Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Recht/Sicherheit und Ordnung
Gz: OB 7831-10.00
GRDrs 46/2016
Stuttgart,
04/06/2016



Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S 21 aufgrund des Leistungsrückbaus durch das Projekt" - Abhilfeprüfung im Widerspruchsverfahren



Beschlußvorlage
Vorlage an
    zur
SitzungsartSitzungstermin
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Verwaltungsausschuss
Gemeinderat
Vorberatung
Beschlussfassung
Vorberatung
Beschlussfassung
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
öffentlich
öffentlich
öffentlich
öffentlich
13.04.2016
14.04.2016
06.07.2016
07.07.2016
07.12.2016
08.12.2016



Beschlußantrag:

1.
Den Widersprüchen von Herrn Joris Schoeller, Marc Braun und Hans Heydemann gegen den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 29.07.2015 über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens „Leistungsrückbau“ gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird nicht abgeholfen.

2.
Die Widersprüche werden dem Regierungspräsidium Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Die Verwaltung wird beauftragt, die Widerspruchsführer darüber zu unterrichten, dass die Stadt den Widersprüchen nicht abgeholfen hat.



Begründung:


1. Bürgerbegehren

Am 30.03.2015 wurde Herrn Oberbürgermeister Kuhn
ein Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 übergeben, dieser trägt den Kurztitel „Leistungsrückbau“ (Anlage 1).
Ziel des Bürgerbegehrens ist es, einen Ausstieg der Landeshauptstadt aus dem Projekt Stuttgart 21 zu erreichen, indem „
aufgrund gestörter Geschäftsgrundlage bzw. neuer Sachlage“ der Finanzierungsvertrag und ihm vorangehende Projektverträge gekündigt werden.

Das Bürgerbegehren wird damit begründet, dass die vertraglich vereinbarte Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofes nicht erreicht werde, dies sei „
erst in jüngerer Zeit aufgedeckt“ worden. Die Kündigung sei geboten, um „schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten“. Eine weitere Beteiligung der Stadt Stuttgart an S 21 sei „unzumutbar, weil damit schwere und nicht korrigierbare Schäden für den Schienenverkehr verbunden wären.“

Vertrauensleute für das Bürgerbegehren sind Herr Joris Schoeller, Herr Marc Braun sowie Herr Hans Heydemann.



2. Ablehnung

Die Landeshauptstadt hat den Antrag auf Zulassung des Bürgerentscheids aufgrund Gemeinderatsbeschluss vom 02.07.2015 (GRDrs 574/2015) mit Bescheid vom 29.07.2015 zurückgewiesen.

Die Ablehnung erfolgte, da das Bürgerbegehren wegen unzureichender Begründung und wegen Verfolgung eines rechtswidrigen Zieles unzulässig ist.


3. Widerspruch

3.1
Der Widerspruch ist
zulässig.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 29.07.2015 haben die drei Vertrauenspersonen mit Schreiben vom 21.08.2015, eingegangen bei der Landeshauptstadt am 24.08.2015, Widerspruch eingelegt.
Zur Begründung des Widerspruchs wurde ein Schreiben vom 06.10.2015 vorgelegt, das am 07.10.2015 bei der Stadt einging (Anlage 2).

3.2
Zur
Begründung des Widerspruchs beziehen sich die Widersprechenden auf Ausführungen von Herrn Dr. Christoph Engelhardt vom 28.07.2015 bzw. 08.08.2015 und 05.10.2015, auf deren Veröffentlichung im Internet wird mit den entsprechenden Fundstellen verwiesen.
Im Wesentlichen wird der Stadt vorgeworfen, sich auf „zahlreiche unrichtige und unvollständige Angaben“ verlassen zu haben.

Mit der Prüfung der Widerspruchsbegründung hat die Landeshauptstadt erneut Herrn Prof. Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe, beauftragt, der bereits mit der Prüfung des Antrages auf Durchführung des Bürgerbegehrens befasst war.

3.4
Der Widerspruch ist
nicht begründet.


3.4.1.
Eine Vertragskündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfordert gemäß § 60 LVwVfG eine wesentliche Änderung der Verhältnisse seit Vertragsschluss.


Diese Änderung kann in nachträglich eingetretenen Tatsachen liegen oder auch in neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die allgemeine Anerkennung gefunden haben.
Bei den Ausführungen in der Widerspruchsbegründung handelt es sich weder um nachträglich eingetretene objektive Tatsachen, noch um eine allgemein anerkannte andere Bewertung bekannter Tatsachen.
Wie bereits in der GRDrs. 574/2015 zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ausgeführt, wurde das Vorbringen von Dr. Engelhardt schon im Urteil des VGH vom 03.07.2014 gewürdigt und nicht als nachträglich eingetretene Tatsachen für eine mangelnde Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs anerkannt.

Würde sich die Landeshauptstadt die Bewertung von Dr. Engelhart zu eigen machen und darauf gestützt die Kündigung der Verträge erklären, so würde sie sich vertragsbrüchig machen. Insofern wäre ein Bürgerentscheid auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet.

3.4.2.
Eine weitere, über den Bescheid vom 29.07.2015 hinausgehende Erwägung ist folgende:
Bislang ist die Landeshauptstadt davon ausgegangen, dass es sich bei der Frage der Beteiligung der Stadt am Projekt Stuttgart 21 grundsätzlich um einen zulässigen Gegenstand eines Bürgerbegehrens nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GemO handelt, da die kommunalen Aufgaben des Stadtumbaus sowie der örtlichen Wirtschaftsförderung berührt sind. Dies wurde gestützt auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Stuttgart vom 17.7.2009
zum ersten Bürgerbegehren gegen S 21.

In diesem Zusammenhang ist jedoch Folgendes zu würdigen:
Beim Bürgerbegehren „Leistungsrückbau“ geht es gerade nicht um die kommunalen Angelegenheiten Städtebau und Wirtschaftsförderung. Vielmehr soll die Stadt nach Meinung der Projektgegner aus den Verträgen aussteigen, da das Projekt Stuttgart 21 keine zureichende Leistungsfähigkeit besitze, um das Verkehrsangebot zu verbessern und das Zugangebot zu erhöhen.


Wie im Urteil des VGH vom 21.04.2015 (Bürgerbegehren wegen angeblicher unzulässiger Mischfinanzierung S 21) festgehalten, sind es die originären kommunalen Zuständigkeiten des Städtebaus und der Wirtschaftsförderung, die eine Beteiligung der Stadt rechtfertigen. Die „Leistungsfähigkeit“ des Schienenverkehrs, insbesondere das Zugangebot, ist dagegen kein Gegenstand gemeindlicher Zuständigkeiten, dies hätte eine finanzielle Beteiligung der Stadt am Projekt nicht gerechtfertigt.

Zwar ist die Landeshauptstadt natürlich an einem leistungsfähigen Verkehr und mit

S 21 verbundenen Verbesserungen interessiert. Dieses Interesse alleine hätte jedoch nicht ausgereicht, um sich an den Finanzierungsverträgen für S 21 zu beteiligen.
Dies wird auch deutlich mit Blick darauf, bei wem die jeweilige Aufgabenträgerschaft für die verschiedenen Verkehrsleistungen liegt.
Dies ist für den Fernverkehr der Bund und für den Regionalverkehr das Land. Die Aufgabenträgerschaft der Stadt beschränkt sich auf den örtlichen Verkehr.
Das Bürgerbegehren bezieht sich in seiner Begründung auf das Zugangebot und den „Verkehrsbedarf“ für den Hauptbahnhof. Da dies aber nicht zum Aufgabenbereich der Stadt gehört, bezieht sich auch die Beteiligung der Stadt am Finanzierungsvertrag nicht auf diese Leistungsfähigkeit des Schienenverkehrs.

Daher könnte die Stadt nun das Argument „mangelnde Leistungsfähigkeit “ gar nicht zur Kündigung heranziehen, selbst unterstellt, diese mangelnde Leistungsfähigkeit läge tatsächlich vor.
Dann aber betrifft das Bürgerbegehren nicht den gemeindlichen Wirkungskreis gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 GemO und ist bereits aus diesem Grund unzulässig.

Im Rahmen eines Abhilfeverfahrens ist es möglich, auch zusätzliche Gesichtspunkte noch zu würdigen und der Entscheidung zu Grunde zu legen.

Nach alledem ist der Widerspruch als unbegründet anzusehen.

Gestützt wird die Prüfung der Widerspruchsbegründung durch die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Kirchberg vom 06.04.2016,
sie liegt als Anlage 3 der Vorlage bei. Die Landeshauptstadt macht sich diese Ausführungen zu eigen.


4.
Das Vorbringen der Widersprechenden gibt keine Veranlassung, die Entscheidung der Landeshauptstadt im angefochtenen Bescheid vom 29.07.2015 zu revidieren, also den Widersprüchen abzuhelfen und das Bürgerbegehren für zulässig zu erklären. Die laut Beschlussantrag zu treffende Entscheidung ist -ebenso wie die angefochtene Entscheidung- eine rechtlich gebundene Entscheidung; ein Ermessensspielraum steht der Landeshauptstadt nicht zu.

Den Widersprüchen kann nach alledem nicht abgeholfen werden.



5.
Die Widerspruchsführer haben für den Fall der Nichtabhilfe des Widerspruchs beantragt, den Ablehnungsbescheid vom 29.07.2015 gemäß § 48 LVwfG zurückzunehmen. § 48 regelt den Fall, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist.
Die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides wird im gesetzlich dafür vorgesehen Verfahrensgang entschieden werden, also durch Vorlage an das Regierungspräsidium und ggf. Klage an das Verwaltungsgericht.
§ 48 LVwVfG findet hier keine Anwendung.





Fritz Kuhn


Anlagen:
Bürgerbegehren
Widerspruchsbegründung
Gutachten Professor Kirchberg



Finanzielle Auswirkungen

<Finanzielle Auswirkungen>



Beteiligte Stellen

-

Vorliegende Anträge/Anfragen

-

Erledigte Anträge/Anfragen

-





Anlagen



<Anlagen>



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