Protokoll:
Verwaltungsausschuss
des Gemeinderats der Landeshauptstadt Stuttgart
Niederschrift Nr.
TOP:
526
26
Verhandlung
Drucksache:
GZ:
Sitzungstermin:
19.12.2018
Sitzungsart:
öffentlich
Vorsitz:
BM Dr. Schairer
Berichterstattung:
Frau Koller (AföO)
Protokollführung:
Herr Häbe
pö
Betreff:
"Sperrstunde ist keine Lösung: Stuttgarter Sub- und Offkultur erhalten"
- Antrag u. Anfrage Nr. 373/2018 vom 22.11.2018
(SÖS-LINKE-PluS)
... (vollständiger Betreff siehe unten)
Da aus technischen Gründen der Betreff nicht in ganzer Länge im oberen Feld wiedergegeben werden kann, wird er hier vollständig aufgeführt:
Betreff: "Sperrstunde ist keine Lösung: Stuttgarter Sub- und
Offkultur erhalten"
- Antrag u. Anfrage Nr. 373/2018 vom 22.11.2018 (SÖS-LINKE-Plus)
"Sperrzeit: das richtige Instrument für den Anwohnerschutz?"
- Antrag Nr. 379/2018 vom 27.11.2018 (90/GRÜNE)
"Anwohnerruhe und Subkultur gleichsam schützen!"
- Anfrage Nr. 390/2018 vom 30.11.2018 (CDU)
Die im Betreff genannten Anträge und Anfragen sind dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.
BM
Dr. Schairer
bittet um Entschuldigung dafür, dass die Verwaltung ursprünglich geplant hat, diesen Tagesordnungspunkt heute zurückzustellen. Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg liege nun doch schon vor. Obwohl dieses Urteil, mit dem der VGH die Rückkehr zu gesetzlichen Sperrzeiten im Quartier Josef-Hirn-Platz und dem angrenzenden Bereich der Eberhardstraße vorläufig gestoppt habe, von der Verwaltung noch nicht vollumfänglich analysiert worden sei, wolle man heute einen Zwischenbericht abgeben. Bedauert werde, dass damit für die dort in nahezu 60 Wohneinheiten wohnenden 140 Anlieger keine schnelle Verbesserung der Situation möglich werde. Ausgangspunkt sei gewesen, dass das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) aufgrund von Anwohnerbeschwerden über unzumutbare Lärmbelästigungen, ausgelöst durch die umliegenden Gastronomiebetriebe und den sogenannten Soziallärm, die Stadt gebeten habe, ihre großzügige Praxis der Sperrzeitenaufhebung zu überprüfen. Wörtlich habe das RP der Stadt geschrieben: Auf das qualifizierte Schutzbedürfnis der Nachbarn, das insbesondere zur Nachtzeit im Hinblick auf die Lebensnotwendigkeit des ungestörten Schlafens besteht, werde keine Rücksicht genommen.
Vor ihrem Sachvortrag entschuldigt Frau
Koller
sich dafür, dass aufgrund der ursprünglich vorgesehenen Zurückstellung dieses Tagesordnungspunktes die geplante Präsentation nicht fertiggestellt werden konnte. Ihre Ausführungen sind nachstehend im überarbeiteten Wortlaut wiedergegeben:
"Zur Ausgangslage: Es geht um den Bereich Josef-Hirn-Platz/Eberhardstraße. Dort wurden diejenigen Gastronomiebetriebe, die entsprechende Anträge gestellt haben, seit Jahren von der gesetzlichen Sperrzeit befreit. Diese Entscheidungen ergingen jeweils für ein halbes Jahr befristet. 12 Gastronomen haben davon Gebrauch gemacht. Aber es gab und gibt auch Betriebe, die mit der gesetzlichen Sperrzeit dort zurechtkommen. Dieser Hinweis macht deutlich, dass man auch bei Einhaltung der gesetzlichen Sperrfrist rentabel wirtschaften kann.
Mit der lebendigen Gastronomieszene gingen eben auch Belastungen für die Anwohner einher - Ordnungsstörungen, Vermüllung, menschliche Hinterlassenschaften, Glasscherben, Lärm, all dieses, was eben entsteht, wenn die Partyszene lebt. In diesem Gebiet, BM Dr. Schairer hat es erwähnt, leben noch 140 Anwohner. Zu beobachten ist, dass die eine oder andere Wohnung aufgegeben und in Büroraum umgewandelt wird, weil es einfach schwierig ist, dort zu wohnen.
Wir erhielten im Jahr 2012 zum ersten Mal heftige Beschwerden über die Situation. Da ging es vor allem aber auch um Abluftgeräte in einem Hinterhof auf den Josef-Hirn-Platz. Daraufhin hat man erste Lärmmessungen - damals nur in diesem Hinterhof - vorgenommen und mit den ansässigen Betrieben Vereinbarungen getroffen. Durch die so erzielten Verbesserungen ergab sich bis 2017 eine an sich ruhige Beschwerdesituation.
2017 erfolgte eine massive Anwohnerbeschwerde direkt beim RP als Fachaufsichts-beschwerde. Das RP hat diese Beschwerde aufgegriffen, da ging es um verschiedene Aspekte, und die Stadt aufgefordert, diese zu überprüfen. Ein Aspekt war diese großzügige Praxis der Sperrzeitenaufhebung, und diesbezüglich kam das RP zu der Auffassung, dass die Stadt hier dem Ruhebedürfnis der Anwohner nicht ausreichend Rechnung trägt.
Zum Rahmen: Die gesetzliche Sperrzeit geht nach der Verordnung des Landes BW Montag bis Freitag von 03:00 Uhr bis 06:00 Uhr, also drei Stunden. An Samstagen und Sonntagen ist es nur eine Stunde, nämlich von 05:00 Uhr bis 06:00 Uhr. Die Möglichkeit besteht, von dieser gesetzlichen Sperrzeit abzuweichen, sowohl nach oben als auch nach unten. Man kann sie also aufheben. Dies haben wir im Bereich Josef-Hirn-Platz gemacht. Man kann sie aber auch verlängern. Beides sind sozusagen Ausnahmen von der Regel, sodass sich aus unserer Sicht wohl durchaus berechtigt die Frage stellte: Können und müssen wir hier nicht zur Regel zurückkehren?
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Ausnahme sind zunächst, dass es ein öffentliches Bedürfnis gibt, also in diesem Fall ein Bedürfnis an gastronomischen Dienstleistungen, die sonst in der Stadt nirgendwo abgedeckt werden oder jedenfalls im näheren Umfeld nicht abgedeckt werden. Hinzu kommt, dass besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, also keine Störungen für die unmittelbare Nachbarschaft daraus erwachsen. Das öffentliche Bedürfnis kann man sicherlich durchaus bejahen, wenn man sieht, dass diese Gastronomieleistungen nachgefragt werden. Daran besteht ja kein Zweifel, dass sich diese Gastronomiebetriebe dort einer lebendigen Nachfrage erfreuen. Die örtliche Situation haben wir allerdings auch deutlich kritischer beurteilt, als eben klar wurde, dass es massive Anwohnerbeschwerden gibt. Insoweit sind wir eben dem RP gefolgt, dass wir gesagt haben, hier ist eine Abwägung zwischen den Interessen der Gastronomen und dem Gemeinwohl dergestalt vonnöten, ob angesichts dieser Anwohnerbeschwerden diese Ausnahme - wohlgemerkt die Ausnahme von der Regel - weiter ermöglicht werden kann.
Auf dieser Grundlage haben wir uns dann das Quartier, alle 12 Gastronomiebetriebe, die bisher von der Aufhebung profitiert haben, angeschaut. Und wir haben dann bei den ersten zwei Fällen, wo die jeweilige Entscheidung über die Aufhebung abgelaufen war, den Neuanträgen nicht mehr zugestimmt. Ich habe ja erwähnt, diese Entscheidungen gelten immer nur halbjährlich, insoweit sind jetzt alle der Reihe nach ausgelaufen. Die übrigen Betriebe wurden auch angehört zur Ablehnung, verfügt haben wir nur die zwei. Einen weiteren Betrieb haben wir noch mal verlängert, weil wir der Meinung waren, bei diesem könnte man noch davon ausgehen, dass dort kein großer Beitrag zur Gesamtlärmbelastung entsteht.
Die zwei Fälle, die wir entschieden haben, sind in einen vorläufigen Rechtsschutzstreit eingetreten, indem sie einen Antrag beim Verwaltungsgericht Stuttgart stellten. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Entscheidung der Stadt bestätigt. In der zweiten Instanz beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim wurde diese Entscheidung insoweit aufgehoben, als angeordnet wurde, dass vorläufig, zunächst bis zum 31.12.2018, in dem konkret anhängigen Fall die Sperrzeitaufhebung wieder zu gewähren ist. Vorläufig heißt, dieser eine Fall ist damit zunächst erledigt, aber die Gründe in dieser Entscheidung haben natürlich Auswirkungen auf die jetzt folgende Entscheidungspraxis der Stadt.
Wie geht es jetzt weiter? Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs müssen wir natürlich noch genauer auswerten, da sie eine Menge durchaus anspruchsvoller Rechtsfragen enthält. Ein wichtiger Vorwurf war, dass wir für die Änderung der Praxis keine belastbaren Lärmmessungen vorgenommen hatten. Das ist richtig. Wir gingen davon aus, dass wir für die Rückkehr zur Regel noch keine Lärmmessungen benötigen, sondern dass dafür die plausiblen Beschwerden genügen, da, wenn man sich die Geschehnisse bei Nacht anschaut, schnell festzustellen ist, dass die zulässigen Nacht-ruhegrenzwerte der TA Lärm - die liegen bei 45 dB(A) - sicherlich häufig überschritten werden. 45 dB(A) ist nicht besonders laut. Wir sind davon ausgegangen, dass wir vor dem Hintergrund anderer Rechtsprechung, die es insbesondere zur Altstadt in Heidelberg gibt, so verfahren können, dass wir sagen, hier tragen alle Gastronomiebetriebe dazu bei, und von daher ist es nicht erforderlich, zu den einzelnen Gastronomiebetrieben Details zu nennen (Anzahl der Gäste, Lärmwerte), sondern dass es hier auf die Gesamtlärmbelastung ankommt. Das ist in der Heidelberger Altstadt so gewertet worden. Allerdings hatte Heidelberg eine Rechtsverordnung und keine Einzelverfügungen. Das zeigt, dahinter stehen noch eine Reihe von Rechtsfragen.
Für uns ist nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs klar, dass wir zunächst diejenigen Gastronomiebetriebe, die dieses Privileg mit der Aufhebung hatten, positiv entscheiden werden, weil wir eben diese Gründe berücksichtigen müssen. Wir werden aber in der weiteren Folge natürlich auch dem Auftrag folgen und erheben, wie die Lärmbelastung ist. Denn die Anwohnerbeschwerden sind ja damit nicht gelöst. Es steht im Raum, dass deren Gemeinwohl, deren Nachtruhe, nachhaltig beeinträchtigt ist, möglicherweise nicht nur mit Blick auf die Aufhebung der Sperrzeit, sondern möglicherweise geht es sogar um eine Sperrzeitverlängerung. Aber hier fehlt uns im Moment tatsächlich eine verlässliche Datengrundlage. Wir werden hier also diesem Auftrag des Verwaltungsgerichtshofs nachkommen. Im Vorfeld werden wir aber auch, sicherlich jetzt als ersten Schritt im Januar, zu einem Runden Tisch einladen, und zwar BM Dr. Schairer gemeinsam mit BVin Kienzle (Mitte), um mit Anwohnern und anliegenden Gastronomiebetrieben auszuloten, welche Möglichkeiten es gibt für ein gedeihliches Zusammenleben. Damit sind die Probleme, die wir gesehen haben, denen wir versucht haben, in einem ersten Schritt wohlgemerkt, mit der Rückkehr zur gesetzlichen Sperrzeit Rechnung zu tragen, nicht gelöst.
Es gibt an anderer Stelle im Stadtgebiet viele Betriebe, die mit der gesetzlichen Sperrzeit zurechtkommen, auch auf unserer berühmten Partymeile, der Theo. Es gibt gleichzeitig noch um die 50 Gastronomiebetriebe in der Innenstadt, die eine Aufhebung der Sperrzeit haben, weil eben dort keine empfindliche Anwohnersituation vorhanden ist. Das heißt, Nachtschwärmer finden hier auch attraktive Adressen.
Neben der Sperrzeit haben wir weitere Themen rund um den Josef-Hirn-Platz in den Blick genommen. Ein wichtiger Punkt, der auch immer wieder von den Anwohnern kommt, ist die Poserszene. Wir haben dafür schon eine Maßnahme in die Wege geleitet, die hoffentlich Wirkung zeigt. Wir werden die Erschließung des Josef-Hirn-Platzes künftig nicht mehr über die Torstraße, sondern über die Hauptstätter Straße regeln. Das ist bereits entschieden, die Anordnung gibt es, ist auch dem Bezirksbeirat Mitte zur Kenntnis gegeben. Die Umsetzung wird frühes Frühjahr 2019 erfolgen. Sie wissen ja, das braucht einfach auch immer seine Zeit, bis so eine bauliche Maßnahme dann tatsächlich umgesetzt wird. Aber diese Maßnahme wird kommen, und damit wird insbesondere dieses Posing auf dem Josef-Hirn-Platz, also im Bereich Rumors usw., hoffentlich gestoppt."
In der sich ergebenden Aussprache werden die Antragsinhalte durch die Fraktionen bzw. die Fraktionsgemeinschaft dargestellt.
Betont wird in der Folge durch den
Vorsitzenden,
zunächst werde der Runde Tisch fortgesetzt. Von StR
Sauer
(CDU) wird dies begrüßt. Über die Gesprächsinhalte bittet er im Namen seiner Fraktion auf dem Laufenden gehalten zu werden. Im Rahmen dieses Runden Tisches, so StR
Rockenbauch
(SÖS-LINKE-PluS), könne z. B. darüber gesprochen werden, inwieweit seitens der Clubs Bereitschaft bestehe, geeignete Maßnahmen für ein gedeihliches Miteinander im öffentlichen Raum zu unterstützen. Solche Ansätze seien zielführender als Lärmmessungen, um zu einer Begründung für eine einstündige Sperrzeitverlängerung zu kommen. Auch StRin
Vowinkel
(SPD) äußert sich zu diesem Runden Tisch positiv.
StR
Sauer
geht davon aus, dass neben dem Thema Sperrzeit weitere Themen besprochen gehören, um in einer Abwägung zu einer Gesamtlösung zu kommen. Richtig sei, Lärmmessungen durchzuführen, um eine objektive Grundlage zu erhalten. StR
Winter
(90/GRÜNE) spricht von einem Zielkonflikt (Wunsch, in der Innenstadt zu feiern/Lärm). Es stelle sich die Frage, welche Mittel geeignet seien, um ein gedeihliches Neben-einander zu ermöglichen. Im inneren Bereich einer Großstadt müsse sehr gut überlegt werden, welche Mittel zielführend seien. Den Menschen sollte überlassen werden, ob sie bis 04:00 Uhr oder bis 05:00 Uhr feiern. Laut StRin
Vowinkel
gilt es, unterschiedliche Interessenslagen "unter einen Hut zu bringen". Mit dem VGH-Urteil liege nun eine Richtlinie vor, an der man sich orientieren könne. StRin
von Stein
(FW) fragt, ob es denn nächtliche Lärmgrenzen gibt. Dies würde für die Verwaltung bedeuten, dass an allen Brennpunkten Lärmmessungen vorgenommen werden müssten. Bei Überschreitungen müssten alle Lärm emittierenden Aktivitäten untersagt werden. Dies bestätigt BM
Dr. Schairer.
In Sachen Auto-Posing befürwortet StR
Winter
eine Schließung der Torstraße. Maßnahmen gegen die Posingszene werden zudem von StR
Rockenbauch
befürwortet.
StR
Sauer
erklärt, die Fraktionen möchten bei der Erarbeitung einer Lösung eingebunden werden.
Die Aussprache, so BM
Dr. Schairer,
zeige, dass es sich um ein schwieriges Thema handle. Die Verwaltung versuche, einen Lösungsweg zu finden. Gehofft werde, auch mit Unterstützung des Gemeinderates, einen Konsens "ohne schrille Begleitmusik" zu finden. Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen ergeben, schließt er diesen Tagesordnungspunkt ab.
zum Seitenanfang