Die EnBW Vertrieb GmbH kündigte mit Schreiben vom 27. Juni 2012 gegenüber der Landeshauptstadt Stuttgart an, die Preise für Trinkwasser zum 1. August 2012 um 9,3 % von € 2,34 je m³ auf € 2,56 je m³ zu erhöhen. Mit Schreiben vom 10. Juli 2012 und vom 26. Juli 2012 forderte die Landeshauptstadt Stuttgart die EnBW auf, die geplante Preiserhöhung nicht umzusetzen, da der kalkulatorische Neustart durch die höhere Bewertung des Anlagevermögens von der LHS nicht akzeptiert wurde. Die EnBW teilte der Landeshauptstadt Stuttgart mit Schreiben vom 23. Juli 2012 mit, dass an der Preiserhöhung festgehalten wird. Den uns vorgelegten Unterlagen der EnBW kann entnommen werden, dass der Gesamtaufwand der Kalkulation für das Jahr 2011 sich gegenüber der Kalkulation für das Jahr 2007 um € 16 Mio. erhöht hat. Wie in der GRDrs 538/2012 dargelegt, haben sich die Kalkulationspositionen unterschiedlich entwickelt. Der Betriebsaufwand ohne den kalkulatorischen Aufwand ist zwischen den Jahren 2007 und 2012 um € 11 Mio. zurückgegangen. Der kalkulatorische Aufwand ist hingegen zwischen den Jahren 2007 und 2012 um € 26 Mio. gestiegen. Der Grund für die unterschiedliche Entwicklung der Kalkulationspositionen liegt in der geänderten Bewertung des Anlagevermögens. Die EnBW legt der Kalkulation des Wasserpreises für das Jahr 2011 die Sachzeitwerte des Anlagevermögens zugrunde. Dies führt zu einer höheren Bewertung des Anlagevermögens und mithin aus Sicht der LHS zu unzulässigen höheren kalkulatorischen Kosten (kalkulatorischer Neustart). 2. Wasserpreiserhöhung / kartellbehördliche Preisprüfung
Aufgrund der zum 01.08.2012 durch die EnBW Vertrieb GmbH vorgenommenen Trinkwasserpreiserhöhung hat die Landeskartellbehörde BW ein Preisprüfungsverfahren gegen die EnBW Vertrieb GmbH eingeleitet. Von den 83 unter der Aufsicht der Landeskartellbehörde stehenden Trinkwasserversorgern verlangt die EnBW Vertrieb GmbH von ihren Abnehmern nunmehr den vierthöchsten Preis. Den höchsten Preis verlangt die Energie Calw GmbH, gegen die ebenfalls ein Preisprüfungsverfahren der Landeskartellbehörde läuft. 3. Rechtliche Ansatzpunkte der LHS
Gegenstand des in der Überschrift genannten Rechtsgutachtens ist die Frage, ob die LHS ihrerseits rechtliche Möglichkeiten hat, gegen die Wasserpreiserhöhung der EnBW Vertrieb GmbH vorzugehen. In Betracht kommt insoweit zunächst ein Vorgehen aufgrund der Vereinbarung zwischen der LHS, der Energie Baden-Württemberg AG und den Neckarwerken Stuttgart AG vom 27.11.2001, die im Rahmen des Verkaufs der NWS-Anteile der LHS an die Energie Baden-Württemberg AG geschlossen wurde und die in § 2 vorsieht, dass Grundlage für die Entwicklung des Wasserpreises in Stuttgart die (seinerzeit, also im Jahr 2001) aktuelle Kostenrechnung sein sollte. Daneben kommt auch ein Vorgehen der LHS in ihrer Eigenschaft als Wasserkunde gegen die EnBW in Betracht. 4. Erfolgsaussichten / Risiken
4.1 Klage aufgrund der Vereinbarung vom 27.11.2001
Die Formulierung des § 2 der Vereinbarung vom 27.11.2001 ist bezüglich der einzelnen Kostenfaktoren, die Bestandteile der Wasserpreisermittlung sind, offen. Sie ist auslegungsfähig, jedoch auch auslegungsbedürftig. Ein Gericht, das über den Bedeutungsgehalt des § 2 zu befinden hätte, müsste überzeugt werden, dass ein Beibehalten der im Jahr 2001 „aktuellen Kostenrechnung“ eine Konsistenz bzw. eine Fortschreibung der kalkulatorischen Kostenfaktoren umfasste. Außerdem müsste ein Gericht überzeugt werden, dass § 2 eine Anspruchsgrundlage der LHS auf Unterlassen einer auf im Jahr 2001 abweichenden kalkulatorischen Kostenansätzen beruhenden Wasserpreiserhöhung impliziert, dass also die LHS auf dieser Grundlage aktiv gegen die EnBW vorgehen kann. Das Rechtsgutachten der Kanzlei AULINGER zeigt insoweit zwar auf, dass eine entsprechende Argumentation gut begründet und damit auch gut vertreten werden kann. Jedoch sind die prozessualen Risiken eines Vorgehens auf der Grundlage der Vereinbarung vom 27.11.2001 zu beachten.
4.2 Klage als Wasserkunde
Demgegenüber würde sich die LHS mit einer Klage in ihrer Eigenschaft als Wasserkunde in die prozessuale Situation eines beliebigen Wasserkunden in Stuttgart begeben. Sie könnte damit – wie aus zahlreichen Prozessen in Gas- und Strombereich bekannt – die Feststellung der Unbilligkeit des neuen Wasserpreises gemäß § 315 BGB und daraus folgend die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Wasserpreiserhöhung als prozessualen Anspruch geltend machten. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt insbesondere darin, dass ein Wasser-, Gas- oder Stromkunde die Unbilligkeit lediglich substantiiert behaupten muss, während das betroffene Unternehmen in aller Regel die Kalkulationsgrundlagen für eine Preisbildung zur Prüfung durch das Gericht oder einen Sachverständigen offenlegen muss. 5. Verhältnis zum Preisprüfungsverfahren der Landeskartellbehörde
Grundsätzlich verfolgen ein kartellrechtliches Preisprüfungsverfahren und die gerichtliche Überprüfung einer Preiserhöhung am Maßstab des § 315 BGB auf Antrag eines Energie- oder Wasserkunden unterschiedliche Prüfansätze. Während ein kartellrechtliches Preisprüfungsverfahren Gruppen von strukturell vergleichbaren Versorgern bildet und prüft, ob vor diesem Hintergrund ein Unternehmen seine Alleinstellung als Wasserversorger in einem bestimmten Gebiet bei der Preisbildung missbräuchlich ausnutzt, liegt der Fokus eines „315-er-Verfahrens“ auf der kostenbezogenen Rechtfertigung für eine Preiserhöhung, insbesondere z. B. aufgrund gestiegener Bezugskosten, Personalkosten etc. Jüngst hat jedoch der BGH in einem Rechtsbeschwerdeverfahren der Landeskartellbehörde BW gegen die Energie Calw GmbH erstmals judiziert, dass als zulässige Kontrollmethode bei der Prüfung eines Wasserpreises auch die Überprüfung der Preisbildungsfaktoren in Betracht kommt und zulässig ist. Ob die Landeskartellbehörde BW auch im Fall der EnBW Vertrieb GmbH davon Gebrauch macht, ist derzeit nicht vorhersehbar. 6. Handlungsempfehlung
Vor dem Hintergrund a) der prozessualen Risiken des Vorgehens gegen die EnBW Vertrieb GmbH auf der Grundlage der Vereinbarung vom 27.11.2001 und b) der Unvorhersehbarkeit der Dauer und des Ergebnisses des kartellrechtlichen Preisprüfungsverfahrens der Landeskartellbehörde BW und der fehlenden Möglichkeit einer Einflussnahme der LHS auf dieses Preisprüfungsverfahren lautet die Handlungsempfehlung auf Erhebung einer Klage der LHS in ihrer Eigenschaft als Wasserkunde gegen die EnBW Vertrieb GmbH. Ziel dieser Klage ist die gerichtliche Feststellung der Unbilligkeit der von EnBW Vertrieb GmbH zum 01.08.2012 vorgenommenen Wasserpreiserhöhung am Maßstab des § 315 BGB und damit auch die gleichzeitige Feststellung der Unwirksamkeit dieser Wasserpreiserhöhung. 7. Stand der Prüfung durch die Landeskartellbehörde
Mit der Pressemitteilung vom 8. August 2012 teilte die Energiekartellbehörde des Landes mit, dass Anfang Juli Vorermittlungen gegen die EnBW Vertrieb GmbH wegen der Erhöhung des Trinkwasserpreises eingeleitet wurden. Die Energiekartellbehörde bearbeitet die Prüfung nach eigener Aussage derzeit mit Priorität. Nachdem die Energiekartellbehörde zunächst von verschiedenen Seiten Auskünfte eingeholt hat, ist nunmehr davon auszugehen, dass eine Entscheidung in absehbarer Zeit getroffen wird. Finanzielle Auswirkungen Beteiligte Stellen Dr. Wolfgang Schuster Anlagen zum Seitenanfang Zusammenfassung - Wasserpreiserhöhung -.pdf