Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
114
3
VerhandlungDrucksache:
396/2019
GZ:
0141-02
Sitzungstermin: 09.05.2019
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:-
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: "Städte für Europa - Europa in den Städten"

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 08.05.2019, öffentlich, Nr. 235
Ergebnis: einmütige Zustimmung

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 29.04.2019, GRDrs 396/2019, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Gemeinderat ruft die Bürgerinnen und Bürger Stuttgarts auf, am 26.05.2019 bei der Kommunalwahl, der Regionalwahl und bei der Europawahl ihrer Stimme
Gewicht zu verleihen und wählen zu gehen.


2. Der Gemeinderat begrüßt die Erklärung des Deutschen Städtetages 'Städte für
Europa - Europa in den Städten'.


3. Der Gemeinderat nimmt die vorgeschlagenen Maßnahmen der Verwaltung zur Kenntnis, die das Bewusstsein für die anstehende Europawahl in Stuttgart schärfen.


Abhebend auf den heutigen Europatag der Europäischen Union (EU) erinnert StRin Ripsam (CDU), am 09.05.1950 habe der damalige französische Außenminister Robert Schuman in seiner Pariser Rede eine Produktionsgemeinschaft für Kohle und Stahl angeregt. Diese Produktionsgemeinschaft habe zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), auch Montanunion genannt, geführt. Diese Gemeinschaft wiederum habe den Grundstein für die heutige EU gebildet.

Dass die Bürger aufgefordert würden, an der Europawahl teilzunehmen, verstehe sich von selbst. Es handle sich um eine staatsbürgerliche Pflicht, aber auch um staatsbürgerliches Recht. Von einem solchen Recht würden in vielen Ländern Menschen träumen. Zu hoffen sei, dass es eine ordentliche Wahlbeteiligung bei der kommenden Europawahl gebe. Die Erklärung des Deutschen Städtetages mit den dort genannten zehn Punkten werde selbstverständlich begrüßt. Einer dieser Punkte sei ihrer Fraktion besonders wichtig, da dort auf die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland hingewiesen werde. Die CDU-Gemeinderatsfraktion stimme der Vorlage mit Freude zu.

StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE) nimmt ebenfalls Bezug auf den heutigen Europatag. Die Menschen in der sich weiterentwickelnden EU lebten nun seit Langem in Frieden. Zwar sei die EU nicht perfekt, aber die europäische Integration bedeute friedliches Zusammenleben, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit sowie ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Die Kommunen könnten damit Themen wie kommunale Daseinsvorsorge, Einbeziehung des Souveräns und geheimes, gleiches sowie freies Wahlrecht verbinden. In anderen Ländern, wie z. B. in der Türkei, könne man aktuell miterleben, was es bedeute, wenn diese Dinge nicht mehr selbstverständlich seien. Vor diesem Hintergrund sei es sehr wichtig, dass sich die Bürgerschaft, und zwar nicht nur am Europatag und vor einer Europawahl, daran erinnere, wie positiv sich die EU auf die Wahrung der Menschenrechte und Grundrechte auswirke.

Die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN habe im Stuttgarter Gemeinderat in den letzten Jahren viele Anträge gestellt, um Stuttgart europafit zu machen. Zur Förderung der Wahlbeteiligung bei der kommenden Europawahl habe die Abt. Außenbeziehungen (L/OB-Int) dankenswerterweise schöne Ideen entwickelt. Ein Highlight sei sicherlich der Stadtbus in Kooperation mit der SSB. Zudem nennt sie beispielhaft das Glockenspiel im Rathausturm (Ode an die Freude), europäische Städtepartnerschaften und das partnerschaftliche Projekt in Belgrad zur Unterstützung eines Frauenhauses. Zu hoffen sei, dass sich Stuttgart auch in Zukunft aktiv an der Gestaltung Europas beteilige. Mit ihrer Ankündigung, dass ihre Fraktion den Beschlussantrag unterstützt, verbindet sie den Dank für die Erstellung der Vorlage.

Er, so StR Ehrlich (SPD) sei mit Begriffen wie Monnet, Schuman und Deutsch-Französischer Jugendaustausch großgeworden. Somit gehöre er zu der Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg Europa als Modell für die Zukunft erlebt habe. Trotz der Weiterentwicklung der EU gebe es noch viel zu tun. Europafreundliches Denken und Handeln habe sich bekanntlich auch auf kommunaler Ebene entwickelt. Verbände, Initiativen, Hochschulen etc. gestalteten die Gesellschaft mit. Diese orientierten sich europäisch und pflegten ihre europäischen Partnerschaften. Die kommunale Ebene sei eigentlich der Ort, wo Europa entdeckt, gelebt und weiterentwickelt werde. Von daher sei es sehr wichtig, dass die Stadt Stuttgart, die ja von Europa, von europäischen Beziehungen lebe, die EU unterstütze. Nicht umsonst werde in der Vorlagenbegründung ausgeführt, dass der kommunalen Ebene eine besondere Bedeutung dabei zukomme, die europäische Wertegemeinschaft mit Leben zu füllen und vor Ort Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und individuelle Freiheiten zu garantieren. Aktuell seien diese Werte in Teilen der EU gefährdet. Deshalb sehe er die Kommunen in der Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass die erreichten Errungenschaften weiter gepflegt werden.

Wichtig sei ihm, dass das Subsidiaritätsprinzip, welches im Wesentlichen aus dem Bereich der katholischen Soziallehre stamme, von Stuttgart in Europa vorbildhaft vorgelebt werde. Bezug nehmend auf Punkt 10 der Erklärung des Deutschen Städtetages (s. Anlage der Vorlage) fährt StR Ehrlich fort, die Gesellschaft benötige nicht nur zu europäischen Themen, sondern generell wieder eine Verständigung über richtige Dialoge und Kommunikation. In dem vor Kurzem veröffentlichten Buch mit dem Titel "Unerhört" beschreibe der Präsident des Diakonischen Werkes der Evang. Kirche in Deutschland seine Erfahrungen mit Menschen, die sich nicht erhört oder gehört fühlten. In Zukunft müssten viele Themen, die die Menschen berührten, angegangen werden. Der europäische Kontext stelle dafür eine gute Rahmenbedingung auch im Austausch mit den Menschen in anderen europäischen Ländern dar.

Von StR Urbat (SÖS-LINKE-PluS), der ebenfalls die Hoffnung auf eine hohe Wahlbeteiligung bei den kommenden Wahlen ausspricht, wird kritisiert, dass die EU-Kommissare nicht direkt gewählt werden und dass das Europaparlament immer noch kein Initiativrecht erhalten hat. Gerade zur Stärkung des Europaparlaments müssten die Bürger zur Wahl aufgerufen werden.

Zu Beginn ihrer Ausführungen befürwortet StRin von Stein (FW) die drei Beschlussantragsziffern. Man habe feststellen müssen, dass viele der 69.000 in Stuttgart lebenden EU-Bürger keine Kenntnis davon haben, dass sie bei der Kommunalwahl ebenfalls wahlberechtigt seien. Es sei sehr wichtig, diesbezüglich die Informationen zu verstärken. Natürlich werde die Erklärung des Deutschen Städtetages begrüßt. Insbesondere hebt sie die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips hervor. Dass sich die EU konkret auf die Kommunen auswirke, zeigten in Stuttgart viele EU-Projekte. Durch diese würden sehr viele soziale Maßnahmen unterstützt.

Von StR Conz (FDP) wird erwähnt, dass es in Stuttgart gelungen ist, dem Europahaus eine neue Heimat zu geben. Damit gebe es weiterhin für die Bürger einen Anlaufpunkt, wo sie sich über Europa informieren könnten. Europa sei seit Anfang der 50er-Jahre das erfolgreichste Friedensprojekt weltweit. Stand heute hätten 28 Mitgliedsstaaten mit 24 verschiedenen Amtssprachen Mittel und Wege gefunden, mit einer Stimme zu sprechen. Die dahinterstehende Leistung gehöre gewürdigt, und am Erreichten müsse weitergearbeitet werden. Der Wahlslogan der Europäischen Gemeinschaft "In Vielfalt geeint" könne auch für Stuttgart selbst gelten.

Von StR Dr. Fiechtner (BZS23) wird zum Ausdruck gebracht, dass er es begrüßt hätte, wenn die Montanunion nicht weiterentwickelt worden wäre. Für ihn bestehen bei den Menschen erhebliche Überzeugungsdefizite bezüglich der Europäischen Gemeinschaft. Deshalb müssten die Bürger überzeugt werden, an der Europawahl teilzunehmen. Bekanntlich schwanke das Verhältnis der Stimmberechtigten zu den Mandatsträgern zwischen den einzelnen Ländern erheblich, und von daher handle es sich eigentlich nicht um eine echte Wahl. Dieses Verhältnis der Stimmberechtigten zu den Mandatsträgern bedeute, dass das Demokratieprinzip "One man - one vote" mitnichten zur Geltung komme. Die EU als Friedensprojekt zu bezeichnen, sei hohles Geschwätz. Die EU sei als Handelsprojekt gegründet worden, und die Tatsache, dass die Länder freien Handel treiben könnten, sei Garant des Wohlstandes. Seine Gruppierung werde den Beschlussantrag ablehnen.

In der Folge bekräftigt StR Dr. Schertlen (SchUB) , dass es sich bei der EU um einen Friedensgaranten handelt. Beispielhaft erwähnt er die Reisefreiheit, die Euro-Einheitswährung sowie einheitliche Telefonpreise. Sicherlich gebe es Mängel in der EU, die behoben werden müssten, aber durch nationalistische Tendenzen bestehe die Gefahr, dass Europa in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werde. Eindeutig müsse man sich gegen Protektionismus und Ähnliches wenden.

Für StR Brett (AfD) wurde Europa aus der Montanunion und der EWG als ein Europa der Vaterländer geschaffen. Im Jahr 1979 sei zum ersten Mal das Europäische Parlament direkt gewählt worden, und zwar unter undemokratischen Voraussetzungen. Die einfachste Regel "One man - one vote" und dass jede Stimme gleich viel Bedeutung habe, sei nicht eingehalten worden. Für ihn stelle es eine Schande dar, dass 40 Jahre später dieses Parlament erneut unter denselben Voraussetzungen gewählt werde. Diese Kritik habe nichts mit der europäischen Idee, von der er ein engagierter Anhänger sei, zu tun. Die europäische Politik sei keine Friedenspolitik, sondern die Menschen spürten in der EU, dass sie über den Tisch gezogen würden. Deutschland übernehme zwar einen Großteil der EU-Kosten, aber die meisten Vorteile erhielten andere Länder.

Abschließend stellt OB Kuhn fest:

Der Gemeinderat beschließt den Beschlussantrag mehrheitlich bei 1 Gegenstimme und 2 Enthaltungen.
zum Seitenanfang