Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
401
8
VerhandlungDrucksache:
607/2012
GZ:
SJG
Sitzungstermin: 21.11.2012
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Wölfle
Berichterstattung:BMin Fezer
Protokollführung: Herr Häbe fr
Betreff: 32. Stuttgarter Flüchtlingsbericht

Vorgang:

Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 22.10.2012, öffentlich, Nr. 99
Verwaltungsausschuss vom 24.10.2012, öffentlich, Nr. 330
jeweiliges Ergebnis: Ziffern 3 und 4 einstimmig beschlossen (Ziffern 1 und 2 nicht zur Abstimmung gestellt)

Sozial- und Gesundheitsausschuss vom 19.11.2012, öffentlich, Nr. 131
Ergebnis: - Kenntnisnahme der Beschlussantragsziffer 1

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Soziales, Jugend und Gesundheit vom 12.10.2012, GRDrs 607/2012, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Von dem 32. Stuttgarter Flüchtlingsbericht - s. Anlage - wird Kenntnis genommen.

2. Entsprechend den neu gefassten "Vorläufigen Anwendungshinweisen des Integrationsministeriums (Baden-Württemberg) zur Durchführung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes" werden in der Landeshauptstadt Stuttgart Grundleistungen wie Lebensmittel und Kleidung für Asylbewerber und Flüchtlinge - mit Ausnahme der Unterkunft und damit zusammenhängender Leistungen
(z. B. Heizung, Strom, Wasser) - ab 01.01.2013 in Form von Geldleistungen und nicht mehr in Form von Sachleistungen (Wertgutscheinen) gewährt.


3. Vom zusätzlichen Personalbedarf beim Sozialamt im Flüchtlingsbereich wird Kenntnis genommen. Aufgrund des vom Gemeinderat anerkannten Stellenschlüssels (1:90) im Flüchtlingsbereich ist der Wegfall des KW-Vermerks 01/2013 an der Planstelle Nr. 500 0102 120 in EG 6 TVöD erforderlich. Zusätzlich entsteht aufgrund der Zunahme der Flüchtlingszahlen ein weiterer Bedarf von 2,7 Stellen in A 10 für den Flüchtlingsbereich. Die neu zu schaffenden 2,7 Stellen werden zunächst mit KW-Vermerk 01/2015 versehen. Die Besetzung der Stellen soll sukzessive nach tatsächlicher Entwicklung der Fallzahlen erfolgen. Die Entscheidung über die Stellenschaffungen ist im Vorgriff auf den Stellenplan 2014 zu treffen. 4. Von den entstehenden Mehraufwendungen in der Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 zu den Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Höhe von 1.284.000 EUR im Jahr 2012 und 926.000 EUR im Jahr 2013 wird Kenntnis genommen. Die erforderlichen Mittel werden überplanmäßig für den Teilhaushalt 500 - Sozialamt, Amtsbereich 5003130 - Hilfen für Flüchtlinge, Kontengruppe 433310 - Soziale Leistungen, bewilligt und durch Sperrung von Mitteln der Deckungsreserve gedeckt.


Auf das Ergebnis der Vorberatung weist BMin Fezer einführend hin (siehe Rubrik Vorgang).

Die von StR Stopper (90/GRÜNE) angesprochene Mail von Herrn Tattermusch, Amtsleiter des Sozialamts, zum Antrag Nr. 380/2012 ist diesem Protokoll beigefügt.

Analog der Beratung im Sozial- und Gesundheitsausschuss am 19.11.2012 kündigt StRin Prof. Dr. Loos (CDU) die Ablehnung der Beschlussantragsziffer 2 durch ihre Fraktion an. Es werde als nicht vertretbar angesehen, Asylbewerbern Sachleistungen in Geld auszubezahlen. Insbesondere für unbegleitete minderjährige Personen würde dies einen weiteren Grund darstellen, Stuttgart als Ziel auszuwählen; dieser Personenkreis unterliege nicht dem Verteilungsverfahren für Asylbewerber. Viele seien unerlaubt eingereist.

Bei Asylbewerbern werde es von der CDU-Gemeinderatsfraktion nicht als gerechtfertigt angesehen, diese mit Hartz-IV-Empfängern sofort gleichzustellen. Die Gleichstellung sollte erst nach einem Jahr erfolgen.

Zustimmend zur Vorlage äußert sich StR Kanzleiter (SPD). Auch StRin von Stein (FW) signalisiert Zustimmung. Dabei erklärt diese Stadträtin, ihrer Fraktion sei es wichtig, dass die Verwaltung den Gemeinderat laufend über die Entwicklung informiert. Sollte es tatsächlich zutreffend sein, dass sich bei unbegleiteten minderjährigen Personen ein überdurchschnittlicher Zuzug nach Stuttgart ergibt, müsste ggf. nachjustiert werden. Ebenfalls zustimmend äußert sich StR Rockenbauch (SÖS und LINKE). Seines Erachtens kann nicht davon ausgegangen werden, dass irgendjemand, nur weil er in Stuttgart Geldleistungen erhält, unter Lebensgefahr seine Heimat, seine Familie, verlässt. Stuttgart sollte mit den anderen Kommunen z. B. über den Städtetag Kontakt mit dem Ziel aufnehmen, dass auch andernorts die Lebensbedingungen für diese Menschen so menschenwürdig wie in Stuttgart gestaltet werden.

Danach betont BMin Fezer, grundsätzlich gehe es darum, dass die Landeshauptstadt verpflichtet ist, ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle Menschen, eben auch für legal und illegal eingereiste Asylbewerber, in Stuttgart zu schaffen,. Beim Existenzminimum werde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zwischen dem physischen und dem soziokulturellen Existenzminimum unterschieden. Verkürzt habe das BVG erklärt, dass eine nachvollziehbare und transparente Berechnung anzustellen ist. Dies sei bislang nicht geschehen.

Wenn eine solche Berechnung vorgenommen wird, ergeben sich sowohl beim physischen als auch beim soziokulturellen Existenzminimum bestimmte Beträge. Entsprechend sei die Sozialverwaltung in Bezug auf die Gruppe der "regulären" Flüchtlinge nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz verfahren. Nach dem Ergebnis müssten die Sätze erhöht werden. Dem BVG sei es egal, ob zwischen Sach- und Geldleistungen unterschieden wird, aber das Existenzminimum müsse in beiderlei Hinsicht sichergestellt werden.

Vor diesem Hintergrund hätten die Länder dann erklärt, beim physischen und beim soziokulturellen Existenzminimum müssten Erhöhungen vorgenommen werden. Zudem sei vom Land Baden-Württemberg angemerkt worden, was Sach- und Geldleistungen angehe, werde zwischen den beiden Formen von Existenzminima unterschieden. Was das physische Existenzminimum angeht, so das Land Baden-Württemberg, könnten Sachleistungen gewährt werden und was das soziokulturelle Existenzminimum angeht, könne eine erhöhte Summe nicht durch Sachleistungen oder Gutscheine ersetzt werden, sondern es müsse tatsächlich ein Geldbetrag ausbezahlt werden. Aus dem Schreiben des Ministeriums für Integration des Landes Baden-Württemberg zitiert die Bürgermeisterin: Das heißt, wir müssen hier in diesem Teilbereich Geldleistungen zahlen.

Rechtlich wäre es also korrekt, für das physische Existenzminimum Sachleistungen und für das soziokulturelle Existenzminimum Geldleistungen vorzusehen. Da die Verwaltung dieses jedoch als unpraktisch ansehe werde vorgeschlagen, komplett auf Geldleistungen umzusteigen.

Heute sollte über die unerlaubt eingereisten Personen nach § 1a AsylbLG gesprochen werden. Diese Vorschrift habe auch die Bündnis 90/Die GRÜNEN-Fraktion in ihrem Antrag thematisiert. Hier gehe es nicht um die Minderjährigen. Diese würden nach dem Jugendhilfegesetz versorgt. Minderjährige würden aber erwachsen und wechseln dann in die Leistungen nach dem AsylbLG. Da es sich immer noch um unerlaubt eingereiste Personen handelt, gelte für diese 1a AsylbLG.

Das BVG habe zu diesem Personenkreis (§ 1a) keine Aussagen getroffen. Dies sei aber auch nicht beantragt worden. Zu überprüfen sei jedoch, ob sich das Urteil auf den § 1a auswirkt. Darüber werde derzeit in Deutschland diskutiert. In den Bundesländern würden Erhebungen über die Praxis in den Städten durchgeführt. Auch in Baden-Württemberg gebe es bislang keine einheitliche Haltung. Das für diese Fragestellungen zuständige Ministerium für Integration habe lediglich erklärt, der § 1a sei erst einmal nicht berührt. Dies enthebe die Stadt Stuttgart aber nicht von der Frage "Wie gehen wir künftig im Lichte des Urteils des BVG mit § 1a um?" Im § 1a werde ja ebenfalls zwischen dem physischen und dem soziokulturellen Existenzminimum unterschieden; das in § 1 a genannte Taschengeld diene zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums.

Nach ihrer persönlichen Auffassung kann beim § 1a–Personenkreis mit dem Hinweis darauf, dass es sich um keine unabweisbar gebotenen Leistungen handelt, nicht auf Null gekürzt werden. Sie vertrete vielmehr die Auffassung, dass das BVG-Urteil feststellt, die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums ist eine unabweisbar gebotene Leistung. Dieser Aussage des Gerichts müsse man sich stellen. Die Länder diskutierten mit dem Ziel, eine einheitliche Haltung festzulegen. Die Rechtsmeinung des Regierungspräsidiums Stuttgarts teile offensichtlich ihre Ansicht. Und das Integrationsministerium habe sich bislang wie gesagt sehr zurückgehalten.

Im weiteren Verlauf weist BMin Fezer darauf hin, dass bei den unabweisbar gebotenen Leistungen die Verwaltung den vorhandenen Ermessensspielraum von Fall zu Fall ausschöpfte. Daraus ableitend schlägt sie vor, dass die Verwaltung von Fall zu Fall entscheidet, wie bei unerlaubt eingereisten erwachsenen Flüchtlingen das soziokulturelle Existenzminimum sichergestellt werden kann. Es handle sich momentan um 85 Menschen.

Für StR Stopper ist unklar, ob diese 85 Personen derzeit auch die komplette Kürzung erfahren. Er zitiert dabei den dritten Leitsatz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts: 'Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren.' Da dies doch auch für die Kommune gelten müsse, werde im Antrag gefragt, welcher Personenkreis betroffen ist. Sollte man sich in Stuttgart pauschal auf die 85 Personen beziehen, würde aber eine solche Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus vorgenommen.

Das aktuelle Gesetz, so BMin Fezer, sehe eindeutig eine Differenzierung vor. Es werde nicht so verfahren, dass die in Rede stehenden Personen keine soziokulturellen Leistungen erhalten. Zugesagt werde im Lichte des BVG-Urteils, dass künftig jeder Einzelfall noch sensibler und differenzierter betrachtet wird.

Gegen Ende der Aussprache wird einer Bitte von StR Stopper folgend, zum Antrag Nr. 380/2012 der Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion vom 16.11.2012 Übereinkunft erzielt, diesen Antrag im Sozial- und Gesundheitsausschuss abschließend zu erörtern. Insbesondere legt StR Stopper nochmals Wert darauf, dass dort seitens der Verwaltung dargelegt wird, wer in der Praxis von den Taschengeldkürzungen betroffen ist und anhand welcher Abwägung die Kürzung erfolgt. Seine Fraktion gehe davon aus, dass diese Kürzung nicht im Einklang mit der Intention des Bundesverfassungsgerichtes steht.


Diesen Tagesordnungspunkt abschließend wird von BM Wölfle festgestellt:

- Der Verwaltungsausschuss nimmt von der Beschlussantragsziffer 1 Kenntnis.
- Der Verwaltungsausschuss beschließt die Beschussantragsziffer 2 bei 5 Gegenstimmen mehrheitlich.
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