Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
212/2018 Ergänzung
GZ:
OB
Sitzungstermin: 28.06.2018
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Sabbagh
Betreff: Stuttgart auf dem Weg zur glyphosatfreien Stadt
- Änderungsantrag Nr. 116/2018 zur GRDrs 212/2018
(90/GRÜNE, SPD, SÖS-LINKE-PluS) "Die Anwendung
von Glyphosat ideologiefrei beurteilen"
- Antrag Nr. 157/2018 (CDU)

Vorgang: Gemeinderat vom 25.01.2018, öffentlich, Nr. 11
Ergebnis: Vertagung

Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 02.03.2018, öffentlich, Nr. 15
Ergebnis: Beschlussvorschlag im Gemeinderat

Gemeinderat vom 22.03.2018, öffentlich, Nr. 55
Gemeinderat vom 03.05.2018, öffentlich, Nr. 72
Ergebnis: Vertagung

Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 22.06.2018, öffentlich, Nr. 60
Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung mit Änderungen


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 27.06.2018, GRDrs 212/2018 Ergänzung, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart verfolgt das Ziel, unabhängig von der Entscheidung der EU im Sinne des Vorsorgeprinzips bis spätestens 2022 eine
glyphosatfreie Stadt zu werden.


2. Auf städtischen Flächen, etwa Parks, Grünanlagen und Friedhöfen, findet daher bereits seit Sommer 2016 kein Glyphosateinsatz mehr statt.

3. Das städtische Weingut befindet sich im Übergang und wird 2019 glyphosatfrei sein. Nachdem im Jahr 2017 ein mechanisches Unterstockgerät erworben wurde, werden im Jahr 2018 die personellen Voraussetzungen geschaffen werden, die 11 ha Direktzuganlagen zukünftig herbizidfrei zu bewirtschaften. Bei 5 ha Terrassenweinbergen wird 2018 mit zwei unterschiedlichen Lösungsansätzen versucht, eine vollständig herbizidfreie Unterstockbehandlung zu erreichen. Die Ergebnisse dieser Versuche werden auch den privaten Weinbaubetrieben der Stadt zur Verfügung gestellt.

4. Dem Einsatz glyphosathaltiger Herbizidprodukte zur Bewuchsbekämpfung der Schottergleise der SSB und des Stuttgarter Hafens wird unter der Maßgabe zugestimmt, dass sie eine Minimierungsstrategie verfolgen, um - beispielsweise durch Sensorik-Einsatz - möglichst wenig glyphosathaltiges Herbizid auszubringen und fortlaufend nach Alternativen zur Bewuchsbekämpfung suchen.

Zudem werden bei Neubaustrecken und grundlegenden Umbauten grundsätzlich überall dort begrünte Gleiskörper realisiert, wo dies technisch und betrieblich realisierbar ist.

5. Der Glyphosateinsatz auf städtisch verpachteten Wiesen, Baumwiesen und Gartenland ist künftig vertraglich auszuschließen. Die Verwaltung wird beauftragt, die bestehenden Pachtverträge zum frühestmöglichen Zeitpunkt (in der Regel 01.11.2018) anzupassen bzw. neu abzuschließen.

6. Die Pächter von städtischen Obstbau-, Acker- und Weinbauflächen werden aufgefordert, die Verwendung von Glyphosat wo möglich zu reduzieren und bis spätestens 2022 zu beenden.

Bestehende Pachtverträge werden spätestens im Jahr 2022 fristgerecht zum Ende des Jahres gekündigt und können dann mit dem Verbot der Verwendung von Glyphosat neu abgeschlossen werden.

Bei einem Pächterwechsel wird das Verbot der Verwendung von Glyphosat bereits heute festgeschrieben.

7. Die Verwaltung wirbt bei Handel, Landwirtschaft und privaten Gartenbesitzern für die Zielsetzung eines glyphosatfreien Stuttgarts.

Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


StRin Porsch (CDU) beklagt die Hysterie im Umgang mit dem Thema Glyphosat. Ihre Fraktion hätte der sehr differenzierten Vorlage von OB Kuhn vom 20.03.2018 gerne zugestimmt. Der Ergänzung könne sie jedoch nicht zustimmen. Der Antrag Nr. 116/2018 habe jegliches Augenmaß verloren und blende die Realität komplett aus. So bleibe z. B. dem Weingut nur noch das Jahr 2018 für Versuche mit herbizidfreier Bewirtschaftung. Das sei ein viel zu enger Zeitraum. Und den finanziellen Mehraufwand könnten viele private Winzer nicht leisten. Das Städtische Weingut, Winzer, Obstbauern und auch der Bauernverband hätten mehrfach erklärt, dass Glyphosat schon jetzt nur nach äußerst sorgfältiger Prüfung eingesetzt werde. Landwirte und Wengerter müssten hierfür einen entsprechenden Sachkundenachweis vorlegen. Lokale Einschränkungen bedeuteten auch einen Wettbewerbsnachteil, solange das Mittel in der EU noch zugelassen sei. Es wäre katastrophal für die Stadt, wenn die Pächter städtischer Flächen diese nicht mehr rentabel bewirtschaften könnten und die Flächen brachliegen ließen. Die unter Ziffer 4 formulierte Ausnahme für die SSB und den Hafen sei zwar vernünftig, stelle aber eine eklatante Ungleichbehandlung gegenüber den Weingärtnern und Landwirten dar.

Die Vorlage betreffe leider nicht ganz Stuttgart, sondern nur die verpachteten städtischen Flächen, stellt StRin Munk (90/GRÜNE) klar. Denn bei Glyphosat handle es sich um eine Chemikalie, die den Beikrautwuchs eindämme. Sogar CSU-geführte Städte in Bayern wie z. B. Dachau, Regensburg, Starnberg u. a. hätten es schon verboten. Ohne den Alleingang eines CSU-Ministers wäre Glyphosat in der EU ohnehin schon verboten. Sie weist auf die vierjährige Frist für die Landwirte hin. Darüber hinaus zitiert sie aus einem Protokoll einer Begehung im Klärwerk Mühlhausen, wonach dort sehr viele unterschiedliche Pflanzenschutzmittel ankämen, die deshalb gar nicht alle konkretisiert und entfernt werden könnten. Die Ausnahme bei SSB und Hafen beruhe auf Sicherheitsaspekten. Die Statik der Gleise funktioniere in den bisherigen Aufbauten nur, wenn dort keine Wildkräuter wüchsen. Hier strebe man natürlich den sukzessiven Umbau der Gleisflächen an.

StRin Kletzin (SPD) erklärt, mit dem Änderungsantrag wolle ihre Fraktion, dass die Verlängerungsfrist der EU für den Einsatz von Glyphosat benutzt werde, um landwirtschaftliche Betriebe auf die glyphosatfreie Zeit vorzubereiten. Wichtig sei dabei, dass die Stadt Unterstützung anbiete. Sie müsse die Erkenntnisse aus städtischen Betrieben und universitären Forschungsvorhaben zu alternativen Bearbeitungsmethoden an private Betriebe weitergeben. Mit Blick auf den höheren Personalbedarf habe ihre Fraktion die Verwaltung auch um Prüfung gebeten, in welcher Form die Betroffenen unterstützt werden könnten, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Wenn dies nicht mit einem Prämiensystem funktioniere, bitte ihre Fraktion, nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Schließlich verweist sie noch auf Würzburg, wo die Weinberge bereits glyphosatfrei bewirtschaftet würden und dennoch nicht brachlägen.

Auf über 200 Kommunen in Deutschland, die Glyphosat bereits verboten hätten, weist StR Ozasek (SÖS-LINKE-PluS) hin. Die Glyphosatherbizide durchzögen die gesamte Nahrungskette mit schwerwiegenden Folgen. Deshalb habe seine Fraktionsgemeinschaft bereits im Februar 2016 das Verbot von Glyphosat beantragt. Die Argumentation von OB Kuhn, die für verpachtete städtische Flächen eine Ausnahme vom Verbot vorsehe, könne er nicht nachvollziehen. Diesem Missstand solle mit dem gemeinsamen Änderungsantrag abgeholfen werden.

StR Zaiß (FW) vermisst Sachkenntnis bei vielen, die über Glyphosat redeten. Die Landwirte, die mit Glyphosat arbeiteten, müssten im dreijährigen Turnus einen Befähigungsnachweis erbringen. Im Wein- und Obstbau in Stuttgart werde Glyphosat bei der Bandspritzung angewendet, und in den Terrassen sei es arbeitswirtschaftlich nicht wegzudenken. In den Weinbauschulen werde gelehrt, den Einsatz so gering wie möglich zu halten. Diese Freiheit sollte man auch den Landwirten, Obst- und Weinbauern einräumen. Wenn Glyphosat 2022 in der EU verboten werde, werde dies befolgt und nach anderen Möglichkeiten gesucht. Bis dahin wäre ein Verbot in Stuttgart jedoch ein Wettbewerbsnachteil. Seine Fraktion bitte um getrennte Abstimmung, da sie den Ziffern 2 bis 5 und 7 zustimmen könne, die Ziffern 1 und 6 jedoch ablehne.

Aus dem gleichen Grund bittet auch StRin Yüksel (FDP) um getrennte Abstimmung der einzelnen Ziffern. Der ursprünglichen Verwaltungsvorlage hätte ihre Gruppierung insgesamt zustimmen können. Bei Ziffer 1 störe sie die Ergänzung "unabhängig von der Entscheidung der EU" und die willkürliche Fristsetzung zum Jahresende 2022. Ziffer 6, die eine Kündigung der bestehenden Pachtverträge spätestens zum Jahresende 2022 fordere, lehne sie ab.

In Anbetracht der Redebeiträge bedauert StR Klingler (BZS23), dass keine sachkundigen Personen befragt worden seien und auch das Anschreiben des Bauernverbands nicht beachtet worden sei. Seiner Ansicht nach kann nicht Glyphosat für das "angebliche Bienensterben" verantwortlich gemacht werden, als Ursache sieht er hier vielmehr die nach der Wiedervereinigung fehlende staatliche Subventionierung in der ehemaligen DDR und die 1977 eingeschleppte Varroamilbe. Alternativen zu Glyphosat wären potenziell gefährlicher und wesentlich teurer als Glyphosat. Seine Gruppierung lehne den Beschlussantrag mit Ausnahme der Ziffer 4 ab.

StR Dr. Schertlen (STd) führt aus, dass die Bienen indirekt durch Glyphosat sterben, weil sie dadurch die Orientierung verlieren. Mit Ausnahme der Ziffer 2, die lediglich eine Feststellung beinhalte, stimme er dem Beschlussantrag zu.

Nicht nachvollziehen kann StR Brett (AfD), dass hier ein Beschluss gefasst werde, ohne den im Gemeinderat vorhandenen Sachverstand einzubeziehen.

StR Schupeck (LKR) erklärt, er vertraue den Landwirten, die ja Befähigungsnachweise hätten, und werde alle Ziffern mit Ausnahme der Ziffer 4 ablehnen.

StR Dr. Fiechtner (BZS23) bezichtigt diejenigen, die von Bienensterben redeten, der Lüge. Statt wissenschaftlich zu untersuchen, ob es Hinweise für Schädlichkeit gebe, unterstellten sie eine fiktive Gefahr und bauten darauf dann diverse beschränkende Maßnahmen auf. Es gebe keine Korrelation zwischen der Bienenbevölkerung und dem Einsatz von Glyphosat. WHO und Bundesbehörden stellten eindeutig fest, dass es keine Hinweise dafür gebe, dass Glyphosat krebserregend sei. Dies belegten zahlreiche Studien. Nur eine Unterorganisation der WHO habe eine krebserregende Möglichkeit in den Raum gestellt. Doch komme es hier immer auch auf die Dosis an. Er lehne die Ergänzung der Vorlage ab, lediglich bei Ziffer 4 könne er zustimmen.

Abschließend erklärt OB Kuhn, bei der Behandlung des Antrags Nr. 116/2018 im WA sei er zunächst davon ausgegangen, dass der Diskussionsstand am Ende der Sitzung eine mehrheitsfähige Beschlussvorlage ermögliche. In den folgenden Wochen habe sich dann herausgestellt, dass dem doch nicht so sei. Er werde nun aber der Ergänzung der Vorlage zustimmen, weil er die Übergangslösung für akzeptabel und machbar halte.

Er stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt die Ziffern 1 und 6 mit jeweils 32 Ja- und 27 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.
Ziffer 2 wird vom Gemeinderat bei 5 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung mehrheitlich wie beantragt beschlossen.

Ziffer 3 beschließt der Gemeinderat bei 20 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.

Der Gemeinderat beschließt Ziffer 4 bei 16 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.

Die Ziffern 5 und 7 werden vom Gemeinderat bei jeweils 4 Gegenstimmen mehrheitlich wie beantragt beschlossen.
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