Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
543/2011
GZ:
AK 7820
Sitzungstermin: 27.07.2011
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:-
Protokollführung: Frau Huber-Erdtmann
Betreff: Fair-Trade-Stadt Stuttgart

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 27.07.2011, öffentlich, Nr. 306

Ergebnis: mehrheitliche Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Allgemeine Verwaltung und Krankenhäuser vom 12.07.2011, GRDrs 543/2011, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart strebt an, den Titel "Fair-Trade-Stadt" verliehen zu bekommen. Sie beteiligt sich dazu an der Kampagne des Vereins TransFair e. V. in Köln.

2. Bei allen Sitzungen des Gemeinderats und der von ihm gebildeten Gremien sowie bei den Besprechungen in den Bürgermeisterbüros im Rathaus und bei den Besprechungen in den Büros der Bezirksvorsteherinnen und Bezirksvorsteher in den Bezirksrathäusern wird fair gehandelter Kaffee ausgeschenkt und ein weiteres Produkt aus fairem Handel angeboten.


Die Vorlage, so StR Svejda (90/GRÜNE), sei lediglich ein Grundsatzbeschluss. Im Weiteren werde es darum gehen, bei der Beschaffung von Produkten, die aus den sogenannten Entwicklungsländern bezogen werden, konsequent darauf zu achten, dass sie aus fairem Handel stammen. Zudem müsse lokal dafür gesorgt werden, dass möglichst viele Einzelhandelsgeschäfte, Gastronomiebetriebe und auch soziale Einrichtungen fair gehandelte Produkte anbieten. Hier sei eine Unterstützung durch das Haupt- und Personalamt notwendig.

StR Kotz (CDU) versichert, seine Fraktion begrüße es, dass die Stadt ein gewisses Augenmerk darauf legt, auf welche Art und Weise die Produkte, die verzehrt und verbraucht werden, hergestellt, gehandelt und transportiert worden sind. Er wolle jedoch darauf hinweisen, dass es auch Produkte aus der Region gebe, auf die man ein ähnliches Augenmerk legen sollte, dass also wann immer möglich Produkte aus der Region verwendet werden. Das sei im Sinne der Nachhaltigkeit fast genauso wichtig.

OB Dr. Schuster pflichtet dem Stadtrat bei, dass der regionale Einkauf durchaus ein anderer wichtiger Aspekt eines nachhaltigen Wirtschaftens ist.

StRin Dr. Blind (SPD) betont, dass es nicht gut ist, auf Kosten anderer zu leben. In Deutschland und in den anderen wohlhabenden Industrienationen lebe man auf Kosten von Menschen in anderen Ländern. Blumen, Kaffee oder Tee seien oft deshalb so billig, weil woanders in der Welt Menschen für Hungerlöhne und unter oft unmenschlichen und unvorstellbaren Bedingungen arbeiten. Faire Handelsbedingungen seien eine große und anspruchsvolle Aufgabe. Fair Trade sei hier ein kleiner, aber wichtiger Schritt. Ihre Fraktion unterstütze es, wenn sich Stuttgart in diesem Sinne ein bisschen engagiert - um mehr gehe es in dieser Vorlage in der Tat nicht.

StR Zeeb (FW) hält die Vorlage für etwas einseitig, denn wie solle er dieses Vorgehen den Stuttgarter Landwirten und Obstbauern vermitteln, die auch gerne im Rathaus und in städtischen Einrichtungen ihre Produkte bevorzugt vertreiben würden und die doch erhebliche Pflegearbeit für die einheimische Landschaft leisten. Seine Fraktion werde daher der Vorlage nicht zustimmen.

StR Klingler (FDP) erinnert an seine Ausführungen im Verwaltungsausschuss am selben Tag. Seine Fraktion sehe Fair Trade nicht grundsätzlich als schlechte Sache an, man werde aber durch diese Kampagne als Landeshauptstadt Stuttgart sicherlich nicht die Probleme der Welt lösen. Nicht immer sei auch sicher, dass es sich überall da, wo Fair Trade draufsteht, auch tatsächlich um fair gehandelte Produkte handelt. Da sich dem Verein TransFair e. V. derzeit 900 Städte angeschlossen haben, würde eine Mitgliedschaft der Stadt Stuttgart kein Alleinstellungsmerkmal für die Landeshauptstadt bedeuten.

Hauptpunkt für eine Ablehnung des Beschlussantrags seien jedoch die Kriterien, die Voraussetzung sind, dass man den Titel einer Fair-Trade-Stadt verliehen bekommt. Eines der fünf Kriterien sei beispielsweise, dass in den lokalen Einzelhandelsgeschäften Produkte aus fairem Handel angeboten und in Cafes und Restaurants Fair-Trade-Produkte ausgeschenkt werden. Das verstoße aus Sicht seiner Fraktion gegen die Entscheidungsfreiheit der Unternehmer. Man könne dort nur schwer eingreifen, und es sei auch nicht sinnvoll. Zudem ließe sich eine solche Vorschrift kaum umsetzen.

Kriterium 5 sei, dass die örtlichen Medien über alle Aktivitäten auf dem Weg zur Fair-Trade-Stadt berichten. Er stelle infrage, dass überhaupt über alle Aktivitäten dementsprechend berichtet werden kann.

Die Kriterien 1 und 2 - Ausschank von fair gehandeltem Kaffee bei den Sitzungen des Gemeinderats und sämtlicher Ausschüsse - würden bereits erfüllt. Nun sollen auch weitere fair gehandelte Produkte bei den Sitzungen zum Einsatz kommen, z. B. Zucker, Tee, Orangensaft. Nach Meinung seiner Fraktion sei aber auch der Saft von Stuttgarter Streuobstwiesen ein fair gehandeltes Produkt. Er sehe es in Bezug auf die CO2-Bilanz als problematisch an, wenn man sich jetzt künftig darauf konzentrieren müsste, fair gehandelte Produkte aus der ganzen Welt nach Stuttgart einzufliegen, aber auch, wie diese Aktionen nach dem Vergaberecht zu beurteilen sind, denn man würde dann sicherlich nicht immer dem günstigsten Anbieter den Zuschlag erteilen können.

In der Vorlage stehe auch, dass die Bezirksvorsteher/-innen die Funktion der Lotsen und Lotsinnen für alle Bürger/-innen, Vereine und Verbände innehaben sollen. Das umzusetzen stelle sich die FDP als sehr schwierig vor. Man wolle lieber einen Mix aus Fair-Trade-Produkten einerseits und lokalen Produkten andererseits, beispielsweise von Landwirten, Obstbauern und Weinbaubetrieben auf Stuttgarter Markung. Viele dieser lokalen Firmen handeln fair, und sie würden einen für Stuttgart wichtigen Beitrag bringen. Es müsste daher eher "fair world und fair local" heißen. Seine Fraktion werde daher der Vorlage nicht zustimmen.

Nach Ansicht von StR Stocker (SÖS und LINKE) könne man der Vorlage die Zustimmung gar nicht verweigern. Zunächst gehe es nur darum, dass in Bürgermeister- und Bezirksvorsteherbüros fairer Kaffee getrunken wird. Dieser Ansatz soll in einer weiteren Vorlage ja noch ausgeweitet werden. Er freue sich darauf, dass Stuttgart dann die 901. Fair-Trade-Stadt wird, aber insgesamt mache diese Aktion den Eindruck einer "weißen Salbe" auf das hoffentlich schlechte Gewissen. In diesem Punkt schließe er sich StRin Dr. Blind an.

StR Dr. Schlierer (REP) hält die Vorlage für ein typisches Beispiel der immer häufiger werdenden Symbolpolitik. Natürlich könne man im Sinne des Gutmenschentums einer solchen Vorlage die Zustimmung nicht verweigern. Bei genauerer Betrachtung zeige sich jedoch, dass neben der Frage des Kaffeeausschanks vor allem die Kriterien durchaus problematisch sind. Einige Punkte seien bereits angesprochen worden. Er wolle noch einen Aspekt hinzufügen. Wer zu den Städten gehören wolle, die diesen Titel erhalten, müsse bestimmte Kriterien erfüllen. Dieser Nachweis müsse aber erst einmal erbracht werden. Er frage sich, wie beispielsweise bei dem Kriterium Nummer 3 die Kontrolle eigentlich erfolgen soll. Damit wäre ein erheblicher Aufwand verbunden. Genau hier schieße das Ganze über das Ziel hinaus. Diese Art volkspädagogischer Kontrolle lehne er ab. Deshalb werde er - auch wenn er das grundsätzliche Anliegen von Fair Trade unterstütze - der Vorlage nicht zustimmen.

StR Rockenbauch (SÖS und LINKE) erwartet, dass unter dem Gesichtspunkt von Fair Trade im Rathaus kein Wasser ausgeschenkt wird, das vom Coca Cola-Konzern vertrieben wird, denn diese Firma sei nicht für fairen Handel bekannt. Er habe nichts gegen Coca Cola, aber beim Wasser könnte man auf einen regionalen Anbieter umsteigen.

OB Dr. Schuster macht klar, dass es hier nicht um heimische Produkte gehe. Bekanntlich erfolge der Anbau in den Plantagen auf Übersee oft unter Ausbeutung der Menschen. Deshalb sei es gut, näher hinzuschauen und zu verlangen, dass die Importeure eine Zertifizierung nachweisen und gezwungen sind, vor Ort die Arbeitsbedingungen zu überprüfen. Insofern habe die verstärkte Nutzung von fair gehandelten Produkten durchaus eine Rückwirkung. Natürlich werde man damit die Welt nicht retten, aber wenn man nicht mit kleinen Schritten anfängt, werde man nie eine gerechtere Globalisierung haben.

Es gehe nicht darum, den Einzelhandelsgeschäften und Cafés vorzuschreiben, welchen Kaffee sie auszuschenken hätten, aber man könne als Kunde sehr wohl nachfragen und äußern, dass man gerne fair gehandelten Kaffee trinken möchte. Der Kunde bestimme doch letztlich, was er haben will. Der entscheidende Punkt sei, ein Stück Bewusstsein zu schaffen und damit eine Nachfrage zu entwickeln. Die Fair-Trade-Organisation habe nicht nur bei Edeka nachgefragt und partiell Erfolg gehabt, sondern sie bemühe sich auch darum, dass auch Läden wie Lidl und Aldi bestimmte Fair-Trade-Produkte verkaufen. Die Steuerung würde durch die Kundennachfrage erfolgen und nicht in Form von Zwangswirtschaft. Das sei die Idee der Selbstverpflichtung, die man mit der Vorlage eingehen wolle. In Degerloch beispielsweise hätten viele Einzelhändler und Restaurants sich schon bereiterklärt, Fair-Trade-Produkte zusätzlich anzubieten. Entsprechende Initiativen gebe es auch in Wangen, Untertürkheim und Vaihingen. Letztlich komme es zu einem Schneeballeffekt.


Abschließend stellt der Vorsitzende fest:

Der Gemeinderat beschließt bei 12 Nein-Stimmen mehrheitlich wie beantragt.

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