Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
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VerhandlungDrucksache:
720/2016
GZ:
Sitzungstermin: 19.10.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Föll
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Direktvergabe der Verkehrsleistungen
an die Stuttgarter Straßenbahnen AG

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 05.10.2016, öffentlich, Nr. 393
Gemeinderat vom 06.10.2016, öffentlich, Nr. 195

jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeister vom 21.09.2016, GRDrs 720/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Die Landeshauptstadt Stuttgart beabsichtigt, die öffentlichen Personenverkehrsdienste in ihrem Zuständigkeitsgebiet ab dem 01.01.2019 im Wege einer Direktvergabe gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 1370/2007 der Europäischen Union an die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zu vergeben.

2. Die Verwaltung wird ermächtigt, die notwendigen Schritte für die Vorabbekanntmachung zur Direktvergabe in die Wege zu leiten und den öffentlichen Dienstleistungsauftrag vorzubereiten.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


EBM Föll: merkt einführend an, bei diesem wichtigen Thema gehe es um die Frage, ob die Landeshauptstadt Stuttgart auch ab 2019 sozusagen aus einer Hand den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV), für den die Stadt Aufgabenträger sei, in Stuttgart fortführen könne. Letztendlich sei es die Existenzfrage für die SSB. Die Direktvergabe müsse die Stadt entsprechend der EU-Verordnung 1370/2007 vornehmen. Die Übergangsfrist bis Ende 2018 werde vollständig ausgeschöpft und die Direktvergabe müsse ab 2019 vorgenommen werden.

Das Reglement sehe zunächst eine öffentliche Bekanntmachung für die Direktvergabe vor. auf deren Grundlage ein eigenwirtschaftliches Angebot erfolgen könne. Eigenwirtschaftlich bedeute ein Angebot von einem Dritten, der ohne finanzielle Förderung bereit sei, den ÖPNV in Stuttgart auf der Grundlage des Nahverkehrsplans und des in der Vorabbekanntmachung dargestellten Leistungsangebots zu betreiben. Ein solches Angebot wäre vorrangig.

Wenn ein solches eigenwirtschaftliches Angebot nicht vorliege, könnte die Landeshauptstadt Stuttgart die Direktvergabe an die SSB vornehmen. Ein bestimmtes Reglement, was Ausgleichsleistungen anbelange, müsse dabei eingehalten werden.

Der durch den Gemeinderat zu beschließende Beschlussantrag der GRDrs 720/2016 ziele darauf ab, die notwendigen Schritte für die Vorabbekanntmachung vorzubereiten. In mehreren Sitzungen des Unterausschusses Direktvergabe hätten über dieses rechtlich und formal sehr anspruchsvolle Thema bereits intensive Erörterungen stattgefunden. Herangezogen habe man mit Herrn Dr. Bachinger einen juristischen Berater sowie mit PwC eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, um die einzelnen Inhalte und Verfahrensschritte formal korrekt durchzuführen.

Eine Garantie, dass es kein eigenwirtschaftliches Angebot gebe, dies wolle er in aller Offenheit sagen, könne nicht erfolgen. Allerdings komme die Verwaltung zu der Einschätzung, dass aufgrund der Komplexität des ÖPNV in Stuttgart, also was Stadtbahnen und Busse anbelange, für ein eigenwirtschaftliches Angebot sehr hohe Hürden überwunden werden müssten. Zumal man konstatiert werden müsse, dass die SSB durchaus ein gut und effizient aufgestelltes Unternehmen sei, welches das jährliche Defizit nicht aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit erbringe.

Zwischenzeitlich seien alle notwendigen Vorabmaßnahmen ergriffen. Soweit gremienpflichtig, sei vor der Sommerpause beschlossen worden, dass die SSB direktvergabefähig sei. Von daher könne der Prozess entsprechend starten. Ziel der Verwaltung sei natürlich, zum 01.01.2019 die Direktvergabe für 22,5 Jahre an die SSB vornehmen zu können.

StR Sauer (CDU), StR Stopper (90/GRÜNE), StR Körner (SPD), StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS), StRin von Stein (FW), StR Prof. Dr. Maier (AfD) und StR Dr. Oechsner (FDP) stimmen dem Beschlussantrag zu.

Durch StR Sauer wird betont, für seine Fraktion sei eine Direktvergabe an die SSB alternativlos. Der von der SSB gewährleistete hohe Qualitätsstandard für Infrastruktur, Busse und Bahnen sowie im täglichen Betriebsablauf lasse sich nur sichern, wenn der Betrieb des engmaschigen Stuttgarter ÖPNV-Netzes weiterhin aus einer Hand durch ein integriertes, kommunales Verkehrsunternehmen erfolge. Zudem trage der Gemeinderat eine soziale Verantwortung für die Sicherung der rund 3.000 SSB-Arbeitsplätze. Sinngemäß äußert sich StR Stopper. Er verweist darauf, dass der Weg hin zu einer Direktvergabe mit Risiken verbunden ist. Dabei hebt er auf die Stadt Esslingen ab. Das dortige kommunale Verkehrsunternehmen habe im Direktvergabeverfahren beim Betrieb der Busse Konkurrenz bekommen. Seiner Einschätzung nach ist man in Stuttgart durch die Vorberatungen, durch die rechtliche Beratung und durch den knapp gehaltenen Nahverkehrsplan für das anstehende Verfahren gut aufgestellt. Die SPD-Gemeinderatsfraktion, so StR Körner, wünsche sich ebenfalls, dass der kommunale Nahverkehr in kommunaler Hand bleibe. Der ÖPNV werde als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge angesehen. Zudem nennt er folgende Gründe für eine Direktvergabe an die SSB: demokratische Legitimation, auskömmliche Gehälter für Bus- und Bahnfahrer, akzeptable, mit einem guten Tarifvertrag abgesicherte Arbeitsbedingungen. Im Namen der SÖS-LINKE-PluS-Fraktionsgemeinschaft bezeichnet StR Rockenbauch eine Direktvergabe an die SSB als Selbstverständlichkeit. Auch er spricht davon, dass der ÖPNV zu der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört. Allerdings sollten nach seiner Interpretation Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht den Kräften des Marktes ausgesetzt werden. Zudem merkt er an, natürlich müsse man die EU-Vergaberichtlinien einhalten, aber mit diesen erfolge letztlich ein Abbau der kommunalen Selbstbestimmungsrechte. Dies gehöre seitens der Kommunalpolitik kritisiert. StRin von Stein plädiert angesichts der guten Erfahrungen mit der SSB dafür, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Zusammenarbeit mit der SSB in Zukunft fortsetzen zu können. Weiter spricht sich StR Prof. Dr. Maier dafür aus, dass der ÖPNV als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge unbedingt in kommunaler Hand bleiben muss. Bei diesem Tagesordnungspunkt, so StR Dr. Oechsner, müsse er als Freier Demokrat darüber nachdenken, wie viel Unternehmertum eine Stadt benötige. Seine Gruppierung sei zum Ergebnis gelangt, dass es sich beim ÖPNV im vorliegenden Fall um ein natürliches Monopol handle. Die SSB sei ein unabdingbares wirtschaftliches, aber auch für die Stadtgesellschaft wichtiges Unternehmen, welches den ÖPNV in kommunaler Hand betreiben müsse. Neben der Direktvergabe müsse sich die Stadt darüber klar werden, wie viel Mittel sie in Zukunft für den ÖPNV bereitstellen wolle. Ziel müsse eine positive Weiterentwicklung des ÖPNV sein.

Respekt zollt StR Körner der SSB für die in den letzten 20 Jahren getroffenen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Optimierung. Dabei sei das Defizit von 50 Mio. €/Jahr auf 20 Mio. €/Jahr reduziert worden. Wenn davon noch die Straßenbenutzungsgebühr in Höhe von 8 Mio. €/Jahr, die die SSB der Landeshauptstadt bezahle, abgezogen werde, betrage das Defizit ungefähr noch 12 Mio. €/Jahr. Dies sei bundesweit einmalig. Aus diesen Zahlen leitet er ab, dass in Zukunft bei der SSB keine weiteren Wirtschaftlichkeitsreserven aktiviert werden können. Die Landeshauptstadt werde nicht umhin kommen, sich künftig beim ÖPNV stärker zu engagieren. Dabei nennt er für den mittel- und langfristigen Ausbau einen Betrag von bis zu 100 Mio. €. Für StR Rockenbauch ergibt sich der hohe Kostendeckungsgrad der SSB auch durch die seines Erachtens hohen Fahrpreise. Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge müsse sein, dass sich alle Menschen den ÖPNV leisten können. Die Landeshauptstadt habe durch das Sozialticket diesbezüglich nachgebessert, aber für die Zukunft reiche dies nicht aus. Vielleicht, so StRin von Stein, könnten durch die EU-Richtlinien doch noch weitere Wirtschaftlichkeitsreserven bei der SSB gehoben werden. Eine optimierte Wirtschaftlichkeit wirke sich ja auf die Gestaltung der Fahrpreise aus. Die Zuschüsse zum Sozialticket stellt sie als beachtliche städtische Leistung dar. StR Dr. Oechsner bezeichnet den 60 %igen Kostendeckungsgrad des ÖPNV aus wirtschaftlicher Sicht als wichtig, allerdings aus ÖPNV-Sicht als wahrscheinlich zu hoch. Der ÖPNV lasse sich nicht kostendeckend bewirtschaften. Um seitens der Stadt hier gegensteuern zu können, müsse sich der ÖPNV in städtischer Zuständigkeit bleiben.

Im Zusammenhang mit der Direktvergabe ermuntert StR Körner den Rat, größere Klarheit über den politischen Auftrag des Gemeinderates herzustellen. Der Gemeinderat müsse seine Wünsche zum ÖPNV zum Ausdruck bringen. Dies decke sich nicht mit den Aufgaben des SSB-Aufsichtsrates. In Zukunft ist für StR Rockenbauch nicht ausreichend, die SSB lediglich über den Aufsichtsrat zu kontrollieren. Der Gemeinderat müsse beispielsweise die Bauherrenfunktion der SSB überprüfen. Bislang unternehme die SSB in Sachen Stadtgestaltung zu wenig.

Zu der Frage von StR Prof. Dr. Maier, was ggf. mit dem Vertrag über den öffentlichen Dienstleistungsauftrag (ÖDLA) im Zusammenhang mit den Freihandelsabkommen CETA und TTIP geschieht, teilt EBM Föll mit, dieser ÖDLA-Vertrag werde dem Gemeinderat, sollte kein genehmigungsfähiges eigenwirtschaftliches Angebot vorliegen, im Jahr 2017 vorgelegt. Die CETA-Inhalte seien mittlerweile bekannt, und von daher könnten Auswirkungen auf den ÖDLA definitiv ausgeschlossen werden. Was TTIP angehe, soweit die Inhalte des noch nicht endverhandelten Vertrages bekannt seien, meine man, dass, wenn die Positionen der Europäischen Union in den Vertrag einfließen sollten, ein solcher Vertrag ebenfalls keine Auswirkungen hätte.


Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen ergeben stellt EBM Föll fest:

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag einmütig zu.
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