Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
502
2
VerhandlungDrucksache:
46/2016
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 07.12.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Kirchberg (Kanzlei Deubner & Kirchberg)
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S 21 aufgrund des Leistungsrückbaus durch das Projekt" - Abhilfeprüfung im Widerspruchsverfahren

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 13.04.2016, öffentlich, Nr. 91

Gemeinderat vom 14.04.2016, öffentlich, Nr. 51

Verwaltungsausschuss vom 06.07.2016, öffentlich, Nr. 258

Gemeinderat vom 07.07.2016, öffentlich, Nr. 258

jeweiliges Ergebnis: Zurückstellung

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Referats Recht, Sicherheit und Ordnung vom 06.04.2016, GRDrs 46/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Den Widersprüchen von Herrn Joris Schoeller, Marc Braun und Hans Heydemann gegen den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart vom 29.07.2015 über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens "Leistungsrückbau" gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird nicht abgeholfen.


2. Die Widersprüche werden dem Regierungspräsidium Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Die Verwaltung wird beauftragt, die Widerspruchsführer darüber zu unterrichten, dass die Stadt den Widersprüchen nicht abgeholfen hat.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Der im Betreff genannte Tagesordnungspunkt wird auf Vorschlag des Vorsitzenden gemeinsam mit dem heutigen Tagesordnungspunkt 3 "Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 'Storno 21' Abhilfeprüfung im Widerspruchsverfahren", heutige NNr. 503, aufgerufen. Die Aussprache ist nachstehend wiedergegeben. In der Aussprache wird insbesondere zum Thema "Wegfall der Geschäftsgrundlage" Bezug auf die zum heutigen Tagesordnungspunkt 1 "S 21 - Vorgehen der Landeshauptstadt Stuttgart hinsichtlich angekündigter Ansprüche der DB AG auf zusätzliche Finanzierungsbeiträge" erfolgte Beratung, heutige öffentliche NNr. 501, genommen.

Dem von StR Sauer (CDU) zu Beginn der Sitzung unterbreiteten Vorschlag, in der heutigen Sitzung auf Aussprachen zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 zu verzichten, und diese Abhilfeprüfungen in der morgigen Gemeinderatssitzung zu behandeln, wird nicht gefolgt, da sich StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) gegen diese Vorgehensweise ausspricht.

Nachdem StR Rockenbauch dabei unter anderem davon spricht, der Ältestenrat habe zu diesen Tagesordnungspunkten in seiner Sitzung am 24.11.2016 eine Art Selbstbeschränkung besprochen (je Tagesordnungspunkt 5 Minuten Redezeit/Redner) erinnert StR Körner (SPD) daran, der Gemeinderat habe sich, einem Vorschlag des Oberbürgermeisters folgend, darauf verständigt, zwei öffentliche Sitzungen des Ausschusses Stuttgart 21 zu dem Bahnprojekt S 21 durchzuführen. In diesen zwei Sitzungen seien beide Seiten sehr ausführlich zu Wort gekommen. Für StR Rockenbauch verlief der Versuch, in diesen zwei Sitzungen Fakten zu klären, nicht zufriedenstellend. Die Bahn habe keine Einblicke in Kalkulationen etc. gewährt. Zudem seien relevante Fragen zu der Leistungsfähigkeit und zu Sicherheitsfragen nicht geklärt worden. Die mit den heutigen Tagesordnungspunkten 2 und 3 vorgesehene juristische Bewertung sei darüber hinaus ein völlig anderes Thema.

Der Oberbürgermeisters trägt einführend vor, am 02.07.2015 habe der Gemeinderat beschlossen, dass beide heute auf der Tagesordnung stehenden Bürgerbegehren nicht zulässig seien. Die Ablehnungsbescheide an die Vertrauensleute seien am 29.07.2015 ergangen, und zu dem Bürgerbegehren "Storno 21" hätten die Vertrauensleute am 24.08.2016, und zu dem Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S 21 aufgrund des Leistungsrückbaus durch das Projekt" am 11.08.2015 Widersprüche eingelegt. Nun stehe die Entscheidung an, ob der Gemeinderat Abhilfen gewähren wolle, oder ob an den Beschlüssen vom 02.07.2015 festgehalten werde. Dabei stehe dem Gemeinderat kein inhaltliches Ermessen zu. Es handle sich ausschließlich um rechtliche Entscheidungen, ob die beiden Bürgerbegehren, Maßstab sei jeweils deren Text, rechtlich zulässig seien oder nicht. Sollte der Gemeinderat an seinen Beschlüssen festhalten, wenn also die Abhilfeentscheidungen negativ ausfielen, müsste das Regierungspräsidium Stuttgart die Rechtmäßigkeit der Ablehnungen sowie der Widersprüche prüfen. Danach erließe das Regierungspräsidium Widerspruchsbescheide an die Vertrauensleute bzw. Widerspruchsführer. Für den Fall, dass auch das Regierungspräsidium die Bürgerbegehren für unzulässig ansehe und dies in den Widerspruchsbescheiden feststelle, könnten die Vertrauensleute/die Widerspruchsführer innerhalb eines Monats beim Verwaltungsgericht Klage erheben. Das Verwaltungsgericht müsste dann ebenfalls voll inhaltlich die Rechtmäßigkeit prüfen.

Die Verwaltung schlage dem Gemeinderat vor, an seinen Beschlüssen festzuhalten.

Anschließend führt Herr Prof. Dr. Kirchberg aus, die nun anstehenden Entscheidungen seien unselbständige Entscheidungen, jedenfalls dann, wenn der Gemeinderat den Vorschlägen der Verwaltung folge; Entscheidungen, den Widersprüchen nicht abzuhelfen, hätten keine eigenständige Rechtsqualitäten, sondern es wären unselbstständige Zwischenentscheidungen auf dem Wege zu Widerspruchsbescheiden bzw. zu Widerspruchsverfahren. Die abschließenden Entscheidungen treffe ja das Regierungspräsidium. Nur für den Fall, dass sich der Gemeinderat anders als am 02.07.2015 entscheide, wären abschließende Entscheidungen über die Widersprüche mit entsprechenden Kostenregelungen zu treffen.

Die Entscheidung darüber, ob ein Bürgerbegehren zulässig sei oder nicht, sei eine sogenannte gebundene Entscheidung. Hier bestehe keinerlei Ermessen für den Gemeinderat. Es sei eine voll inhaltliche Überprüfung, allerdings müsse Klarheit darüber bestehen, dass die Rechtssprache keine Mathematikaufgabe sei, sondern sie handle mit Begriffen, die unterschiedlich ausgelegt werden könnten. Von daher ergebe sich bei der Bewertung eines entsprechenden Sachverhalts insbesondere auch eines Bürgerbegehrens, eine gewisse Streubreite an Meinungen. Man könne die Dinge so oder auch so sehen. Bisher habe sich die Stadt Stuttgart bzw. der Stuttgarter Gemeinderat bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Bürgerbegehren zu S 21 jeweils auf der richtigen Seite befunden. So sei bei dem ersten Begehren, das einen Vertragsausstieg vorgesehen habe, die Klage der Initiatoren des Bürgerbegehrens abgewiesen worden. Auch das zweite Bürgerbegehren zum Thema "Mischfinanzierung" sei in allen drei Instanzen als unzulässig eingeschätzt worden.

Beim anstehenden Bürgerbegehren "Storno 21" habe es bereits eine gerichtliche Entscheidungen gegeben. In seinem Beschluss vom 30.09.2015 habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass das Begehren nicht offensichtlich zulässig sei.

Da er von StR Rockenbauch bei der Behandlung des heutigen Tagesordnungspunktes 1 persönlich angesprochen worden sei, wolle er folgende dort von StR Rockenbauch gemachte Formulierung aufgreifen: Wenn sich die Bahn mit ihrer Rechtsauffassung durchsetzt, dann ist tatsächlich der Fall gegeben, dass eben die Geschäftsgrundlage möglicherweise nicht mehr dieselbe ist, wie bei Abschluss des Vertrages, und dass daraus Konsequenzen gezogen werden müssen. Die Landeshauptstadt (LHS) sei der Auffassung, dies habe bereits Herr Dr. Porsch (Kanzlei Dolde & Mayen) unter TOP 1 bekräftigt, dass das entsprechende Begehren der Bahn, das auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützt sei, nach Maßgabe der Vertragslage nicht gerechtfertigt sei. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Gerichte rechtstaatlich über die Zulässigkeit des Begehrens entscheiden, sei diese Frage also offen. Dementsprechend sei die Geschäftsgrundlage für die Beteiligung der LHS an den Kosten für das Bahnprojekt S 21 nicht weggefallen. Näher gerückt sei allerdings, dass so etwas passieren könne. Deshalb habe er in seinem Ergänzungsgutachten davon gesprochen, dass drohe, dass so etwas passieren könne. Im Juli des vergangenen Jahres sei diese Lage noch nicht eingetreten gewesen. Damals seien weder die Bahn noch das Land Baden-Württemberg unmittelbar mit der Forderung an die Stadt herangetreten, sich an Mehrkosten zu beteiligen. Mit anderen Worten, eine drohende oder eine angekündigte Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage, sei nach wie vor nicht gleichzusetzen mit dem Eintritt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, zumal dies ja auch sinnvollerweise von der LHS nachhaltig bestritten werde, weshalb der Verwaltungsausschuss ja bei TOP 1 in der Vorberatung einmütig einem Klageverfahren zugestimmt habe.

Im Übrigen gelte, daran wolle er nochmals erinnern, dass die Zulässigkeit des entsprechenden Bürgerbegehrens auch nach Meinung des Verwaltungsgerichts Stuttgart darüber hinaus noch folgenden verschiedenen Einwendungen begegne, wie er in seinem Ergänzungsgutachten noch einmal aufgelistet habe.

1. Was zu der Sprechklausel geschehe, müsse abgewartet werden. Zu dem Aspekt Poolführerschaft des Landes in diesem Zusammenhang müsse daran erinnert werden, dass in der Finanzierungsvereinbarung ausdrücklich Bezug auf die Ergänzungsvereinbarung zwischen dem Land und der LHS aus dem Jahr 2007 genommen werde, wo der Umfang der Beteiligung der LHS ausdrücklich festgeschrieben sei. Dies bedeute, die Prokura des Landes in diesem Zusammenhang sei von vornherein begrenzt, und das Land könne nicht einfach ohne über die LHS hinwegzugehen, sich auf irgendwelche Anteile für die LHS einigen.

2. Wie schon Herr Dr. Porsch unter TOP 1 plastisch dargestellt habe, sei es so, dass im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage die entsprechenden Risikobereiche abgeklärt werden müssten (Wer trägt die Verantwortung für welche Kostenerhöhungen?). Dies sei für den Umfang der Beteiligung von ganz wesentlicher Bedeutung. Ein Hochrechnen aus dem bisherigen Beteiligungsschlüssel sei also nicht möglich.

3. Das Verwaltungsgericht habe bereits aufgegriffen, dass eine Kündigung, auch dies habe Dr. Porsch bereits angeführt, ultima ratio sei. In allererster Linie seien die Vertragspartner verpflichtet, auch wenn ein Wegfall der Geschäftsgrundlage anzunehmen sei, eine Anpassung des Vertrages zu versuchen. Veränderte Verhältnisse würden eine Angleichung an die bisherige Vertragslage gebieten, unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien.

Das Verwaltungsgericht habe noch nicht abschließend die Frage der Verfristung der Bürgerbegehren beurteilt. Dies sei ja von der LHS in ihrem Bescheid vom 29.07.2015 bzw. zuvor durch den Gemeinderat am 02.07.2015 mit als Grundlage der ablehnenden Entscheidung gemacht worden. Fast auf den Tag genau vor vier Jahren, dies wolle er in Erinnerung rufen, sei bekannt geworden, dass es eine Erhöhung der Projektkosten um rund 2 Mrd. € geben werde. Ein Vierteljahr später, im März 2013, habe der Vorstand der Bahn beschlossen, "dass man sich das Geld von den Projektpartnern zurückholen wird". Zwei Jahre später, im Dezember 2014, sei das Bürgerbegehren "auf Kiel gelegt" worden. Mit der Sechswochenfrist, die im Gesetz vorgesehen sei, habe dies überhaupt nichts zu tun. Darauf gehe die Begründung auch nicht ein.

StR Kotz (CDU), StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE), StR Körner, StRin von Stein (FW) und StR Dr. Oechsner (FDP) äußern sich zustimmend zu den Beschlussanträgen. Durch StRin Deparnay-Grunenberg wird angemerkt, dass ihre Fraktion sich im Ältestenrat nicht gegen ein Rederecht für die Vertrauensleute heute und in der morgigen Gemeinderatssitzung ausgesprochen hat.

Die genannten Ratsmitglieder heben bei ihren Zustimmungen zu den Beschlussanträgen darauf ab, dass es bei diesen rechtlichen Entscheidungen keinen politischen Entscheidungsspielraum gibt. Des Weiteren werden insbesondere folgende Aspekte angeführt:

- Die Vertrauensleute können den Rechtsweg einschlagen (StRe Kotz, Dr. Oechsner)

- Bisherige Entscheidungen des Gemeinderats zu Bürgerbegehren wurden alle von den Gerichten bestätigt (StR Kotz, StRin Deparnay-Grunenberg)

- In den beiden Sitzungen des Ausschusses Stuttgart 21 hat sich gezeigt, dass die Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart durch S 21 nicht zurückgebaut, sondern ausgebaut wird (StR Körner)

- Zum Thema "Wegfall der Geschäftsgrundlage" im Zusammenhang mit dem heutigen Tagesordnungspunkt 3 hat Herr Dr. Porsch unter TOP 1 überzeugende Ausführungen gemacht (StR Körner)

Für die morgige Gemeinderatssitzung kündigt StR Rockenbauch an, Rederechte für die Vertrauensleute zu beantragen. Er lehnt die Beschlussanträge ab.

Seine Ablehnung begründend führt StR Rockenbauch folgende Aspekte an:

- Herr Prof. Dr. Kirchberg erkläre im Gegensatz zu früher, dass z. B. das Thema Leistungsrückbau nicht zum Wirkungskreis der LHS gehöre. Der Leistungsrückbau sei deutlich nachgewiesen. Die Gerichte hätten nicht mehr als 32,8 Züge bestätigt. Planfestgestellt seien 32 Züge. 38 Züge würden heute fahren. Die von der Stadt für die Projektteilnahme angeführten städtebaulichen Gründe sowie die Gründe zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes würden elementar unter dem Leistungsrückbau leiden und damit werde direkt das Allgemeinwohl und somit das Wirkungsfeld der Kommune betroffen.

- Die Argumente von Herrn Prof. Dr. Kirchberg, dass eine Verfristung vorliege, und dazu, welche Anforderungen Begründungen für Bürgerbegehren erfüllen müssten, seien am 21.04.2015 durch den Verwaltungsgerichtshof verworfen worden. Wenn der Gemeinderat dennoch Herrn Prof. Dr. Kirchberg folge, könne man den Eindruck gewinnen, dass der Gemeinderat überhaupt keine Bürgerbegehren möchte.

- Sollte ein Gericht zu der Bahnklage entscheiden, dass sich alle Projektträger an Mehrkosten beteiligen müssten, könne ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht mehr geltend gemacht werden. Dann greife doch das von Herrn Dr. Porsch unter TOP 1 in Sachen Vertragsanpassung Vorgetragene.

Im weiteren Verlauf kündigt StR Prof. Dr. Maier (AfD) an, sich aufgrund vieler Ungereimtheiten der Stimme zu enthalten. Kritisch merkt er an, dass trotz ständig steigender S 21-Kosten seitens der Bahn dennoch von einer gesicherten Wirtschaftlichkeit des Projektes gesprochen wird. Die Zweifel an S 21 würden immer größer. Zumindest ist es seiner Einschätzung nach bisher nicht gelungen, dass S 21 gegenüber dem Kopfbahnhof zu einem wirklichen Fortschritt bei der Leistungsfähigkeit, die auch in Relation zu den Kosten steht, führt.

Zu der Kritik an Herrn Prof. Dr. Kirchberg, auch im Zusammenhang mit früheren Verfahren, hebt OB Kuhn hervor, Herr Prof. Dr. Kirchberg habe alle Verfahren, in denen er die Stadt gutachterlich vertreten habe, gewonnen, auch zum Teil höchstrichterlich.

StRin Deparnay-Grunenberg unterstreicht, dass Bürgerbegehren von ihrer Fraktion grundsätzlich begrüßt werden. Die Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion könne in vielen Punkten den Bürgerbegehren zu S 21 folgen. Letztlich habe die Volksabstimmung entschieden, S 21 zu realisieren. Das Projekt werde kritisch begleitet, um es so gut wie möglich umzusetzen. Dafür, dass es sich bei der Volksabstimmung zu S 21, diese sei von der SPD durchgesetzt worden, um eine direktdemokratische Entscheidung gehandelt hat, wirbt StR Körner. Diese Entscheidung sei für die Legitimation von S 21 sehr bedeutsam. Für StRin von Stein stellt sich die Frage, ob alle Bürgerbegehren zu S 21 absichtlich nicht rechtskonform formuliert wurden, um das Thema S 21 immer wieder "hochzuziehen".

Sorge bereitet dem Oberbürgermeister, dass Bürgerbegehren, die die notwendige Anzahl von Unterstützern nachgewiesen haben, bislang nicht durchgeführt werden konnten. Das neue Rechtsverfahren sehe vor, dass künftig Antragsteller auch von den zuständigen Behörden zu Formulierungsfragen beraten werden könnten. Diese Hilfe sei bedeutsam, da auch in Zukunft Bürger nicht über rechtswidrige Ziele entscheiden könnten. Er würde es begrüßen, wenn zu einer wichtigen städtischen Entscheidung auf der Basis eines rechtlich nicht zu beanstandenden Begehrenstextes, ein Bürgerbegehren durchgeführt werden könnte. Alle Beteiligten im Gesprächskreis zu Beteiligungskonzepte teilten diese Position.

Gegenüber StR Rockenbauch teilt der Vorsitzende mit, er habe aus der Anhörung im Ausschuss Stuttgart 21 zum Thema Leistungsfähigkeit mitgenommen, dass die Vergleichsmaßstäbe entscheidend seien. Wenn der heutige Kopfbahnhof mit dem unterirdischen S 21-Bahnhof verglichen werde, ergebe sich kein Leistungsrückbau, sondern, wie im Stresstest bezüglich der Leistungsstunde formuliert, ein Ausbau. Dies habe der Vertreter des Landes, Herr Hi ckmann, bestätigt, und dies sei auch aus den städtischen Unterlagen ersichtlich. Wenn allerdings ein vollständig neu ausgebauter Kopfbahnhof als Maßstab herangezogen werde, würden sich andere Zahlenverhältnisse ergeben. Vor Gericht erfolge ein Vergleich mit dem jetzigen Zustand des Kopfbahnhofs.

Generell merkt Herr Prof. Dr. Kirchberg zur Frage des Leistungsrückbaus an, die Entscheidungen, die der Gemeinderat auf Vorschlag der Verwaltung bei allen Bürgerbegehren getroffen habe, seien nicht mit einem Argument, sondern mit einem Bündel von Argumenten unterlegt worden. Dies treffe auf die heute anstehenden Entscheidungen ebenfalls zu. Wenn im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung nicht jedes Argument ziehe, aber im Ergebnis in der Sache der Stadt rechtgegeben werde, empfinde er es als kleinlich zu sagen, bei einem Punkt habe er als Gutachter nicht recht gehabt.

Die Finanzierungsvereinbarungen/Projektvereinbarungen, die die LHS eingegangen sei, seien nicht etwa rechtswidrig oder nichtig, sondern diese seien, wie der Verwaltungsgerichtshof im April 2015 festgestellt habe, zulässig, da sich die LHS im Rahmen ihres gemeindlichen Wirkungskreises bewegt habe (Stichwort: Stadtentwicklung auf dem Vorfeld des jetzigen Kopfbahnhofs). Das was die Stadt gemacht habe, sei auch vom monetären Umfang gerechtfertigt gewesen. Wenn sich die LHS tatsächlich über diesen Umfang hinaus an der Finanzierung des Projektes S 21 beteiligt hätte, wären diese Beträge nichtig gewesen. Dies sei aber, wie gesagt, nicht der Fall gewesen, und dies habe der Verwaltungsgerichtshof bestätigt.

Bei der Beschlussfassung im Juli vergangenen Jahres sei man entsprechend seiner Begutachtung noch davon ausgegangen, bei einer sehr großzügigen Betrachtung, dass es sich auch bei diesem Bürgerbegehren um eine Angelegenheit handle, die den gemeindlichen Wirkungskreis betreffe. Spätestens nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren "Mischfinanzierung" und unter Berücksichtigung der dann in der Revisionsinstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht gewechselten Schriftsätze, sei er zu der Auffassung gelangt, dass zu den vielen Argumenten, die gegen die Zulässigkeit dieses Bürgerbegehrens sprechen, auch das grundsätzliche Argument gehöre, dass der Gegenstand des Begehrens eben nicht den gemeindlichen Wirkungskreis betreffe. Im Vordergrund dieses Begehrens stehe der Satz: Eine weitere Beteiligung der Stadt Stuttgart an S 21 ist unzumutbar, weil damit schwere und nicht korrigierbare Schäden bei den Schienenverkehren verbunden wären. Dies, so Herr Prof. Dr. Kirchberg, sei aber außerhalb der Reichweite der LHS. Natürlich habe die LHS ein Interesse an einem funktionierenden Bahnhof, und sie habe auch ein Interesse, dass der Planfeststellungsbeschluss, der hierzu getroffen worden sei - und auch gerade, was die Leistungsfähigkeit dieses Bahnhofs betreffe - tatsächlich funktioniere. Aber es sei nicht so, dass die Frage, wie viele Züge jetzt mehr oder weniger dort einfahren könnten, tatsächlich den gemeindlichen Wirkungskreis betreffe. Dies sei eine Frage der Deutschen Bahn, die den Bahnhof betreibe. Solange der Hauptbahnhof eben nicht zu einem S-Bahnhof degradiert werde, oder solange, und dies wäre die andere Überlegung, man feststelle, dass auf den entsprechenden Flächen, auf denen ein neuer Stadtteil entwickelt werden solle, Gebäude aufgrund Kontaminationen nicht erstellt werden könnten, solange habe dies mit dem gemeindlichen Wirkungskreis nichts zu tun. Aus diesem Grunde, als zusätzliches Argument gegen die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, sei er zu der Auffassung gekommen, und dem sei die Verwaltung bisher gefolgt, dass hier der gemeindliche Wirkungskreis durch die Frage, ob jetzt mehr oder weniger Züge nach dem Umbau fahren, nicht berührt sei.

Hinzu komme in der Sache selbst natürlich das wichtige Argument, dass die Leistungsfähigkeit des Bahnhofs hier nicht zum ersten Mal thematisiert worden sei, insbesondere auch nicht die Frage, ob möglicherweise von falschen Annahmen ausgegangen worden sei, sondern es sei ja bereits ein Verfahren bei Gericht anhängig gemacht worden, in dem ein anderer Kläger geltend gemacht habe, der Planfeststellungsbeschluss müsse wieder aufgehoben werden, da er eben eine Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofs vorgaukle, die nicht gegeben sei. Dieser Antrag sei in allen Instanzen, bis hin zum Bundesverwaltungsgericht, abgelehnt worden, mit dem Bemerken, es gebe zwar eine gutachterliche Äußerung des Herrn Dr. E., aber diese Äußerung sei nicht allgemeiner Stand der Wissenschaft und der allgemeinen Auffassung, und solange dies nicht der Fall sei, könne nicht von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage für diesen Planfeststellungsbeschluss gesprochen werden. Das Gleiche gelte nach der Einschätzung der LHS weiterhin. Der Oberbürgermeister habe ja auf die beiden Ausschuss Stuttgart 21-Sitzungen hingewiesen. Es gebe deshalb keine Veranlassung nunmehr davon auszugehen, die gesamte Wissenschaft, die sich mit diesen Fragen befasst habe, habe einen Schwenk vollzogen und die Deutsche Bahn hätte Abstand genommen von den entsprechenden Berechnungen. Gegenteiliges sei der Fall. Sodass auch aus diesem Grunde das Bürgerbegehren nicht zulässig sei.

Bei der Frage, ob die Leistungsfähigkeit im Bereich der Stadt Stuttgart liegt oder nicht, ist für den Oberbürgermeister eine juristische Argumentation. Tatsächlich interessiere ihn und den Gemeinderat diese Frage politisch natürlich sehr, denn Fragen wie die Zukunft des ÖPNV, des regionalen und des überregionalen Schienenverkehrs seien für die LHS selbstverständlich politisch eminent wichtig. Darüber sei intensiv diskutiert worden und in den beiden Ausschuss Stuttgart 21-Sitzungen sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass man nicht von einem Leistungsrückbau sprechen könne. Die politische und die juristische Ebene dürften hier nicht vermischt werden.

Die Interpretation der Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofs aufgrund der Äußerungen der Bahn und von Herrn Hickmann in den beiden Ausschuss S 21-Sitzungen teilt StR Rockenbauch nicht. Herr Hickmann habe künftig von einem S-Bahn-ähnlichen Verkehr gesprochen. Der unterirdische Bahnhof gehe also in die Richtung einer S-Bahn-Station. Zum einen könne das in den beiden Sitzungen Gesagte durchaus anders interpretiert werden und zum anderen habe das Landesverkehrsministerium 2013 erklärt, dass der heutige Kopfbahnhof 50 Züge/Stunde und klare Vorteile bei der betrieblichen Flexibilität aufweise. Zudem hätten die Gutachter einen fortgeschriebenen S 21-Bahnhof als Basis herangezogen. Die Themen, die im Zusammenhang mit der Gäubahn und den Fildern stünden, seien Themen, die nicht Bestandteil der S 21-Verträge seien. Nur mit diesen Nachbesserungen könne ein Leistungszuwachs von S 21 suggeriert werden.

Weiter trägt er vor, zum Städtebau gehörten neben der Fläche auch die Themen Verkehr und Klimarelevanz. Die Fläche sei kontaminiert. Deren Sanierung werde noch Millionen kosten. Wenn gesagt werde, allein die für den Städtebau gewonnene Fläche sei Geschäftsgrundlage für das städtische Engagement, müsse gesehen werden, dass die Stadt für die Fläche bezahlt habe, und die Stadt habe zudem einen Zinserlass beschlossen. Stand heute, dies habe EBM Föll nachgerechnet, gehe es hierbei um städtische Investitionen in Höhe von 1 Mrd. €. Dazu müssten der Projektanteil (31 Mio. €), der Risikoanteil (262 Mio. €) und die städtische Beteiligung an den Mehrkosten (262 Mio. €) addiert werden. Unberücksichtigt seien noch sämtliche indirekten Kosten für die Infrastruktur etc. Festzustellen sei, dass die S 21-Verträge nichtig seien, da sich die Stadt seit langem an einer unzulässigen Mischfinanzierung beteilige.

Durch StR Prof. Dr. Maier wird im Verlauf der Aussprache angemerkt, Herr Prof. Dr. Kirchberg habe in der Vergangenheit kategorisch den Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen. Interessanterweise spreche Herr Prof. Dr. Kirchberg heute nun von einem drohenden Wegfall der Geschäftsgrundlage. Weiter informiert dieses Ratsmitglied, historisch gesehen hätten gerade diejenigen Verträge, die auf ewige Zeiten abgeschlossen worden seien und aus denen es eigentlich keine Ausstiegsmöglichkeiten gegeben habe, nicht die längste Lebensdauer gehabt. Wenn die Geschäftsgrundlage entfiele und eine Vertragsanpassung versucht werden sollte, müsste die Vertragsanpassung nicht darin bestehen, dass die steigenden Kosten anders verteilt werden, sondern eine Anpassung müsste sich auch auf die Vertragsziele richten. Die ursprünglich für eine geplante maximale Bauleistung vorgenommene Kalkulation müsste auf der Grundlage aktueller Zahlen auf ein noch tragfähiges Niveau reduziert werden. Dann müssten jedoch auch Alternativkonzepte ernsthaft diskutiert werden.

Von Herrn Prof. Dr. Kirchberg wird nochmals daran erinnert, dass der Ausschuss unter dem Tagesordnungspunkt 1 einmütig der Auffassung der Verwaltung zugestimmt hat, dass kein Wegfall der Geschäftsgrundlage erfolgt ist, der die Bahn dazu berechtigen könnte, die Stadt mit Mehrkosten zu belasten. Daher sei es nicht möglich beim Bürgerbegehren "Storno 21" das Gegenteil anzunehmen.


Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen ergeben stellt OB Kuhn fest:

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag der GRDrs 46/2016 bei 14 Ja-Stimmen, 2 Gegenstimmen und 1 Stimmenthaltung mehrheitlich zu.

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag der GRDrs 47/2016 bei 14 Ja-Stimmen, 2 Gegenstimmen und 1 Stimmenthaltung mehrheitlich zu.

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