Protokoll: Gemeinderat der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
34/2021
GZ:
Sitzungstermin: 01.07.2021
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Nopper
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Faßnacht
Betreff: Potenzialanalyse Wohnen - Ergebnisbericht und
weiteres Vorgehen

Vorgang: Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik vom 22.06.2021, öffentl., Nr. 185
Ergebnis: Vorberatung
Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen vom 25.06.2021, öffentlich, Nr. 100
Ergebnis: Vertagung
Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik vom 29.06.2021, öffentl., Nr. 196
Ergebnis: einmütige Zustimmung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Städtebau, Wohnen und Umwelt vom 07.06.2021, GRDrs 34/2021, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Von dem Abschlussbericht zur Potenzialanalyse Wohnen des Büros berchtoldkrass space&options vom 08.03.2021 (Anlage 1) wird Kenntnis genommen. 2. Der Vorschlagsliste, der Priorisierung der Flächen und deren Umsetzung wird zugestimmt. Die Verwaltung wird dazu eine zweiphasige Aktivierungsstrategie entwickeln und umsetzen. 3. Die Verwaltung wird prüfen, für welche Bereiche der Vorschlagsliste besondere Vorkaufsrechtssatzungen nach § 25 BauGB erlassen werden können und diese dann dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorlegen.

4. Vom zusätzlichen Personalbedarf in Höhe von 4 Stellen wird vorbehaltlich der Mittelbereitstellung Kenntnis genommen. In welchem Maß dem Personalmehrbedarf Rechnung getragen werden kann, wird zum Stellenplan 2022 unter Berücksichtigung des finanziellen Gesamtrahmens für Stellenschaffungen sowie der Priorisierung aller anerkannten Stellenmehrbedarfe entschieden.

StRin Schiener (90/GRÜNE) erinnert an das ursprünglich als Dichtekonzept gestartete Unterfangen, gemäß der Leitlinie innen vor außen das Flächenpotenzial für Wohnraumschaffung zu lokalisieren. Angenehm überrascht sei man, dass in der Potenzialanalyse Wohnen nun 18.000 Wohneinheiten gefunden wurden. Zusammen mit dem Potenzial aus der Zeitstufenliste Wohnen bedeute dies ein Potenzial von fast 40.000 Wohnungen, was etwa 80.000 Einwohnern entspricht. Sie kritisiert, dass dabei jedoch geringfügige Abrundungen im Außenbereich auf landwirtschaftlichen Flächen stattfinden sollen, insbesondere auf den Fildern. Dies sei keine Innenentwicklung, denn der Flächennutzungsplan (FNP) stelle in der Regel dort Landwirtschaft dar. OB Dr. Nopper habe bei seinem Amtsantritt gesagt, eine Außenbebauung sei für ihn nur die ultima ratio, und wenn, dann nur mit der Bürgerschaft. Die Stadträtin hebt außerdem die Notwendigkeit hervor, auch die Landwirtschaft zu schützen - neben Landschafts-, Natur- und Waldschutzgebieten. Auch seien die Felder nicht nur Nahrungsgrundlage, sondern hätten einen sehr hohen Erholungswert.

Ihre Fraktion stehe zur Potenzialanalyse Wohnen und zu den Maßnahmen 1 bis 15 in der Prioritätenliste, jedoch mit der Maßgabe, die so genannten arrondierenden Landwirtschaftlichen Flächen bei den Maßnahmen 14 und 15 zu streichen. Sie fordert, die Energie auf den Innenbereich zu richten. Man habe kein Verständnis für den Antrag von StR Körner, einen weiteren Außenbereich, nämlich die Schwellenäcker in Sillenbuch in die Prioritätenliste aufzunehmen. Diese Fläche werde derzeit von einem sehr engagierten Bio-Bauer bewirtschaftet, der seinen Hof demnächst an die nächste Generation übergeben möchte. Wenn sich seine Flächen verringern, werde dies nicht mehr funktionieren. Ihre Fraktion wäge ab und sage nein zur Einbeziehung von arrondierenden landwirtschaftlichen Flächen. Sie appelliert an den Rat, von diesen nur 2 % der gesamten Potenzialfläche, nämlich den landwirtschaftlichen Flächen im Außenbereich, Abstand zu nehmen zugunsten des Klimas und der Umwelt.

Auf Nachfrage des Vorsitzenden stellt BM Pätzold klar, in der Beratung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Technik vom 29.06.2021 sei das Gebiet Schwellenäcker in die Prioritätenliste aufgenommen und auf Position 6 gesetzt worden. Diese Fassung stehe heute zur Abstimmung.

StR Vetter (CDU) spricht der Verwaltung seinen Dank aus für die Vorlage. Neben dem Nachhaltigen Bauflächenmanagement, der Zeitstufenliste Wohnen und dem Baulückenkataster habe man mit der Potenzialanalyse Wohnen nun das vierte Instrument an der Hand, um Wohnbauflächen zu suchen. Er bittet darum, diese vier Instrumente in ein Oberinstrument zu führen, um schnell einen Überblick zu bekommen, welche Flächen vorhanden sind ohne dafür vier verschiedene Instrumente in die Hand nehmen zu müssen. Es gehe nun darum, zu lernen, diese Potenziale zu schöpfen und in die Umsetzung zu bringen. Aus Sicht seiner Fraktion wäre dafür eine neue Gesellschaft nach dem Hamburger Vorbild ideal. Die dortige Projektgesellschaft, hervorgegangen aus der IBA Hansestadt Hamburg von 2006 bis 2013, sei eine hundertprozentige Tochter der Stadt. Sie entwickle momentan zehn Gebiete auf 44 Hektar Fläche. Das Problem der Potenzialanalyse sei, dass von den 18.300 WE nur 13 % der Fläche im Eigentum von Stadt, Land oder Bund seien. Somit sei der Zugriff darauf sehr schwierig. Für zwei Drittel der Flächen sei eine Änderung des FNP notwendig. Die von der Verwaltung vorgeschlagene Vorgehensweise, dass man die Bezirke einbindet, Öffentlichkeitsarbeit mit dem bürgerschaftlichen Dialog schafft, die Entwicklung ganzheitlicher Konzeptionen forcieren möchte und die Aktivierung sowie Beratung der Eigentümerinnen und Eigentümer in den Vordergrund stellt, halte er für richtig. Dies gehe so weit, dass eine kostenlose Erstberatung erfolgen kann, um Sicherheit bei der Planung und Nutzungskennziffern durch die Verwaltung zu erhalten, und letztlich auch zur Umsetzung konkreter Projekte.

Was die Schwellenäcker angeht, so sei diese Fläche nach Meinung der Verwaltung sehr gut geeignet als Potenzial für Wohnbau und stehe im Ranking daher noch vor Flächen, die ebenfalls in der Prioritätenliste enthalten sind. Dort könnten 160 WE geschaffen werden. Auch habe sich die Mehrheit des Gemeinderates die Abwägung nicht einfach gemacht, diese Fläche in die Potenzialanalyse mit aufzunehmen, aber es war aus seiner Sicht richtig. Denn auch das Thema Randbebauungen sei ein wichtiges Instrument in der Potenzialanalyse, zumal die Potenziale als Voraussetzung haben, dass sie an einer Straße liegen und gut an den schienengebundenen ÖPNV angebunden sind. An einer Straße zu liegen, heiße für ihn auch, dass diese Gebiete schon erschlossen sind. Dies gelte auch für die wenigen Flächen, die evtl. der Landwirtschaft entzogen werden. Darüber hinaus sei festzuhalten, "dass alles, was wir in Stuttgart tun, aus Sicht der Region Innenentwicklung ist". Die CDU-Gemeinderatsfraktion werde der Vorlage in der Fassung des STA heute zustimmen, freue sich auf das weitere Vorgehen und bitte darum, von der Verwaltung einen Vorschlag für eine Organisationsform zu bekommen.

Dank für die vorliegende "Schatzkarte" spricht StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) dem Büro berchtold-krass aus und denjenigen in der Verwaltung, die daran mitgearbeitet haben. Der Rat entscheide jetzt, "ob so eine Schatzkarte im Goldgräberrausch auf der Suche nach Betongold bearbeitet wird oder durch aktive Bodenvorratspolitik und aktive Bodenpolitik durch die Stadt, und wirklich ein Beitrag ist, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen". Grundsätzlich mache das Potenzial dieses Instrument zusammen mit dem der Zeitstufenliste Wohnen klar, dass man nicht auf die grüne Wiese gehen muss, um das Problem des bezahlbaren Wohnraums zu lösen. "Wohnen und Klimaschutz und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage sind, wenn wir diese Potenziale gemeinsam sehen, in unserer Stadt möglich." Umso ärgerlicher stimme es, wenn angesichts dieser Potenziale die Schwellenäcker plötzlich in die Diskussion gebracht werden - ein Gebiet, das von der Verwaltung bereits bearbeitet werde. Besonders ärgerlich sei es, "weil die Fraktionen, die hier gerne betonieren und asphaltieren wollen, gemeinsame Sache machen mit einer rechtsextremen Partei im Stuttgarter Gemeinderat". Damit gäben sie nicht nur den Grundsatz auf, Ökologie und Soziales zu versöhnen, sondern auch den Grundsatz, nie mit den Rechten gemeinsam ihre Politik durchzusetzen. All dies sei nicht nötig.

Der Stadtrat ruft dazu auf, die Schatzkarte Stück für Stück zu bergen und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in Stuttgart einzusetzen. Es stehe viel Arbeit bevor. So müsse man die Strategieebene klären, Stadtentwicklungskonzepte klären, über aktive Bodenvorratspolitik reden, aber auch an die Strukturen der Verwaltung gehen. "Wie gehen wir dieses komplexe Thema an? Wie versöhnen wir Ökologie, bezahlbares Wohnen, wie kriegen wir unsere Prozesse schneller und besser hin, damit eben diese Potenziale schnell gehoben werden und schon heute ein Beitrag stattfindet für bezahlbares Wohnen?" Der Stadtrat beantragt, heute nochmals über die Aufnahme der Schwellenäcker in die Potenzialanalyse Wohnen abzustimmen. Die FrAKTION könne der Gesamtvorlage in ihrer Ursprungsform gerne zustimmen. Sie werde jedoch auch zustimmen, wenn die Mehrheit im Rat den Fehler begeht, die Aufnahme der Schwellenäcker zu bestätigen. Allerdings habe man eine andere Vorstellung davon, Ökologie und Soziales zu versöhnen und zusammen zu entwickeln.

StR Körner (SPD) sieht eine gute Struktur für die Diskussion vorgegeben im Betreff zur Vorlage Potenzialanalyse Wohnen, der auch laute "Ergebnisbericht und weiteres Vorgehen". Er finde den Ergebnisbericht gut und motivierend, zeige dieser doch, welches Potenzial es in der Stadt noch gibt für den Wohnungsneubau in der Innenentwicklung. Das aber wirklich Entscheidende sei der zweite Punkt, nämlich das weitere Vorgehen, um dieses Potenzial in der Innenentwicklung zu heben und vor allem die Frage, wann diese Potenziale gehoben werden können. Bei dieser Frage müsse man konstatieren, dass man in den vergangenen Jahren beim Heben von Potenzialen sehr schlecht unterwegs war - auch bei der Zeitstufenliste Wohnen und dem nachhaltigen Bauflächenmanagement. Im letzten Jahr seien netto nach Abrissen ungefähr 1.400 neue Wohnungen gebaut worden in Stuttgart, von denen mehr als 300 WE Studentenwohnungen in Wohnheimen waren. Alt-OB Kuhn hatte als Ziel 1.800 WE pro Jahr formuliert und 300 neue Sozialmietwohnungen.

Diese Ziele habe man also nicht erreicht, weshalb das Ergebnis nicht befriedigend sei. Dies liege sicherlich an einer generell vorhandenen Skepsis bei den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber neuen Wohnungen, vor allem, wenn sie in ihrer Nachbarschaft entstehen. Aber die Skepsis stehe auch in einem eigentümlichen Kontrast zu den politischen Programmen der im Rat vertretenen Parteien. So gingen die GRÜNEN in die Bundestagswahl mit der Ansage, es müssten 100.000 neue Sozialmietwohnungen pro Jahr gebaut werden. Je nachdem, ob man das nach Einwohnern oder nach Sozialmietwohnungen für Stuttgart herunterbricht, seien das 700 bis 1.200 neue Sozialmietwohnungen in Stuttgart pro Jahr. Die LINKEN fordern sogar 250.000 neue Sozialmietwohnungen pro Jahr, was für Stuttgart 2.000 bis 3.000 Sozialmietwohnungen im Neubau entspreche. Er fragt, wie dies zusammenpasst mit den eben gehörten Wortbeiträgen und damit, Nachverdichtungen wie in der Keltersiedlung und im Hallschlag abzulehnen. Es passe auch nicht dazu, dass man auf mittelbar städtischen Flächen wie dem SSB-Areal, wo über 100 neue Wohnungen gebaut werden könnten, seit Jahren nicht vorankommt. Handlungsbedarf sei also vorhanden.

Das Gebiet Schwellenäcker sei ausweislich des Büros berchtold-krass Teil dieser Potenzialanalyse Wohnen, welches empfehle, das Potenzial zu heben. Der Gemeinderat habe vor zwei Jahren bereits gesagt, er möchte dieses Potenzial heben. "Jeder, der die Fläche kennt und mit der Stadtbahn direkt vorbeifährt, weiß, dass das natürlich eine Innenentwicklungsfläche ist und keine Außenentwicklungsfläche!" Deswegen habe die SPD-Fraktion beantragt, diese Fläche in die Liste hineinzunehmen. Wenn StRin Schiener nun sage, sie wolle die Nr. 14 nur ohne die landwirtschaftlichen Flächen am Rande, so möge sie ehrlich sein und beantragen, die Fläche 14 zu streichen, weil diese nun mal aus "Handtuchflächen" am Siedlungsrand bestehe. Man rede in diesem Fall über rund 3 bis 4, vielleicht auch 5 ha landwirtschaftliche Flächen. Dies seien rund 0,1 % aller landwirtschaftlichen Flächen in Stuttgart. Man könne den dort wirtschaftenden Bäuerinnen und Bauern ein Alternativangebot auf Stuttgarter Markung machen, weil beschlossen wurde, Flächen, die von auswärtigen Landwirten genutzt werden, zu kündigen, so dass er diese Arrondierung für vertretbar halte.

Bei der Frage, was ist notwendig, damit die Potenziale gehoben werden können, sollte man aus seiner Sicht redlich bleiben: "Sind wir jetzt der Meinung, dass viele neue Wohnungen in Stuttgart erforderlich und wünschenswert sind oder nicht?" Er glaube, dass diese Frage weder hier im Raum noch in der Stadtgesellschaft wirklich geklärt ist. Nach seinem Eindruck wollen ganz viele das eigentlich gar nicht. Der Wohnungsneubau hänge damit zusammen und müsse in der Stadtverwaltung von der Spitze her mehr Gewicht bekommen. "Wir wünschen uns von Ihnen - Sie haben im Wahlkampf gesagt, 2.000 neue Wohnungen pro Jahr, wir sind jetzt bei 1.400, vorletztes Jahr bei 1.000 -, dass Sie dieses Ziel ernst nehmen!" Wie StR Vetter sei auch er dafür, die Organisationsstrukturen der Stadtverwaltung in diesem Bereich auf neue Beine zu stellen, weil es so, wie es heute läuft, nicht gehen kann. "Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, der Wohnungsneubau muss Teil der Lösung auf dem Wohnungsmarkt sein, damit sich Menschen mit geringeren Einkommen und auch mit normalen Einkommen in Stuttgart wieder eine Miet- oder im Übrigen auch eine Eigentumswohnung wieder leisten können. Und daran müssen wir arbeiten. Heute machen wir einen ersten Schritt dahin. Wir stimmen der Vorlage mit der Ergänzung aus dem STA gerne zu."

OB Dr. Nopper versichert, er nehme die Zahl von durchschnittlich jährlich 2.000 zusätzlichen Wohnungen sehr ernst.

StR Neumann (FDP) geht zunächst ebenfalls ein auf die Methodik der Vorlage und das weitere Vorgehen. Dieses beinhalte fünf Stufen. Die erste Stufe sei die Einbindung der Bezirke, Stufe zwei sei Öffentlichkeitsarbeit und bürgerschaftlicher Dialog, wo die Fachverwaltung ein Team zusammenstellt mit Kommunikationsexperten, um konstruktiv über solche Potenziale mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen. Die dritte Stufe sei die Entwicklung ganzheitlicher Konzeption, Stufe vier Aktivierung und Beratung von Eigentümerinnen und Eigentümern und die fünfte Stufe sei die Umsetzung konkreter Projekte. Man habe also mit der Potenzialanalyse für rund 18.000 potenziellen Wohneinheiten erstmal nur einen Lösungsraum vorgeschlagen. Dieser Lösungsraum müsse erst noch abgearbeitet werden. Wenn man jetzt aber schon Stufe null einschieben wollte und anfangen würde, einzelne Flächen herauszuziehen, dann nähme man die Stufen 1 bis 5 einfach vorneweg. Dazu gehöre auch die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. "Und Sie wissen ganz genau, dass wir ein massives Problem haben bei solchen Diskussionen mit sogenannten 'nimbys' - not in my backyard. Diese Diskussionen führen wir ständig. Und ich sage Ihnen auch eines: Ein nimby ist nicht nur ein Anwohner, der in seiner direkten Nachbarschaft keine Bebauung haben möchte, sondern ein nimby ist im Zweifel auch ein Betreuungsstadtrat, der in seinem Bezirk keine Bebauung haben möchte!" Nach seiner Überzeugung ist es nicht der richtige Zeitpunkt, schon jetzt mit den Säbeln zu rasseln und über konkrete Grundstücke zu diskutieren, sondern an der Zeit, "dass wir uns als Gemeinderäte kurz mal zurückhalten, auf Pause schalten und genau diese Stufen durchlaufen lassen und warten, was dabei herauskommt und dann wieder in die Diskussion einsteigen".

StR Schrade (FW) erklärt, seine persönliche Skepsis zu Beginn der Beratungen über die GRDrs 34/2021 in der Frage, ob dieses Werk bei der Schaffung von Wohnraum wirklich helfen kann, sei inzwischen gewichen. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre hätten die Freien Wähler gelehrt, dass Potenziale für den dringend benötigten Wohnungsbau längst nicht in dem Maße aufgegriffen und in Angriff genommen wurden, wie dies aus ihrer Sicht erforderlich gewesen wäre. So habe ihr verstorbener Fraktionsvorsitzende Jürgen Zeeb jahrelang potenzielle Wohnbauflächen im Stadtgebiet ausfindig gemacht und in zahlreichen fraktionsübergreifenden Anträgen der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat für eine Bebauung oder zumindest zur genaueren Prüfung vorgeschlagen. Ziel und Ansatz waren ihm dabei, wo möglich und sinnvoll Nachverdichtungen und Arrondierungen in einem verträglichen Maß und mit einem möglichst hohen Tempo und dem gebotenen Nachdruck umzusetzen. Jedoch hatte Jürgen Zeeb nach vielen vergeblichen Versuchen den Eindruck, dass es der damaligen Stadtspitze, der Verwaltung und Teilen des Gemeinderates am nötigen Willen fehlte, in die Umsetzung zu kommen, so StR Schrade.

Wenn nun mit der Potenzialanalyse Wohnen der Wille, in die Umsetzung zu kommen, befördert, vielleicht sogar beflügelt wird, wäre dies ein großer Schritt in die richtige Richtung. Man wolle und müsse die aufgezeigten Potenziale strukturiert angehen und entwickeln - übrigens auch dann entwickeln und die Flächen zur Bebauung vorbereiten, wenn die Einwohnerzahl Stuttgarts sinken und der Druck auf den Wohnungsmarkt nachlassen sollte. Dies sei heute relativ unwahrscheinlich, da die Einwohnerzahl Stuttgarts entgegen der Vorhersagen in Bezug auf den demografischen Wandel nicht gesunken, sondern gestiegen sei. Eine solche Entwicklung könnte sich wiederholen, weshalb man darauf vorbereitet sein sollte. Zudem sehe man an Beispielen wie dem NeckarPark in Bad Cannstatt, Langenäcker Wiesert in Stammheim oder dem Gebiet Schafhaus sowie der Mittleren Wohlfahrt in Mühlhausen, wie lange die Entwicklung von Wohnbauflächen dauert. Der wahrscheinlich größte Fehler in der Stuttgarter Wohnungsbaupolitik sei von der damals neuen ökosozialen Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat begangen worden, die kurz nach der Kommunalwahl 2009 handstreichartig zehn Wohngebiete mit rund 5.000 Wohneinheiten strich und damit das Zeichen aussandte, es brauche keine neuen Wohnungen in Stuttgart und schon gar keine neuen Wohnbauflächen.

Das jetzt vorliegende Werk dürfe deshalb keinesfalls zu einem Instrument und zur Begründung gegen partielle Eingriffe in Außenbereiche und ggfs. auch Landschaftsschutzgebiete gemacht werden. Solche Eingriffe können aus Sicht der Freien Wähler insbesondere auch dann sinnvoll sein, wenn es um pflegenahes Wohnen, Pflegewohngemeinschaften und Pflegeheime geht. In diesem Bereich sei der Nachholbedarf mit über 2.000 Plätzen immens. Ein Mehr an Wohnungen und Einwohnern werde zudem ein Mehr an Infrastruktur nach sich ziehen. Es gehe dabei um Flächen für Kitas, Schulen, Stadtteilhäuser, um Bau- oder Betriebshöfe der städtischen Ämter, Eigenbetriebe und Tochterunternehmen. Man sei sich bewusst, dass es bei der Nachverdichtung und bei der Bebauung bisher unbebauter Flächen zu Widerstand in der Bevölkerung kommen kann, Umso wichtiger sei es, die Bevölkerung mitzunehmen und die einzelnen Schritte und Entwicklungen transparent zu machen. Die Bezirksbeiräte einzubinden und auf deren Unterstützung zu setzen, sei deshalb von großer Bedeutung - auch wenn es hin und wieder so sein dürfte, dass sich die Räte nicht auf die Seite des Gemeinwohls stellen, sondern auf die Seite örtlicher Partikularinteressen.

Obwohl es einige Mühe machen werde, die in der Analyse aufgezeigten Potenziale zu heben, könne sich die Verwaltung der Unterstützung durch die Freie Wähler-Gemeinderatsfraktion sicher sein. Man hoffe, dass beim weiteren Vorgehen klare Prioritäten gesetzt und eingehalten werden können, um eine strukturierte und konsequente Abarbeitung und Entwicklung der einzelnen Gebiete zu erreichen. Dabei folge man gerne der von der Verwaltung vorgelegten Vorschlagsliste einschließlich des Gebiets Schwellenäcker im Stadtbezirk Sillenbuch. Für die Ausarbeitung der Potenzialanalyse Wohnen danken die Freien Wähler allen, die daran mitgewirkt haben, sehr herzlich.

StR Goller (AfD) schließt sich dem Fazit seiner beiden Vorredner, die eine hervorragende Zusammenfassung gemacht hätten, an. Die Zahlen in der Analyse besagen eindeutig, dass 89 % der Potenziale sich auf bereits bebauten Flächen befinden, nur 11 % auf nicht bebauten Flächen, davon Freifläche, Brachland und auch Ackerland als Arrondierungsfläche. Mit Blick auf den Wortbeitrag von StRin Schiener, wo von Naturschutzgebieten, von Wald, Naherholungsgebieten, Biodiversität, wertvollem Ackerboden und sogar Klimarettung die Rede war, stellt er klar, es gehe um nichts davon. Es gehe hier um wenige Projekte, für die einige wenige Handtuchfelder, zum Teil nur halbe Handtuchfelder nötig seien, um als wahrhaftige Arrondierung des Gebiets eine sinnvolle, effektive, effiziente - und dies sei auch ökologisch - Bebauung zu ermöglichen. Seine Fraktion sei für eine Lösung, um der Wohnungsnot zu begegnen. Selbstverständlich sei man auch dafür, an dieser Stelle des Prozesses nicht Denk- und Bauverbote einzubauen, die jeder Grundlage entbehren.

StRin Köngeter (PULS) wendet ein, man stehe nicht nur vor einer existenziellen Wohnungsnot, sondern befinde sich außerdem mitten in einem existenzbedrohenden Klimawandel. Insofern finde sie es nicht richtig, zu schimpfen, wenn einzelne Fraktionen sich jede einzelne Fläche anschauen und abwägen. Dies gehöre nach ihrem Verständnis zu den Aufgaben von Stadträten und Stadträtinnen. Die Vorlage biete eine Entscheidungsgrundlage, nehme aber nicht die politische Entscheidung vorweg. Dass man bei anderen Flächen für Wohnungsbau nicht vorankommt, oder, wie im STA vorgeschlagen, man den betroffenen Stuttgarter Landwirtinnen und Landwirten Alternativen an Flächen anbieten kann, solle nicht dazu führen, Überzeugungen über Bord zu werfen, was das Verlangsamen oder den Umgang mit dem Klimawandel angehen. Es sollte vielmehr dazu führen, "dass wir bei den Flächen, die schon umgesetzt werden können, Fahrt aufnehmen, sodass wir die Flächen, die kritischer zu betrachten sind, vielleicht gar nicht brauchen."

Aus Sicht ihrer Fraktionsgemeinschaft sollten die Schwellenäcker rausgenommen werden, denn sie gehören, was die Vorgabe bzw. die Beurteilungskriterien dieser Flächen angeht, nicht in die Potenzialanalyse hinein, da für die Schwellenäcker bereits an einer Planung gearbeitet werde. Deshalb schließe man sich dem mündlichen Antrag von StR Rockenbauch an. Unabhängig von der Abstimmung über diesen Antrag werde man der kompletten Potenzialanalyse Wohnen heute zustimmen.

StR Rockenbauch unterstreicht nachdrücklich: "Klima- und Bodenschutz sind keine Partikularinteressen, sie sind notwendig, ja überlebensnotwendig und das lässt sich auch nicht dadurch diskreditieren, dass man dann mit dem Argument kommt und sagt, da gibt es dann Leute, die sich dagegen wehren." Er wendet sich an StR Körner und betont, Wohnraum zu schaffen heiße nicht bauen. Eine wichtige Differenzierung sei es, aktive Bodenvorratspolitik zu betreiben, denn die Frage des Eigentums am Boden sei entscheidend, wenn es um den bezahlbaren Wohnraum geht. Die FrAKTION unterscheide zwischen dem reinen Schaffen möglichst vieler Wohneinheiten und bezahlbarem Wohnraum in auskömmlichem Maß für die Bürgerinnen und Bürger. Darum müsse es im Allgemeinwohlinteresse gehen und deswegen sei die Konzentration auf das Schaffen und auf das Eigentum und auf den bezahlbaren Wohnraum so zentral wichtig. Denn dadurch werde man deutlich weniger Wohneinheiten gemeinsam heben müssen.

Dieses Heben sei wirklich wichtig. Seine Fraktion mache seit Jahren dazu Vorschläge im Rat. Man habe beispielsweise im Januar zum kleinen Stellenplan beantragt, jetzt schon Stellen zu schaffen zur Realisierung und Hebung von Potenzialen in der Innenentwicklung laut der Potenzialanalyse Wohnen, um keine Zeit zu verlieren bis zum nächsten regulären Stellenplan. Auch rede er seit Jahren über neue Organisationsformen in der Verwaltung und habe die Verwaltung auch jetzt unterstützt in ihrem Vorschlag, Stellen zu schaffen um in der Aktivierung der Bodenpotenziale voranzukommen. Dies reiche jedoch nicht. Es brauche nicht nur eine Aktivierung und Ansprache der Eigentümer*innen, sondern es brauche hinterher auch neue Prozesse und personelle Ressourcen, um Flächen in einer Qualität zu entwickeln, die nicht nur Wohnraum schafft, sondern die auch klimarelevant, klimaanpassungsmäßig die doppelte Innenentwicklung ist, weil sie Vorteile für die bereits dort heute schon lebenden Menschen bringt. Seit Jahren kämpfe man für eine starke und leistungsfähige Verwaltung, die sich modern organisiert und auch mal Projektarbeit macht. Jedoch sei man der Meinung, es braucht dazu keine Projektgesellschaft, die sich finanziert über den Kauf von Boden, sondern eine, die sich finanziert durch die Stellenschaffungen bei der Landeshauptstadt Stuttgart und die das im Allgemeinwohlinteresse finanziert und nicht durch Bodenverkauf, aber modern organisiert ist, wie so eine IBA-Gesellschaft. Seinen Antrag, darüber abstimmen zu lassen, die Schwellenäcker von der Prioritätsliste wieder zu streichen, hält er aufrecht.

Auf Bitte des Vorsitzenden nimmt BM Pätzold zur Frage Stellung, welche Auswirkung es hat, wenn die Schwellenäcker in die Prioritätenliste aufgenommen bleiben: Der STA habe dies explizit beschlossen, jedoch seien die Schwellenäcker schon in der Untersuchung durch den Beschluss zur GRDRs 543/2020, mit der die Verwaltung ermächtigt wurde, das Vergabeverfahren für die Erstellung des Konzepts zur städtebaulich-freiräumlich-verkehrstechnischen Entwicklung für den Bereich Schwellenäcker durchzuführen. Die Aufnahme der Schwellenäcker in die Vorschlagsliste der Potenzialanalyse Wohnen sei quasi eine Bestätigung dieses Beschlusses. Es habe aber keine Auswirkungen, weil man de facto dabei sei, den Beschluss aus der GRDrs 543/2020 in die Umsetzung zu bringen.

Anschließend stellt OB Dr. Nopper zunächst die GRDrs 34/2021 in den Beschlussantragsziffern 1, 3 und 4 zur Abstimmung. Er stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt einstimmig wie beantragt.

Er stellt anschließend den mündlich von StR Rockenbauch gestellten Antrag auf Streichung des Gebiets Schwellenäcker (S-Heumaden) aus der Vorschlagsliste der Potenzialanalyse Wohnen (GRDrs 34/2021 in der Fassung des STA vom 29.06.2021, NNr. 196) zur Abstimmung und stellt fest, dass dieser Antrag bei 24 Ja-Stimmen und 32 Nein-Stimmen (0 Enthaltungen) mehrheitlich abgelehnt ist.

Abschließend stellt er die Beschlussantragsziffer 2 in der Fassung des STA vom 29.06.2021 (einschließlich des Gebiets Schwellenäcker) zur Abstimmung und stellt fest:

Der Gemeinderat beschließt einstimmig wie beantragt (1 Enthaltung).
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