Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
500
11a
VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 15.11.2017
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Dr. Mayer
Berichterstattung:BM Wölfle
Protokollführung: Herr Häbe de
Betreff: Die "Satzung über die Benutzung von Unterkünften des Sozialamtes für Flüchtlinge" (GRDrs 381/2017 Neufassung) wird ausgesetzt, bis ein neues Umsetzungsverfahren erarbeitet ist
- Antrag Nr. 898/2017 (SPD) vom 27.10.2017

Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Der Tagesordnungspunkt wird von BM Dr. Mayer aufgerufen.

StRin Dr. Hackl (SPD) erläutert den Antrag. Insbesondere trägt sie dabei vor, ihre Fraktion sei davon überrascht worden, dass die Gebührenbescheide nach Beschluss der Satzung über die Benutzung von Unterkünften des Sozialamts für Flüchtlinge die erhöhten Gebühren enthalten. Die Adressaten dieser Gebührenbescheide müssten daher beim Jobcenter prüfen lassen, ob sie die erhöhte Gebühr selbst bezahlen müssten, oder ob sie die ermäßigte Gebühr beantragen könnten. Dies werde als "Webfehler" der im Sommer beschlossenen Satzung angesehen. Den Selbstzahlern müssten die ermäßigten Gebühren - und dies lasse sich aus der GRDrs 391/2017 schließen - von Anfang an in Rechnung gestellt werden. Weiter sei problematisch, dass durch einen SGB II-Bezug grundsätzlich negative ausländerrechtliche Folgen möglich seien. Dies habe die Verwaltung mit ihrer Stellungnahme vom 18. Oktober 2017 zum Antrag Nr. 269/2017 "Satzung über die Benutzung von Unterkünften für Flüchtlinge - in der Umsetzung stellen sich Fragen" der SPD-Gemeinderatsfraktion bestätigt; hierzu fand im Rahmen der 1. Lesung des Haushaltsplanentwurfs 2018/2019 am 08. November 2017, Tagesliste Nr. 34, im Verwaltungsausschuss bereits eine Aussprache statt (siehe nicht öffentliche NNr. 470/HH).

Die SPD-Gemeinderatsfraktion kritisiere, wenn über dieses Verfahren ein SGB II-Bezug erzwungen werde, steige die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet die Menschen von ausländerrechtlichen Folgen bedroht würden, die über Arbeit und Ausbildung ihren Integrationswillen zeigten.

Da die Satzung am 13. Juli 2017 beschlossen worden sei, befinde man sich noch in der 6-monatigen Sperrfrist nach § 34 Abs. 1 Satz 6 GemO. Eine Satzungsänderung dürfte von daher eigentlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgen. Allerdings gebe es Kommentare, die besagten, dann, wenn sich Entscheidungsgrundlagen völlig verändert hätten, oder beim Abstimmungsvorgang über die Satzung nachweislich Unklarheiten bestanden hätten, dass dann eine Aussetzung dieser 6-Monatsfrist möglich wäre.

Dass über die mit den Antragsanliegen verbundenen Fragestellungen bereits mehrfach zwischen dem Gemeinderat und der Verwaltung Gespräche stattgefunden haben, unterstreicht BM Wölfle. Wenn davon gesprochen werde, dass ein "Webfehler" vorliege, betreffe dies die Sozialgesetzgebung und nicht die beschlossene Satzung; zum Grundprinzip des Deutschen Sozialstaates gehöre, dass eine Person, die Anspruch auf unterstützende Leistungen habe, diese Leistungen auch erhalte. Der Anspruch müsse aber, völlig losgelöst vom Status der Person, durch das Jobcenter geprüft werden.

Die Aussage von StRin Dr. Hackl, dass es zwei Kategorien von Selbstzahlern gebe, sei falsch. Stets sei klar gewesen, dass auch bei Flüchtlingen das Jobcenter diese Prüfungen durchführe. Betroffen von der Satzung seien lediglich Flüchtlinge, die durch Arbeit über eigenes Einkommen verfügten. Nach Erhalt eines Gebührenbescheides müssten diese Personen durch das Jobcenter überprüfen lassen, ob sie Anspruch auf unterstützende Leistungen haben. Solche Prüfungen müsse beispielsweise jeder Mieter vornehmen, wenn er um unterstützende Leistungen nachsuche.

Bewusst werde mit der Satzung die Überlegung verfolgt, Gutverdienende zu Selbstzahlern zu machen. Darüber sei auch mit den Fraktionen gesprochen worden. Dabei sei seitens des Gemeinderates gesagt worden, für diese Gruppe sollte in die Satzung ein 6-monatiger Puffer eingebaut werden, damit die erhöhte Gebühr abgefedert werde. Unter anderem sei damit die Überlegung verbunden worden, dass diese Menschen in diesen 6 Monaten eigenen Wohnraum finden könnten.

Da die Verwaltung sich nicht in der Lage gesehen habe zu erklären, wieviele Menschen von dieser Satzung betroffen würden, habe die Verwaltung mit den Fraktionen darüber Einvernehmen erzielt, vor Ablauf der 6 Monate, also im kommenden Januar, über die Auswirkungen zu sprechen. Derzeit gebe es 138 Anträge von Selbstzahlern. Davon seien 87 bewilligt worden, also 87 Antragsteller verdienten so viel, dass sie keinen Anspruch auf unterstützende Leistungen haben, und diese müssten 6 Monate lediglich die reduzierte Gebühr bezahlen. 3 Anträge seien abgelehnt worden und über 48 Anträge sei noch nicht entschieden worden.

Ein Bezug von öffentlichen Leistungen werde mal mit Ermessensspielraum und mal mit weniger Ermessenspielraum ausländerrechtlich betrachtet. Bei anerkannten Asylbewerbern sei der Ermessensspielraum der Ausländerbehörde groß genug, dass wenn öffentliche Leistungen nur aufgrund der Unterkunftskosten bezogen würden, sich dies ausländerrechtlich nicht auswirke.

Bei geduldeten und gestatteten Flüchtlingen gebe es in ganz unterschiedlichen Fallkonstellationen Sondertatbestände, bei denen ausländerrechtliche Konsequenzen, z. B. dass ein Familiennachzug nicht gestattet werde, nicht ausgeschlossen werden könnten. Dies habe die Leiterin des Amtes für öffentliche Ordnung, Frau Koller, nochmals ausführlich dargestellt. Dies stehe aber nicht im Zusammenhang mit der Gebührensatzung.

Mit dem Antrag werde sozusagen begehrt, die Satzung aufzuheben. Dies hieße, alle Personen, die Gebührenbescheide erhalten hätten, müssten angeschrieben und darüber informiert werden, dass wieder die alte Satzung in Kraft getreten sei. Dies wäre, obwohl sich die SPD-Gemeinderatsfraktion nicht grundsätzlich gegen diese Gebühr wende, ein immenser Aufwand.

Wenn im Januar über die 6-Monats-Frist gesprochen werde, könne auch über die für Auszubildende eingeführte Härtefallregelung gesprochen werden.

Durch Herrn Spatz wird zu einem von StRin Dr. Hackl angeführten Beispiel vorgetragen, bei Selbstzahlern wünsche sich StRin Dr. Hackl, dass keine Prüfung durch das Jobcenter erfolge. Vielmehr solle sein Amt einen Bescheid mit der reduzierten Gebühr versenden. Hier müsse aber bei allen Gebührenzahlern gleich vorgegangen werden. Damit werde gewährleistet, dass z. B. ein Antragsteller Ansprüche auch für seine Familie, beispielsweise eine Frau und 2 Kinder, prüfen lasse. Es sei doch nicht wünschenswert, dass ein Familienoberhaupt bei der Versorgung seiner Frau und seiner Kinder Kürzungen vornehme.

StR Dr. Reiners (CDU) zeigt sich mit der Positionierung der Verwaltung einverstanden. Ihm gegenüber stellt BM Wölfle klar, in der 1. Lesung im Verwaltungsausschuss am 08. November 2017 sei es um die Höhe der Gebühreneinnahmen gegangen. Dieses Thema sei in die 2. Lesung vertagt worden. Von StR Winter (90/GRÜNE) wird unterstrichen, dass die Prüfung des Anspruchs auf unterstützende Leistungen für alle Einwohner, also auch für Flüchtlinge, durch das Jobcenter erfolgt. Zugesagt worden sei, dass die Ausländerbehörde Ermessen prüft und wenn möglich ausübt. Eine Änderung der Satzung lehnt er ab. StR Körner (SPD) bedankt sich bei BM Wölfle dafür, dass das Thema heute zum wiederholten Male besprochen werden kann. Ein öffentlicher Austausch der Argumente sei für die demokratische Stadtgesellschaft wichtig, da viele der bereits geführten Diskussionen nicht öffentlich stattgefunden hätten. Der Satzungsbeschluss im Juli sei für die SPD-Gemeinderatsfraktion unter der Annahme erfolgt, dass die Selbstzahler (nach der alten Satzung) Bescheide mit der ermäßigten Gebühr erhalten. Die 6-Monats-Frist nach § 34 GemO solle Missbräuche verhindern. Ein solcher liege im vorliegenden Fall aber nicht vor. Danach erinnert StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS), die Mitglieder seiner Fraktionsgemeinschaft hätten sich beim Satzungsbeschluss entweder der Stimme enthalten oder den Beschlussantrag abgelehnt. Die Ablehnung falle heute noch entschiedener aus. Dagegen unterstützt StRin von Stein (FW) die Ausführungen von BM Wölfle. StR Klingler (AfD) erklärt, ein Systemfehler sei, dass EU-Ausländer schlechter gestellt würden, als Flüchtlinge. Er habe für die heutige Diskussion kein Verständnis. Angesichts der für ihn schlüssigen Argumentation der Verwaltung äußert auch StR Dr. Oechsner (FDP) kein Verständnis für diese Beratung.

Im Vordergrund für die SÖS-LINKE-PluS-Fraktionsgemeinschaft steht laut StR Rockenbauch die sozialpolitische Bedeutung dieser Gebühr. Mit der Satzung, und dies kritisiert er mit Nachdruck, sei eine städtische Gebühr bei 4,5 m2/Person verdreifacht worden (bei evtl. künftig 7 m2/Person ergibt sich eine Verfünffachung). Für die Integrationsbemühungen der Betroffenen handle es sich um einen demotivierenden Schritt. Vor diesem Hintergrund habe die SÖS-LINKE-PluS-Fraktionsgemeinschaft den Haushaltsantrag gestellt, diese Gebühr, 5,8 Mio. €/Jahr, auszusetzen. Die Aktenlage besage, so BM Wölfle gegenüber StR Rockenbauch, dass von den 4.000 Bewohnern der Unterkünfte derzeit nur 17 Haushalte nach Versand der Gebührenbescheide wieder in einen Leistungsbezug gekommen seien. Wie BM Wölfle wendet sich auch StR Winter gegen die Wortwahl "Mietwucher" durch StR Rockenbauch. StR Winter betont, dass es sich um eine Gebühr handelt und er erinnert daran, dass an Themen wie Betreuungsschlüssel fraktionsübergreifend gearbeitet wurde. Ein Vergleich mit Mietkosten/m2 werde der Sache nicht gerecht. Deutlich macht StR Rockenbauch, die Verwaltung selbst habe in ihren Papieren die Gebühr mit Mietkosten verglichen. Aus der sich ergebenden Gebührenerhöhung habe er abgeleitet, dass eine solche Erhöhung im Mietbereich alles übertreffe, was er unter Mietwucher verstehe. Diese Assoziation lege die Verwaltung selbst nahe.

Deutlich macht BM Wölfle im weiteren Verlauf, der Bund erstatte der Stadt 51 % der Kosten. Sozialpolitisch unverantwortlich wäre es, wenn die Landeshauptstadt für den Stuttgarter Steuerzahler auf diese Gelder verzichten würde. Ein solcher Verzicht ließe sich nicht erklären. Mit der 6-monatigen Sozialkomponente für Selbstzahler zeigt die Stadt für StR Rockenbauch auf, dass es für durch die Stadt definierte Fälle möglich ist, von einer 80 bzw. 100 %igen Kostendeckung abzuweichen. Möglich wäre es auch gewesen, in diesen 6 Monaten die Gebühr für Selbstzahler, alte und neue, unverändert zu belassen. Damit hätte sich für diese Menschen auch kein neuer Tatbestand ergeben.

StR Körner stellt die Frage, ob die Verwaltung heute mit der Ausländerbehörde sicherstellen kann, dass die Satzung auch bei geduldeten und gestatteten Flüchtlingen nicht zu negativen ausländerrechtlichen Konsequenzen führt. Hierzu merkt BM Wölfle an, zugesagt werde, auch durch die Ausländerbehörde des Amtes für öffentliche Ordnung, dass, wo immer Ermessensspielräume im Zusammenhang mit Entscheidungen aufgrund von Unterkunftskosten anstünden, diese Spielräume stets im Interesse der Flüchtlinge genutzt würden.

Nachdem StRin von Stein nachfragt, was diese Gebühr alles abdeckt, spricht StR Dr. Oechsner den Aspekt der Finanzierung der Unterkünfte und StR Winter nochmals den Aspekt des Betreuungsschlüssels an. Daran anknüpfend ruft BM Wölfle die Qualität der Stuttgarter Unterkünfte in Erinnerung. Er verweist dabei darauf, dass in der Umgebung Stuttgarts Flüchtlinge immer noch in Zelten untergebracht sind. Dort seien natürlich die Gebühren niedriger, aber die Stuttgarter Unterkünfte könnten architektonisch und sozial als mehr als verträglich bezeichnet werden. Darauf, dass sich Stuttgart für diesen in der Tat etwas teureren Weg entschieden habe, könne man stolz sein. In der Gebühr seien die Gebäudekosten, die entsprechenden Gebäudeabschreibungen sowie die Betriebskosten (Wasser, Strom, Heizung, Abfall) enthalten. Nicht einfließen würden die Kosten der sozialpädagogischen Betreuung. Gegenüber dem Bund sei es natürlich nicht möglich irgendwelche fingierten Zahlen in Rechnung zu stellen. Der Bundesrechnungshof kontrolliere, ob reale Kosten in Rechnung gestellt würden. Mit den auf maximal 10 Jahre befristeten sogenannten Systembauten ergebe sich eine höhere Abschreibungsquote. Die Nachfrage von StRin von Stein, ob Bettwäsche ebenfalls zu den Betriebskosten gehört, verneint Herr Spatz. Nach Kenntnis von StR Rockenbauch geht der Bund von ca. 2 € Betriebskosten/m2 aus. "Schräg" sei es, aus der 51 %igen Kostenerstattung des Bundes abzuleiten, dass es sozialpolitisch notwendig sei, die Gebühren zu erhöhen. Die bis Juli geltende Gebühr hätte fortgeführt werden können. Für den Ausnahmefall der Selbstzahler (alte und neue) sollte sich der Gemeinderat überlegen, die frühere Gebühr wieder einzuführen.

StR Körner fragt, ob es der Verwaltung grundsätzlich nicht möglich ist, Selbstzahlern nach der alten Satzung von vorn herein ermäßigte Gebührenbescheide zuzusenden. Im Interesse aller müsse es doch liegen, dass gerade diese Gruppe weiterhin zu den Selbstzahlern gehören könne. Hierzu erläutert BM Wölfle, bei einer Person, die nach der alten Satzung bereits Selbstzahler gewesen sei, müsse aufgrund des neuen Bescheides geklärt werden, ob diese Person weiterhin Selbstzahler sei oder ob diese wieder Anspruch auf Leistungen habe. In der Vergangenheit, so Herr Spatz, habe sich die Nutzungsgebühr für Wohnheime auf 116,70 €/Monat belaufen. Aktuell mit der Sozialkomponente ergebe sich ein Betrag von 228,15 €/Monat. Nicht jede Person, die vor Erlass der neuen Satzung Selbstzahler gewesen sei, könne automatisch weiterhin als Selbstzahler betrachtet werden. Es sei keine Schande die eigenen Verhältnisse nach Erhalt des neuen Gebührenbescheides durch das Jobcenter prüfen zu lassen. Bei Familien wolle das Sozialamt, dass die Menschen die ihnen zustehenden Leistungen realisierten, nicht zuletzt im Interesse der Kinder. StRin Dr. Hackl geht davon aus, dass die Betroffenen die soziale Komponente selbst bezahlen können. Dafür sollte ihnen auch die Chance eingeräumt werden, indem ihnen diese Gebühren in Bescheiden in Rechnung gestellt werde. Dagegen bezeichnet es BM Wölfle als nicht korrekt, wenn Selbstzahler zum Stichtag 01.09.2017 auf Dauer als Selbstzahler durch die in Rechnungstellung des niedrigen Satzes (Sozialkomponente) definiert werden, während diejenigen, die ab 02.09.2017 Arbeit gefunden haben, den neuen Selbstzahlertarif berechnet bekämen.


Der abschließenden Bemerkung von BM Wölfle, die SPD-Gemeinderatsfraktion wolle den Antrag nochmals in die Fraktion mitnehmen, um zu entscheiden, ob nochmals in dieser Angelegenheit ein Vorstoß erfolgen soll, wird aus dem Ausschuss heraus nicht widersprochen. Danach wird dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

zum Seitenanfang