Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
143/2023
GZ:
SOS 1102-00
Sitzungstermin: 11.05.2023
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:BM Dr. Maier
Protokollführung: Frau Faßnacht fr
Betreff: Sichere Innenstadt - Berichterstattung Videobeobachtung und Fortführung des Betriebs

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 29.03.2023, öffentlich, Nr. 137
Ergebnis: Vertagung
Gemeinderat vom 30.03.2023, öffentlich, Nr. 61
Verwaltungsausschuss vom 26.04.2023, öffentlich, Nr. 179
Gemeinderat vom 27.04.2023, öffentlich, Nr. 88
jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung

Verwaltungsausschuss vom 10.05.2023, öffentlich, Nr. 211
Ergebnis: mehrheitl. Zustimmung zu den Beschlussantragsziff. 1 und 2
(7 Nein-Stimmen),


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Sicherheit, Ordnung und Sport vom 24.03.2023, GRDrs 143/2023, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Gemeinderat nimmt die Berichterstattung der Videobeobachtung des Polizeipräsidiums Stuttgart zur Kenntnis.

2. Der Gemeinderat beschließt die Fortführung des Betriebs zur Videobeobachtung.

3. Dem Gemeinderat wird künftig im jährlichen Rhythmus auf Basis einer polizeilichen Lageeinschätzung berichtet. Ebenso entscheidet der Gemeinderat jährlich über die neue Fortsetzung oder Einstellung der Videobeobachtung.

Weitere Beratungsunterlage ist die als Tischvorlage ausgelegte Ergänzung zum Erfahrungsbericht vom 05.01.2023 sowie zur Vorstellung im Verwaltungsausschuss am 10.05.2023 des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 10.05.2023. Diese ist dem Originalprotokoll und dem Protokollexemplar für die Hauptaktei in Papierform beigefügt.


BM Dr. Maier ruft den Anlass für die Videobeobachtung - die Krawallnacht am 20. Juli 2020 - in Erinnerung. In der Folge sei die Einrichtung einer Videobeobachtung in der Innenstadt von Stuttgart zwischen Stadt und Land vereinbart worden. Der Gemeinderat habe die Einführung am 29.07.2021 beschlossen, die Inbetriebnahme sei erfolgt im Mai 2022. Das rechtliche Erfordernis dafür sei in § 44 Polizeigesetz definiert und setze eine erhöhte Kriminalitätsbelastung voraus. Zudem müsse auch zukünftig mit der Begehung von Straftaten an dem betreffenden Ort zu rechnen sein. Daher dürfe nur ein sehr kleiner Teil der Stuttgarter Innenstadt mittels Videobeobachtung überwacht werden, nämlich der Bereich Schlossplatz, Kleiner Schlossplatz, die Haltestelle Schlossplatz auf der Königstraße und kleine Teile des Oberen Schlossgartens am Eckensee beim Neuen Schloss. Die Ziele der Videobeobachtung waren:

1. Es sollte eine abschreckende Wirkung erreicht werden, damit Straftaten erst gar nicht begangen werden.

2. Durch die Live-Beobachtung soll eine schnelle Reaktionsmöglichkeit für die Polizei geschaffen werden, um schnell eingreifen zu können und damit eine Eskalation zu vermeiden.

3. Zu helfen, im Nachgang eine Strafverfolgung zu erleichtern.

4. Das Sicherheitsgefühl dadurch zu stärken.

Bei der Einrichtung der Videobeobachtung in der Praxis war wichtig, den Grundrechtseingriff, den man durchaus sehe, so gering wie möglich zu halten, so BM Dr. Maier weiter. Es werde daher nur ein sehr kleiner Bereich überwacht, wo nur der öffentliche Bereich einsehbar sei, nicht aber beispielsweise Außengastronomie oder Privatflächen. Bei Veranstaltungen werde die Videobeobachtung nicht eingeschaltet, es sei denn, es ergebe sich eine besondere Gefährdungslage, die im Einzelfall begründet werden muss. Es handle sich außerdem nur um sehr kurze Einschaltzeiten während der Woche, nämlich ausschließlich freitags und samstags sowie vor Feiertagen ab 20 Uhr, den Rest der Woche sei die Videoüberwachung nicht in Betrieb. Die aufgezeichneten Bilder werden nach 72 Stunden gelöscht - es sei denn, es ergeben sich Anhaltspunkte, dass sie für die Strafverfolgung benötigt werden. Für die Bürger, die sich im öffentlichen Raum auf dem Schlossplatz bewegen, sei jederzeit klar und optisch erkennbar, ob die Kamera in Betrieb ist oder nicht. Es werde keinerlei KI oder Gesichtserkennung oder Ähnliches verwendet, wie dies teilweise in anderen Städten bei Modellversuchen erfolgt sei, sondern die Bilder werden von zwei Polizeibeamt*innen in Person live in Echtzeit beobachtet. Auch sei die Einführung sehr eng durch den Landesdatenschutzbeauftragten begleitet worden.

Im Ergebnis lasse sich nach 11 Monaten Betriebszeit feststellen, dass insgesamt an 101 Abenden die Videobeobachtung in Betrieb war. Dabei seien 82 Vorkommnisse registriert worden, die in besonderer Weise bemerkenswert waren, davon 17 Vorkommnisse, bei denen Straftaten bereits begangen wurden, aber eine weitere Eskalation vermieden wurde, sowie 46 Vorkommnisse, bei denen die Strafverfolgung im Vordergrund stand. Nicht zahlenmäßig erfasst, weil in der Natur der Sache oder auch nicht messbar, seien alle Vorkommnisse, die präventiv durch das Vorhandensein der Video-beobachtung erst gar nicht entstanden sind und alle Vorkommnisse, bei denen die Polizei sehr früh und schnell eingreifen konnte, weil sich abgezeichnet hatte, dass ein Konflikt entsteht, dieser Konflikt aber noch nicht zur Straftat geführt hat und somit auch deeskalierend auf die Situation eingewirkt werden konnte, sodass keine Straftat begangen wurde. Gerade die zuletzt genannten Punkte seien besonders wichtig, denn die präventive Wirkung und die deeskalierende Wirkung führten zu einer tatsächlichen Befriedung der Gesamtsituation und dienten so dem Sicherheitsgefühl der Bürger, die sich in der Innenstadt aufhalten.

Als Fazit stellt BM Dr. Maier fest, dass die gesetzten Ziele erreicht wurden, aber für eine langfristige Tendenz sei der bisherige Zeitraum einfach noch zu kurz, um statistisch ablesen zu können, ob tatsächlich eine Verbesserung erreicht werden konnte. Er betont weiter, Videobeobachtung sei nur eines der zahlreichen anderen Mittel zur Verbesserung der Sicherheitslage, wie z. B. präventive Maßnahmen in Form einer verstärkten mobilen Jugendarbeit, die bereits sehr gute Wirkung zeige, die Bespielung öffentlicher Plätze, der Einsatz von Respekt-Lotsen oder die Kommunikationsteams der Polizei. Die Video-beobachtung sei ein Puzzlestück in einem großen Konzept zur Verbesserung der Sicherheit in Stuttgart. Die Verwaltung empfehle dennoch, die Videobeobachtung fortzuführen. Was die Beschlussantragsziffer 3 der Vorlage betrifft, wo es um den Berichtszeitraum geht, so wäre aus Sicht der Verwaltung die Verlängerung des Berichtszeitraums auf ein Jahr sinnvoll. Es spare allen Beteiligten Zeit, schaffe aber gleichzeitig eine bessere Vergleichbarkeit der Zahlen, weil jahreszeitlich bedingte Schwankungen die temperatur- und witterungsbedingt sind, dadurch bessere ausgeglichen werden können. Es sei auch deshalb sinnvoll, weil die polizeiliche Kriminalstatistik immer nur fürs Kalenderjahr erstellt werde, die man dann besser parallel zur Beurteilung der Situation heranziehen könne.

StR Pitschel (90/GRÜNE) nimmt Bezug auf die sehr ausführliche Debatte im gestrigen Verwaltungsausschuss zu diesem Thema. Nach seinem Gefühl werden die sicherheitspolitischen Debatten, bei denen es um die tatsächliche, nicht um die gefühlte, Sicherheit der Stuttgarter*innen geht, oft sehr ausgetreten und sehr ausgeschlachtet. Insofern bitte er darum, dass sich die Wortbeiträge heute auf die Sache begrenzen. Die Position seiner Fraktion sei, man wolle keine flächendeckende Videoüberwachung der Stuttgarter Innenstadt. Es müsse klar sein, dass jede Person, die zu den betroffenen Zeiten in den betroffenen Bereichen unterwegs ist, gefilmt und beobachtet wird, ob sie es will oder nicht, ob es einen konkreten Anlass gibt oder nicht. Eine solche Videoüberwachung sei eine bürgerrechtliche Zumutung und ein nicht unerheblicher Eingriff, weswegen sie sehr gut begründet sein muss und enge Schranken haben muss. Dies liege hier vor. Gesehen werden müsse außerdem der Vorteil in den betroffenen Gebieten. So gebe die Videobeobachtung die Möglichkeit, schnell direkt vor Ort zu sein, was zur Deeskalation beitrage, z. B. durch die Kommunikationsteams der Polizei, die hervorragende Arbeit leisten. Dennoch hoffe man, als Gemeinderat bei der demokratischen Kontrolle, die er in diesem Fall ausübt, bald in eine Situation zu kommen, die ihn gemeinsam zu dem Schluss kommen lässt, dass die Videobeobachtung, die man in Stuttgart gar nicht haben will, nicht mehr gebraucht wird. Die Beschlussantragsziffer 3 lehne man daher wie schon im VA ab, sondern wolle weiterhin engmaschig beobachten und halbjährlich kontrollieren. Sobald zwei Halbjahreszeiträume vorliegen, können Verwaltung und Polizei somit ihre Jahresbetrachtung vornehmen.

OB Dr. Nopper weist darauf hin, dass die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt aus der Mitte des Rates gewünscht worden sei.

Für StR Dr. Reiners (CDU) hat es seinen Grund, dass Sicherheitsthemen so oft beredet werden, "denn es lag und liegt teilweise einiges im Argen". Jedoch habe man sich u. a. mit diesem Instrument nun auf einen guten Weg gemacht. Auch aus seiner Sicht wurde zu dieser Vorlage alles gesagt, sie sei schlüssig, sprechend und von Evidenz geprägt. Man könne die Vorlage nur dann ablehnen, wenn man eine ideologische Brille trägt. Er nehme die Aussprache heute wahr, um Danke zu sagen an die Polizei in Stuttgart, "die in weiser Voraussicht, verhältnismäßig agierend die Lage immer im Griff hat und tagtäglich für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sorgt". Mit Blick auf die Vorlage betont er, schon in der ersten Nacht der Videobeobachtung sei eine Schlägerei in der Innenstadt dadurch verhindert worden. Man sehe darüber hinaus nahezu ein Vorkommnis pro Nacht, was dieses Instrument - das im Übrigen datenschutzkonform sei - rechtfertige. Es sei ein Instrument zur Gefahrenabwehr, zur Beruhigung der Lage im Ansatz, zur Verhinderung und Deeskalation, damit Straftaten gar nicht erst entstehen, zur beweissichernden Strafverfolgung im Bereich der Täterfeststellung und der Beweissicherung sowie im Rahmen der Fahndung. Entscheidend sei, dass es im Wesentlichen kein Mittel zur Strafverfolgung sei, sondern ein präventives Element, insbesondere aus Sicht der Gefahrenabwehr. "Prävention kommt immer vor Repression im polizeilichen Handeln!" Auch Städte wie Mannheim, Freiburg und Heidelberg kommen zu ähnlichen Schlüssen. Die CDU-Gemeinderatsfraktion sei klar dafür, die Videobeobachtung fortzusetzen. Sie habe sich in vielerlei Hinsicht bewährt und dies werde sich im längerfristigen Vergleich auch zeigen. Seine Fraktion spreche sich klar für einen jährlichen Bericht aus, um die Varianzen zwischen den Perioden Winter und Sommer auszugleichen und auch wegen des etwas geringeren Ressourcenaufwands bei der Polizei. Somit stimme man der Verwaltungsvorlage zu.

Wie schon gestern im Verwaltungsausschuss wendet der Stadtrat sich gegen Verlautbarungen "aus der linken Ecke des Rates, in denen die Stuttgarter Polizei mit Gewalt in Verbindung gebracht wurde und wo linksextreme Straftaten gerechtfertigt werden: Wir aus der Mitte des Rates wollen das hier nicht haben. Wir Stadträte haben eine insgesamt wichtige öffentlichkeitswirksame Aufgabe und ich zitiere Stadtratskollege Pantisano: 'Wir haben den Eindruck, dass seit Markus Eisenbraun an die Spitze der Stuttgarter Polizei gerückt ist, die Polizei zu immer härteren Maßnahmen greift. So fordert die Polizei die Videoüberwachung, die Messerverbotszone in der Innenstadt, und reagiert bei Demonstrationen deutlich schneller mit Gewalt gegen Demonstrierende.' Das ist so nicht richtig! Schauen wir auf den 1. Mai, so muss ich doch feststellen, dass vermummte Aktivisten Rauchbomben gegen unsere Polizei geworfen haben und das kann nicht sein! Die Gewalt ging ganz klar von der anderen Seite aus und hier werden Tatsachen verdreht, hier werden Täter-Opfer-Verhältnisse verdreht. Die Polizei hat an diesem Tag jederzeit verhältnismäßig agiert!"


StR Perc (SPD) schickt voraus, die Polizei habe einen sehr großen Anteil daran, dass Stuttgart zu den sichersten Städten in Deutschland zählt. Er dankt der Polizei für ihre nicht einfache Aufgabe und zollt ihr Respekt. Trotz dieses Respekts für die Arbeit könne man jedoch zu einer anderen Bewertung dieser Vorlage kommen. Das Vorliegen eines Kriminalitätsschwerpunktes sei hier zwar gegeben, für seine Fraktion sei jedoch das entscheidende Ziel dieser Maßnahme, dass sie zu einer Senkung der Kriminalitätsbelastung beiträgt. Sie nur auf den reinen Gesetzestext und auf das Vorliegen des Kriminalitätsschwerpunktes zu beziehen, hieße, dass die Videobeobachtung als Standard dauerhaft in der Innenstadt möglich ist. Die SPD-Gemeinderatsfraktion sehe es jedoch nicht als Standardinstrument der polizeilichen Arbeit, "weil in der Frage, wie wir Sicherheit in der Stadt gewährleisten, unterschiedliche Grundrechte konfrontiert sind. Wir haben auf der eine Seite das Grundrecht der Freiheit und auf der anderen Seite natürlich auch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und eben auch auf Sicherheit. Und es ist in einem demokratischen Gemeinwesen unabdingbar, unterschiedliche Grundrechte gegeneinander abzuwägen und da zu einer Entscheidung zu kommen. Für uns ist diese Maßnahme so lange gerechtfertigt, so lange sie dazu beiträgt, das eine Grundrecht zu stärken und zu einer Senkung der Kriminalitätsbelastung zu kommen. Das sehen wir in der Kürze der Zeit, in der diese Maßnahme läuft, noch nicht als evident an." Deswegen unterstütze man die Fortführung dieser Maßnahme und werde nach einer Laufzeit von einem Jahr sich anschauen, ob eine Tendenz ablesbar ist und dann entscheiden, ob man die Videobeobachtung weiter unterstützen kann.

An seinen Vorredner gewandt betont er, man könne sich durchaus mit Stolz die Brille des Grundgesetztes und der Grundrechte aufsetzen. Dennoch könne es unterschiedliche Auffassungen geben. Einige Fraktionsmitglieder könnten jedoch wegen des starken Eingriffs in die Grundrechte bereits jetzt diese Maßnahme nicht mittragen, sodass man unterschiedlich abstimmen werde. Mehrheitlich stimme man der Vorlage mit der Maßgabe des Verwaltungsausschusses zu.

StR Pantisano (FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) kommt zurück auf Ausführungen der Polizei bei der Begründung für die Einführung von Videoüberwachung, wonach wer nichts zu verbergen hat, auch nichts zu befürchten habe. Die vorgelegten Zahlen zeigten nun jedoch deutlich, wie wenig diese Maßnahme bringt. In einem Jahr seien lediglich 82 polizeirelevante Sachverhalte festgestellt worden. Problematisch sei, dass gleichzeitig permanent Personen überwacht werden, bei denen keine polizeirelevanten Sachverhalte festgestellt werden, und die so in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Von den 82 polizeirelevanten Sachverhalten könne man 12 Vorkommnisse abziehen, bei denen es nicht um eine Straftat ging und weitere elf Vorkommnisse, die sich in der Betäubungsmittelkriminalität befinden. Es sei jedoch davon auszugehen, dass der Cannabis-Konsum bald gar kein krimineller Akt mehr sein wird, sodass am Ende etwa 60 polizeirelevante Taten übrigbleiben. Im Durchschnitt seien es also eine Straftat alle sechs Tage. Weil die Videoüberwachung aber gar nicht jeden Tag erfolge, sondern nur am Wochenende, vor Feiertagen und an bestimmten Zeiten innerhalb eines bestimmten begrenzten Raums, ziele die Maßnahme wie schon bei der Messerverbotszone auf bestimmte Personengruppe. Auffallend sei auch, dass in Zeiten, wo das Weindorf oder der Weihnachtsmarkt stattfinden und wo die Bezugsgruppe offenbar eine andere ist, keine Videobeobachtung stattfindet.

Erstaunlich sei, dass gerade die Polizei Baden-Württemberg als einzige Polizei Deutschlands sich seit Jahren weigert, an einer Polizeistudie teilzunehmen, in der es darum geht, Licht in die Arbeit der Polizei zu bringen. Er ermuntert die Polizei, an sich selber die gleichen Maßstäbe anzulegen wie an die Bevölkerung: "Liebe Polizei, eine Polizei, die nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten!" Im Umkehrschluss könne man darüber nachdenken, warum die Polizei nicht an dieser Studie teilnehmen will. Denn laut ersten Ergebnissen der Polizeistudie stimmen 15 % bis 20 % der Polizist*innen der Aussage zu, in Deutschland leben zu viele Ausländer oder sich aufgrund der vielen Muslime fremd im eigenen Land zu fühlen. Dies sehe man als Problem, weil auch Polizist*innen mit dieser Tendenz hinter der Kamera sitzen. Er sehe als Aufgabe von BM Dr. Maier, die Polizei dazu zu bewegen, die bis heute nicht vorgelegten Lagebild-Zahlen zur Messerverbotszone schriftlich vorzulegen. Gegenüber StR Dr. Reiners empfiehlt er, die Pressemitteilung von ver.di zu den Vorfällen bei der 1. Mai-Kundgebung zu lesen. Er regt an, persönlich an der Kundgebung teilzunehmen und bedauert, dass die 1. Mai-Demonstration nicht von der Presse begleitet wurde. Selbstverständlich lehne die Fraktion die Vorlage ab.

StRin Schumann (PULS) vertritt die Meinung, die Videoüberwachung des Schlossplatzes und der Umgebung habe sich nicht bewährt. Es handle sich bei der Videoüberwachung im öffentlichen Bereich um einen massiven Eingriff in die Grundrechte. Ein solcher müsse grundsätzlich gut begründet werden und soll nur geschehen, wenn er nicht durch sanftere Mittel vermieden werden kann. Hier komme hinzu, dass städtische Technik und Infrastruktur finanziert und bereitgestellt wird, obwohl sie für eine Landesaufgabe eingesetzt wird. Im gestrigen Verwaltungsausschuss sei deutlich geworden, dass durch zwei Personen in der Videoüberwachung mehrere Einsatzkräfte vor Ort eingespart werden konnten. Sie fragt, wie viele Kosten das Land dadurch insgesamt gespart hat. Weiter rechnet die Stadträtin vor, wenn von 82 Vorkommnissen nur 12 Vorkommnisse präventiv waren und der Rest repressiv, so könne man nicht von einer Präventionsmaßnahme sprechen. Es gehe eindeutig um die Vorbereitung zur Strafverfolgung usw. Außerdem seien darunter nur 42 registrierte Gewalttaten verzeichnet. Diese seien natürlich als dramatisch und schlimm zu bewerten, nichtsdestotrotz könne man nicht von einem unsicheren Ort sprechen. Jedoch falle darunter z. B. auch "ein Herumalbern mit einem Rasensprenger nachts um 2:24 Uhr". Unklar bleibe jedoch, in welche Kategorie dieser Fall eingeordnet wurde. Während der Weihnachtsmarkt als Veranstaltung mit hohem Gefährdungsrisiko eingeschätzt worden sei, der Katholikentag jedoch nicht, stelle man sich bei PULS die Frage, wie das sein kann. Die Zahlen zeigten auch, dass in 80 % der Nächte nur ein einzelner Vorfall stattfand, in 20 % aber keiner. Nehme man die Vorfälle mit Drogen Konsumierenden heraus, so handle es sich nur noch um 60 % der Nächte. Dies rechtfertige bereits rein rechnerisch nicht, diese Maßnahme fortzuführen. "Wir empfehlen daher eine Umsiedlung der 72 Kameras in den Umkreis des Innenministeriums und des Wasens. Dafür sprechen die jüngst bekannt gewordenen Übergriffe rund um einen Herrn R. bei der Landespolizei und die doch enorm hohen Gewalt- und Sexualdeliktzahlen, die auf den beiden größten Volksbesäufnissen der Region stattfinden."

StR Dr. Oechsner (FDP) stellt klar, der Verwaltungsausschuss habe die Vorlage beschlossen mit der Maßgabe in der Beschlussantragsziffer 3, wonach weiterhin halbjährlich ein Bericht erfolgt auf Basis einer polizeilichen Lageeinschätzung und ergänzt um die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, und der Gemeinderat auf dieser Basis über die Fortsetzung oder Einstellung der Videobeobachtung entscheidet. Er gehe davon aus, dass die heutige Abstimmung auf dieser Basis erfolgt. Sollte dem nicht so sein, so bitte er darum, die Beschlussantragsziffern einzeln zur Abstimmung zu stellen.

Die Videobeobachtung sei ein Puzzlestück der Sicherheitsarchitektur der Stadt Stuttgart. Stuttgart sei seines Wissens noch immer eine der sichersten Städte Deutschlands, zumindest der Großstädte in Deutschland. Er frage sich daher, ob dieses eine Puzzlestück die gesamte Sicherheitsarchitektur Stuttgarts zum Einsturz bringen würde, wenn man bei der Abwägung der Frage, ist der Eingriff in die Grundrechte der Menschen, die sich dort bewegen und nichts im Schilde führen, also anlasslos gefilmt werden, zu rechtfertigen oder nicht. Die Anmerkung von StR Dr. Reiners aufgreifend weist er darauf hin, dass Ideologie nicht immer etwas Negatives ist. Seine Fraktion komme in der Abwägung zu dem Schluss, dass der Eingriff in die persönlichen Grundrechte nicht gerechtfertigt ist und dass die Videoüberwachung nicht die entscheidende Komponente in der Sicherheitsarchitektur dieser Stadt ist. Daher lehne man die Vorlage insgesamt ab.

StRin von Stein (FW) erklärt für ihre Fraktion hingegen Zustimmung zur Verwaltungsvorlage. Man vertraue den klaren Rahmensetzungen für die Videoüberwachung und man halte die Prävention für einen enorm wichtigen Faktor. Die Polizei habe eindrücklich dargelegt, wie hilfreich die Videobeobachtung ist, um schnell einzugreifen, wenn es die Situation erfordert. Daher sei man der festen Überzeugung, dass dadurch Gefahren abgewendet werden können, insbesondere, weil die Polizei präsent sein kann, bevor kritische Situationen eskalieren. Zudem sei es für Opfer von Übergriffen und Straftaten hilfreich, wenn die Täterinnen und Täter ermittelt und einer Strafe zugeführt werden können. Dies sei auch ein Beitrag zu mehr Sicherheit in der Stadt. Die Stadträtin weist weiter darauf hin, dass Videoüberwachung an vielen anderen Stellen in der Stadt erfolgt: So überwache die SSB nicht nur in den Bahnen, sondern auch alle ihre unterirdischen und viele oberirdische Haltestellen mittels Kameras das Geschehen. Bei Bedarf können besondere Ereignisse von der Betriebsleitstelle aufgezeichnet oder direkt auf einen Monitor bei der Einsatzzentrale der Polizei übertragen werden. Hier werde die Videobeobachtung akzeptiert. Gleiches gelte für die Aufzeichnung in Fußballstadien. Sie verliest den entsprechenden Passus in der Stadion-Verordnung der Mercedes-Benz-Arena vom 01.10.2022 und bringt ihr Unverständnis zum Ausdruck gegenüber denjenigen, die diese Vorlage ablehnen. Offen zeige sich ihre Fraktion auch für die Zustimmung zur veränderten Beschlussantragsziffer 3.

StR Dr. Mayer (AfD) hebt zwei aus seiner Sicht bemerkenswerte Wortbeiträge einer Vorrednerin und eines Vorredners hervor. Er betont, seine Fraktion wünsche sich mehr sichtbare Präsenz von Polizei und Ordnungskräften in der Öffentlichkeit, sozusagen "den Schutzmann an der Ecke". Dies wäre vertrauensbildend und würde zur Sicherheit des öffentlichen Raumes beitragen. Aus bekannten Gründen lasse sich diese Lösung aber leider nicht so einfach umsetzen. Die zweitbeste Lösung sei deshalb, wenn es denn angezeigt ist, die Videoüberwachung, die datenschutzrechtlich sehr streng geregelt sei. Die rechtlichen Voraussetzungen dieser sehr strengen Regelung seien hier klar erfüllt, sodass dieser Vorlage zweifellos zuzustimmen sei.

StRin Yüksel (Einzelstadträtin) schickt voraus, sie finde es nicht in Ordnung, wenn StR Dr. Reiners jedem eine ideologische Brille im negativen Sinne aufsetzt, nur, weil man sich für Bürgerrechte und für Freiheitsrechte einsetzt und diese schützt. Recht gebe sie ihm dahingehend, dass man das Handeln der Polizei vielleicht nicht so populistisch pauschal angreifen sollte. Aber es sei ebenso falsch, falsches Handeln der Polizei reflexartig in Schutz zu nehmen. "Wir leben in einem Rechtsstaat und da unterliegt auch das Handeln der Polizei der Kontrolle der Gerichte. Und vielleicht ist es da auch sinnvoll, wenn jetzt zum Beispiel die LINKE glaubt, dass die Polizei am 1. Mai konkret etwas falsch gemacht hätte, in den Rechtsweg der gerichtlichen Kontrolle zu gehen, anstatt den Weg über die Presse, das würde ich persönlich für den sinnvolleren Ansatz halten."

Sie betont, mit der installierten Videoüberwachung werden alle Bürgerinnen und Bürger überwacht und aufgezeichnet, die sich in der entsprechenden Zeit zufällig im festgelegten Bereich aufhalten. Es handle sich insoweit um eine Massenüberwachung und -auf-zeichnung mit allen Risiken, die eine solche Überwachung mit sich bringt, wie beispielsweise der Gefahr eines Hackerangriffs und des Missbrauchs der Daten. Angesichts der Ausbeute der Videoüberwachung bringe diese im Bereich der reinen Gefahrenabwehr und Prävention praktisch kaum etwas, dies machten die vorgelegten Zahlen deutlich. Vielmehr werde sie im Bereich der Strafverfolgung genutzt und auch da könne die Effektivität bei den vorgelegten Zahlen bezweifelt werden. Nach wie vor rechtfertige all dies nicht den Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, auch die Ergänzungen zum Erfahrungsbericht ändern daran nichts. Sie erwarte von der Polizei und der Verwaltung wegen dieses massiven Eingriffs in die Freiheitsrechte, dass sie engmaschig berichten, um den Rat in die Lage zu versetzen, zu überprüfen, ob das Ganze überhaupt noch verhältnismäßig ist. Bei Beschlussvorlagen, wo es um Eingriffe um die Grundrechte und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger geht, erwarte sie von der Verwaltung, dass sie sauber aufgeschlüsselte, genau recherchierte und nachvollziehbare Zahlen vorlegt. Daran habe es in der Vergangenheit gehapert. Darüber hinaus verstehe sie nach der Maßgabe des gestrigen Beschlusses im Verwaltungsausschuss nicht, weshalb der Ordnungsbürgermeister heute erneut für die jährliche Berichterstattung geworben hat. Die Vorlage lehne sie nicht nur ab, sondern fürchte, dass derartige Maßnahmen wie Videoüberwachung oder die Messerverbotszone dem Image Stuttgarts - eine der sichersten Städte in Deutschland - schaden.

BM Dr. Maier unterstreicht, die Videoüberwachung sei nicht per se diskriminierend. Alle, die sich in diesem Bereich bewegen, werden beobachtet. Die Videoüberwachung schütze auch alle, die sich in diesem Bereich aufhalten. Sie solle - dies sehe die rechtliche Grundlage so vor - nur so lange in Betrieb bleiben, wie sie notwendig ist. Er verweist diesbezüglich auch auf die in der Vorlage dargestellten Erfahrungen in der Stadt Mannheim. Was das Vorkommnis mit dem Rasensprenger anbelangt, so habe die Polizei in der Gesamtbetrachtung ein gutes Gespür dafür, was geduldet werden kann, was zum normalen Umgang miteinander gehört und wo die Gefahr für eine Eskalation liegt. Zur Frage, ob die Polizei zulasten der Stadt etwas spart, stellt er klar, dies sei mitnichten der Fall. Es seien nach wie vor genau so viele Polizeibeamte in diesen Kernzeiten im Einsatz wie vor der Videoüberwachung, denn Präsenz sei nach wie vor notwendig und Präsenz sei ein gutes Mittel der Prävention und schaffe ein gutes Gefühl für die Menschen, die sich in der Stadt aufhalten.

Mit Blick auf den 1. Mai merkt er an: "Wir sind davon überzeugt, dass die Polizei ihrer Aufgabe, Versammlungen zu ermöglichen, in bestmöglicher Weise nachkommt. Denn nur, wenn von Versammlungen keine Gewalt ausgeht, kann Versammlungsfreiheit auch gewährt werden und sobald Versammlungen gewalttätig, gefährlich werden, ist die Versammlungsfreiheit für die Bürger, die friedlich demonstrieren wollen, gefährdet. Deshalb sind wir sicher, dass die Polizei hier ordnungsgemäß und pflichtgemäß agiert und tut, was sie kann." Er erinnert in diesem Zusammenhang an den informellen Austausch mit dem Polizeipräsidium am 20.03.2023, wo Vertreter aller Fraktionen dabei waren, genau zu dem Thema Versammlungen, wie geht die Polizei damit um. Von allen Seiten - einschließlich FrAKTION und PULS - sei bestätigt worden, dass die Polizei sehr maßvoll, sehr deeskalierend agiert und die Versammlungsfreiheit in bestmöglicher Weise in Stuttgart gewährleistet.

StR Pantisano bittet um eine Zusage, den Antrag seiner Fraktion zum 1. Mai im zuständigen Ausschuss zu diskutieren. Dies wird von OB Dr. Nopper zugesagt. StRin Schumann verbittet sich, dass sämtliche Äußerungen, die sie tätigt, als albern oder als lächerlich bezeichnet werden. Sie wünscht, genauso respektiert zu werden wie alle anderen.



OB Dr. Nopper stellt abschließend die GRDrs 143/2023 getrennt zur Abstimmung. Er stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt die Beschlussantragsziffern 1 und 2 mehrheitlich wie beantragt (40 Ja-, 16 Nein-Stimmen).

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