Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
67
2
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 06.03.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Dr. Mayer
Berichterstattung:Herr Dr. Müller (Netze BW)
Protokollführung: Frau Schmidt as
Betreff: "Zwei Gasexplosionen innerhalb eines Jahres
- Stuttgart Netze und Netze BW beantworten Fragen zur Sicherheit"
- Antrag Nr. 13/2024 vom 25.01.2024
(Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei)

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

Die zu diesem Tagesordnungspunkt gezeigte Präsentation ist dem Protokoll als Dateianhang hinterlegt. Aus Datenschutzgründen wird sie nicht im Internet veröffentlicht. Dem Originalprotokoll ist sie in Papierform beigefügt.


Zu Beginn erklärt EBM Dr. Mayer, er sei selbst in Vaihingen vor Ort gewesen, wo sich ihm ein Bild des Schreckens geboten habe. In Kontrast dazu habe es auch ein Bild der Zuversicht gegeben, denn die Hilfsorganisationen hätten hervorragende Arbeit geleistet, wofür er seinen Dank an die Feuerwehr, das THW, die Polizei, die EnBW und die involvierten städtischen Ämter wie das Bezirksamt Vaihingen und das Baurechtsamt u. a. aussprechen wolle. Trotz des tragischen Ereignisses habe es eine strukturierte Hilfsaktion und ein professionelles Krisenmanagement gegeben. Es stelle sich die Frage, wie so etwas passieren könne, und speziell die Koinzidenz zum Ereignis im Stuttgarter Westen vor einem Jahr bereite Sorgen und habe die Frage aufgeworfen, ob möglicherweise strukturelle Probleme beständen. Insofern sei er dankbar für den Antrag und den nun folgenden Bericht.

Herr Dr. Müller (Vorsitzender der Geschäftsführung Netze BW GmbH) berichtet sinngemäß aus der Präsentation. Ergänzende Anmerkungen sind nachfolgend in zusammengefasster Form mit Verweis auf die jeweilige Folie wiedergegeben.

Der Referent betont, er hätte sich gewünscht, seinen ersten Bericht im Gemeinderat unter anderen Voraussetzungen abzugeben. Die im Antrag gestellten Fragen seien die Fragen, die man sich stellen müsse, wenn es zwei schwere Gasunfälle gegeben habe. Die Beantwortung der Fragen sei man den Opfern und den Betroffenen sowie den Gemeinderatsmitgliedern schuldig. Der erste Gasunfall habe sich vor genau einem Jahr ereignet, bei dem es ein Todesopfer gegeben habe und fünf Familien ihr gesamtes Hab und Gut verloren hätten. Der zweite Gasunfall habe sich vor fünf Wochen ereignet, wobei es wie durch ein Wunder nur eine leichtverletzte Person gegeben habe, aber auch hier zwei Familien ihr Zuhause verloren hätten. Er betont, beide Unfälle seien in ihrer Ursache grundverschieden; es gebe keinerlei Zusammenhänge, beispielsweise technischer Art. Anhand Folie 2 greift er zunächst den Unfall in der Köllestraße auf und erklärt, das Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) schreibe einen Abstand von 10 cm zwischen Gas- und Stromleitung vor, wenn sich diese beiden kreuzten. Wenn aus baulichen Gründen dieser Abstand nicht eingehalten werden könne, schreibe das Regelwerk Sicherungsmaßnahmen vor. Auch dies sei in der Köllestraße nicht der Fall gewesen. Ein Kurzschluss auf der Stromleitung habe einen stehenden Lichtbogen verursacht, der dann auf einer Strecke von 10 cm das Gasrohr vollständig verbrannt habe; aus dieser Schadstelle sei dann das Gas ausgetreten. Es sei nicht bekannt, ob dieser Baufehler bei Errichtung der Leitungskreuzung geschehen oder später eingetreten sei, wie konkret das Gas ins Haus gelangte und wie es sich entzündet habe. Dazu müsse der Bericht der Ermittlungsbehörden abgewartet werden. Auf Basis der Pläne seien 14 Stellen identifiziert worden, wo auch Strom- und Gasnetz kreuzend oder in großer Nähe verbaut worden seien; in der Woche nach dem Unglück seien alle Stellen aufgegraben und ohne Befund überprüft worden, das heiße, alle Stellen seien entsprechend dem Regelwerk gebaut worden. Von diesem Ergebnis seien die Anwohner in einer größeren Veranstaltung informiert worden.

Ganz anders gelagert, so Herr Dr. Müller weiter, sei der Unfall vom 17.01.2024 in der Katzenbachstraße in einem Haus, das gar keinen Gasanschluss gehabt habe. Nach bisheriger Einschätzung liege die Ursache in der Korrosion der Gasleitung im Straßenraum, aber auch hier müsse der Bericht der Staatsanwaltschaft abgewartet werden. Durch ein Leck sei Gas ausgetreten, das - ähnlich wie Wasser - sich seinen Weg in das Haus gesucht und zur Explosion geführt habe. Die Gasleitung an dieser Stelle stamme aus dem Jahre 1932; ihm sei wichtig zu betonen, dass der vermeintlich offensichtliche Schluss zwischen Alter und Zustand zu kurz greife. Er wolle daher zunächst den Betrieb des Gasnetzes in Stuttgart erläutern, um danach mitzuteilen, welche Schlussfolgerungen gezogen und Maßnahmen ergriffen worden seien.

Zu Folie 3 führt er aus, das Gasnetz in Stuttgart werde nach dem DVGW-Regelwerk als Branchenstandard bewirtschaftet; dieses Regelwerk werde ständig weiterentwickelt. Es gebe Gremien beim DVGW, die alle Vorkommnisse im deutschen Gasnetz prüften und daraus die Regeln nachschärften. Netze BW sei nicht nur Mitglied in diesen Arbeitsgruppen, sondern schule auch das Regelwerk, "und eigentlich sollte die Einhaltung des Regelwerkes an der Stelle so einen Unfall auch vermeiden". Bei den Baumaßnahmen würden nur präqualifizierte Baufirmen eingesetzt, die die Fachlichkeit nachweisen könnten und im Regelwerk geschult seien. Der Umstand, dass trotz Einhaltung des Regelwerkes Unfälle passiert seien, lasse auch ihn hinterfragen, was wie im Gasnetz getan werde. Eine Herausforderung des Gasnetzes sei, dass die im Boden liegenden Leitungen unterschiedlich alterten (vgl. Folie 4). Er verweist beispielhaft auf die Problematiken bei PVC-Leitungen oder Fehler im Herstellungsprozess. Neben dem Material seien die Beschaffenheit des Bodens sowie Baumaßnahmen ausschlaggebend, denn jede Baumaßnahme in einer Straße sorge für Bewegung und Mechanik und somit für "Stress" für die Leitungen, was wiederum das Altern von Leitungen beschleunige. All diese Themen flössen in die Bewertungen ein, auf deren Basis dann Priorisierungen bei Erneuerungsmaßnahmen für die bestmögliche, sichere Gasversorgung getroffen würden.

Im Schnitt, so Herr Dr. Müller weiter, würden pro Jahr rund 5 Mio. EUR für die Erneuerung eingesetzt (vgl. Folie 5). Erneuerungen fänden überwiegend im alten Bestand statt. Der Referent lenkt den Blick auf die Altersverteilung des Stuttgarter Gasnetzes (Folie 5 rechts), wobei die dunkel eingefärbten Balken die aktuelle Altersverteilung darstellten, der hellere Aufsatz bilde die Erneuerungen der Jahre ab 2010 ab. Daran sei ersichtlich, dass es nach wie vor einen Leitungsbestand von vor 1950 gebe; substanziell seien aber auch Leitungen aus den 1950er und 1960er Jahren - vereinzelt auch aus den 1970ern - erneuert worden. Aus dem Asset Management sei ersichtlich, welche Leitungen am dringlichsten zu ersetzen seien. Der Altersbestand zeige auf, dass rund 4 % der Leitungen in Stuttgart aus den Jahren vor 1950 stammten. Es gebe keine vergleichbare Statistik beim DVGW zur Altersverteilung in Deutschland; eine vorliegende Statistik nenne 5 % Leitungen vor 1950 oder die Bezeichnung "Alter unbekannt". Die Grundgesamtheit dieser Statistik basiere auf allen Gasnetzen Deutschlands, also auch den Gasnetzen der großen Flächenversorger, die erst in den 1970er- und 1980er-Jahren gebaut worden seien. Es handle sich somit um viele Leitungskilometer, die keine ältere Historie haben könnten und mit Stuttgart nicht vergleichbar seien. Auf Basis der Informationen der DVGW-Statistik und punktuellen Branchenkontakten zu anderen Stadtwerken mit Gasnetzhistorie könne er sagen, dass die Lage in Stuttgart völlig vergleichbar sei mit der bei anderen Netzbetreibern.

Als weiteren wichtigen Punkt nennt der Referent die Kontrolle des Gasnetzes. Auch hierfür gebe es klare Vorgaben des Regelwerkes (vgl. Folie 6). Die Leitungen müssten regelmäßig mit "Teppichsonden" begangen werden (Foto links, ca. 544 km/Jahr), wodurch feinste Gasspuren erfasst werden könnten. Neben u. a. den Turnusraten sei im Regelwerk festgehalten, dass der Gasnetzbetreiber die Hausanschlüsse zu kontrollieren habe (17.000 Anschlüsse/Jahr). Er betont, diese Überprüfungen erfolgten nicht durch Fremdfirmen, sondern durch eigenes Personal. Darüber hinaus übernehme
Netze BW diese Aufgabe als Dienstleistung für andere Netzbetreiber in der Region. Neue Entwicklungen gebe es durch ein Kontrollverfahren mit einem Messfahrzeug
("Picarro-Wagen", Folie 6 Foto rechts), was aber noch nicht Teil des Regelwerkes sei. Dieses Fahrzeug biete viel größere Flexibilität. Bei Gasbetrieb sehr wichtig seien die Reaktionszeiten, für die das Regelwerk eine Frist von 30 Minuten zwischen Störungsmeldung und Ersteinsatz vor Ort vorsehe. Dies werde in Stuttgart mit hoher Sicherheit erreicht, da es drei Standorte mit einem 24-Stunden-Schichtbetrieb an allen Tagen des Jahres gebe und die Erlaubnis zur Blaulichtfahrt vorliege.


Im weiteren Verlauf seines Vortrages verweist Herr Dr. Müller auf die Schadensstatistik (vgl. Folie 8), die in den vergangenen Jahren deutlich reduziert werden konnte, weil nicht einfach nach Alter erneuert, sondern die Stressrate der Leitungen betrachtet werde. In der Folge habe man verschiedene Maßnahmen entwickelt, die in den kommenden Monaten umgesetzt werden sollen (vgl. Folie 9). Er erläutert die drei Maßnahmen und betont bezüglich der Maßnahme "Einsatz neuer Messtechnik", diese erfolge zusätzlich zum Regelwerk; es handle sich um eine vielversprechende Technik, um schneller und wetterunabhängiger kontrollieren zu können.

Abschließend merkt Herr Dr. Müller an, der Betrieb eines Gasnetzes stelle eine hohe Verantwortung dar; man habe grausam lernen müssen, wie konkret und hoch diese Verantwortung sei. Ihm sei völlig klar, dass für die Familie, die eine Mutter und Großmutter verloren habe, die Betonung der Einhaltung des Regelwerkes nur hohl klingen könne. Das Unternehmen nehme die Verantwortung für das Gasnetz ernst; die Unfälle seien unter seiner Verantwortung geschehen und er sehe es als Verpflichtung an, alles zu tun, damit die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Stuttgart das Vertrauen in ihr Gasnetz zurückerhielten.

Antragsteller StR Pantisano (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) erklärt eingangs, es sei heute ein schwieriger Tag, da sich einer der Unfälle heute zum ersten Mal jähre. Neben seiner politischen Rolle sei er als Nachbar auch selbst direkt Betroffener. Er könne sehr gut nachvollziehen, wie die Nachricht der Explosion in Vaihingen oder ein großer Alarm in der Tübinger Straße die Ereignisse wieder hochbrächten. Er bitte um Nachsicht für die eigene Emotionalität; er versuche, Emotionen und das Interesse am Bericht bzw. der politischen Einschätzung zu trennen. Sein Dank gelte - auch im Namen aller Betroffenen - allen Helferinnen und Helfern von Polizei, Feuerwehr, Nachbarschaft, EnBW, Stadtverwaltung und dem persönlichen Engagement von Herrn Dr. Müller. Er greift eine Information an die Bürgerschaft auf, worin formuliert worden sei, die Sicherheitsvorkehrungen im Gasnetz könnten mit denen im Flugbetrieb verglichen werden. Es gebe auch bei Letzterem sehr viele Regeln, und wenn diese eingehalten würden, passiere in der Regel nichts; dennoch komme es immer wieder zu Flugzeugabstürzen, weil nicht alle Sicherheitsvorkehrungen gegriffen hätten. Wenn aber innerhalb eines Jahres ein zweites Flugzeug abstürze, müsse man sich Gedanken über das Flugzeug machen. Mit diesem Bild wolle er das Gefühl vermitteln, das bei den Betroffenen entstehe. Bezüglich der Katzenbachstraße stellt er die Frage, wie es dazu kommen könne, dass in einer Straße ein Flickwerk verschiedener Rohre bestehe und die Situation zwei Jahre vorher geprüft worden sei. Die nun folgenden Maßnahmen seien das eine, aber es sei wünschenswert - und das habe er auch beantragt -, einen Plan zu erstellen, wie die Leitungen von vor 1949 ausgetauscht würden. Es sei wichtig, die Kriterien zu kennen, wonach eine Reihenfolge für den Austausch festgelegt werde und in welcher zeitlichen Abfolge der Austausch erfolge. Seines Wissens erfolge ein Austausch, wenn eine Baumaßnahme in einer Straße stattfinde. Dies sei seines Erachtens zu wenig, denn die Gefahr sei zu groß, dass eine Leitung nicht zeitnah erneuert werde. Neben einer strategischen Planung werde Kommunikation nach außen benötigt, wann welche Abschnitte erneuert würden.

In seinen weiteren Ausführungen betont der Stadtrat, der Antrag richte sich auch an Stuttgart Netze. Der Kurzschluss in der Köllestraße habe stattgefunden, weil das Stromkabel über 70 Jahre alt gewesen sei. Die Feuerwehr gehe von täglichen Kurzschlüssen in Stromkabeln in der Straße aus, weil die Belastungen im Stromnetz immer höher würden (z. B. durch Wallboxen für E-Autos). Dies habe man als Eigentümerin oder Eigentümer, als Mieterin oder Mieter nicht mehr unter Kontrolle. Dieses Wissen müsse transparent nach außen getragen werden, und dafür benötige man einen entsprechenden strukturellen Plan, um Sicherheit herzustellen.


StRin Munk (90/GRÜNE) dankt für den Antrag, denn die Vorkommnisse bewegten alle Menschen in der Stadt. Diese lösten Ängste und Unsicherheiten aus, vor allem, wenn bekannt werde, dass viele Leitungen alt seien. Der Dank ihrer Fraktion gelte den vielen Hilfskräften; diese Bereitschaft könne nicht hoch genug geschätzt werden. In Zukunft müssten solche Unfälle vermieden werden, und die Fragen ihres Vorredners nach der Systematik täten sich durchaus auf. Sie bitte zu überprüfen, ob es Indizien gebe, die auf ähnliche kritische Gegebenheiten hindeuteten, oder Bereiche zu prüfen, die oft Teil einer Baumaßnahme gewesen seien. Mit dem heutigen, denkwürdigen Tag hält die Stadträtin es für wichtig, die Öffentlichkeit über die geplanten Maßnahmen zu informieren, denn Sorgen und Ängste in der Bevölkerung beständen.

Einen Dank für den Bericht, der vieles aufgezeigt habe, äußert StR Kotz (CDU). Wenn alles funktioniere, sei Gas ein sehr bequemes, angenehmes und unkompliziertes Medium. Wenn jedoch Unfälle passierten, handle es sich stets um einschneidende Ereignisse. Aufgrund seiner eigenen beruflichen Tätigkeit mit einem Gas- und Wasser-Installateurbetrieb beschleiche ihn sofort ein ungutes Gefühl, wenn es Nachrichten zu Unfällen gebe. Er habe den Eindruck, dass Netze BW bisher gut als Dienstleister gearbeitet habe. Die Stadt übernehme zukünftig mit Stuttgart Netze größere Verantwortung. Es sei für Laien oft nicht nachvollziehbar, wie repariert und erneuert werde. Es mache dann vielleicht einen gestückelten Eindruck, ergebe aber technisch und mit der Expertise von Fachleuten durchaus Sinn. Die große Herausforderung sei, das Stromnetz in den kommenden Jahren in nie gekanntem Ausmaß und mit hoher Geschwindigkeit auszubauen. Dazu benötige es hohe Finanzmittel und viel Personal. Gleichzeitig müsse das Gasnetz in hoher Qualität erhalten werden. Er bitte diesbezüglich um einen Ausblick.

Dem Dank für die Berichterstattung schließt sich StR Perc (SPD) an, der auf die schwierige Ausgangslage verweist, denn es handle sich um eine unsichtbare Gefahr, die man nicht selbst beeinflussen könne. Die Bürgerschaft sei auf Strom, Energie und Wärme angewiesen und benötige eine entsprechende Versorgung. Dies generiere ein gewisses Ohnmachtsgefühl, wenn nicht selbst steuernd eingegriffen werden könne. Dieser "Teppich an Grundstimmung" mache es schwierig, mit der Gefahr umzugehen. Umso wichtiger sei, die ergriffenen Maßnahmen zur Gefahrenminimierung transparent darzustellen. Der Stadtrat greift die Information auf, wonach Unfälle im bundesweiten Netz Änderungen am Regelwerk nach sich zögen. Solche Änderungen könnten nur zukünftig Einfluss auf das Netz haben, hätten aber keinen Einfluss auf den Bestand. Er wolle wissen, wie mit identifizierten Gefahren umgegangen werde und ob es Vergleiche zu anderen Städten hinsichtlich der Unfallhäufigkeit gebe. Darüber hinaus richtet er an Herrn Dr. Müller die Frage, wann die letzte Überprüfung der beiden betroffenen Häuser stattgefunden hat. Aus seiner Sicht hätte die Art der Überprüfung die Gefahrenstellen nicht identifizieren können, weshalb er wissen wolle, wie potenzielle Gefahrenstellen entdeckt werden könnten. Darüber hinaus thematisiert er den Klimafahrplan bis 2035 und hinterfragt, ob dieser Auswirkungen auf die Instandhaltungs- oder Ausbaumaßnahmen habe. Abschließend dankt er für den Einsatz, um Verlässlichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.

Gasförmige Energieträger bärgen immer ein gewisses Grundrisiko und Unfälle könnten nicht vollständig ausgeschlossen werden, gibt StR Ozasek (PULS) zu bedenken. Die Verkettung verschiedener Ereignisse führe punktuell zu katastrophalen Ergebnissen. Er schließe sich dem Dank für das strukturelle und professionelle Krisenmanagement an; es sei sehr wichtig, den Menschen die Sicherheit zu garantieren, im Schadensfall schnell Hilfe zu erhalten. Der Stadtrat spricht den Strategieprozess zu Stuttgart Netze und den Umgang mit den Netzen an. Es gehe nicht nur um das Erdgasnetz, das punktuell Schwachstellen aufweise, sondern vor allem um das "Nachkriegs-Stromnetz", das an das Ende seiner technischen Lebensdauer gelange. In Letzterem seien kritische Komponenten insbesondere aus den 1970er Jahren verbaut. In der Konsequenz neuer Anforderungen (E-Auto laden, Wärmepumpen, Einspeisung erneuerbarer Energie) gebe es die Notwendigkeit eines beschleunigten Erneuerungszyklus', was personell und finanziell gestemmt werden müsse. Letztendlich gehe es um die Frage, wie der Übergang zur Net-zero-Kompatibilität gelingen könne. Er hoffe, dass bis 2035 das klimaneutrale Netz realisiert werden könne. In Bezug auf das Gasverteilnetz müsse dieses planmäßig stillgelegt werden. Dies bedeute, "raus aus Neuinvestitionen in das Erdgasnetz und hinein in eine Pflegestrategie". Dies sei die entscheidende Herausforderung, auf die im Rahmen des Strategieprozesses bei Stuttgart Netze Antworten gegeben werden müssten. Der Aussage, die Bürger*innen müssten das Vertrauen in das Gasnetz zurückerhalten, widerspricht der Stadtrat; er sei vielmehr der Meinung, die Bürger*innen sollten die Gewissheit erhalten, dass Stuttgart den Ausstieg aus dem fossilen Energieträger Erdgas vollziehe.

Einen Dank für das hervorragende Krisenmanagement und die sehr gute Betreuung spricht StR Dr. Oechsner (FDP) aus. Selbstverständlich dürften solche Unfälle nicht geschehen, aber absolute Sicherheit gebe es in keinem Bereich des Lebens - auch nicht bei einer Stromspeichertechnik. Er habe ein gutes Gefühl, dass nun noch genauer geprüft werde, und habe nicht den Eindruck, dass das Gasnetz in Stuttgart vollständig gefährlich sei. Der Ausstieg bis 2035 sei geplant und er sehe sehr gute Ansätze für die Netzpflege bis zu diesem Zeitpunkt.

Auch StRin von Stein (FW) dankt allen Helfern bei den beiden Unfällen. Bei den dargestellten Maßnahmen sei großer Wert auf das Regelwerk gelegt worden, das jedoch von Menschen umgesetzt werde. Die handelnden Personen müssten genau wissen, womit sie es zu tun hätten. Es dürfe nicht nach dem Motto "Es wird schon halten" gehandelt werden, sondern es müsse gute Arbeit geleistet werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten für ihre Aufgabe sehr stark sensibilisiert und das Risiko müsse bewusst gemacht werden.

Nach seinem Dank für den Bericht stellt StR Ebel (AfD) die Frage, ob es Vorschläge gebe, wie die Technik in Richtung Sicherheit verbessert werden könne. Auch wenn jede Technik einmal versage, entbinde dies nicht von der Pflicht, für Verbesserungen zu sorgen.

StRin Yüksel (Einzelstadträtin) thematisiert die Ursache für den ersten Unfall, einen Baufehler, und möchte wissen, wie weit die Sonderprüfung in diesem Abschnitt räumlich gehe. Daran anschließend erfragt sie, ob verunsicherte Menschen sich bei
Netze BW melden könnten, um eine Einzelüberprüfung vorzunehmen.


Auf die Anmerkungen und Fragen geht Herr Dr. Müller ein und greift zunächst das Stromnetz auf. Er betont - auch mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen von Stuttgart Netze -, er sehe den ersten Unfall als Baufehler und damit unabhängig von dem Stromkurzschluss. Ein Stromkurzschluss könne jederzeit eintreten. Die Netze BW verantworte das Stromnetz in 550 Gemeinden in Baden-Württemberg; im Jahr gebe es dabei rund 3.500 Störungen, und Dinge könnten jederzeit kaputtgehen. Die gesamte Konzeption des Stromnetzes sei dergestalt, dass jede Anlage ausfallen könne, ohne dass der Strom unterbrochen werde oder störende Wechselwirkungen einträten. Die Stromleitung in der Köllestraße sei zwar älter gewesen, aber es fielen auch neue Leitungen aus. Der Kurzschluss hätte nicht diese katastrophalen Folgen gehabt, wenn ordnungsgemäß gebaut worden wäre.

Zur geforderten Strategie des Leitungsaustauschs führt der Referent aus, wenn nur nach Alter ausgetauscht würde, sei dies letztendlich keine Strategie. Einzelne Gasnetzbetreiber hätten dies schon versucht, seien aber wieder davon abgerückt, da hiermit auch gute Leitungen ausgetauscht würden. Es sei Branchenstandard, die bestmögliche Information über den Zustand der Leitungen zu erhalten und darauf die Erneuerungsstrategie zu fokussieren. Die zweite Maßnahme (ergänzende Stichprobenkontrolle) ziele darauf ab zu prüfen, ob die Strategie funktioniere. Wenn dabei kritische Leitungen festgestellt würden, passe man die Strategie an. Zum Aspekt der Mitverlegung bei ohnehin geplanten Bauarbeiten erklärt er, niemand in Stuttgart sei begeistert, wenn die Straße aufgerissen werde und dies zwei Jahre später wieder passiere. Aus Sicht des Gasnetzbetreibers stelle dieses Öffnen einen Risikofaktor dar, denn Korrosion entstehe durch Mechanik, Chemie und Temperatur. Somit nähere sich eine Leitung viel schneller einer Erneuerung und werde bei einer Straßenöffnung aus Sicherheitsgründen ausgetauscht.

Die Frage, wo die Sicherheit herkomme, sei eine immer wiederkehrende. Das Regelwerk gebe in vielen Aspekten die Sicherheit und wirke nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit. Beispielhaft nennt er PVC-Leitungen, für die ein Austausch angewiesen worden sei. In der Folge tauschten alle Netzbetreiber in Deutschland diese Leitungen aus. Mit Blick in die Zukunft sagt er zu, weiter zu berichten, etwa zu den Ergebnissen der Stichprobe. Man gehe jetzt nicht zurück zu "business as usual"; es sei eine der Führungsaufgaben, wieder Selbstsicherheit in die Betriebsmannschaft zurückzubringen. Auch bei den Kolleginnen und Kollegen, die mit hoher Verantwortung für ihr Gasnetz für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Stuttgart arbeiteten, sei Verunsicherung festzustellen. Bezüglich der Hausinstallationen erklärt er allgemein, die überwiegende Zahl der Gasunfälle in Deutschland ereigne sich über diese. Ab dem Gaszähler liege die Verantwortung beim Hauseigentümer; der Netzbetreiber sei verantwortlich bis zum Netzanschlusspunkt. Insofern müsse sich ein Hauseigentümer bzw. Mieter darum kümmern, dass regelmäßig Kontrollen stattfänden. Auch Netze BW könne hier Unterstützung liefern, wenn etwas auffalle. In diesem Zusammenhang erläutert er die nach Regelwerk vorgeschriebene Maßnahme von Stoßodorierungen. Dabei werde über mehrere Tage das Geruchsmittel massiv erhöht, um kleinste Leckstellen in der Hausinstallation zu entdecken. Das an sich geruchslose Erdgas werde künstlich odoriert, und seitdem Kochgas in Deutschland nahezu keine Rolle mehr spiele, gehe das Wissen zu Gasgeruch aus dem kollektiven Gedächtnis verloren.

In seinen weiteren Ausführungen richtet Herr Dr. Müller den Blick in die Zukunft und erklärt, das Gasnetz werde Ende 2024 in die betriebliche Verantwortung von Stuttgart Netze übergeben. Vor einigen Jahren sei bereits die Verantwortung für Strom übergeben worden. Stuttgart Netze sei zu 75 % im Eigentum der Stadt und zu 25 % im Eigentum der Netze BW/EnBW. Der EnBW-Konzern, Netze BW und er persönlich hätten sich in den vergangenen Jahren an vielen Stellen, Gewerken und Infrastrukturen in kontroversen und strittigen Verhandlungen mit der Landeshauptstadt Stuttgart auseinandersetzen müssen. Jedoch in dem Moment, wo es um das Operative und den tatsächlichen Betrieb der Infrastruktur gehe, habe man stets zusammengearbeitet. Netze BW sei weiterhin die Betreiberin von Gasnetzen in 100 Konzessionen in Baden-Württemberg und werde auch zukünftig Partnerin bleiben, wenn es um die Sicherheit der Gas- und Stromversorgung und operative Themen der Stuttgart Netze gehe.

Bezüglich des angefragten Vergleichs zu anderen Kommunen führt er aus, es gebe in Deutschland immer wieder Gasunfälle, über die in der Regel nicht groß berichtet werde, die aber alle im Rahmen des Regelwerks betrachtet würden. Zwei Unfälle in dieser Häufung seien sehr selten, weshalb er erneut betont, die beiden Unfälle hätten in ihrer Kausalität nichts miteinander zu tun. Eine solche tragische Duplizität der Ereignisse habe er in seiner Praxis in Deutschland noch nicht erlebt. Zu den Kontrollzyklen hält Herr Dr. Müller fest, diese Leitungsbegehungen seien vom Regelwerk vorgeschrieben und variierten nach verschiedenen Kriterien zwischen zwei und vier Jahren. Wenn Gefahrenstellen identifiziert würden, erfolge immer die Behebung. Zum besseren Verständnis zeichnet er das Bild der Krebsvorsorge, bei der man die Aussage erhalte, im Moment sei alles in Ordnung. Dies sei selbstverständlich aber keine Garantie, dass im Zyklus bis zur nächsten Untersuchung nicht doch Ereignisse einträten. Umso wichtiger sei es, mit der technischen Expertise und Erfahrungspunkten daran zu arbeiten, Schwachstellen zu ermitteln.

Mit Blick auf den Klimaplan für die Zukunft betont er einerseits, bei der Sicherheit würden keine Kompromisse gemacht. Auch wenn die Erfahrung zeige, dass Gasleitungen mindestens 60 Jahre genutzt werden könnten, werde weiterhin erneuert, auch wenn perspektivisch diese Lebensdauer nicht mehr erreicht werde. Andererseits müsse bezüglich einer Stilllegung der Gasnetze der gesellschaftliche Diskurs - auch im Gemeinderat der Stadt Stuttgart - noch geführt werden. Es sei zwar klar, wie ein Gasnetz technisch sicher stillgelegt werden könne; die Frage, wie dies gesellschaftlich und betriebswirtschaftlich "sauber" gelinge, sei jedoch noch nicht ansatzweise beantwortet. Es treibe ihn um, dass diese Diskussion und darüber hinaus der Umgang mit den verbleibenden Werten eigentlich nicht geführt würden.

Abschließend spricht Herr Dr. Müller technische Neuerungen an, bei denen der Picarro-Wagen wesentliche Verbesserungen bringen werde. Damit könnten die Begehungen schneller und allwettertauglicher gemacht werden. Wenn dieses Fahrzeug in das Regelwerk aufgenommen sei, könne es schnell und umfänglich eingesetzt werden. Darüber hinaus würden über alle Erkenntnisse aus dem Gasnetzbetrieb die Erneuerungsstrategien nachgeschärft. Er bedankt sich bei den Anwesenden für die Art der Diskussion und die Anerkennung der Arbeit im Gasnetzbetrieb, die er sehr gerne weitergeben werde. Er wolle diesen Dank auch zurückgeben, denn er habe selbst erlebt, was eine Kommune im Falle eines Unglückes auf die Beine stelle; dies habe ihn sehr beeindruckt.

StR Urbat (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei), der auch Aufsichtsrat bei Stuttgart Netze ist, ist es ein Anliegen, das Thema öffentlich zu beraten. Risikoanalyse sei ein "altes, hässliches Thema", wie zum Beispiel bei Kernkraftwerken; nach einer gewissen Zeit an Reaktorbetriebsjahren werde es zwangsläufig Reaktorunfälle geben. Auch bei einem Gasnetz könne ein solches Restrisiko nie gänzlich ausgeschlossen werden. Positiverweise seien im Stuttgarter Westen alle Risikostellen von zu nahen Strom- und Gasleitungen identifiziert worden; generell werde ein Ausstieg aus der Gasversorgung angestrebt. Die Zukunft gehöre der Verstromung, und aus seiner Sicht seien Verbrennungsprozesse in Gaskraftwerken steinzeitlich und müssten beendet werden, was auch die Sicherheit erhöhe. Er betont, Elektrofahrzeuge erhöhten die Sicherheit, denn Verbrenner brennten viel häufiger als E-Autos.

Zum Aspekt des Baufehlers in der Köllestraße sagt StR Pantisano, es liege noch keine abschließende Beurteilung der Staatsanwaltschaft zum Ereignis vor. Er bittet darum, Klarheit zu schaffen, wenn dieser Abschlussbericht vorliege.

Herr Dr. Müller betont erneut, das Stromnetz sei in der Köllestraße nicht das Problem gewesen. Es werde mit präqualifizierten Fachfirmen gearbeitet und intensiv kontrolliert. Aufgrund der bereits vorliegenden Erkenntnisse müsse von einem Baufehler ausgegangen werden. Die Abschlussberichte zu beiden Unfällen ständen noch aus, und sobald diese vorlägen und neue Erkenntnisse aus den Maßnahmen verfügbar seien, werde er wieder im Ausschuss berichten.


Mit einem Dank für dieses Angebot schließt EBM Dr. Mayer den Tagesordnungspunkt. Der Verwaltungsausschuss hat von dem Bericht Kenntnis genommen.

zum Seitenanfang