Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 21.02.2024
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: EBM Dr. Mayer
Berichterstattung:
Protokollführung: Frau Schmidt fr
Betreff: "Bezahlkarte für Flüchtlinge zeitnah in
Stuttgart einführen"
- Antrag Nr. 11/2024 vom 25.01.2024 (CDU)

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.

StR Kotz (CDU) stellt klar, der Antrag sei vor der Einigung auf die bundesweite Einführung einer Bezahlkarte gestellt worden, weshalb es nun nur noch um die Frage der Ausgestaltung und den Zeitpunkt der Einführung gehe. Er bittet die Verwaltung, in ihrer Stellungnahme auf die Darstellung des Für und Wider einer bundeseinheitlichen gegenüber einer kommunalen Lösung abzuzielen und auf die Zeitschiene einzugehen. Bei einer kommunalen Lösung müsse ein deutlich kleineres Leistungspaket ausgeschrieben werden. Darüber hinaus wolle er wissen, wie sich die Verwaltung in dieser Thematik positioniere. Seine Fraktion sei für beide Varianten - bundeseinheitlich oder kommunal - offen; entscheidend sei die richtige Wirkung und eine möglichst schnelle Umsetzung.

OB Dr. Nopper erklärt, die Verwaltung spreche sich - wie 14 von 16 Ministerpräsidenten - für die schnelle Einführung einer Bezahlkarte aus, die so einheitlich wie möglich in Bund und Ländern ausgestaltet werden sollte. Ein Alleingang der Landeshauptstadt Stuttgart habe Nachteile, denn Insellösungen seien teurer, schwerer kommunizier- und organisierbar. Da die Dienstleistungen rund um die Bezahlkarte europaweit ausgeschrieben werden müssten, entstehe durch eine Stuttgarter Sonderlösung kein Zeitvorteil. Die Stadt Stuttgart habe gegenüber dem zuständigen Landesministerium jedoch die Bereitschaft erklärt, als Pilotkommune für eine vorgezogene Einführung einer Bezahlkarte zur Verfügung zu stehen. Er erwarte, dass die Bundesregierung zu ihrem Wort stehe und zu einer Lösung gelange.

Eine Stuttgarter Insellösung hält StRin Rühle (90/GRÜNE) für unnötig und zu teuer. Es müsse einheitlich vorgegangen und zunächst geklärt werden, wie eine Bezahlkarte diskriminierungsfrei gestaltet werden könne. Dabei stehe die Frage der Akzeptanz in Geschäften im Mittelpunkt. Dies spreche auch gegen eine Pilotkommune, denn Stuttgart habe viele andere (Pflicht)aufgaben, die zu erfüllen seien. Es müsse eine sinnvolle Erstattung der Kosten und die Umsetzbarkeit gewährleistet sein (Bargeld etc.), denn ein "Luftballon für das Kind auf der Königstraße" sei mit einer Bezahlkarte sicher nicht möglich. Kleine Dinge des alltäglichen Lebens müssten auch Menschen im Asylbewerberleistungsbezug zur Verfügung stehen. Sie plädiere daher gegen einen Schnellschuss und für eine gute Vorbereitung seitens der Verwaltung. Es müsse vermieden werden, dass die Stadt in die Lage komme, Cateringleistungen in den Selbstversorgerunterkünften anbieten zu müssen, weil Geflüchtete nicht die Möglichkeit hätten, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen.

Eine Bezahlkarte sei grundsätzlich nicht diskriminierungsfrei, konstatiert StRin Meergans (SPD). Die Begründung des Antrages hält die Stadträtin für falsch. Es würden Auslandsüberweisungen konstruiert, die Menschen im Asylbewerberleistungsgesetz nicht leisten könnten. Wenn sich jemand das Geld erarbeitet habe und dies ins Herkunftsland überweise, helfe dies, Fluchtursachen zu bekämpfen, und es sei das gute Recht, über dieses Geld selbstbestimmt zu verfügen. Die Einführung einer Bezahlkarte sei nur dann clever, wenn sie die Verwaltung entlaste durch weniger persönliche Vorsprachen. Nicht clever sei die Möglichkeit, der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung nachzugeben. Sie halte eine Bezahlkarte für eine unnötige Maßnahme, denn Sozialleistungen stellten keinen Pull-Faktor für Migration dar. Sie stehe für eine Bezahlkarte nur zur Verfügung, wenn ein rechtlicher Zwang dafür bestehe.

Bezüglich der Geldtransfers führt StRin Tiarks (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) aus, dabei würden Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in einen Topf geworfen. Letztere kämen nach Deutschland, um hier zu arbeiten und ihre Familien in den Heimatländern zu unterstützen. Sie betont, Menschen mit Migrationsgeschichte trügen finanziell mehr zu Deutschland bei als sie kosteten. Jeder Mensch in Deutschland habe einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben und müsse frei über sein Geld entscheiden dürfen. Das Argument, Sozialleistungen beförderten Fluchtbewegungen, weist sie zurück. Sie halte eine Bezahlkarte für unnötig und "widerlich"; rechten Forderungen dürfe nicht nachgegeben werden.

Kritisch sieht StR Ozasek (PULS) die Wortwahl des Antrages, die Stimmung gegen Geflüchtete mache. Die Aussage, hohe Sozialleistungen seien ein Anziehungspunkt für Migration, sei falsch. Er betont, der Wohlstand Stuttgarts begründe sich auf der Leistung von Migrantinnen und Migranten und werde nur durch diese gesichert. Es seien vor allem gut qualifizierte Menschen, die nach Stuttgart kämen und für den Arbeitsmarkt gebraucht würden. In der Argumentation des Antrages stecke viel Naivität. Die Menschen kämen aus Not, suchten eine Zukunft für sich und wollten ihre Familien absichern. Dies sei nicht falsch oder verwerflich, sondern ein ehrliches Anliegen, das man haben dürfe. Zustimmung äußert er zu StRin Meergans, die sich deutlich gegen den "Abschiebekanzler" Scholz abgegrenzt habe. Ohne rechtlichen Zwang solle dieser Weg nicht beschritten werden, denn in dem Instrument der Bezahlkarte schlummerten zahlreiche Diskriminierungsfaktoren. Das Menschenrecht auf Asyl müsse in Stuttgart hochgehalten werden, und dazu gehöre, Menschen würdig zu behandeln.

StR Dr. Oechsner (FDP) merkt zunächst an, er wolle Diskussionen nicht mehr beitreten, wenn gegenläufige Meinungen stets unter der "braunen Fahne" subsummiert würden. Dazu merkt StR Ebel (AfD) an, die Fahne des Nationalsozialismus sei rot gewesen. Der FDP-Stadtrat führt weiter aus, es gebe unterschiedliche Meinungen zu unterschiedlichen Themen, die nicht immer etwas mit Radikalität, sondern Abwägungsfragen zu tun hätten. Er wolle die Unterstellung eines Rechtsruckes nicht mehr hinnehmen. Zur Bezahlkarte führt er aus, in Deutschland könne mittlerweile alles mit Kreditkarte oder Handy bezahlt werden. Für den Stadtrat steht die Frage im Mittelpunkt, wie eine Bezahlkarte funktioniere; es gebe bereits entsprechende Möglichkeiten, etwa bei der BW-Bank, und die Karten könnten entsprechend eingestellt werden, was und wo damit eingekauft werden könne. Er begrüßt die Einführung einer Bezahlkarte, die auch in keiner Weise diskriminierend sei. Die Diskussion darauf zu reduzieren, Bargeldlosigkeit sei diskriminierend, halte er für schwierig. Den Vorschlag, Stuttgart als Pilotkommune einzusetzen, kann der Stadtrat ebenfalls unterstützen. 14 Ministerpräsidenten - "auch der der Linken" - seien der Meinung, eine Bezahlkarte werde benötigt. Nach deren Einführung könnten die Effekte geprüft werden.

Bargeldloses Einkaufen hat aus Sicht von StRin von Stein (FW) mittlerweile - auch bei Kleinbeträgen - eine sehr hohe Akzeptanz. Es bestehe eine breite Bereitschaft zur Einführung einer Bezahlkarte, weshalb sie den Vorstoß, Vorreiter zu sein, unterstützen könne. Sie gehe davon aus, dass eine Bezahlkarte manches klarstelle; bei negativen Auswirkungen werde mit Sicherheit politisch darauf reagiert.

An StRin Tiarks gerichtet erklärt OB Dr. Nopper, wer das "Diskriminierungsschwert" ständig schwinge, mache es stumpf. Die von StR Ozasek beklagte Naivität der Verwaltung und anderer scheine auch bei 14 von 16 Ministerpräsidenten und bei SPD und FDP in der Bundesregierung zu bestehen. Der Stadtrat komme ihm vor wie ein Geisterfahrer, der sich darüber wundere, dass alle in die falsche Richtung führen.

Wenn die Bundesregierung und 14 Ministerpräsidenten aller Couleur eine Bezahlkarte befürworteten, so StR Kotz, fühle er sich als Fraktionsvorsitzender der Stuttgarter CDU gut aufgehoben. Selbstverständlich werde niemand seine Entscheidung zur Flucht an einer Bezahlkarte festmachen, aber es gehe nicht nur um Stuttgart, sondern ganz Deutschland. Es mache einen Unterschied, wie sich Deutschland aufstelle, wenn es um die Entscheidung gehe, in welches Land geflüchtet werde. Der größte Anziehungspunkt sei Deutschland, weil es hier "ab der ersten Minute" soziale Abfederungen gebe; dies sei unstrittig und empirisch erhoben. Die Wortmeldungen einiger linker Fraktionen trieben die Wählerinnen und Wähler in die rechte Richtung. An die Verwaltung richtet er die Bitte um eine zeitnahe schriftliche Beantwortung des Antrages, in der die weiteren Planungen, Kosten einer kommunalen Einführung und Zeitdauer erläutert werden. Er habe sich über andere Landkreise informiert, die nicht europaweit ausgeschrieben hätten, da die Kosten unter den Wertgrenzen lägen. Falls danach noch Fragen offen seien, werde seine Fraktion den Antrag nochmals auf eine Tagesordnung des Verwaltungsausschusses setzen. Abschließend äußert er Zustimmung zu Stuttgart als Modellkommune.

Die Anmerkung von StR Dr. Oechsner, es könne quasi überall mit Karte bezahlt werden, sei zwar korrekt, so StRin Meergans, aber es gehe doch um die Frage, mit welcher Begründung eine Bezahlkarte eingeführt werde. Dies habe sich ihr nicht erschlossen.

Als Linke bei Diskriminierung zu schweigen, ist für StRin Tiarks nicht akzeptabel. Auf die Frage von StR Kotz, wer dieses Thema groß mache, erklärt sie, sie sei nicht diejenige, die diesen Antrag gestellt habe. Es müsse über Ursache und Wirkung nachgedacht werden. Geflüchteten müssten die gleichen Möglichkeiten eingeräumt werden wie den Menschen, die nach Deutschland zum Arbeiten kämen.

StR Ozasek betont, seine Kritik habe sich explizit auf den Wortlaut des Antrages bezogen, der im Kern die Argumentation trage, Menschen würden in das deutsche Sozialsystem "hineinmigrieren", um daraus Geld zu beziehen. Damit werde das gesellschaftliche Klima vergiftet, Rassismen befördert und auf das "Wahlkampf-Kässchen" der AfD eingezahlt. Gegenüber StR Dr. Oechsner führt er aus, der deutsche Gesetzgeber habe nie festgelegt, dass es überall eine digitale Bezahloption geben müsse. Es gebe zahlreiche Beispiele, bei denen nur bar bezahlt werden könne, was wiederum automatisch Menschen diskriminiere, die ausschließlich digital bezahlen könnten.

StR Kotz befinde sich mit seinem Antrag in großer Gemeinschaft, erklärt OB Dr. Nopper. Die Situation in Stuttgart sei offensichtlich eine besondere, denn einige Fraktionen stellten sich gegen die Linie ihrer Bundespartei.

Auf die Grundlage für die Diskussion, nämlich den Antrag, geht StRin Rühle zurück und erklärt, darin sei von Überweisungen in die Ukraine die Rede. Dies habe nichts mit Überlegungen zu einer Bezahlkarte zu tun, denn ukrainische Flüchtlinge fielen nicht unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Im Antrag würden Themen vermischt und Tatsachen verdreht.

Formal gehe es in der Tat um eine Bezahlkarte für Asylbewerber, weshalb die Anmerkung von StRin Rühle berechtigt sei, bestätigt der Oberbürgermeister.

StR Dr. Oechsner betont, die ausgezahlte Unterstützung sei nicht für Überweisungen in die Herkunftsländer gedacht. Man habe nicht die freie Wahl in der Verwendung von staatlichen Mitteln; das Geld sei dazu da, den Lebensunterhalt in Deutschland zu unterstützen. Solange die Meinung in Deutschland kursiere, Bargeld befördere Fluchtbewegungen nach Deutschland, sei es auch richtig, eine Bezahlkarte einzuführen. Gegenüber StR Ozasek führt er aus, wer mit seinem Geld sparsam umgehen müsse, bewege sich nicht in Geschäften, wo nur bar bezahlt werden könne.


Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen mehr ergeben, stellt EBM Dr. Mayer fest:

Über den Antrag Nr. 11/2024 wird auf Wunsch der Antragsteller heute nicht abgestimmt. Es erfolgt eine schriftliche Beantwortung.

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