigen, denn sie sind von vornherein ungültig. Und deswegen verfolge dieses Bürgerbegehren ein rechtswidriges Ziel. Das verstehe ich nicht ganz. Wenn die Verträge wegen Verfassungswidrigkeit eben von vornherein ungültig sind, dann läuft eine solche Kündigung ins Leere und kann deswegen schon gar nicht rechtswidrig sein - also das mögen vielleicht Juristen verstehen, ich aber nicht. Wenn die Verträge von vornherein ungültig sind, dann gilt auch keine 6-Wochen-Frist. Wenn z. B. die Beschlüsse zu diesen Verträgen verfassungswidrig waren, dann sind auch die Beschlüsse dieses Gemeinderates schlichtweg nichtig.

Das Problem ist, wer stellt denn jetzt diese Verfassungswidrigkeit fest? Wir können es nicht, ich kann es nicht. Und dazu soll dieses Bürgerbegehren dienen. Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten: Sie machen den Weg frei für einen Bürgerentscheid - dafür plädiere ich -, und dann wissen Sie, was die Bürger von diesem Projekt halten, oder Sie verweigern zum zweiten Mal eine Entscheidung der Bürger über dieses Projekt - dann werden die Gerichte sich mit der Verfassungswidrigkeit dieser Verträge befassen müssen.

Und liebe Frau Dr. Blind, also das geht nicht. Man kann nicht im Land darauf beharren, eine Volksabstimmung durchzuführen, sogar die Koalitionsgespräche und das erfolgreiche Ergebnis der Koalitionsgespräche davon abhängig machen, dass sie stattfindet, und hier in der Stadt will man den Bürgern die Entscheidung verweigern. Ich weiß natürlich, wie Sie das begründen. Sie sagen, es sei eine rein juristische und keine politische Entscheidung, die heute zu treffen ist. Und Sie zeigen natürlich Ihre Fesseln, die Sie zum Nichthandeln zwingen, nämlich die Verträge, so nach dem Motto, wir können, wir dürfen jetzt nicht einen Bürgerentscheid beschließen, weil er rechtswidrig ist. Dann frage ich mich aber doch, was wollen Sie denn dürfen, wenn Sie denn können dürften? Das würde mich schon mal interessieren. Es ist alles eine Frage des politischen Willens, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

Ich will Ihnen noch einmal das Beispiel der Stadt Metzingen vor Augen führen. In Metzingen - wie übrigens auch in Nürtingen - ging es um die Boss-Ansiedlung. In Metzingen hat der Gemeinderat beschlossen, hierüber einen Bürgerentscheid herbeizuführen, obwohl die Gemeindeordnung Baden-Württembergs einen solchen Bürgerentscheid nicht vorsieht, weil Bauleitpläne bekanntlicherweise ja im Negativkatalog drin sind. Dennoch hat die Mehrheit des Gemeinderats gesagt, wir wollen wissen, was die Bürger davon halten. Man hat einen Bürgerentscheid durchgeführt. Dieser fiel gegen die Boss-Ansiedlung aus mit der Folge, dass der Oberbürgermeister der Stadt Metzingen zurückgetreten ist. So geht Demokratie."

StR Dr. Schlierer (REP):

"Es geht bei der Behandlung des Antrags auf Zulassung eines Bürgerentscheides im Wesentlichen um drei Punkte. Es geht einmal darum, was der Gemeinderat heute im Rahmen des ihm von der Gemeindeordnung zugewiesenen Aufgabenspektrums zu entscheiden hat, was er tun darf und was nicht. Es ist nicht eine Frage der Demokratie, sondern eine Frage der Verfassungstreue, ob ich mich als Gemeinderat an das halte, was der Landesgesetzgeber in die Gemeindeordnung hineingeschrieben hat, oder nicht. Deswegen sind diese ganzen Argumente, das sei nur eine Frage des demokratischen Willens, eigentlich nichts anderes als eine Nebelkerze, mit der man verschleiern will, dass man sich um jeden Preis über das Recht hinwegsetzen will. Der Gemeinderat kann heute eine rechtliche Prüfung vornehmen - er hat übrigens keinen Ermessensspielraum -, und wenn er prüft, dann muss er sich genau ansehen, was in diesem Bürgerentscheid als Fragestellung vorgelegt werden soll. Da heißt es, 'die Stadt Stuttgart beruft sich gegenüber den Projektpartnern auf die Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung und kündigt die Projektverträge'. Das verstehe ich nicht ganz. Da hat das Verwaltungsgericht Stuttgart Herrn Stocker klar und deutlich geschrieben, ich zitiere: 'Ein Bürgerbegehren ist auch dann unzulässig, wenn sich dessen Rechtswidrigkeit aus einem Verstoß gegen bestehende vertragliche Verpflichtungen ergibt und keine konkreten Anhaltspunkte dazu vorliegen, dass sich die Gemeinde z. B. durch ein einseitiges Rücktritts- oder Kündigungsrecht oder durch einen Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. -aufhebung von den eingegangenen vertraglichen Bindungen lösen kann'. Ich frage mich bis heute nur eines, Herr Stocker, wenn Sie das alles nicht akzeptieren, warum sind Sie damals nicht in Berufung gegangen? Sie haben diese Entscheidung rechtskräftig werden lassen und haben damit einen ganz entscheidenden Pfahl hier eingerammt. Sie müssen sich jetzt an sich selbst messen lassen.

Daran ändert jetzt auch das Gutachten Meyer nichts. Die Rechtsfrage, ob die seinerzeit geschlossenen Finanzierungsverträge wegen eines Verstoßes gegen Artikel 104 a des Grundgesetzes verfassungswidrig sind oder nicht, ist zumindest streitig. Aber selbst wenn man sich jetzt mal das Gutachten Meyer herannimmt und dessen Ausführungen als beachtlich ansieht, kommt man nicht umhin festzustellen, dass diejenigen, die sich jetzt unter Berufung auf dieses Gutachten das Bürgerbegehren haben einfallen lassen, das Gutachten entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben, denn auf Seite 47 des Gutachtens kann man sehr konkret nachlesen, nach seiner Ansicht gibt es kein Mitfinanzierungsrecht, folglich ist der Finanzierungsvertrag nichtig und muss rückabgewickelt werden. Das ist richtig. Wenn ich von der Nichtigkeit ausgehe, komme ich sofort zur Rückabwicklung. Aber eines kann ich nicht machen - und da hatte StRin Dr. Blind völlig recht -, ich kann nicht hingehen und sagen, ich gehe davon aus, dass diese Verträge verfassungswidrig sind, ergo ex nunc nichtig sind, und jetzt fordere ich, sie auch noch zu kündigen. Einen solchen Schwachsinn habe ich selten gehört.

Man kann es auch anders sagen: Dieses Bürgerbegehren ist, wenn diejenigen, die es beantragen, mit ihren eigenen Formulierungen ernst genommen werden wollen, auf eine Unmöglichkeit gerichtet. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass der Gemeinderat sich dazu hergeben kann, für so etwas auch noch seine Stimme zu geben.

Wenn vorhin von schwacher Leistung im Zusammenhang mit gewissen rechtlichen Ausführungen die Rede war - also die schwächste Leistung ist sicherlich die Formulierung in diesem Bürgerentscheid, der hier vorgeschlagen wird, es sei denn, man kommt noch zu ganz anderen Schlussfolgerungen.

Ich will noch ein Wort zu der Auffassung von Herrn Prof. Meyer sagen. Das ist sicherlich eine interessante und diskussionswerte Einzelmeinung. Nur - sowohl die juristische Literatur als auch die Rechtsprechung sind anderer Ansicht. Es ist schon etwas merkwürdig, wenn da einige Leute hingehen und sagen, da ist einer, der hat eine abweichende Meinung und deswegen haben alle anderen unrecht. So argumentieren diejenigen, die eine bestimmte Meinung für sich instrumentieren wollen und nicht daran interessiert sind, sich wirklich um die Rechtslage zu bemühen. Eines ist klar, Herr Prof. Meyer geht von einem Irrtum aus. Es geht nämlich hier im konkreten Fall nicht um eine Finanzierung fremder Aufgaben durch die Stadt, sondern es geht um eines jener Projekte, bei denen Aufgaben verschiedener Hoheitsträger betroffen sind, und das ist in der Sache etwas anderes. Wer diesen Unterschied nicht begreift oder nicht begreifen will, versucht aus diesem Gutachten etwas herzuleiten, das es gar nicht hergibt.

Im Ergebnis - auch unter Beachtung der Auffassung von Herrn Prof. Meyer - komme ich nicht dazu, dass die Verträge verfassungswidrig oder gar nichtig sind. Es gibt auch nicht einmal ernsthafte Zweifel. So frage ich mich, worum geht es eigentlich in der heutigen Diskussion? Worum geht es bei diesem Bürgerbegehren? Es geht - und das haben ja die Befürworter heute auch deutlich gemacht - um ein Politikum. Es geht darum, weiterhin den Widerstand vieler Bürger gegen dieses Projekt politisch zu instrumentieren, und um nichts anderes. Ich sage Ihnen ganz offen: Nachdem die Grünen zwei Wahlen mit diesem Thema gewonnen haben, sind sie jetzt in der misslichen Situation, dass sie in der Regierungsverantwortung im Land stehen und das jetzt einlösen müssen und wissen, dass sie das nicht können. Das ist der entscheidende Punkt. Die Grünen kommen nicht umhin einzuräumen, dass sie ihre 'Wutwähler' hinters Licht geführt haben, als sie ihnen vor der Wahl versprochen haben, sie würden dieses Projekt verhindern. Sie können es nicht. Ihnen auf der Tribüne oben sage ich gerne, nachdem Sie vorhin wieder von 'Lügenpack' gesprochen haben, ich bin ja mal gespannt, wer damit in der Zukunft gemeint sein wird. Vielleicht haben dann manche ein grünes 'Lügenpack' gefunden.

Dieser Bürgerentscheid dient taktisch dazu, den Widerstand vieler Bürger gegen das Projekt weiterhin zu instrumentieren, ihn politisch zu nutzen und davon abzulenken, dass man mit seiner politischen Strategie im Prinzip gescheitert ist. Und das ist das, was ich so ungeheuerlich finde. Ich halte die Initiatoren dieses Bürgerentscheides nicht für so dumm, dass sie nicht gewusst hätten, dass sie mit dieser Fragestellung keinen zulässigen Antrag stellen. Was hier gemacht worden ist, ist eine bewusste Täuschung, ein provozierter Verstoß gegen die bekannte Rechtsprechung. Das war kein guter Dienst für diejenigen, die gegen das Projekt sind, denn hier wird bewusst auch ein Prozess einkalkuliert, der wieder nicht das leisten wird, was sich diejenigen versprechen, die heute oben auf der Tribüne laut ihre Stimme erheben. Immer dann, wenn Ihnen nichts mehr einfällt, dann kommt 'oben bleiben'. Bleiben Sie mal auf dem Teppich - das wäre sehr viel vernünftiger, meine Damen und Herren.

Mein Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21 besteht weiterhin. Aber ich will genauso Widerstand leisten gegen den Versuch, die Bürger hinters Licht zu führen und zu täuschen. Deswegen sage ich hier ganz klar, der Zweck heiligt nicht alle Mittel, vor allem nicht den Rechtsbruch. Ich werde der Vorlage der Verwaltung selbstverständlich zustimmen, denn einen solchen Rechtsbruch kann niemand, der vernünftig ist, gutheißen."

Abschließend stellt OB Dr. Schuster fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 21 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.
zum Seitenanfang