Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
353/2020
GZ:
JB
Sitzungstermin: 08.07.2020
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BMin Fezer
Berichterstattung:die Vorsitzende
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Auswirkungen der EU-Richtlinie auf die Jugendhilfe im Strafverfahren (JuhiS)

Vorgang: Jugendhilfeausschuss vom 29.06.2020, öffentlich, Nr. 56
Ergebnis: einmütige Zustimmung

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Jugend und Bildung vom 24.06.2020, GRDrs 353/2020, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Von der aufgezeigten Sachlage und vom zusätzlichen Personalbedarf beim Jugendamt zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben gemäß der EU-Richtlinie 2016/800 bzw. auf Grundlage des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) wird Kenntnis genommen. Die Einrichtung eines zweiten Hauses des Jugendrechts wird mit Nachdruck verfolgt.

2. Vom zusätzlichen vordinglichen Personalbedarf in Höhe von 9,44 Stellen in Entgeltgruppe S 15 wird Kenntnis genommen.
3. Finanzierung des Personalaufwands aus Teilhaushalt 900, allgemeine Finanzwirtschaft, Deckungsreserve Personal.
Der Antrag/die Anfrage Nr. 271/2020 vom 01.07.2020 der CDU-Gemeinderatsfraktion ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Von StRin Ripsam (CDU) werden Informationen zum Umgang mit diesem Antrag/dieser Anfrage erbeten.

BMin Fezer trägt vor, in Stuttgart gebe es bereits ein Haus des Jugendrechts. In den öffentlichen Diskussionen im Nachgang zu den Vorkommnissen in der Nacht vom 20./21.06.2020 sei dies zum Teil untergegangen. Im Jahr 1999 sei diese Einrichtung bundesweit als erste ihrer Art gegründet worden. Dieses Haus solle nun erweitert werden. Das bestehende Haus beziehe sich auf den Amtsgerichtsbezirk Bad Cannstatt, und die Erweiterung solle dann auch den zweiten Amtsgerichtsbezirk in Stuttgart abdecken. Somit werde Stuttgart flächendeckend abgedeckt.

Seit einiger Zeit sei die Verwaltung mit Justiz und Polizei diesbezüglich in Gesprächen. Für das Stuttgarter Jugendamt sei dies keine einfache Maßnahme, da hier die Jugendhilfe im Strafverfahren integriert in die Aufgaben der Beratungszentren organisiert sei. Dies werde nun entzerrt. Die letzten Gespräche mit den Partnern seien im Februar geführt worden. Nach dem Pandemieausbruch würden die Gespräche nun fortgesetzt. Neben den Prüfungen der genannten strukturellen Veränderungen im Jugendamt, die mit der Konzeption einhergehen, gehe es um die Standortfrage. Es gebe bereits erste Vorstellungen, wo dieses zweite Haus des Jugendrechts angesiedelt werden solle. Für die Verwaltung sei beispielsweise eine Kombination mit dem geplanten und insbesondere durch das Referat SOS vorgeschlagene Haus der Prävention gut vorstellbar. Diese Einrichtung solle bekanntlich in der Innenstadt verortet werden. Die innerstädtische Standortsuche sei allerdings nicht einfach. Auf bereits angestellte Vorstellungen wolle sie heute öffentlich noch nicht eingehen. Was die Immobilie angehe, müssten zunächst Gespräche mit Beteiligten geführt werden.

Gehofft werde, dass der Gemeinderat den mit der GRDrs 353/2020 für die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Jugendhilfe im Strafverfahren geltend gemachten Stellenbedarf beschließt. Mit diesem zusätzlichen Personal werde es möglich sein, das zweite Haus des Jugendrechts umzusetzen. Darauf werde in der Vorlage ausdrücklich hingewiesen.

Neben der räumlichen Voraussetzung seien fachliche und datenschutzrechtliche Fragen zu klären. Gerade im Lichte der jüngsten Vorkommnisse bestehe wohl zwischen einem Großteil des Rates und der Verwaltung Einvernehmen darüber, dass eine Erweiterung des Hauses des Jugendrechts sehr sinnvoll sei. Wie schon beim bestehenden Haus werde es mit der Erweiterung ermöglicht, Jugendliche sehr rasch mit den Folgen von Fehlverhalten zu konfrontieren. Gerade bei jungen Menschen sei dies eine wichtige Erfahrung. Das Haus des Jugendrechts bedeute jedoch auch eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, den Gerichten und dem Jugendamtsbereich "Jugendhilfe im Strafverfahren". Die Beteiligten arbeiteten nicht nur mit den Jugendlichen zusammen, sondern sie tauschten sich gegenseitig aus, um Erfahrungen zusammenzuführen. Dadurch könne mit dem Fehlverhalten junger Menschen so umgegangen werden, dass künftig weiteres Fehlverhalten vermieden werde.

In diesem Zusammenhang wolle sie auf das Projekt "Respekt" verweisen. Der Gemeinderat habe in den letzten Etatberatungen dankenswerterweise eine Erweiterung des Projekts "Respekt" beschlossen. Durch die Pandemie habe sich eine Verzögerung ergeben. Zunächst hätten die Gruppenangebote nicht stattfinden können; seit Mai werde "Respekt" jedoch interimsweise mit einer veränderten Konzeption im Rahmen eines Einzelsettings durchgeführt. Spätestens ab dem 23.08.2020 würden wieder Gruppentermine ermöglicht. "Respekt" sei ein Angebot für Jugendliche, die Gespräche mit Polizeibeamten/-innen führten, also mit denjenigen, die für die Um-/
Durchsetzung der staatlichen Regeln verantwortlich seien. Nicht zuletzt coronabedingt habe bislang die Polizei an den Settings nicht teilnehmen können. Dies werde sich nun ändern.


Mit Jugendlichen, die sich im Rahmen des Projekts "Respekt" an Anti-Gewalt-Trainingskursen beteiligt hätten, sei unter anderem über die vor drei Wochen stattgefundenen Ausschreitungen gesprochen worden. Dabei hätten sich diese einhellig kritisch zu den Vorkommnissen geäußert. Die Polizei werde mittlerweile von diesen Jugendlichen als wichtige und notwendige Institution zur Wahrung von Regeln und Gesetzen betrachtet. Des Weiteren würden diese die Ansicht vertreten, dass Regeln und Gesetze für ein vernünftiges Zusammenleben notwendig seien. Dies wertet sie als Beispiel, dass das Projekt "Respekt" funktioniert. Soweit es die Pandemie erlaube, erfolgten Bemühungen, dieses Projekt wieder stärker zu beleben.

Von StR Körner (SPD) wird an eine in der vergangenen Woche im Großen Sitzungssaal des Rathauses stattgefundene Veranstaltung erinnert. Dort hätten vom Haus des Jugendrechts zwei Staatsanwälte, ein Richter, zwei Vertreter der Polizei sowie zwei Jugendamtsvertreter ihre Arbeit beschrieben. Im Gespräch sei nochmals deutlich geworden, dass zum einen eine stadtweite Etablierung dieser Einrichtung sehr zu begrüßen sei, und dass zum anderen es sinnvoll sei, über eine Weiterentwicklung des Konzepts nachzudenken. Er äußert sich positiv zu der geplanten Erweiterung der Einrichtung und bittet, das Konzept des Hauses des Jugendrechts weiterzuentwickeln. Die Überlegung, die Hauserweiterung in einem künftigen Haus der Prävention unterzubringen, kann für StR Körner auch Anlass dafür sein, die Weiterentwicklung der Prävention noch stärker in den Blick zu nehmen. Zudem regt er an, die Zusammenarbeit mit der Sozialberatung Stuttgart zu pflegen. Diese sei ja in den letzten Etatberatungen mit Mitteln ausgestattet worden, um im Bereich Gewaltprävention tätig sein zu können. Ein Konzept zur Koordinierung der Gewaltpräventionsarbeit in der LHS liege vor, dieses sei aber noch nicht finanziert. StR Körner würde es begrüßen, wenn das Thema Sicherheitspartnerschaft nochmals im Gemeinderat diskutiert wird; dieses sei ja dem Rat zur Kenntnis gebracht worden und eine nochmalige Befassung des Rates würde der Bedeutung des Themas gerecht. Manche der dort vorgesehenen Maßnahmen seien gut, aber manche müsse er mit einem Fragezeichen versehen. So habe der Teil der Sicherheitspartnerschaft zum Haus der Prävention, mit Prävention eigentlich nichts zu tun.

Als erforderlich betrachtet StRin Nuber-Schöllhammer (90/GRÜNE) eine mehrgleisige Vorgehensweise. Die Frage, wie sich kurzfristig die Lage in der Innenstadt beruhigen lasse, gehöre beantwortet. Parallel dazu müsse ein mittel- und langfristig wirkendes Konzept ausgearbeitet werden. Dazu gehöre Präventionsarbeit, und ihre Fraktion sehe hier die Mobile Jugendarbeit als wichtigen Partner an. Geschaut werden müsse, was dort noch an städtischer Unterstützung erforderlich sei. Experten müssten Lösungen finden, die alle Player einbinden. Der Rat selbst müsse das Erforderliche flankierend begleiten.

Die Vorlage, so StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei), befasse sich primär mit dem Kindeswohl innerhalb von Strafverfahren. Dies erachtet er als zentrales und wichtiges Anliegen. Einbezogen gehörten Ansätze wie
Täter-/Opferausgleich. Darunter, dass Täter mit ihren Taten konfrontiert werden müssten, dürfe man nicht nur Sanktionen verstehen, sondern die verantwortlichen Täter müssten verstehen, dass Menschen unter ihrem Fehlverhalten leiden. Das Schaffen eines entsprechenden Bewusstseins sei die Grundvoraussetzung dafür, dass diese nicht nur aus Furcht vor Strafe, sondern aufgrund der Einsicht, fehlerhaft gehandelt zu haben, ihr Verhalten änderten. Dies sei ein zentraler Baustein der Vorlage. Dieses gehöre bei der Arbeit des Hauses des Jugendrechts berücksichtigt. Diese Diskussion gehöre allerdings im Jugendhilfeausschuss (JHA) als Fachausschuss geführt. Ein Schnellschuss wäre es, solche Ansätze in eine Präventionsstelle zu integrieren. Die Aufgabendefinition für das Haus der Prävention falle ohnehin sehr gering aus. Prävention dürfe nicht mit polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Arbeit vermischt werden. Damit Prävention funktioniere, seien Räume notwendig, "zu denen die Polizei als Teil des Problems keinen Zutritt hat". Benötigt werde ein Austausch mit der Polizei, aber es würden zudem "polizeifreie Räume benötigt, weil, die Polizei ist mit Problem von dem, was im Schlossgarten passiert ist, mit all ihren strukturellen Problemen, die sie als Gesamtbehörde hat". Die Polizei dürfe allerdings gerne von Präventionserkenntnissen lernen. Nach Auffassung seiner Fraktionsgemeinschaft müsse der Rat dringend nochmals mit dem Thema Sicherheitspartnerschaft befasst werden. Für die LHS könne eine Erhöhung der Zahl an Polizeikräften nicht zufriedenstellend sein. Sozialarbeit müsse, wenn Prävention ernst genommen werde, mindestens in derselben Stärke präsent sein.


Danach betont StRin Yüksel (FDP), das Haus des Jugendrechts mache selbstverständlich auch Präventionsarbeit. Das Haus lebe davon, dass verschiedenste Akteure unter einem Dach agierten. Bei einer Kooperation mit dem Haus der Prävention würden keine unterschiedlichen Dinge verknüpft. Die Erweiterung des Hauses des Jugendrechts werde begrüßt, aber das gesamte Themenfeld gehöre konzeptionell bearbeitet. In der angesprochenen Veranstaltung in der letzten Woche habe sie beispielhaft auf das interkulturell orientierte Gespräch des Pforzheimer Hauses des Jugendrechts hingewiesen. Von allen Akteuren sei entsprechender Bedarf für Stuttgart artikuliert worden, allerdings fehle es dafür an Ressourcen.

Die heutige Aussprache zeigt StR Walter (PULS), dass sowohl Präventions- als auch andere Maßnahmen benötigt werden. Die Erweiterung des Hauses des Jugendrechts lobt er. In der letzten JHA-Sitzung sei besprochen worden, dass, bezogen auf Streetwork, in der LHS eine Konzeption erstellt werde.

Mit großem Nachdruck kritisiert StR Kotz (CDU) die Aussage von StR Rockenbauch "die Polizei ist Teil des Problems". Damit entferne sich dieses Ratsmitglied vom Verständnis des Gemeinderates zu polizeilichen Maßnahmen zum Schutz aller. Seine Fraktion distanziere sich vehement von dieser Aussage.

BMin Fezer legt Wert darauf, dass die heute zur Beratung stehende Vorlage sich im Wesentlichen mit zusätzlichen Stellen für das Jugendamt befasst, damit eine EU-Richtlinie, die sich mit der Jugendhilfe im Strafverfahren beschäftigt, umgesetzt werden kann. In der Vorlage werde darauf hingewiesen, dass, wenn diese Stellenschaffungen ermöglicht würden, mit diesen auch die Erweiterung des Hauses des Jugendrechts geschultert werden könne.

Die Vorlage beinhalte kein Konzept für diese Hauserweiterung. Mit den Partnern sei begonnen worden, diese Konzeption zu erarbeiten. Natürlich, und damit stimmt sie StR Körner und StRin Yüksel zu, werde nicht das Konzept des bestehenden Hauses des Jugendrechts eins zu eins übernommen. Das bisherige Haus habe weitere Aufgaben als die von ihr genannten (z. B. Täter-/Opferausgleich, Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen). Im Wesentlichen gehe es aber um die Interaktion zwischen allen Beteiligten, "nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist". Ziel sei, "das Kind wieder aus dem Brunnen zu holen". Es gehe also um eine Reaktion auf Fehlverhalten. Auch wenn letztlich alles zusammenhänge, müsse die Prävention davon getrennt werden. Daher sei sie darauf in ihrem einführenden Sachvortrag nicht eingegangen. Unter dem Vorzeichen Prävention - und damit bestätigt sie eine Aussage von StR Walter - werde derzeit intensiv an einem Konzept "Mobile Jugendarbeit in der Innenstadt" gearbeitet. Der Arbeitstitel laute "Integrierte Jugendarbeit in der Innenstadt". Angedacht sei, dass verschiedene Akteure, auch jenseits der Mobilen Jugendarbeit, zusammenarbeiten sollten. Die Entwicklung eines solchen Konzepts benötige Zeit. Schließlich könne das City-Streetwork-Konzept aus dem Jahr 2013 nicht einfach übernommen werden, sondern die zwischenzeitlich erfolgte fachliche Weiterentwicklung müsse berücksichtigt werden. An den kommenden Wochenenden würden Mitarbeiter/-innen der Mobilen Jugendarbeit in der Innenstadt präsent sein. Mobile Jugendarbeit bedeute nicht zuletzt Beziehungsarbeit. Beziehungsarbeit wiederum bedeute, dass sich zwischen Jugendlichen und der Mitarbeiterschaft der Mobilen Jugendarbeit zunächst eine gemeinsame Basis des Vertrauens entwickeln müsse.

Das durch das Referat SOS geplante Haus der Prävention begrüße sie wie gesagt. Ihre Aussage, dass dies ein Standort des Hauses des Jugendrechts sein könne, bedeute nicht, dass sie die Prävention und die Inhalte des Hauses des Jugendrechts vermischen wolle. Das Haus der Prävention könne vielleicht ein Rückzugsort oder ein Standort für die Mobile Jugendarbeit sein, aber das Konzept des Hauses der Prävention sei nicht notwendigerweise das Konzept der "Integrierten Jugendarbeit in der Innenstadt". Ansatz des Jugendamtes für die "Integrierte Jugendarbeit in der Innenstadt" sei, dass diese Mitarbeiter/-innen Ansprechpartner für Jugendliche seien und Hilfestellung leisteten. Versucht werde, Verknüpfungen/Zusammenhänge zu erkennen.

Zum Ende der Aussprache sagt BMin Fezer gegenüber StRin Ripsam eine schriftliche Beantwortung des Antrags Nr. 271/2020 zu.

Abschließend stellt die Bürgermeisterin fest:

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag einmütig zu.
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