Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
803/2010
GZ:
-
Sitzungstermin: 27.01.2011
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Gallmeister sp
Betreff: Pflegeheimarzt im ELW

Vorgang: Betriebsausschuss Leben und Wohnen vom 22.11.2010, öffentlich, Nr. 23
Verwaltungsausschuss vom 01.12.2010, öffentlich, Nr. 379
Gemeinderat vom 02.12.2010, öffentlich, Nr. 220

jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung

Betriebsausschuss Leben und Wohnen vom 20.12.2010, öffentlich, Nr. 24
Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung

Verwaltungsausschuss vom 26.01.2011, öffentlich, Nr. 5
Ergebnis: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Soziales, Jugend und Gesundheit vom 10.11.2010, GRDrs 803/2010, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Dem Konzept „Pflegeheimarzt im ELW“ entsprechend der unter 4.2 der Vorlage genannten Eckpunkten wird zugestimmt.
2. Der Einstellung eines Arztes mit Ermächtigung nach § 119b Satz 3 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung in den Pflegeeinrichtungen des ELW wird zugestimmt.
3. Der entsprechenden Umwidmung einer Stelle im Stellenplan des ELW mit einer übertariflichen Eingruppierung entsprechend Entgeltgruppe 2, Stufe 6 (Facharzt) des Krankenhaustarifes, zzgl. 60% Jahressonderzahlung, wird zugestimmt.


StR Dr. Oechsner (FDP) kündigt an, dass seine Fraktion aus verschiedenen Gründen der Vorlage nicht zustimmen kann. Es sei sicherlich richtig, dass die ärztliche Versorgung in den Pflegeheimen sehr unbefriedigend ist. Auch stehe außer Frage, dass die Anstellung von Ärzten in Pflegeheimen einen Lösungsansatz zur Verbesserung der Situation sein könne. Man stehe aber vor der Situation, dass durch die Möglichkeiten des § 119b SGB V ein weiteres Mal Aufgaben des Bundes und der Krankenkassen an Beteiligte im Gesundheitssystem - im vorliegenden Fall an den ELW - delegiert würden. Die unbefriedigende Versorgungsqualität sei nicht der Unwilligkeit der niedergelassenen Ärzte geschuldet, sondern der verfehlten Gebührenordnung aus dem Jahr 2009. Es dürfe nicht sein, dass die Heimträger in die Subvention von Pflegeheimärzten eintreten und damit ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko eingingen oder gar gezwungen würden, die versorgten Patienten zum Arztwechsel aufzufordern, da dies einen Angriff auf die freie Arztwahl darstellen würde.

Weiter geht StR Dr. Oechsner auf die finanziellen Auswirkungen ein. Die Annahme des ELW, dass von den 800 Heimbewohnern ca. 150 zum Pflegeheimarzt wechseln werden, erscheine ihm auf längere Sicht durchaus realistisch, jedoch sollte deutlich gemacht werden, dass zumindest im ersten Jahr - ohne den HzV-Vertrag mit der AOK, der nach dem Kenntnisstand seiner Fraktion noch nicht abgeschlossen sei - eine Vollfinanzierung der Stelle nötig sein wird. Der Stadtrat betont in diesem Zusammenhang, dass sich seine Fraktion nicht grundsätzlich gegen einen Pflegeheimarzt ausspreche, sondern diesen sogar begrüße, wenn eine Abstimmung mit den einzelnen Ärzteverbänden getroffen werde. Die ärztliche Versorgung müsse aber von den Krankenkassen und nicht von den Heimträgern getragen werden, da die Zuständigkeit hierfür bei den Kassen liege. Seine Fraktion trete dafür ein, dass die Problematik so rasch wie möglich mit dem Sozialministerium Baden-Württemberg vorangetrieben und dass die Stadt Stuttgart sich an Modellprojekten des Landes beteiligt, aber nicht vorab Tatsachen schafft, die Entscheidungen auf Bundesebene tangieren.

Ihre Fraktion habe sich bei der GRDrs 803/2010 für einen "lebenspraktischen und den Menschen dienenden Ansatz" entschieden, merkt StRin Gröger (SPD) an. Die Probleme bezüglich der Versorgung durch den Hausarzt seien bekannt, da mit der Aufnahme in ein Heim öfters auch ein Ortswechsel stattfinde, beispielsweise in die Nähe von Angehörigen. Es sei bedauerlich, dass dieser Weg eingeschlagen werden müsse, da die Versorgung von Patienten in Heimen durch niedergelassene Ärzte offenbar nicht mehr lukrativ genug sei. Ihre Fraktion sei der Ansicht, dass im Interesse der betroffenen Menschen der eingeschlagene Weg der richtige sei, um eine gute ärztliche Versorgung sicherzustellen. Sie erinnert an die Bitte ihrer Fraktion bei der Beratung im Betriebsausschuss Leben und Wohnen um eine regelmäßige, einrichtungsbezogene Berichterstattung, wie sich der Einsatz des Pflegeheimarztes im Verhältnis auf die Besuche der niedergelassenen Ärzte auswirkt. Wünschenswert wäre eine zügigere Bearbeitung dieser Thematik auf den anderen Ebenen, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen sei.

Auch ihre Fraktion denke bei der Thematik "Pflegeheimarzt im ELW" vor allen Dingen an die Menschen in den Heimen, betont StRin Prof. Dr. Loos (CDU). Heute habe man erfahren, dass zum 01.04.2011 ein Bundesgesetz in Kraft treten solle, nach dem die Leistungen der Ärzte nicht mehr über die üblichen Pauschalen, sondern die Besuche einzeln abgerechnet werden könnten. Nicht bekannt sei, ob dieses Gesetz tatsächlich im April d. J. rechtskräftig werde und wie lange es bis zur Umsetzung durch die Krankenkassen dauere. Die Einstellung des Pflegeheimsarztes betrachte ihre Fraktion als Versuch, der auch nicht in Vollzeit, sondern nur mit 85 % durchgeführt werde. Auch habe der Pflegeheimarzt nicht nur die ärztliche Versorgung der Heimbewohnerinnen und -bewohner sicherzustellen, sondern er solle auch einen Qualitätszirkel entwickeln, in welchem sich die Fach- und Hausärzte der Patienten treffen, um zu einer allgemeinen Rundumversorgung der Heime zu kommen.

Ihre Fraktion wolle abwarten, wie sich die Lage in den Heimen nach der Einstellung des Pflegeheimarztes entwickle, fährt StRin Prof. Dr. Loos fort. Nach der demografischen Entwicklung sei zu erwarten, dass die Zahl der Heimbewohner zunehmen wird und es stelle sich die Frage, ob die Ärzteschaft aufgrund der angekündigten Gesetzesänderung wirklich vermehrt Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner aufsuchen wird. Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen des ELW gehe ihre Fraktion davon aus, dass die Leitung des Eigenbetriebes die Kostenerstattung des Pflegeheimarztes beobachten wird. Im zuständigen Ausschuss werde man auf alle Fälle ein Auge darauf haben, ob die Entwicklung wie gewünscht erfolgt. Die Stadträtin kündigt abschließend die Zustimmung ihrer Fraktion zur Vorlage an.

Die Ablehnung der GRDrs 803/2010 durch seine Fraktion kündigt StR Gulde (FW) an. Auf den ersten Blick erscheine das Modell sehr sympathisch und er sei der Ansicht, dass es geeignet sei, den derzeitigen Zustand zu verbessern. Er sehe - wie bereits von StR Dr. Oechsner ausgeführt - das Grundproblem nicht beim niedergelassenen Arzt, sondern in der unzureichenden Vergütung; Verbesserungen gebe es - wie in der Vorlage ausgeführt - nur für mehr Geld. Dies sei in allen Bereichen der Gesellschaft und auch im Gesundheitsbereich so. Im Einstieg in das Modell "Pflegeheimarzt" sehe seine Fraktion den langfristigen Ausstieg aus der freien Arztwahl, die aber ein elementares Recht darstelle.

Er vermisse in der Vorlage Stellungnahmen von Betroffenen bzw. deren Vertretern zum geplanten Modell; die Meinung der Heimbeiräte zu dieser Thematik würde ihn aber
interessieren. Auch der Stadtseniorenrat sei nicht um eine Stellungnahme gebeten worden. Er stimme mit dem Betriebsausschuss Leben und Wohnen darin überein, dass es seine Aufgabe bleibe, sehr "wachsam" zu sein und die Abschaffung der freien Arztwahl in den Heimen zu verhindern. Als Begründung für diese Haltung schildert er das Szenario, dass langfristig die meisten Heimbewohner sich vom Pflegeheimarzt, bei dem es sich um einen "tollen Typen" handelt, behandeln lassen und dass der ELW die Behandlung durch den Pflegeheimarzt dann zur Aufnahmebedingung in seine Einrichtungen mache. Wenn dieser Arzt den ELW irgendwann verlasse, stehe man vor dem Problem, möglicherweise keinen so guten Arzt mehr zu bekommen und die freie Arztwahl abgeschafft zu haben. Er verbindet mit der Ablehnung der Drucksache den Appell, in Zehn-Jahres-Schritten genau zu prüfen, wo die freie Arztwahl noch besteht und wo sie abhanden gekommen ist.

Dass es im Bereich der ambulanten Versorgung jetzt und in Zukunft Strukturveränderungen geben wird, spiegle die ständige Veränderung des SGB V wider, legt StR Dr. Schlierer (REP) dar. Die Hereinnahme des § 119b in das SGB V sei Ausdruck der Tatsache, dass mit dem demografischen Wandel auch neue Probleme gelöst werden müssen, die mit dem bisherigen Instrumentarium nicht in jedem Fall abgedeckt werden könnten. Insofern sei es im Prinzip durchaus folgerichtig, wenn im Bereich des ELW als einem größeren Träger von Pflegeeinrichtungen von der Möglichkeit des § 119b Gebrauch gemacht werde. Ein Problem sei dabei jedoch nicht gelöst, und zwar bezüglich der Vergütungsordnung; es handle sich damit um ein Problem, das weniger bei den Vertragsärzten als vielmehr bei den Krankenkassen liege.

Der Bewertungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen - und nicht der Gesetzgeber - habe sich dazu entschlossen, die Hausbesuche in Pflegeheimen künftig aus den Regelleistungsvolumina herauszunehmen und künftig in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) gesondert als Einzelleistung hineinzunehmen und zu vergüten. Tatsächlich werde in Zukunft die Vergütungsordnung anders gestaltet sein und damit stelle sich ihm die Frage, ob in der Tat die Berechnungen in der Beschlussvorlage zur voraussichtlichen Unterdeckung noch realistisch sind oder nicht.

Im Blick auf das mögliche Interesse von Heimträgern, dass möglichst viele Heimbewohner nicht von der freien Arztwahl Gebrauch machen, sondern sich vom Heimarzt behandeln lassen, möchte StR Dr. Schlierer von der Verwaltung wissen, für wie valide sie diese Berechnungen im Blick auf die Änderungen durch den Bewertungsausschuss halte. Er wirft die Frage auf, was geschehe, wenn durch die Veränderungen nach Einzelleistungsvergütung die entsprechende Versorgungsdichte durch Hausbesuche wieder gesteigert werde und damit in der Folge der Anreiz, auf den Heimarzt zurückzugreifen, ständig geringer werde. Er könne nicht nachvollziehen, ob die Berechnungen des Defizits noch realistisch sind; er gehe davon aus, dass bei der Einrichtung eines Heimarztes im ELW sicherlich mehr als nur die prognostizierten Kosten auf den Träger und damit letztlich auf die Verwaltung zukommen. Aufgrund dieser ungelösten Fragen könne er der Vorlage nicht zustimmen.

Sie könne die angestellte Berechnung heute nicht korrigieren, erklärt BMin Fezer. Man befinde sich in einem Verfahrensstand, dass zunächst die weiteren Entscheidungen, insbesondere was das Zulassungsverfahren angehe, abgewartet werden müssten. Daran anschließend werde man sich auf dieser Basis den Verfahrensstand neu anschauen und überlegen müssen, wie seitens der Verwaltung weiter verfahren wird. Nach einer Entscheidung der AOK über das Zulassungsverfahren werde der Gemeinderat ohnehin wieder über den Stand des Verfahrens informiert.


Damit das Verfahren überhaupt weitergehe, müsse heute der erste Schritt getan und die grundsätzliche Beschlussfassung erfolgen, merkt OB Dr. Schuster an und stellt abschließend fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 13 Gegenstimmen mehrheitlich wie beantragt.

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