Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Soziales und gesellschaftliche Integration
Gz: SI
GRDrs 222/2021
Stuttgart,
04/14/2021



Verlängerung der Erprobungsphase des Fachdienst Pflege im Bürgerservice Leben im Alter im Sozialamt für eine einheitliche und standardisierte Bedarfsfeststellung der Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff SGB XII



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Sozial- und Gesundheitsausschuss
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
öffentlich
26.04.2021
05.05.2021
06.05.2021



Beschlußantrag:

1. Das Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart wird vom Gemeinderat beauftragt, die Erprobungsphase des Fachdienst Pflege für den Zeitraum vom 01.11.2021 bis 31.12.2023 zu verlängern.

2. Vom zusätzlichen Personalbedarf beim Sozialamt für die Verlängerung der Erprobungsphase des Fachdienstes Pflege für den Zeitraum vom 01.11.2021 bis zum 31.12.2023 im Umfang von bis zu 52 Monaten einer Vollzeitkraft in der Entgeltgruppe S 12 TVöD wird Kenntnis genommen. Die Verwaltung wird ermächtigt, außerhalb des Stellenplans, während der Verlängerung der Erprobungsphase weiterhin Personal im Sozialamt in der Entgeltgruppe S 12 TVöD im Umfang von bis zu 52 Monaten unbefristet einzustellen.



Begründung:


Ausgangslage

Um die bedarfsgerechte Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf sicherzustellen, besteht nach entsprechender Bedürftigkeitsprüfung ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Pflege nach § 61 ff. SGB XII. In der Landeshauptstadt Stuttgart erhielten zum Stichtag 31.12.2020 insgesamt 513 Leistungsempfänger*innen Hilfe zur Pflege außerhalb von Einrichtungen in Höhe von 11,78 Mio. EUR.

Wenn Stuttgarter Bürger*innen pflegebedürftig werden und zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung Leistungen nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) beantragen, gehört es zu den Aufgaben des Sozialamts, den tatsächlichen Bedarf an notwendigen pflegerischen Leistungen festzustellen bzw. zu überprüfen.

In den letzten Jahren sind durch die Pflegestärkungsgesetze I – III die Anforderungen an eine solche Bedarfsfeststellung stetig komplexer geworden, so dass das Sozialamt das bisherige Verfahren überprüft hat.

Bis 2019 wurden die für den jeweiligen Personenkreis zuständigen sozialen Dienste (insbes. der Bürgerservice Leben im Alter des Sozialamts, die Gerontopsychiatrischen Dienste der freien Träger oder der Sozialdienst für Menschen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung des Gesundheitsamts) beauftragt, den tatsächlichen Hilfebedarf im Rahmen eines Hausbesuches zu ermitteln. Diese Aufgabe wurde von über
50 Mitarbeiter*innen von unterschiedlichen sozialen Diensten wahrgenommen, so
dass keine einheitliche Vorgehensweise bei der Bedarfsfeststellung sichergestellt werden konnte.

Darüber hinaus bestand insbesondere das Problem, dass die Träger dieser sozialen Dienste zum Teil gleichzeitig Anbieter der festgestellten pflegerischen Leistungen waren.

Im Rahmen des Organisationsentwicklungsprozesses beim Bürgerservice Leben im Alter (GRDrs 180/2019 „Organisationsentwicklung beim Bürgerservice Leben im Alter“) wurde die Erprobung eines Fachdienst Pflege befristet auf zwei Jahre beschlossen.

Das Sozialamt wurde vom Gemeinderat ermächtigt, befristet auf zwei Jahre, außerhalb des Stellenplans Personal im Umfang von 2,00 VZK in EG S 12 TVöD für die Zeit vom 01.04.2019 bis zum 31.03.2021 unbefristet einzustellen. Da die Ermächtigungen zum 01.04.2019 noch nicht besetzt werden konnten, wurden die Ermächtigungen für die Erprobungsphase auf den Zeitraum 01.11.2019 bis 31.10.2021 verschoben. Weitere 1,6 Stellenanteile sollten von den Stadtteilbüros des Bürgerservice Leben im Alter generiert werden, so dass der Fachdienst Pflege über ein Stellendeputat in Höhe von 3,6 Vollzeitkräften (VZK) verfügt.


Ziele des Fachdienst Pflege

Zur Gewährleistung einer einheitlichen und neutralen Bedarfsfeststellung nach stadtweit gültigen Beurteilungsstandards soll ein Fachdienst Pflege beim Bürgerservice Leben im Alter eingerichtet und erprobt werden, welcher die Bedarfsfeststellung im Bereich der „Hilfe zur Pflege“ stadtweit und nach einheitlichen Standards erbringen soll.

Zusätzlich zur angestrebten Standardisierung soll die Einrichtung des Fachdienst Pflege zu einer Professionalisierung der Bedarfsfeststellungen beitragen. Mit entsprechend qualifiziertem Personal soll der Fachdienst Pflege in die Lage versetzt werden, die Leistungen der Pflegedienste neutral und professionell zu beurteilen. Neben Effizienzgewinnen wird mit Kosteneinsparungen gerechnet.

Die Auftragserteilung an den Fachdienst Pflege erfolgt ausschließlich durch die Abteilungen Sozialleistungen (50-2) und Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung – Eingliederungshilfe (50-7).

Grundlagen der Bedarfsfeststellung sind das MDK-Gutachten der pflegebedürftigen Person und, falls vorhanden, ein Kostenvoranschlag eines beauftragten Pflegedienstes, Hausbesuche bei den Klient*innen sowie, bei Bedarf, Gespräche mit Angehörigen und dem beauftragten Pflegedienst.


Aufbau des Fachdienst Pflege

Nach dem Beschluss des Gemeinderates wurde zeitnah bereits im April 2020 mit dem Stellenbesetzungsverfahren begonnen. Zum 01.11.2019 und zum 01.12.2019 konnten die ersten beiden Mitarbeiterinnen ihren Dienst mit einem Stellenumfang in Höhe von 1,6 einer Vollzeitkraft (VZK) aufnehmen, nachdem entsprechende Büroräume zur Verfügung standen. Zwei weitere Mitarbeiterinnen traten ihren Dienst zum 01.04.2020 mit einem Stellenumfang in Höhe von 2,0 VZK an.

Die Mitarbeiterinnen im Fachdienst Pflege verfügen über folgende Qualifikationen:
In der Zeit von November 2019 bis März 2020 wurde, neben der Einarbeitung der neuen Mitarbeiterinnen, die angestrebte Konzeption des Fachdienst Pflege konkretisiert und die ersten Beurteilungsstandards und Arbeitshilfen für die zukünftige Aufgabe wurden entwickelt. Zugleich erfolgten Hospitationen in den Stadtteilbüros des Bürgerservice Leben im Alter (50-42), um die bisherige Vorgehensweise bei der Bedarfsfeststellung kennenzulernen. Hospitationen im Sozialdienst für Menschen mit chronischer Erkrankung und Behinderung des Gesundheitsamtes (53-3.2) sowie bei den Gerontopsychiatrischen Beratungsstellen (GerBera) konnten aufgrund der Kontaktbeschränkungen noch nicht durchgeführt werden. Der fachliche Austausch mit diesen Diensten erfolgte zum größten Teil in Telefonkonferenzen.

Ab März 2020 begann der Fachdienst Pflege mit der teilweisen Übernahme der Bedarfsfeststellungen des Bürgerservice Leben im Alter und ab Mitte Mai 2020 mit der teilweisen Übernahme der bisherigen Bedarfsfeststellungen des Sozialdienstes für Menschen mit chronischer Erkrankung und Behinderung. Seit dem 1. August 2020 übernimmt der Fachdienst Pflege die Bedarfsfeststellungen aller Dienste. Mit allen Beteiligten wurden Informations- und Kooperationsgespräche geführt.


Verzögerung durch die Corona-Pandemie

Der Start des Fachdienst Pflege fiel direkt mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammen, was das Fallaufkommen und die Themenschwerpunkte stark beeinflusst hat. Aufgrund des eingeführten Sozialschutzpakets gem. Artikel 5, § 141 SGB XII (vereinfachtes Verfahren bei der Weiterbewilligung von Sozialhilfeleistungen) vom 23.03.2020 wurde der Fachdienst Pflege bis zum Ende des Jahres 2020 nur bei komplexen Anträgen und Neuklient*innen beauftragt. Die Durchführung von Hausbesuchen, die einen wesentlichen Qualitätsstandard des Fachdienst Pflege ausmachen, konnten nur bei einzelnen, komplexen Bedarfsfeststellungsverfahren durchgeführt werden. 80 - 90 % der Stellungnahmen erfolgten nach Aktenlage und telefonischen Gesprächen zur Exploration des Versorgungsbedarfs.

Weiterhin unterstützten die Mitarbeiterinnen bereits ab März 2020 bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie durch die Mitarbeit im Personalpool Pandemie des Gesundheitsamtes und bei der Covid-19-Informationshotline des Bürgerservice Leben im Alter.

Trotz der erschwerten Rahmenbedingungen zeigen erste Erfahrungen, dass die Zielsetzung einer stadtweit einheitlichen und professionalisierten Bedarfsfeststellung
voraussichtlich erreicht werden können. Tendenziell zeigt sich auch, dass die einheitliche, standardisierte Bedarfsfeststellung und zugleich die pflegefachlichen Empfehlungen hinsichtlich des Einsatzes von Pflegehilfsmitteln durch die Mitarbeiterinnen des Fachdienst Pflege zu einer Kostensenkung im Bereich der Hilfe zur Pflege führen können.



Bisherige Umsetzung, Verlauf und Erfahrungen

Im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 erhielten in der Landeshauptstadt Stuttgart insgesamt 513 Leistungsbezieher*innen Hilfe zur Pflege gem. § 61 ff SGB XII. Davon hat der Fachdienst Pflege im Zuge der sukzessiven Übernahme seiner Aufgaben 162 Anfragen bearbeitet. Davon erfolgte die Bearbeitung in 68 Fällen in Form einer Plausibilitätsprüfung aufgrund fehlender aktueller MDK-Gutachten, in 76 Fällen mit einer vollumfänglichen Bedarfsfeststellung nach telefonischer Abklärung. Hausbesuche konnten während der bisherigen Erprobungsphase aufgrund der Covid-19-Pandemie nur in 18 dringenden und sehr komplexen Fällen durchgeführt werden.

Bei einem bestehenden Kontakt der Pflegebedürftigen mit einem Sozialdienst erfolgte im Rahmen der Bedarfsfeststellung in der Regel ein Austausch mit den Sozialarbeiter*innen des jeweiligen Dienstes. In Einzelfällen wurden Hausbesuche gemeinsam durchgeführt.

Durch die professionalisierte Bedarfsfeststellung in den Bereichen Hauswirtschaftliche Leistungen, Unterstützung bei der Körperpflege sowie Betreuungsleistungen sind fundierte Einblicke in die Versorgungssituation der Betroffenen möglich. Durch die Professionalisierung des Fachdienst Pflege findet die pflegefachliche Perspektive und die pflegefachliche Beratung der Klient*innen hinsichtlich des sozialen Umfelds, dem Einsatz von Pflegehilfsmitteln und dem Wohnumfeld eine stärkere Berücksichtigung. Die Mitarbeiterinnen erkennen Pflegerisiken und können prophylaktische Maßnahmen empfehlen und initiieren. Auf dieser Grundlage kann die Hilfe passgenauer eingeschätzt und geplant werden.

Die folgenden Zahlen geben einen ersten Einblick in die Versorgungssituation der Antragsteller*innen, die im oben genannten Zeitraum vom Fachdienst Pflege begutachtet wurden. Da sich die Stichprobe aus den o. g. Umständen ergeben hat, sind die Ergebnisse nicht repräsentativ und können nur erste Anhaltspunkte für mögliche zukünftige Ergebnisse der Erprobung des Fachdienst Pflege sein.

· Die Mehrheit der Begutachteten (52 %) hat in allen drei Bereichen (Hauswirtschaft, Körperpflege, Betreuung) einen Hilfebedarf.
· 83 % der erstellten Bedarfsfeststellungen erfolgten für Menschen in der Altersgruppe der über 65-jährigen hilfsbedürftigen Menschen, 16 % der Bedarfsfeststellung erfolgten in der Altersgruppe der unter 65-Jährigen.
· Der Anteil der Frauen überwiegt mit einem prozentualen Anteil von 65 %.
· 82 % der Personen leben allein.


Von den 162 Fällen war bei 94 Fällen eine Plausibilitätsprüfung nicht ausreichend, so dass diese Fälle trotz des Sozialschutzpakets gem. Artikel 5, § 141 SGB XII auch in Corona-Zeiten einer umfänglichen Bedarfsfeststellung durch den Fachdienst Pflege bedurften. Aus dieser Fallbearbeitung konnten erste Hinweise in Bezug auf Kostensenkungspotential durch den Fachdienst Pflege abgeleitet werden.

Durch die differenzierte Betrachtung dieser 94 Fälle durch den Fachdienst Pflege kam es zu einer Vermeidung von zu erwartenden Kosten in Höhe von 233,00 EUR monatlich pro Person. Sie begründen sich durch den Unterschied zwischen den von den Pflegediensten ermittelten Kosten im Rahmen ihres Kostenvoranschlags und den Kosten des vom Fachdienst Pflege festgestellten Hilfebedarfs.

Die folgende Tabelle zeigt die Differenz zwischen den von den Pflegediensten erstellten Kostenvoranschlägen und den vom Fachdienst Pflege empfohlenen Leistungen in diesen 94 Fällen.




Interne Berechnung des Fachdienst Pflege


An diesem Berechnungsbeispiel wird bereits deutlich, dass die differenzierte und professionelle Betrachtung der Fälle durch den Fachdienst Pflege zu Kostensenkungen im Bereich der Hilfe zur Pflege führen kann. Hintergrund ist die einheitliche, standardisierte Bedarfsfeststellung in Verbindung mit den pflegefachlichen Empfehlungen hinsichtlich des Einsatzes von Pflegehilfsmitteln durch die Mitarbeiterinnen des Fachdienst Pflege, die zu einer Kostensenkung bei gleichzeitiger Versorgungssicherung führen können.

Es bedarf jedoch einer weiteren Zeit der Erprobung, damit diese Tendenz nachhaltig verifiziert werden kann. Auch bleibt abzuwarten, ob sich diese Tendenz bei der zukünftigen Begutachtung aller Fälle außerhalb der Pandemie verfestigt.



Fazit

Trotz der erschwerten Rahmenbedingungen deuten die ersten Erfahrungen darauf hin, dass die Zielsetzung einer stadtweit einheitlichen und professionalisierten Bedarfsfeststellung voraussichtlich erreicht werden können. Um diese ersten Eindrücke in realen Alltagssituationen und Prozessabläufen sicher verifizieren zu können, muss die Erprobungsphase bis zum 31.12.2023 zu verlängert werden.


Finanzielle Auswirkungen

Durch die Schaffung der Ermächtigungen in Entgeltgruppe S 12 TVöD im Umfang von bis zu 52 Monaten einer Vollzeitkraft im Zeitraum vom 01.11.2021 bis 31.12.2023 entstehen Personalkosten in Höhe von insgesamt 301.600 € (23.200 € im Jahr 2021, 139.200 € im Jahr 2022 und 139.200 € im Jahr 2023).



Beteiligte Stellen

Das Referat AKR und das Referat WFB haben die Vorlage mitgezeichnet.

Vorliegende Anträge/Anfragen

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Erledigte Anträge/Anfragen

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Dr. Alexandra Sußmann
Bürgermeisterin


Anlagen

1. Stellungnahme des Personalrats Sozialamt vom 17.03.2021

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