Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
197
3
VerhandlungDrucksache:
318/2015
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 01.07.2015
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende, Herr Prof. Kirchberg (Rechtsanwälte Deubner & Kirchberg)
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 "Storno 21",
Entscheidung über Zulässigkeit

Vorgang:

Verwaltungsausschuss vom 20.05.2015, öffentlich, Nr. 157
Ergebnis: Beratung/Vertagung

Gemeinderat vom 21.05.2015, öffentlich, Nr. 73
Ergebnis: Vertagung


Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Recht, Sicherheit und Ordnung vom 12.05.2015, GRDrs 318/2015, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids "zum Ausstieg der Stadt Stuttgart aus STUTTGART 21 wegen grundlegend neuer Lage" wird zurückgewiesen. Das Bürgerbegehren wird für unzulässig erklärt.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags durch Bescheid bekannt zu geben.

Im Vorfeld der nachstehend wiedergegebenen Beratung wurde der Antrag Nr.199/2015 "Rederecht für Vertrauenspersonen bei Debatte im Gemeinderat zu 'Storno21' und 'Leistungsrückbau durch S21'" der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS vom 18.06.2015 beraten und das beantragte Anliegen abgelehnt, Vertrauenspersonen des Begehrens im Gemeinderat Rederecht zu erteilen (heutige NNr. 196 a).

Bezogen auf den im Betreff genannten Tagesordnungspunkt und bezogen auf den heutigen Tagesordnungspunkt 4 "Bürgerbegehren 'Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S 21 aufgrund des Leistungsrückbaus durch das Projekt' / Entscheidung über die Zulässigkeit", heutige NNr. 198, führt OB Kuhn aus, in der Mitteilungsvorlage GRDrs 371/2015 Neufassung "Informelle Bürgerbeteiligung Rosenstein - Ausschreibung der Konzeption und Durchführung", heutiger nichtöffentlicher Tagesordnungspunkt 2, NNr. 195, habe er beschrieben, was sich zu den Begehren aus der GemO und der GOG ergibt. Demnach gehe es bei den durch den Gemeinderat zu treffenden Entscheidungen um die rechtliche Prüfung, ob das durch die Begehren Beantragte rechtlich zulässig ist oder nicht. Der Gemeinderat könne kein politisches Ermessen ausüben. Nicht zutreffend sei die lt. Presse von StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) in einer Veranstaltung am vergangenen Montag getroffene Aussage, dass die Verwaltung verhindere, jemanden zu laden. Im Übrigen entscheide der Gemeinderat und nicht der Oberbürgermeister über Fraktionsanträge.

Zu Beginn der Aussprache weist der Vorsitzende auf die bereits am 20.05.2015 stattgefundene Beratung hin (s. Rubrik Vorgang).

Der sich anschließende Sachvortrag des Gutachters, Herrn Prof. Kirchberg, ist nachstehend im überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben.

Herr Prof. Kirchberg:
"Bereits in der VA-Sitzung am 20.05.2015 habe ich das Rechtsgutachten vorgestellt. Ich möchte mich deshalb darauf beschränken, gewissermaßen schlaglichtartig noch einmal die Bedenken zu nennen, die gegen die Zulässigkeit dieses Bürgerbegehrens anzuführen sind. Zunächst einmal ist es so, dass die von den Initiatoren als feststehend bezeichnete Annahme, es würden wegen der von der Deutschen Bahn (DB) bekanntgegebenen Kostensteigerungen ganz erheblichen Umfangs auch entsprechende Mehrkosten auf die Stadt Stuttgart zukommen, bis zum heutigen Tag nicht verifiziert worden sind. Es ist ja bereits angesprochen worden, dass eine entsprechende Mitteilung im Dezember 2012 gemacht wurde und dann eben zu einem Aufsichtsratsbeschluss der DB im März 2013 geführt hat, der besagt, es wird weitergebaut, und später soll auf die Partner des Projekts S 21 zurückgegangen werden. Das ist in dem Sinne nach geschehen, da die DB die sogenannte Sprechklausel gezogen hat und sich dann auch nach Ablauf einer geraumen Zeit mit dem Land in Verhandlungen begeben hat. Die Stadt Stuttgart ist davon aber bis zum heutigen Tag nicht unmittelbar und eigentlich auch nicht mittelbar betroffen.




Dies kann die Landeshauptstadt auch nicht sein, weil ihre Finanzierungsverantwortung in dem Finanzierungsvertrag von 2009 und in der zugrunde liegenden Finanzierungsvereinbarung zwischen Land und Stadt festgeschrieben worden ist und bisher keiner der Partner unmittelbar auf die Stadt zugekommen ist mit der Aufforderung, Verhandlungen über entsprechende Mehrkosten aufzunehmen. Das ist also schon eine ganz grundsätzliche Einwendung gegen die Annahme, es hätten bereits Veränderungen der Verhältnisse stattgefunden, was die Notwendigkeit begründet, gewissermaßen seitens der Stadt die Reißleine zu ziehen und finanziell aus dem Vorhaben auszusteigen.

Das zweite ist, dass der Gemeinderat im Jahr 2009, als er dem Abschluss des Finanzierungsvertrags zugestimmt hat, ausdrücklich bereits in Aussicht genommen hat, entweder einen Bürgerentscheid oder zumindest eine Bürgerbefragung durchzuführen, falls es sich doch wider Erwarten herausstellen sollte, dass der Kostenrahmen, von dem man seinerzeit ausgegangen ist, doch überschritten wird. Mit anderen Worten: Man hat schon damals vor der Zustimmung es nicht für absolut ausgeschlossen erachtet, dass die Kosten, die im Finanzierungsvertrag aufgelistet worden sind, doch nicht das letzte Wort sein könnten. Von daher, und das ist ein zweiter gewichtiger Einwand gegen die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, wenn eine der Vertragsparteien eine Veränderung der Verhältnisse bereits vorausgesehen hat, dann ist eine Berufung auf diesen Sonderkündigungstatbestand ebenfalls ausgeschlossen. Damit ist damals nicht gesagt worden, um gleich einem Missverständnis entgegenzuwirken, dass die Stadt in diesem Fall bereits ihre Bereitschaft zur Zahlung von Mehrkosten signalisiert hat oder gar einen bestimmten Betrag übernehmen wollte, sondern dass eben in diesem Zusammenhang die Bürgerschaft darüber befragt werden sollte, wie man sich dazu verhält. Also ein offenes Ergebnis, aber ein verfahrensmäßiger Weg ist damit schon gewiesen worden.

Der dritte wesentliche Einwand: Die Ankündigungen über die Kostensteigerungen stammen von Ende 2012 bzw. März 2013. Das Bürgerbegehren ist erst zwei Jahre später tatsächlich eingebracht worden. Es gelten für Bürgerbegehren Sechswochenfristen. Es liegt auf der Hand, dass diese Fristen allemal abgelaufen sind. Und es ist eigentlich auch in der bisherigen Meinung von Rechtsprechung und Literatur einhellige Auffassung, dass dann, wenn Bezug auf eine Veränderung der Verhältnisse genommen werden soll und damit bisherige Beschlussfassungen eines Gemeinderates zur Disposition gestellt werden sollen, diese Fristbestimmungen, die in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gefasst sind, ebenfalls zu beachten sind. Es ist für mich persönlich auch erstaunlich, warum man sich mit diesem Anliegen so lange Zeit gelassen hat, obwohl ja darüber nun intensiv gesprochen worden ist.

Nachdem ich diese drei wesentlichen Einwendungen nochmals dargestellt habe, muss ich auch feststellen, dass die Begründung des Bürgerbegehrens defizitär ist, weil sie auf diese naheliegenden Aspekte nicht eingeht.





Sicherlich sind an die Begründung eines Bürgerbegehrens keine übertriebenen Anforderungen zu stellen, aber wenn man auf so naheliegende Dinge nicht eingeht, dann ist dieses Unterlassen eine wesentliche Schwäche der Begründung. Und diese Begründung ist auch nicht eine Art von Zierrat oder eine Nebensächlichkeit, sondern sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens; es gibt viele Bürgerbegehren, die bereits an der unzureichenden Begründung im Rahmen einer strengen Rechtsprüfung gescheitert sind.

Zustimmend zum Beschlussantrag äußert sich StR Kotz (CDU). Er verweist auf seine Ausführungen in der VA-Sitzung am 20.05.2015. Ebenfalls abhebend auf diese VA-Sitzung teilt StR Stopper (90/GRÜNE) mit, damals sei bereits alles Erforderliche dargelegt worden. Da er sich damals jedoch offensichtlich missverständlich ausgedrückt habe, wolle er heute klarstellen, dass die Gemeinderatsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN nicht für eine Übernahme von Mehrkosten des Bahnprojekts S 21 durch die Stadt stehe. Selbstverständlich werde auch nicht davon ausgegangen, dass die Stadt Mehrkosten übernehmen müsse bzw. werde. Das Gutachten beschreibe gut, weshalb es für die Stadt überhaupt keine Veranlassung für die Befürchtung gebe, Mehrkosten übernehmen zu müssen. Das Gutachten mache zudem deutlich, dass die Stadt nicht Adressat der Sprechklausel sei. Diese Rechtsposition gelte es aus Sicht seiner Fraktion durch den gesamten Gemeinderat auch gegenüber der Bahn zu betonen. Auch mit Blick auf bereits ergangene mehrinstanzliche Urteile teile man ebenfalls die rechtliche Einschätzung des Gutachters zur Geschäftsgrundlage. Insgesamt sei das im Begehren geltend gemachte Konstrukt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht haltbar. Daher werde dieses Bürgerbegehren für rechtlich unzulässig angesehen.

Des Weiteren stimmt StR Körner (SPD) dem Beschlussantrag zu. Abhebend auf seine Ausführungen am 20.05.2015 wird von ihm vorgetragen, das finanzielle Risiko für die Stadt bei einer Kündigung der Verträge werde als außerordentlich hoch eingeschätzt.

StR Rockenbauch bringt zum Ausdruck, dass er eigentlich das im Betreff genannte Bürgerbegehren gemeinsam mit dem heutigen TOP 4 "Bürgerbegehren 'Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S 21 aufgrund des Leistungsrückbaus durch das Projekt/Entscheidung über Zulässigkeit'" behandeln wollte (Diesem Anliegen ist der Vorsitzende zu Beginn dieses Tagesordnungspunktes nicht gefolgt). Bei der Begründung seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Gutachten trägt StR Rockenbauch vor, um die im Jahr 2009 bestehende Geschäftsgrundlage zu verstehen, sei es erforderlich zu sehen, was bei den im Jahr 2009 getroffenen politischen Beschlüssen die Geschäftsgrundlage von S 21 war. 2008 seien bereits Gutachter von Projektkosten in Höhe von 6,9 bis 9,0 Mrd. € ausgegangen. Der Bundesrechnungshof sei 2008 von Projektkosten in Höhe von 5,3 Mrd. € ausgegangen. Im April 2009 sei eine Finanzierungsvereinbarung zu S 21 von den Projektpartnern, also auch von der Stadt, unterschrieben worden.

Damals, zum Zeitpunkt dieser Unterzeichnung, habe die DB erklärt, die Kosten würden 4,5 Mrd. € (inklusive eines Kostenpuffers in Höhe von 1,5 Mrd. €) betragen.




Dies sei die Geschäftsgrundlage gewesen. Im Sommer 2009 hätten interne Nachrechnungen der Bahn, durchgeführt durch das Büro Drees & Sommer, einen Betrag von 5,2 Mrd. € ergeben. Da bis Dezember 2009 die Vertragspartner bei Überschreitung des Kostenrahmens noch die Möglichkeit gehabt hätten, aus den Verträgen auszusteigen, habe dies, da diese 5,2 Mrd. € bekannt wurden, zu hektischer Betriebsamkeit bei der DB geführt. Auf "wundersame Art" sei dann im Dezember 2009 seitens der DB verkündet worden, es könnten pauschal 900 Mio. € eingespart werden. Damit sei der Kostenrahmen erneut auf 4,5 Mrd. € begrenzt worden. In einer Pressemitteilung am 10.12.2009 habe der Vorstandsvorsitzende der DB AG, Herr Grube, mitgeteilt: "Mit den nun vorliegenden Zahlen liegen alle heute bekannten Fakten auf dem Tisch. Die Deutsche Bahn AG hat damit Wort gehalten und nach Abschluss der Entwurfsplanung für größtmögliche Transparenz gesorgt."

Aus heutiger Sicht habe es sich um einen "klaren Trick" gehandelt, um die Vertragspartner davon abzuhalten, die Ausstiegsoption zu ziehen. Intern sei mittlerweile bekannt, dass das Baden-Württembergische Verkehrsministerium im Sommer 2009 die Zahlen der DB bezweifelt hat. Hierzu zitiert er aus einem Papier dieses Ministeriums wie folgt: "Die Kostenzusammenstellung für die Planfeststellungsabschnitte 1.2 und 1.6a, in denen sich die hohen Kostensteigerungen zeigen, tragen das Datum von November 2008". Dies bedeute, so StR Rockenbauch weiter, dass bei der DB AG beim Abschluss des Finanzierungsvertrags im April 2009 bereits bekannt war, dass im Tunnelbau mit deutlich höheren Kosten zu rechnen ist. Zudem spreche das Verkehrsministerium von einem Kommunikationsdesaster und davon, dass eine Kostensteigerung in Höhe von ca. 1 Mrd. € binnen acht Monaten nach Abschluss des Finanzierungsvertrages gegenüber der Öffentlichkeit kaum kommunizierbar ist. Weiter zitiert er aus dem ihm vorliegenden Papier des Verkehrsministeriums: "Die Glaubwürdigkeit der DB steht auf dem Spiel. Sie wird erklären müssen, wie es zu dieser Kostenexplosion beim bestgeplanten Projekt Deutschlands kam". Intern habe das Ministerium nicht nur davor gewarnt, die Öffentlichkeit zu informieren, sondern auch angeraten, im Blick zu haben, ob sich die Landes-SPD doch noch umentscheidet.

Anschließend zitiert StR Rockenbauch aus einer Pressemitteilung vom 10.12.2009 des damaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Dr. Schuster: "Es wurde nochmals bestätigt, dass der von den Partnern 2007 vereinbarte Rahmen für die Kosten und Risiken ausreichend ist". Herr Prof. Kirchberg gehe in seinem Gutachten nicht darauf ein, dass es sich bei der Nichteinhaltung der Kosten und der "offensichtlichen Trickserei/Betrügerei der DB" um zwei unterschiedliche Dinge handelt. In Auszügen der DB-Aufsichtsratssitzung vom 05.03.2013 könne nachgelesen werden, dass die Bahn 2009 nachweislich mit falschen Zahlen agiert hat. Die Kostensteigerung könne noch als "Unfähigkeit" bezeichnet werden, aber das Nennen von falschen Zahlen "ist schlicht Betrug". Angesichts eines solchen Vertrauensbruchs könne man mit solchen Partnern in Zukunft nicht weiter zusammenarbeiten.





Wenn man sich an seine Leistungs- und Kostenversprechen nicht halte, habe dies auch mit dem Grundsatz der Vertragstreue zu tun. Dies alles zeige, dass ein Projektausstieg dringend erforderlich ist. Verwundert zeigt sich StR Rockenbauch zu der vom Gutachter angeführten Sechswochenfrist und zu den seines Erachtens überhöhten Anforderungen an die Begründung. Diese zu hohen Anforderungen wertet er als nicht redlich/nicht bedeutend. Wenn nachgewiesenermaßen ein Betrug eines Vertragspartners vorliege, könne unabhängig von der Begründung des Begehrens gesagt werden, in der Sache habe das Bürgerbegehren Recht und daher könne der Gemeinderat nicht daran gehindert werden, den Projektausstieg zu beschließen. Es gebe Bundesländer, die von erhöhten Anforderungen an Bürgerbegehren absehen, da sie diese als bürgerunfreundlich betrachten.

StRin von Stein (FW) bezeichnet sich als bekennende S 21-Befürworterin und merkt an, die Verträge seien geschlossen worden, um das Projekt zu ermöglichen und dass sich die Vertragspartner daran halten. Bei der Bewertung der Kostensteigerungen dürften Änderungen gesetzlicher Vorschriften in Bezug auf den Brandschutz, die auch umgesetzt werden, nicht vergessen werden. Nach wie vor befürworte eine Mehrheit in Baden-Württemberg dieses Projekt. Dem Beschlussantrag werde zugestimmt.

Seine Ablehnung zum Beschlussantrag kündigt dagegen StR Prof. Dr. Maier (AfD) an. Er unterstreicht, eine Entscheidung müsse demokratisch fallen. Die Entscheidung über die Begehren habe der Rat und nicht Herr Prof. Kirchberg zu treffen; die Gutachten von Herrn Prof. Kirchberg spiegelten die Meinung des Auftraggebers wider. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage von S 21 angesichts der Kostenentwicklung stehe außer Frage. Auch er erinnert an seine Ausführungen in der VA-Sitzung am 20.05.2015.

StR Dr. Oechsner (FDP) folgt der Rechtsauffassung des Gutachters und kündigt an, dem Beschlussantrag zustimmen zu wollen.

An StR Rockenbauch gewandt stellt OB Kuhn fest, wenn der DB Betrug unterstellt werde, müsse StR Rockenbauch, die rechtlichen Konsequenzen ziehen. Im Bürgerbegehren sei von Betrug nicht die Rede. Für ihn habe Prof. Kirchberg überzeugend ausgeführt, dass die Argumentation, die Stadt habe Mehrkosten zu tragen, nicht stimmig sei, da bereits bei der Beschlussfassung zur Finanzierungsvereinbarung 2009 durch die Sprechklausel eine Vereinbarung über das Tragen von Mehrkosten vorgesehen wurde. Letzten Endes, und dies sei 2013 immer wieder diskutiert worden, werde dieser Punkt, sofern dazu keine Vereinbarung zustande komme, wohl vor Gericht entschieden. Die Änderung des Vertrags sei lediglich bis 2009 vorgesehen gewesen. Seit Ende 2009 liege ein gültiger Vertrag vor, der vorsehe, was bei einer Kostensteigerung geschieht. In Bezug auf eine Änderung der Geschäftsgrundlage habe es seit März 2013 keine Initiative mit dem Ziel gegeben, Austrittsgespräche aufzunehmen. Dieser politische Weg sei auch von SÖS und LINKE aus gutem Grund nicht beantragt worden; die Mehrheiten in den dafür zuständigen Parlamenten und im Aufsichtsrat der DB seien dafür nicht gegeben.



In allen zuständigen Parlamenten herrsche mit einer soliden Zweidrittelmehrheit die Auffassung, dass die abgeschlossenen Verträge einzuhalten sind und dass es sich beim Volksentscheid bei dieser Frage um "das letzte Wort" gehandelt hat. Daher habe die festgestellte Kostensteigerung in Höhe von 2 Mrd. € zu keinen Gesprächen darüber geführt, ob diese Steigerung an der Geschäftsgrundlage etwas verändert hat. Vor diesem Hintergrund macht es für den Oberbürgermeister keinen Sinn, seitens der Landeshauptstadt zu erklären, aus dem Projekt werde ausgestiegen, ohne dass eine Chance bestehe, dieses bei den Projektpartnern genehmigt zu bekommen. Im Übrigen müsste dann beantwortet werden, wie sich die Finanzierung der bereits erfolgten Projektumsetzung, des dann notwendigen anderen Bahnhofs etc. darstellen. Heute habe der Rat zu beurteilen, ob der Inhalt des Begehrens für rechtskonform angesehen wird. Das von StR Rockenbauch darüber hinaus Angesprochene sei nicht Gegenstand der Abstimmung.

Auch von Herrn Prof. Kirchberg wird in der Folge nochmals darauf hingewiesen, wichtig sei der Aspekt, dass sich das Bürgerbegehren maßgeblich/ausschließlich darauf bezieht, dass Kostensteigerungen in Höhe von bis zu 2 Mrd. € Ende 2012 bekanntgegeben wurden und dass der DB-Aufsichtsrat im März 2013 beschlossen hat, dennoch das Projekt durchzuführen, verbunden damit, die Partner bei passender Gelegenheit "zur Kasse zu bitten". Das von StR Rockenbauch Vorgetragene habe allerdings mit der Begründung des Begehrens überhaupt nichts zu tun. Wenn man dieses überhaupt juristisch fassen wolle, seien dessen Ausführungen eine Berufung darauf, dass die DB bei Abschluss des Finanzierungsvertrags ihre Partner arglistig getäuscht hat. Unter Umständen wäre dieses eine Anfechtungsmöglichkeit. Mit der Bekanntgabe nachträglicher Kostensteigerungen 2012/2013 habe dies aber nichts zu tun. So engagiert wie dies StR Rockenbauch vorgetragen habe, wäre dies unter Umständen sogar ein Fall für den Staatsanwalt. Heute stehe jedoch ausschließlich die Begründung des Bürgerbegehrens zur Abstimmung.

Zu den wesentlichen Voraussetzungen der Begründung eines rechtmäßigen Bürgerbegehrens müsse darauf hingewiesen werden, dass die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH), insbesondere das Urteil vom April 2015, mit dem das Bürgerbegehren wegen der angeblich unzulässigen Mischfinanzierung ebenfalls für unzulässig erklärt worden sei, nicht etwa zum Ausdruck gebracht habe, die Begründung sei nebensächlich oder diese könne laienhaft gefasst sein, sondern es sei vielmehr vom VGH darauf hingewiesen worden, dass die Tatsachen korrekt dargestellt gehören, unabhängig davon, dass in dem Text auch für das Anliegen der Initiatoren geworben werden darf. Dazu gehöre, dass wesentliche Aspekte nicht unterschlagen werden dürfen. Zu den wesentlichen Aspekten gehöre hier der Umstand, dass dieses Bürgerbegehren keine Aussage dazu treffe, weshalb erst zwei Jahre nach der Ankündigung der DB eine Initiative erfolgte. Zudem beinhalte das Begehren keine Aussage dazu, dass der Gemeinderat bereits bei der Zustimmung zum Vertrag Kostensteigerungen für nicht absolut ausgeschlossen angesehen hat, und dass der Rat das Thema der Übernahme von Mehrkosten durch die Stadt, ggf. eben einem Bürgerentscheid oder einer Bürgerbefragung überantwortet hat.


Im Zusammenhang mit der von StR Rockenbauch befürworteten Vertragskündigung durch die Landeshauptstadt Stuttgart führt StR Körner an, offenbar spielten die an der Geschäftsgrundlage einer Entscheidung formulierten Ansprüche bei der Beantwortung dieser Frage keine Rolle mehr. Er wirft dabei folgende Fragen auf:

- Wie viele Milliarden Euro kostet die Stadt eine Kündigung des Vertrages?
- Was bedeutet eine Kündigung verkehrspolitisch für die Stadt?
Seine damalige Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE, so StR Rockenbauch, habe sich mehrfach mit der Sprechklausel beschäftigt. Im Jahr 2009 habe man dazu beantragt, der Gemeinderat möge beschließen, dass über den Kostenrahmen von 4,5 Mrd. € hinaus kein weiteres Geld für S 21 aufgewendet werden muss. Der damalige Oberbürgermeister habe dazu mitgeteilt: "Ein Vorratsbeschluss mit dem Inhalt, dass die Stadt bei der Erhöhung der Gesamtkosten einschließlich Risikopuffer über 4,5 Mrd. € nicht über einen höheren Finanzierungsbeitrag zu Stuttgart 21 verhandeln will, ist rechtlich nicht zulässig." Weiter verweist er darauf, dass der Bahn-Aufsichtsrat angekündigt hat, von den Vertragspartnern ihre Anteile an den Mehrkosten einzuziehen. Seine Fraktionsgemeinschaft habe, nachdem die DB Mehrkosten eingeräumt hat, drei Anträge dazu gestellt. In dem ersten dieser Anträge (Antrag Nr. 60/2013 vom 01.02.2013) habe man eine Klärung der juristischen Relevanz der Sprechklausel für die Stadt gewünscht. In diesem Antrag sei bereits mit der entfallenen Geschäftsgrundlage argumentiert worden. In einem weiteren Antrag (Antrag Nr. 106/2013 vom 28.02.2013) sei der Oberbürgermeister aufgefordert worden, eine Fehlinformation in einer Vorlage des DB-Aufsichtsrats zu korrigieren. Allein die Betrachtung der Ausstiegskosten sei der Grund dafür gewesen, dass die DB nicht selbst die Notbremse bei S 21 gezogen habe. Da ein Hauptkostenanteil der Ausstiegskosten die Rückabwicklung des Grundstücksgeschäfts mit der Landeshauptstadt Stuttgart wäre (laut Annahme der DB AG ca. 900 Mio. € zurück an die Stadt) habe sich für die DB noch eine Wirtschaftlichkeit des Projekts ergeben. Damals habe seine Fraktionsgemeinschaft den Oberbürgermeister aufgefordert, die DB darüber aufzuklären, dass auf diesen Flächen bereits Stadtentwicklungsthemen stattfinden und somit eine gesamte Rückabwicklung seitens der Stadt überhaupt nicht gewünscht wird. Dies bedeute, dass die von der DB befürchteten 900 Mio. € eine Luftnummer darstellen. Des Weiteren sei verlangt worden, mit der DB eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Also seine Fraktionsgemeinschaft habe sich sehr dafür eingesetzt, das Ausstiegsszenario möglich zu machen.

Im letzten der drei Anträge (Antrag Nr. 273/2013 vom 24.06.2013) sei es dann um eine negative Feststellungsklage zur Finanzierung von S 21 gegangen. Dabei sei der Oberbürgermeister aufgefordert worden zu prüfen, ob die Stadt nicht doch irgendwie über die 4,5 Mrd. € in Haftung genommen werden kann, unabhängig von der ebenfalls beantragten Feststellungsklage zur Mischfinanzierung. Dies zeige, dass sich seine Fraktionsgemeinschaft schon im Jahr 2013 sehr ausführlich mit der Geschäftsgrundlage von S 21 auseinandergesetzt hat.


Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen ergeben, stellt OB Kuhn fest:

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