Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Allgemeine Verwaltung/Kultur und Recht
Gz: AKR
GRDrs 793/2018
Stuttgart,
09/25/2018



Linden-Museum - Rückgabe von Kulturgütern und anderen Objekten aus kolonialem Kontext



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Ausschuss für Kultur und Medien
Verwaltungsausschuss
Beratung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
09.10.2018
10.10.2018



Beschlußantrag:

1. Der Rückgabe der Familienbibel und einer Peitsche Hendrik Witboois nach Namibia, die sich im Sammlungsbestand des Linden-Museums befinden und deren Herkunft in kolonialem Kontext steht, wird zugestimmt.

2. Der Rückgabe von sterblichen Überresten indigener Australier (zwei Schädel) nach Australien, die sich im Sammlungsbestand des Linden-Museums befinden und deren Herkunft in kolonialem Kontext steht, wird zugestimmt.

3. Die städtischen Vertreter im Verwaltungsrats des Linden-Museums werden gebeten, die Beschlüsse zu Ziffer 1 und 2 umzusetzen.


Kurzfassung der Begründung:
Ausführliche Begründung siehe Anlage 1

Der Umgang mit Kulturgütern und anderen Objekten, die in kolonialem Kontext erworben wurden, ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema geworden, das weit über die Museumslandschaft hinaus öffentliche Beachtung findet.

Es liegen aktuell zwei Rückgabeersuchen für Sammlungsgegenstände des Linden-Museums vor:
- Der Staat Namibia hat um Rückgabe der Familienbibel und der Peitsche von Hendrik Witbooi gebeten, der während der deutschen Kolonialzeit Anführer der Nama-Gruppe war.
- Der Staat Australien hat um Rückgabe von zehn für die Herkunftsgesellschaften spirituell hoch bedeutsamen australischen Schädel gebeten. Derzeit befinden sich acht Schädel bei der Universität Freiburg und zwei beim Linden-Museum.

Da die Landeshauptstadt Stuttgart neben dem Land Baden-Württemberg zur Hälfte Eigentümerin der Sammlungen des Linden-Museums ist, sind auch von städtischer Seite die rechtlichen Voraussetzungen für die Rückgaben zu schaffen. Dies erfolgt durch die Zustimmung des Verwaltungsausschusses des Gemeinderats zu dieser Beschlussvorlage.

Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen beim Land Baden-Württemberg sollen durch einen Beschluss im Rahmen der Ergänzung des Staatshaushaltsplans 2018/2019 im Herbst 2018 geschaffen werden.

Der Verwaltungsrat des Linden-Museums wird sich schließlich in seiner Sitzung am 3. Dezember 2018 mit dem Thema befassen.

Finanzielle Auswirkungen

Der finanzielle Wert wurde nicht ermittelt, weil bei der Rückgabe der Objekte der ideelle Wert im Vordergrund steht.



Beteiligte Stellen

Referat WFB

Vorliegende Anträge/Anfragen

keine

Erledigte Anträge/Anfragen

keine



Dr. Fabian Mayer
Bürgermeister


Anlagen

Anlage 1 - Ausführliche Begründung


Ausführliche Begründung


Allgemeines

Für den Umgang mit Kulturgütern und anderen Objekten, die in kolonialem Kontext erworben wurden, existieren keine vergleichbaren Regelungen wie für den Umgang mit den NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern. Zur Behandlung von konkreten Einzelfällen hat der Deutsche Museumsbund im Mai 2018 einen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialem Kontexten vorgestellt, der als Empfehlung jedoch keine Bindungswirkung hat.

Nach Überzeugung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg kann ein angemessener Umgang mit einschlägigen Kulturgütern und anderen Objekten nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles bewertet werden, wobei die Rückgabe nur eine von mehreren möglichen Handlungsoptionen darstellt. Eine Rückgabe kommt für Kulturgüter und andere Objekte in Betracht, bei denen bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs gegen die damaligen rechtlichen oder ethischen Standards verstoßen wurde oder deren Erwerbsumstände in besonders starkem Widerspruch zu heutigen ethischen Standards stehen. Nach sorgfältiger Prüfung kann sich hier im Einzelfall eine Rückgabe als einzig angemessene Maßnahme darstellen.


Aktuelle Rückgabeersuchen

Beim Linden-Museum liegen Rückgabeersuchen Namibias über die Familienbibel und eine Peitsche Hendrik Witboois sowie Rückgabeersuchen Australiens über sterbliche Überreste indigener Australier vor.

1. Rückgabe der Familienbibel und einer Peitsche Hendrik Witboois
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass die Familienbibel und die Peitsche der Witbooi-Familie bei einem kriegerischen Überfall deutscher Truppen am 12. April 1893 auf die Siedlung Hornkranz erbeutet wurden. Danach kamen sie als Schenkung in den Besitz des Linden-Museums. Im Hinblick darauf, dass die Familienbibel und die Peitsche durch einen kriegerischen Akt in deutschen Besitz kamen und Hendrik Witboois für die Geschichte von Namibia von großer Bedeutung ist, sollte die Landeshauptstadt Stuttgart keine Einwände gegen die Herausgabe erheben. Das Land Baden-Württemberg möchte der Bitte Namibias aus ethischen Gründen entsprechen. Das Linden-Museum befürwortet eine Rückgabe.

2. Rückgabe sterblicher Überreste indigener Australier
Die australische Regierung bemüht sich seit längerem international um die Rückführung menschlicher Überreste australischer Ureinwohner. Für die Ureinwohner Australiens haben menschliche Überreste der Ahnen auch über viele Generationen hinweg hohe spirituelle Bedeutung.

Australien hat um Rückgabe von insgesamt zehn menschlichen Schädeln aus dem Bestand des Instituts für Humangenetik und Anthropologie der Universität Freiburg (acht Schädel) und des Linden-Museums (zwei Schädel) gebeten.

Die Universität Freiburg hat der Rückgabe bereits zugestimmt. Das Land Baden-Württemberg möchte der Bitte Australiens aus ethischen Gründen auch bezüglich der im Linden-Museum befindlichen Schädel entsprechen. Das Linden-Museum befürwortet eine Rückgabe. Auch andere ethnologische Museen haben in der Vergangenheit bereits menschliche Überreste an die Herkunftsgesellschaften zurückgegeben.



Eigentum an den Sammlungen des Linden-Museum / Rechtlicher Rahmen für die Rückgabe

Die Stadt Stuttgart ist neben dem Land Baden-Württemberg nach § 3 Abs. 1 des Übernahmevertrags vom 23. Oktober 1973 zur Hälfte Eigentümerin der Sammlungen des Linden-Museums.

Beim Land Baden-Württemberg sollen die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Rückgaben durch einen Beschluss im Rahmen der Ergänzung des Staatshaushaltsplans 2018/2019 im Herbst 2018 geschaffen werden.

Die Stadt Stuttgart wurde vom Land Baden-Württemberg gebeten, ebenfalls die (haushalts-) rechtlichen Voraussetzungen für die Rückgaben zu schaffen.
Aus haushaltsrechtlicher Sicht handelt es sich bei der unentgeltlichen Übereignung der Gegenstände nach Namibia und Australien um eine Veräußerung unter Wert gem. § 92 Abs. 3 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO). Die nach Satz 1 dieser Vorschrift eigentlich erforderliche Vorlage des Beschlusses über die Veräußerung an die Rechtsaufsichtsbehörde entfällt gem. § 92 Abs. 3 Satz 2 GemO i. V. m. der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über allgemeine Genehmigungen und die Freistellung von der Vorlagepflicht nach dem Gemeindewirtschaftsrecht vom 1. Januar 2015. Nach Abschnitt "B" Nr. "1" dieser Verwaltungsvorschrift sind solche Veräußerungen unter Wert im sachenrechtlichen Sinne, die bewegliche Gegenstände, wie sie hier vorliegen, zum Gegenstand haben, generell genehmigt.
Bei dieser Veräußerung unter Wert handelt es sich nicht mehr um ein Geschäft der laufenden Verwaltung, so dass gem. §§ 3, 6 und 7 der Hauptsatzung der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats zuständig ist.
Mit der Zustimmung des Verwaltungsausschusses zu dieser Beschlussvorlage werden somit die rechtlichen Voraussetzungen der Rückgabe auf städtischer Seite geschaffen.

Für die Rückgabe von Sammlungsgegenständen des Linden-Museums ist nach § 5 Ziffer g des Vertrags vom 15. Oktober 1973 über den gemeinsamen Betrieb des Linden-Museums zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart zudem eine Zustimmung des Verwaltungsrats des Linden-Museums erforderlich. Der dortige Beschluss über die Rückgabe ist in der Sitzung des Verwaltungsrats des Linden-Museums am 3. Dezember geplant.

Der Verwaltungsrat des Linden-Museums ist paritätisch besetzt. Ihm gehören an:


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