Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 09.06.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende, BM Dr. Schairer
Protokollführung: Frau Sabbagh
Betreff: Verabschiedung einer Resolution: Appell an das Regierungspräsidium Karlsruhe, auf die Abschiebung des Asylbewerbers Arol N. zu verzichten
- Dringlichkeitsantrag Nr. 176/2016 (SÖS-LINKE-PluS)
vom 08.06.2016

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Vor Eintritt in die Tagesordnung meldet sich StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) und beantragt mündlich, über den Dringlichkeitsantrag Nr. 176/2016 seiner Fraktionsgemeinschaft zu entscheiden. Er begründet kurz die Dringlichkeit mit der unmittelbar drohenden Abschiebung und bittet den Gemeinderat, sich der Resolution mit dem Appell an das Regierungspräsidium Karlsruhe, auf die Abschiebung des Asylbewerbers Arol N. zu verzichten, anzuschließen.

OB Kuhn lässt diesen Antrag als TOP 0 behandeln. Er berichtet, dass der Antrag bereits im Ältestenrat diskutiert worden sei und die Fraktionen mit Ausnahme der Antragsteller die Resolution nicht befürworteten.

Mit dem Verweis auf den Ältestenrat spricht sich StR Kotz (CDU) im Namen seiner Fraktion gegen die Beratung des Antrags aus. Die Abschiebung sei rechtens und erfolge nicht in ein Land, in dem ihm Gefahr drohe. Nach Ansicht seiner Fraktion könne der Gemeinderat keine Resolution beschließen, die eine rechtsstaatliche Anordnung für nicht in Ordnung oder gar falsch halte.

Das Verfahren sei rechtens und abgeschlossen, weshalb die Möglichkeit eines Dringlichkeits- oder Eilantrags aktuell nicht gegeben sei. Auch wenn der Einzelfall sehr ergreifend sei, unterstreicht StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE) im Namen ihrer Fraktion. Für die Zukunft könne sich der Gemeinderat aber durchaus mit einer Resolution beschäftigen. Das bedürfe dann eines viel tieferen Einblicks in die Thematik. Sie weist darauf hin, dass sich ihre Fraktion auf Bundesebene für Änderungen im Asylrecht ausspreche.

Letzterem schließt sich StR Körner (SPD) im Namen seiner Fraktion an. Die Einwanderungsgesetzgebung Deutschlands sei nicht auf der Höhe der Zeit, z. B. sollte die erfolgreiche Integration ein Kriterium für ein endgültiges Bleiberecht sein. Er sieht den vorliegenden Fall als menschliche Tragödie an, da sich Arol N. in Stuttgart gut integriert habe. Doch sei die Rechtslage hier sehr klar, wie BM Dr. Schairer im Ältestenrat detailliert ausgeführt habe. Die Ausländerbehörde sei gesetzlich dazu verpflichtet, das RP Karlsruhe auf Anfrage über den vereinbarten Termin zu informieren. Da das Gerichts-urteil bereits ergangen sei und Herr N. in Abschiebehaft sitze, könne seine Fraktion dem Dringlichkeitsantrag nicht zustimmen.

Auch StR Zeeb (FW) weist auf das abgeschlossene Rechtsverfahren hin, das vom Stuttgarter Gemeinderat nicht zu kommentieren sei. Deshalb sei der Dringlichkeits-antrag für seine Fraktion obsolet.

Nach Ansicht seiner Fraktion unterliege der Vollzug rechtlicher Schritte keiner ethischen oder politischen Bewertung, erklärt StR Prof. Dr. Maier (AfD). Mit dem Verweis auf die Erläuterung von BM Dr. Schairer im Ältestenrat stimme auch seine Fraktion dem Dringlichkeitsantrag nicht zu.

Ihre Gruppierung stimme dem Antrag ebenfalls nicht zu, so StRin Yüksel (FDP). So bedauerlich jeder einzelne Abschiebefall sei, würde sich der Rechtsstaat jedoch ad absurdum führen, wenn gerichtliche Entscheidungen nicht vollzogen würden.

StR Rockenbauch macht nochmals deutlich, seine Fraktionsgemeinschaft sehe die Dringlichkeit unter zwei Aspekten. Zum einen gehe es um das persönliche Schicksal, zum anderen müsse man aber auch unabhängig davon die Diskussion führen, wie korrekt und ethisch das Verfahren sei und wie sich das Ausländeramt hier verhalte. Kern der Resolution sei der Appell an das RP, auf diese Abschiebung angesichts der Integrationsleistung vieler Ehrenamtlicher und auch der Person selbst zu verzichten.

Nach den Ausführungen von BM Dr. Schairer im Ältestenrat gehe er davon aus, dass mit dem neuen Abschiebegefängnis in Pforzheim dieser Einzelfall zur Regel werde. Der Gemeinderat müsse sich von Anfang an gegen diese Praxis wehren, dass das RP die städtische Behörde um Amtshilfe bitte und die Ausländerbehörde dann quasi einen Hinterhalt für die Flüchtlinge legen müsse, die die Termine ja wahrnehmen müssten, um die Leistungen zu erhalten. Dadurch unterminiere man das Vertrauen in eine städtische Behörde.

An dieser Stelle betont OB Kuhn, der Gemeinderat könne entscheiden, ob er den Antrag für dringlich halte oder nicht. Die Ausländerbehörde habe in der Sache richtig entschieden, und sie habe hier aufgrund der Rechtslage keinen Spielraum, wie BM Dr. Schairer im Ältestenrat dargelegt habe. Die Rechtslage in Deutschland besage, dass man abschieben könne und in bestimmten Fällen auch müsse. Im vorliegenden Fall greife das Dublin-Abkommen, demzufolge der betreffende Flüchtling, der über Spanien in die EU eingereist sei, wieder nach Spanien zurückgeschickt werden solle.

Mit der Resolution bringe die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS ein drittes Kriterium in die Diskussion: Wer integriert sei, dürfe nicht abgeschoben werden. Das könne man politisch wollen, aber ein Gremium einer Stadt oder auch ein Landtag könne dies nicht en passant einführen und damit Hoffnungen wecken. Der Stuttgarter Gemeinderat könne die Bundesgesetzgebung nicht aushebeln.

BM Dr. Schairer präzisiert, mit der Resolution würde sich der Stuttgarter Gemeinderat gegen das Dublin-Verfahren und damit europäisches Recht stellen. Das dürfe er gar nicht. Zudem würde sich die Resolution gegen eine richterliche Entscheidung wenden, und schließlich sei die Ausländerbehörde weisungsgebunden und müsse auf Wunsch des zuständigen RP Karlsruhe Meldung machen. Er betont, dass der Antrag Nr. 175/ 2016 ganz normal in den Ausschüssen behandelt werde, sodass nicht der Eindruck entstehen werde, dass man die Problematik unter den Teppich kehren wolle.

OB Kuhn stellt abschließend fest:

Der Dringlichkeitsantrag wird bei 9 Ja-Stimmen mehrheitlich abgelehnt.

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