Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Jugend und Bildung
Gz:
JB
GRDrs
701/2022
Stuttgart,
11/15/2022
Amtsvormundschaften und Amtspflegschaften- Fallobergrenze und Personalausstattung
Beschlußvorlage
Vorlage an
zur
Sitzungsart
Sitzungstermin
Jugendhilfeausschuss
Verwaltungsausschuss
Vorberatung
Beschlussfassung
öffentlich
öffentlich
21.11.2022
30.11.2022
Beschlußantrag:
1. Der Einführung einer Fallobergrenze von maximal 35 Vormundschaften/Pflegschaften pro VZÄ für die Personalausstattung im Arbeitsbereich Amtsvormundschaften und
–pflegschaften des Jugendamtes Stuttgart wird zugestimmt.
2. Die Besetzung aller Stellen im Bereich der Amtsvormundschaften im Beschäftigtenverhältnis kann aus personalpolitischen Gründen und im Sinn der Gleichbehandlung übertariflich in EG10 TVöD erfolgen.
Begründung:
Zu Beschlussziffer 1: Einführung einer Fallobergrenze von 35 Vormundschaften/Pflegschaften pro VZÄ
Amtsvormundschaften und -pflegschaften gehören zu den Pflicht- und Kernaufgaben des Jugendamtes. Sie prägen die Qualität der regionalen Jugendhilfe, insbesondere im Kinderschutzkontext sowie in der sozialpädagogischen Versorgung von bedürftigen und benachteiligten Kindern und Jugendlichen wesentlich mit.
Die fachlichen Anforderungen an vormundschaftsführende Fachkräfte sowie die Qualität und Komplexität der zu führenden Vormundschaften haben deutlich zugenommen und nehmen immer mehr Zeit in Anspruch.
Nach entsprechenden Problemanzeigen wurden seit 2017 für die Dienststelle zusätzliche Stellenanteile im Rahmen der Haushaltsberatungen 2017 und 2019 geschaffen. So wurden für vormundschaftsführende Fachkräfte zusätzliche Stellen im Umfang vom 1,5 VZÄ beschlossen und die Freistellung für Leitungsaufgaben um 0,25 VZÄ auf 0,75 VZÄ erhöht.
Diese Stellenschaffungen haben dazu beigetragen, die vormundschaftliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Stuttgart zu verbessern. Sie reichen jedoch nicht aus, um den gestiegenen Arbeitsbelastungen und Anforderungen an die Amtsvormundschaft Rechnung zu tragen und eine gesetzeskonforme Aufgabenerledigung im erforderlichen Maße zu gewährleisten.
In den letzten Jahren musste die Dienststelle daher wiederholt auf Behelfslösungen zurückgreifen, insbesondere auf die Nutzung von temporär aus anderen Dienststellen entliehenen Stellenanteilen. Im Mai 2022 wurden mit GRDrs 192/2022 zusätzlich 2,0 VZÄ unbefristet bereitgestellt.
Das grundlegende Problem ist jedoch weiterhin, dass im Jugendamt Stuttgart die in § 55 SGB VIII genannte gesetzliche Fallobergrenze von 50 Fällen pro VZÄ auch zur Personalausstattung herangezogen wird.
Dies ist jedoch mit den gestiegenen Anforderungen an vormundschaftliches Handeln nicht vereinbar. Daher hat eine Reihe von Jugendämtern eigene Anstrengungen unternommen, um praxisgerechte Fallzahlen zu ermitteln und diese für die Personalausstattung zu nutzen. Innerhalb Baden-Württembergs kann insbesondere auf die Stadt Mannheim sowie auf den Rems-Murr-Kreis verwiesen werden. Hier wurde jeweils ein externer Dienstleister damit beauftragt, das Arbeitsaufkommen sowie den mit der Vormundschaftsführung verbundenen zeitlichen Aufwand via Prozessanalyse zu evaluieren. Sowohl in Mannheim, als auch im Rems-Murr-Kreis wurde dabei trotz erheblicher sozial-infrastruktureller Unterschiede eine Fallgrenze von 35 ermittelt (Ergebnisse aus den Jahren 2019/2020). Diese Fallgrenze wurde in den betreffenden Ämtern auch eingeführt und dient dort als Grundlage für die Personalausstattung.
Ähnliche Studien und Berechnungen wurden unter anderem auch von den Großstadtjugendämtern München und Köln durchgeführt. In der Folge wurden dort jeweils Fallobergrenzen von 30 eingeführt.
Sowohl im Bundes- als auch im Landesvergleich bewegt sich die Landeshauptstadt Stuttgart im Hinblick auf die Fallobergrenze in der Amtsvormundschaft aktuell auf den mittleren Rängen.
Die Einführung einer Fallgrenze von maximal 35 Vormundschaften/Pflegschaften pro VZÄ wird für die Personalausstattung im Arbeitsbereich Amtsvormundschaften und -pflegschaften des Jugendamtes Stuttgart als erforderlich erachtet, um eine rechtskonforme Aufgabenerledigung und um das Wohl der unter Vormundschaft stehenden Kindern und Jugendlichen hinreichend zu gewährleisten.
Persönliche Gewährleistungs- und Kontaktpflichten von Amtsvormundinnen und Amtsvormündern
Durch das Wirken und die Entscheidungen von Vormundinnen und Vormündern werden Biografien der betreuten Kinder und Jugendlichen maßgeblich beeinflusst und geprägt.
Vormundinnen und Vormünder sind im Rahmen ihrer Tätigkeit an Eltern statt für ihre Mündel verantwortlich. Mit der starken Rechtsstellung des Vormunds korrespondieren umfassende Sorgfalts- und Fürsorgeverpflichtungen, die im Kern nicht delegiert werden können (vgl. § 1688 BGB). Vormundinnen und Vormünder sind laut Gesetz persönlich für das Wohlergehen ihrer Mündel verantwortlich und haben deren Pflege und Erziehung persönlich zu fördern und zu gewährleisten (§ 1800 BGB). Diese persönliche Verantwortung und Gewährleistungspflicht bleibt auch dann bestehen, wenn die unter Vormundschaft stehenden Kinder- oder Jugendlichen in Pflegefamilien oder stationären Wohngruppen betreut werden.
Die persönliche Verantwortlichkeit des Vormundes bildet sich auch in seiner Stellung innerhalb des Jugendamtes ab: So ist der Vormund privatrechtlich tätig und die Rechtmäßigkeit seines Handelns wird nicht innerhalb der Verwaltung, sondern fortlaufend vom Familiengericht überwacht.
Um einen Eindruck davon zu vermitteln, was es in der Praxis bedeutet, eine Vormundschaft oder Pflegschaft zu führen, sind dieser Vorlage in Anlage 1 vier Fallskizzen beigefügt. Es handelt sich um reale, anonymisierte Fälle der Amtsvormundschaft des Jugendamtes Stuttgart.
Die Amtsvormundschaft als Ultima Ratio im Kinderschutz
Die weit überwiegende Zahl der Amtsvormundschaften und -pflegschaften im Stadtgebiet Stuttgart werden aus Gründen des Kinderschutzes von den Familiengerichten bestellt; d.h. in den meisten Fällen wurde den Eltern das Sorgerecht vom Familiengericht vollständig oder in Teilen entzogen. Anders als in früheren Jahrzehnten, stellen Vormundschaften, die beispielsweise durch den Tod der Eltern begründet sind, in quantitativer Hinsicht nur noch einen verschwindend geringen Prozentsatz dar.
Nicht zuletzt aufgrund der hiermit verbundenen hohen rechtlichen Hürden, stellen Sorgerechtsentzüge sowie die Anordnung von Vormundschaften für die Familiengerichte das letzte geeignete Mittel im Kinderschutz dar. Dementsprechend sind Vormundschaftsfälle mittlerweile im Regelfall Ultima-Ratio-Fälle, die besondere Charakteristika und Qualitäten aufweisen.
So vollzieht sich Amtsvormundschaft sehr häufig in einem Zwangskontext. Die vormundschaftsführenden Fachkräfte müssen oft gegen den Willen der leiblichen Eltern und mitunter auch gegen den Willen der Mündel selbst entscheiden, um ihrer Gewährleistungspflicht nachzukommen und um den Schutz der ihnen überantworteten Kinder und Jugendlichen zu sichern.
Gestiegene Anforderungen an vormundschaftsführende Fachkräfte
Aufgrund veränderter inhaltlicher Aspekte und veränderter Rahmenbedingungen sind die Anforderungen an die vormundschaftsführenden Fachkräfte in den vergangenen Jahren zusätzlich gestiegen und führen zu erhöhtem Arbeitsaufwand. Insbesondere die nachfolgenden Punkte und Entwicklungen sind zu nennen:
1. Veränderte strukturelle und organisatorische Rahmenbedingungen
§
Hohe Anforderungen hinsichtlich der persönlichen Teilnahme von Vormundinnen und Vormündern an Hilfeplan- und Krisengesprächen, Anhörungen, polizeilichen Vernehmungen usw.
§
Fachliche und rechtliche Ansprüche an die Beteiligung des Mündels und der Eltern.
§
Erhöhtes Bedürfnis von Behörden und Einrichtungen, sich durch Einbeziehung der vormundschaftsführenden Fachkräfte abzusichern - daher hohes Maß an Rückkopplungsprozessen.
§
Differenzierte Dokumentations- und Berichtserfordernisse.
§
Vermehrt notwendige Abstimmungsprozesse mit Kooperationspartnern aufgrund von immer komplexer werdenden Verfahrensabläufen.
§
Personalmangel und Platzmangel in den Hilfen zur Erziehung: Pädagogische Bedarfslagen von belasteten Kindern und Jugendlichen können vermehrt nicht mehr gedeckt werden, weil z.B. keine ausreichende Zahl an geeigneten Wohngruppenplätze verfügbar ist. Kinder und Jugendliche, deren Unterbringungsperspektive noch nicht geklärt ist, haben einen hohen Bedarf an persönlichem Austausch mit der Vormundin oder dem Vormund.
§
Rechtlich komplexere Antragstellungen, z.B. die Beantragung von Renten- oder Opferentschädigungsleistungen.
2. Erhöhter Zeitaufwand für Gerichtsverfahren
§
Gestiegene Zahl von Gerichtsverfahren, die von den Herkunftsfamilien initiiert werden, mit der Erfordernis fachliche Stellungnahmen oder eigene Schriftsätze einzureichen.
§
Komplexere und langwierige Gerichtsverfahren.
3. Vermehrt komplexe, problematische und konfliktreiche Fallkonstellationen
§
Konfliktreiche und grenzüberschreitende Einmischung von Eltern in vormundschaftliche Entscheidungen bis hin zu für den Vormund/die Vormundin bedrohlichen Szenarien.
§
Psychisch belastete Jugendliche, die selbst- und fremdgefährdende Verhaltensweisen zeigen und Jugendliche mit ausgeprägten Verhaltensschwierigkeiten, die nicht mehr in stationäre (Jugend-)Hilfemaßnahmen vermittelt werden können und ohne festes Obdach leben.
§
Kinder, die besondere Anforderungen im Bereich der Gesundheitssorge stellen.
§
Vormundschaften für Kinder von geflüchteten Familien.
§
Konfliktreiche Vormundschaften für Minderjährige, die sich von ihren fundamentalistischen Herkunftsfamilien distanzieren und zum Teil bundesweit in anonymen Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind.
§
Vormundschaften für Kinder aus dem Reichsbürger- oder Verschwörungstheoretikermilieu.
§
Zwangsmaßnahmen: Vormundschaftliche, aber auch gerichtliche Entscheidungen finden immer weniger Akzeptanz. Deutlich wird dies unter anderem an der Zunahme von Zwangsvollstreckung von Kindesherausgaben.
Empfehlungen zu Fallbelastungen in der Vormundschaft
Die in § 55 SGB VIII festgelegte Fallobergrenze von 1:50 war bei ihrer Implementierung in den Jahren 2011/2012 strittig und wurde bereits im Vorfeld kontrovers diskutiert. Zu dieser Thematik finden sich mittlerweile umfassende Publikationen und Berechnungen.
1. Studie von Prof. Sünderhauf (2011)
Einschlägig und bis heute vielbeachtet ist die wissenschaftliche Studie von Prof. Dr. Sünderhauf aus dem Jahr 2011. Die Autorin stellt in ihren Berechnungen fest, dass dem Vormund/der Vormundin bei einer Auslastung von 50 Fällen für jedes Mündel monatlich nur 2,5 Stunden zur Verfügung stehen, was für die Realisierung von persönlichen monatlichen Mündelkontakten sowie für die persönliche Gewährleistung und Förderung von Erziehung und Pflege nicht ausreichend ist. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass für eine gesetzeskonforme Ausgestaltung der Vormundschaft pro Mündel monatlich mindestens 4 Stunden erforderlich sind, was einer Belastungsobergrenze von 30 Fällen pro VZÄ entspricht.
2. Orientierungshilfe zur Personalbemessung in der Vormundschaft des KVJS (2012)
Der KVJS hat im Zuge der Vormundschaftsreform eigene Einschätzungen und Bewertungen zur Bearbeitungshäufigkeit und der Bearbeitungszeit von einzelnen Arbeitsschritten des Vormunds/der Vormundin vorgenommen.
Die 2012 veröffentlichte „Kommunalen Orientierungshilfe zur Personalbedarfsbemessung des Arbeitsbereiches Beistandschaften und Amtsvormundschaften“ empfiehlt der KVJS auf dieser Grundlage, dass in der Amtsvormundschaft pro VZÄ maximal 42-45 Fälle bearbeitet werden sollen, sofern die vormundschaftsführenden Mitarbeiter*innen keine anderen Aufgaben (z.B. sonstige Beratungsaufgaben) übernehmen.
Sowohl die Studie von Sünderhauf, als auch die Empfehlungen des KVJS sind jedoch beide nun schon zehn Jahre alt. Dementsprechend wird insbesondere die qualitative Entwicklung in der Vormundschaftsführung der letzten Jahre dort nicht abgebildet.
Fallobergrenzen in anderen Städten und Kreisen im Vergleich (Beispiele)
Vielfältige Berechnungen und Bemessungsverfahren der einzelnen Ämter haben dazu geführt, dass unterschiedliche Fallzahlen als Personalbemessungsgrundlage ergänzend zur gesetzlich vorgeschriebenen Fallobergrenze eingeführt wurden.
Eine Orientierung über Städte und Kommunen, die entsprechende ergänzende Regelungen getroffen haben, soll die nachfolgende Tabelle vermitteln. Da die Fallgrenzen nicht zentral statistisch erfasst oder veröffentlicht werden, wurden die jeweiligen Zahlen bei den einzelnen Jugendämtern individuell telefonisch erfragt werden.
Tabelle 1:
Überblick über Jugendämter mit ergänzenden Fallgrenzen zur Personalausstattung (Beispiele)
Stadt / Kreis
Personalbemessungsrelevant
Fallobergrenze für die Amtsvormundschaft /-Pflegschaft
Anmerkungen / Ergänzungen
Düsseldorf
30
Erfurt
35
Kiel
40
33 im Antragsverfahren
München
28
Potsdam
45
40 im Antragsverfahren
Köln
30
Bonn
30
Frankfurt
42
Mannheim
35
Freiburg
43,5
Karlsruhe
43,5
Rems-Murr-Kreis
35
Ludwigsburg
42
Böblingen
35
Göppingen
35
Biberach
45
Lkr. Breisgau-Hochschw.
39
Lkr. Mecklenb. Seenplatte
42
Lkr. Meißen
30
27 im Antragsverfahren
Speyer
30
Hamm
40
Main-Taunus-Kreis
30
Fallbelastung und Personalausstattung in der Dienststelle Vormundschaften des
Jugendamtes Stuttgart
Aktuelle Situation und bisherige Entwicklung
Die Zahl der zu führenden Amtsvormundschaften und -pflegschaften ist in den letzten Jahren leicht angestiegen und liegt derzeit bei insgesamt 284 Fällen (Stand 01.10.2022).
In der Dienststelle sind 1,3 VZÄ für Sachbearbeitungen dauerhaft in den anderen Aufgabenbereichen gebunden. So werden über die Koordinierungsstelle Vormundschaften jährlich ca. 250 Neufälle und Vormundschaftswechsel gemanagt. Die Akquise, Qualifizierung und Begleitung von aktuell ca. 100 ehrenamtlichen Einzelvormündern gehören ebenfalls in diesen Aufgabenbereich.
Für die Führung der Vormundschaften stehen der Dienststelle laut Stellenplan aktuell 8,2 VZÄ zur Verfügung (einschließlich der Schaffung von 2 Stellen gem. GRDrs 192/2022).
Mit der Vollbesetzung der 8,2 Stellen kann eine Fallbelastung von 1:35 erreicht werden (vgl. Tabelle 2). Dies ist eine realistische Größe, die eine vertretbare Aufgabenerledigung in der Vormundschaftsführung ermöglicht.
Tabelle 2:
Fallzahlen und Stellenanteile zur Führung von Amtsvormundschaften (Stand 01.10.2022)
Stellenanteile für die Führung von Amtsvormundschaften
Amtsvormundschaften und -pflegschaften laufend
Fälle pro VZÄ
Mit Nutzung der im Rahmen der GRDs 192/2022 zur Verfügung gestellten Stellen
8,2 VZÄ
284
35,0
Im Zeitraum vom 01.10.2021 bis 01.10.2022 lag die durchschnittliche Fallbelastung pro VZÄ bei durchschnittlich ca. 42,5, da erst ab 01.10.2022 ein Teil der neuen Stellenanteile besetzt werden konnte.
Mit diesem Fallaufkommen konnten im Jugendamt Stuttgart Mündelkontakte in einem Abstand von durchschnittlich ca. 2,7 Monaten realisiert werden. Die gesetzliche Sollvorgabe von monatlichen Kontakten als Regelfall kann nicht erfüllt werden. Auch eine verantwortungsvolle Priorisierung im Hinblick auf die Realisierung von persönlichen Kontakten zum Mündel ist bei einer solchen Auslastung kaum mehr im gebotenen Maße möglich und es kommt vermehrt zu Lücken in der Betreuung, die insbesondere vor dem Hintergrund der Verantwortlichkeit der Amtsvormünder sowie den persönlichen Gewährleistungspflichten fachlich nicht mehr hinreichend begründet werden können.
Von den überwachenden Familiengerichten werden daher Mängel in der Vormundschaftsführung moniert; Mitarbeitende werden auf die nicht gesetzeskonforme Führung ihrer Vormundschaft hingewiesen und erhalten in einigen Fällen keine Entlastung.
Anmerkungen zu Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA)
Ergänzend ist anzumerken, dass in der Amtsvormundschaft des Jugendamtes Stuttgart aktuell nur vereinzelt Vormundschaften für UMA geführt werden. Die vormundschaftliche Begleitung dieses Personenkreises wird seit 2017 wieder fast ausschließlich über das Vormundschaftsbüro der Arbeitsgemeinschaft für die Eine Welt (AGDW) e. V. gewährleistet. Die AGDW e. V. hat derzeit eine Kapazität zur Führung von maximal 120 UMA-Vormundschaften, die aktuell auch bereits weitestgehend ausgeschöpft ist.
Im Gegensatz zu anderen Vormundschaftsformen besteht in der Amtsvormundschaft des Jugendamtes keine Möglichkeit, eine Vormundschaft aufgrund einer Überschreitung von Kapazitätsgrenzen abzulehnen. Dies kann gerade in Anbetracht der aktuell erheblichen Migrationsbewegungen sowie globalen Krisen schnell zu einem erheblichen Anstieg der Fallzahlen führen und ist nur in geringem Maße kalkulierbar.
Zusammenfassung
Führt man die vorliegenden Studien, Berechnungen und Erfahrungswerte zusammen und verfolgt man den einschlägigen fachlichen Diskurs, so ist eine Fallobergrenze von höchstens 35 Vormundschaften/Pflegschaften pro VZÄ eine vertretbare und realistische Größe. Dadurch kann eine verantwortbare Aufgabenerfüllung gewährleistet und die Gefahr von Personen- oder Vermögensschäden im Vergleich zu höheren Fallbelastungen deutlich verringert werden. Auf ein verändertes Fallaufkommen kann so ebenfalls zeitnah und adäquat reagiert werden.
Die aktuell vorhandenen Personalressourcen von 8,2 VZÄ ermöglichen einen Fallzahlenschlüssel von 1:35.
Begründung zu Beschlussziffer 2: Übertarifliche Eingruppierung Amtsvormundschaften in EG10 TVöD
Die Stellen im Bereich der Amtsvormundschaften wurden im Rahmen der analytischen Dienstpostenbewertung 2019 mit A11 g.D. bewertet. An dieser beamtenbezogenen Bewertung kann nach wie vor festgehalten werden. Problematisch wird es bei einer Besetzung der Stellen
im Beschäftigtenverhältnis. Die bisherige Praxis war eine Eingruppierung in EG10 TVöD. Gemäß BAG-Urteil vom 24.02.2021 (4 AZR 269/20) wurde das Tätigkeitsfeld der Amtsvormundschaften den Merkmalen der Entgeltgruppe S12 des Sozial- und Erziehungstarifvertrags (SuE) zugeordnet. Hieraus ergibt sich aufgrund der Tarifautomatik gem. § 12 Abs. 2 TVöD, dass Mitarbeiter im Beschäftigtenverhältnis in der Entgeltgruppe S12 SuE (entspricht EG 9c TVöD) einzugruppieren sind.
Zudem stellt die Sicherstellung einer möglichst hohen personalen Kontinuität einen zentralen Qualitätsaspekt in der vormundschaftlichen Begleitung Minderjähriger dar. Eine angemessene Vergütung trägt wesentlich dazu bei, qualifiziertes Personal längerfristig zu binden und ein solches Qualitätsziel zu erreichen.
Im Rahmen der Vorlage GRDrs 192/2022 wurde bereits für 2,0 VZÄ für den Bereich der Amtsvormundschaften im Beschäftigtenverhältnis in EG10 TVöD die übertarifliche Eingruppierung durch den Gemeinderat beschlossen. Dieser Beschluss führt zu einer Ungleichbehandlung bei der Eingruppierung der Mitarbeiter*innen in der Dienststelle bei identischem Aufgabenzuschnitt. Dies ist - bei Fluktuation, die aufgrund des bevorstehenden Generationenwechsels zu erwarten ist - für die Mitarbeiter der Dienststelle schwer vermittelbar und ist kontraproduktiv für die Personalgewinnung und -bindung.
Bereits jetzt herrscht ein gravierender Fachkräftemangel im gehobenen Dienst, der sich durch den demographischen Wandel in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. Viele Stellen können derzeit nicht besetzt werden. Das Jugendamt muss weiterhin seine Attraktivität als Arbeitgeber beibehalten, um auf dem Arbeitsmarkt gut qualifizierte Arbeitskräfte für sich gewinnen und dauerhaft binden zu können. Vor diesem Hintergrund kann sich das Jugendamt beim Rekrutieren seines Personals nicht nur auf die Absolventen des Studiengangs „Public Management“ verlassen, die typischerweise die Beamtenlaufbahn einschlagen. Vielmehr ist die Verwaltung, überall wo es gerechtfertigt ist, auch auf andere Berufsgruppen und Quereinsteiger im Beschäftigtenverhältnis angewiesen. Aus Gründen der Personalbindung und -gewinnung sowie der Qualitätssicherung und der Aufrechterhaltung dieses Dienstes ist es daher zwingend erforderlich, übertariflich an der bisherigen Eingruppierung in EG10 TVöD festzuhalten, falls die Stellen nicht mit Beamten besetzt werden können.
Finanzielle Auswirkungen
Beteiligte Stellen
Die Referate AKR und WFB haben mitgezeichnet.
Isabel Fezer
Bürgermeisterin
Anlagen
4 Fallskizzen (diese Anlagen sind aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht öffentlich)
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