Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
400
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VerhandlungDrucksache:
877/2012
GZ:
OB 8155-04.08
Sitzungstermin: 21.11.2012
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Dr. Schuster
Berichterstattung:der Vorsitzende, Herr Dr. Stenneken (RAe Aulinger)
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Rechtliche Prüfung der Rückübertragung der Wasserversorgung

Beratungsunterlage ist die dieser Niederschrift angeheftete Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 15.11.2012, GRDrs 877/2012.


Sein Büro, so Herr Dr. Stenneken, sei hier mit einer etwas ungewöhnlichen Vertragslage konfrontiert worden. Im Konzessionsvertrag, welcher sich auch auf das Medium Wasser erstreckt, fehle eine sogenannte Endschaftsklausel. Eine solche Klausel bestimme, was nach Ablauf der Laufzeit eines Konzessionsvertrages mit dem Versorgungsvermögen zu geschehen hat. Üblicherweise beinhalte eine solche Klausel einen Anspruch auf Rückübertragung oder zumindest auf Gebrauchsüberlassung. Im Idealfall stehe dort zudem, zu welchem Wert die Anlagen auf den Konzessionsgeber zurückübertragen werden. Eine solche Klausel fehle allerdings im zugrunde liegenden Vertrag. Die Gründe dafür seien nicht bekannt. Dies stelle eine seltene, aber glücklicherweise keine erstmalige bzw. einzigartige Vertragslage dar. So gebe es ein Urteil des OLG Frankfurt aus dem Jahr 1997, das sich auf eine entsprechende Vertragslage bezieht. Ausgehend von dem hier wohl nachvollziehbaren Gedanken "was wäre eigentlich, wenn gesagt wird, sofern eine solche Endschaftsklausel fehlt, bleibt das Versorgungsvermögen in der Hand dessen, der es auf der Grundlage des Konzessionsvertrages bekommen hat". Dies würde eine Ewigkeitsklausel bedeuten.

Vom Gedanken "Was nicht sein kann, das darf nicht sein" sei sicherlich auch das OLG Frankfurt getragen worden. Dieses Gericht habe sich bemüht, rechtliche Analogien zu finden, andere Vorschriften im BGB, die einen Übertragungsanspruch rechtfertigen könnten. Auf die juristischen Einzelheiten wolle er jetzt nicht eingehen - es gebe zwei Paragrafen. Der eine komme aus dem Sachrecht und der andere aus dem Mietrecht. Beide Paragrafen hätten letzten Endes die Zielrichtung, wenn sich etwas im Eigentum des einen befindet, habe möglicherweise der andere einen Herausgabeanspruch zur Vermeidung der Zerstörung großer wirtschaftlicher Werte. Ansonsten wäre die Konsequenz, dass bei einer Rekommunalisierung, wenn also Stuttgart die Wasserversorgung wieder in die eigenen Hände nehmen möchte, die Stadt ein eigenes Netz mit eigenen Behältern und eigenen Netzverknüpfungen bauen müsste (Investitionen in Höhe von mehreren hundert Mio. €), während gleichzeitig das Netz der EnBW Regional AG sich dann, aber nutzlos, im Boden befindet. Diese Zerstörung wirtschaftlicher Werte habe das OLG Frankfurt als nicht möglich angesehen. Dabei habe dieses Gericht auf die entsprechenden Vorschriften im BGB verwiesen (§§ 952 und 556). Diese würden nach Einschätzung des Gerichts für einen solchen Fall "etwas an die Hand geben".

Hier habe man eine Analogie gezogen und gesagt, im vorliegenden Stuttgarter Fall bestehe trotz fehlender Endschaftsklausel gleichwohl in entsprechender Anwendung der beiden genannten Normen ein Rückübertragungsanspruch. Damit sei noch nicht beantwortet, ob sich dem ein Gericht anschließt. Es handle sich ja "nur" um eine OLG-Entscheidung. Die angestellten intensiven Recherchen zeigten, dass gegen dieses Urteil des OLG Frankfurt Revision zum BGH eingelegt wurde. Diese Revision habe aber das betroffene herausgabepflichtige Unternehmen zurückgezogen. Die Gründe der Zurücknahme hätten sich nicht mehr feststellen lassen. Es könne ein Hinweis des BGH gewesen sein, oder es sei auch möglich, dass zunächst Revision eingelegt worden sei, die Anwälte aber danach die Erfolgsaussichten mit negativen Ergebnis geprüft haben bzw. dass die Entscheidung des OLG Frankfurt als korrekt angesehen wurde. Wie auch immer, das Urteil des OLG Frankfurt, welches im Revisionsverfahren beim BGH anhängig gewesen ist, sei rechtskräftig.

Wesentlich sei die Kostenfrage. Idealerweise gebe es eine Vorgabe in einer Endschaftsklausel. Wenn es eine solche Klausel nicht gebe, könne auch keine Vorlage des Werts des rückzuübertragenden Versorgungsvermögens vorliegen. Dazu habe sich das OLG Frankfurt ebenfalls äußern müssen. Dieses Gericht sei dabei zum Ergebnis gekommen, dass hier auf den Ertragswert abgestellt werden muss. Neben dieser Entscheidung, die für eine Rückübertragung gegen Bezahlung des Ertragswertes angeführt werden kann, gebe es den in juristischen Kreisen unter dem Namen Kaufring?? bekannten Fall. Die Gemeinde Kaufring habe dasselbe Problem gehabt und der BGH habe dazu erklärt, der Sachpreiswert könne nicht die Grundlage sein. Der Sachpreiswert könne es allenfalls dann sein, wenn er den Ertragswert nur unwesentlich überschreitet. Diese Wesentlichkeitsstelle habe der BHG bei 10 % angesetzt. Nach juristischem und menschlichem Ermessen müsse also heute gesagt werden: "Mit einem Ertragswert plus maximal 10 % müsste der Vergütungsanspruch der EnBW Regional AG für die Rückübertragung des Wasserversorgungsvermögens in Stuttgart erfüllt sein.“

Sein Büro habe dann nochmals den Fokus auf eine unjuristische und logische Schlussfolgerung gelegt. Einerseits gebe es den Bedarf an Wasser (Trinkwasserkunden) und auf der anderen Seite die Notwendigkeit, diese Wassermenge irgendwoher zu beschaffen. Die Frage sei, wie sich die Vertragsverhältnisse darstellen, wenn gesagt wird, die Stadt habe einen Rückübertragungsanspruch Zug um Zug gegen Ertragswert plus maximal 10 %. Hier sage die Rechtsprechung, wir sind im Wasser nicht im anbandelnden Bereich???, wir haben nicht Vertrieb, Netz, Zählwesen etc. separiert, sondern naturgemäß befinde sich beim Wasser alles noch in einer Hand. Dieses bedeute, nicht nur das Wasserversorgungsvermögen spiele eine Rolle, sondern es mache wirtschaftlich nur Sinn, wenn man auch die Abnehmer hat. Daher gehörten diese zwingend mit dazu. Also die Vertragsverhältnisse zu den Wasserabnehmern müssten zwingend mit übertragen werden.

Spannender werde es bei der Frage des Wasserbezugs. Dort gebe es die beiden Lieferanten Landeswasserversorgung und Bodenseewasserversorgung mit relativ komplizierten satzungsrechtlichen Vorgaben. Im Gutachten werde gesagt, dass, wenn einerseits von den Kunden gesprochen wird - es bedarf unbedingt eines Wasserbezugs -, die EnBW Regional AG als verpflichtet anzusehen ist, als untrennbaren Annex zu dem Übertragungsanspruch auf das Vermögen und auf die Vertragsverhältnisse mit den Abnehmern, dass die Stadt auch in die Landeswasserversorgungsverbände hinein darf und dort einen Übertragungsanspruch der Wasserbezugsrechte und die Mitgliedschaftsrechte gegenüber der EnBW hat. In Ermangelung einer Endschaftsklausel sei dies natürlich an keiner Stelle geregelt. Aber es müsse gesehen werden, dass nur das Netz und die Abnehmer keinen Sinn machen, sondern benötigt werde zwingend der Wasserbezug. Was aber will die EnBW Regional AG noch mit den Wasserbezugsrechten, mit ihren Mitgliedschaften in den Landeswasserverbänden, wenn die Vertragsverhältnisse mit den Abnehmern auf die Stadt übergegangen sind? Diese will ja die Stadt Stuttgart erlangen und deshalb mache die EnBW Regional AG nicht mit. Dies würde jedoch dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen. In jede Norm müsse der § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) hineingelegt werden und rechtlich gelte ebenfalls der Grundsatz, dass niemand von einem Recht Gebrauch machen darf, nur um einem anderen zu schaden. Hier würden gute Anknüpfungspunkte gesehen, um zu sagen, aus dem Grundsatz für Treu und Glauben, der in letzter Konsequenz eine Anspruchsgrundlage darstellt, bestehe seitens der Stadt ein Anspruch gegen die EnBW Regional AG auf Mitwirkung bei der Übertragung der Mitgliedschaften und der Wasserbezugsrechte.

Anschließend wird durch OB Dr. Schuster ausgeführt, der GRDrs 877/2012 sei das Schreiben von Herrn Dr. Bruder (EnBW) beigefügt. Dort werde aufgezeigt, dass zum einen die Bereitschaft besteht, das seitens der Stadt Geforderte herauszugeben. Der zentrale Dissens über den Preis bestehe aber weiterhin; die Vorstellungen der EnBW und der Stadt würden bekanntlich sehr weit auseinander liegen. Die Stadt könne als Grundlage den Sachzeitwert und die EnBW den Ertragswert nicht akzeptieren. Bei einer Differenz von mehreren hundert Mio. € könnten durch Verhandlungen keine Fortschritte erreicht werden. Somit bleibe nur zu sagen, Zug um Zug auf der Basis Ertragswertverfahren vorzugehen.

Zu diesem Zugeständnis sei die EnBW allerdings nicht bereit. Im Gegensatz zum vorherigen Tagesordnungspunkt 2 "Rechtliche Prüfung der Trinkwasserpreiserhöhung" bestehe bei diesem Tagesordnungspunkt Zeitdruck, da die Stadt die Anlagen zum 01.01.2014 übernehmen will. Es handle sich dabei um eine höchst komplizierte technische Anlage. Daher sollte die Landeshauptstadt möglichst bald Klarheit darüber haben, zu welchen Bedingungen diese Übertragung möglich oder nicht möglich ist. Die Verwaltung neige dazu, in diesem Fall möglichst bald den Klageweg zu beschreiten; die Dauer des Klagewegs sei nicht bekannt.

Bezogen auf die Wasserbezugsrechte gebe es noch die öffentlich-rechtliche Seite. Was die beiden Zweckverbände angehe, habe die Stadt die Stimmrechte und die EnBW die Bezugsrechte sowie die Mitgliedsrechte. Er geht davon aus, dass, wenn der Klageweg beschritten wird, bei den Zweckverbänden ein Weg gefunden wird. In die Zukunft gedacht würde dies bedeuten, dass der öffentlich-rechtliche Eigenbetrieb Wasserwerke Stuttgart sich letztlich bei den beiden Wasserzweckverbänden einkauft. Die Stadt hätte dann wie die EnBW die Wasserbezugsrechte, aber die EnBW hätte keine Abnehmer. Die EnBW würde dann also auf Bezugsrechten ohne Abnehmer sitzen, die sie jährlich bezahlen müsste. Wenn die EnBW die Bezugsrechte aufgebe, erhalte sie dafür auch keinen finanziellen Ausgleich. Die Position der EnBW sei also wenig günstig.

Laut Herrn Dr. Stenneken arbeitet Sein Büro auch mit Unternehmen zusammen und verfüge von daher über Erfahrungswerte, wie Unternehmen sich bei solchen Dingen verhalten. Von daher meine er, dass die EnBW Regional AG, sollte die Stadt von einer Klageerhebung absehen, überhaupt nichts unternimmt. Schließlich habe die EnBW Regional AG das Vermögen; zunächst bis zum Konzessionsvertragsende werde von dort die Konzessionsabgabe bezahlt (nach einer Paragrafenkombination aus dem EnWG und auch noch ein Jahr darüber hinaus). Für den Zeitraum danach sage die Rechtsprechung, ein langjähriger Konzessionsvertrag sei eine Kalkulationssicherheit. Aber danach müsse die volle Konzessionsabgabe nicht mehr, zumindest nicht mehr in vollem Umfang, bezahlt werden. Die EnBW hätte dann noch ihre Kunden und somit würde für sie bei geringerer Konzessionsabgabe alles so bleiben wie bisher. Die Alternative lasse sich aus seiner Sicht nur durch eine Klage "knacken". Nur über eine Klage könne Klarheit über den zu bezahlenden Wert erzielt werden.

Zustimmend zum Beschlussantrag äußern sich im Namen ihrer Fraktionen StR Stopper (90/GRÜNE), StR Kotz (CDU), StR Kanzleiter (SPD) und StR Rockenbauch (SÖS und LINKE).

Kritik am Verhalten der EnBW äußern StR Stopper und StR Rockenbauch.

Laut StR Stopper muss gegenüber der EnBW klar signalisiert werden, dass es seitens des Gemeinderates nicht akzeptiert wird, wenn seitens der EnBW versucht wird, Druck auf die laufenden Konzessionsverfahren auszuüben. Positiv wertet er, dass nun seitens der Stadt aufgrund von Treu und Glauben die EnBW als verpflichtet angesehen wird, die Wasserbezugsrechte zu übertragen. StR Kanzleiter weist darauf hin, dass die Beschlusslage des Gemeinderates eine 100%ige Kommunalisierung der Wasserversorgung vorsieht. Zudem weist er auf den Zusammenhang Wasserpreis (heutiger TOP 2) und Ertragswert hin. Seiner Auffassung nach sollte im Zuge des Klageverfahrens weiter die Möglichkeit für eine außergerichtliche Einigung offengehalten werden.

Gegenüber StR Kanzleiter, der die Dauer bis zur Klageeinreichung nachfragt, spricht Herr Dr. Stenneken vom ersten Quartal 2013 (Januar/Februar). Es müsse u. a. bei gemischt genutzten Anlagen noch der Herausgabeanspruch konkretisiert werden. Zudem sei zu prüfen, wie z. B. der Antrag zur Übertragung der Trinkwasserkundenverhältnisse zu formulieren ist. Es müssten desweiteren Gespräche mit den Wirtschaftsprüfern stattfinden, inwieweit aufgrund eigener Kenntnisse ein Ertragswert berechnet werden kann. Wenn dies möglich sei, wäre eine Anforderung an den Klageantrag hinreichend bestimmt und dann müsste die EnBW diesen Betrag nennen.

StR Stopper fragt, welche Schritte die Stadt als Stimmrechte-Inhaberin in den Zweckverbänden in den nächsten Wochen/Monaten nicht versäumen darf, damit die Übertragung der Mitgliedschaften, wenn die Stadt im Verfahren obsiegt, auch rechtzeitig und ordnungsgemäß erfolgt kann.

Auf der Basis des heutigen Beschlusses, so die Ankündigung von OB Dr. Schuster, wolle er die beiden Verbände anschreiben und dabei die Bitte äußern, in den nächsten Verwaltungsratssitzungen Vorbesprechungen mit dem Ziel durchzuführen, dass im November bei den Verbandsversammlungen die sich daraus ergebenden Satzungsänderungen zum 01.01.2014 beschlossen werden können.

Im März, und damit wendet er sich an StR Kanzleiter, könne der Gemeinderat entscheiden, ob die Klageschrift eingereicht werden soll oder nicht. Möglich wäre ja auch, im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens einen Vergleich zu schließen oder, wenn es auf dem Verhandlungswege Fortschritte geben sollte, die Klage zurückzunehmen.

Diesen Tagesordnungspunkt abschließend fasst OB Dr. Schuster die Aussprache wie folgt zusammen:

- Klageschrift wird in Auftrag gegeben
- Bei den beiden Zweckverbänden wird die Stadt mit dem Ziel einer Übertragung zum 01.01.2014 vorstellig.

Gegen den Beschlussantrag erheben sich keine Einwendungen.

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