Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
TOP:
501
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VerhandlungDrucksache:
956/2016
GZ:
OB 7831-10.00
Sitzungstermin: 07.12.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: OB Kuhn
Berichterstattung:der Vorsitzende
Protokollführung: Herr Häbe
Betreff: S21 - Vorgehen der Landeshauptstadt Stuttgart hinsichtlich angekündigter Ansprüche der DB AG auf
zusätzliche Finanzierungsbeiträge

Beratungsunterlage ist die Vorlage des Herrn Oberbürgermeisters vom 02.12.2016, GRDrs 956/2016, mit folgendem

Beschlussantrag:

1. Der Bericht über die seitens der Bahn erhobenen Ansprüche im Zusammenhang mit der Finanzierung des Projektes S 21 wird zur Kenntnis genommen.

2. Die Landeshauptstadt schließt die von der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH vorgelegte Verjährungshemmungsvereinbarung nicht ab.

3. Die Verwaltung wird beauftragt, im Falle einer Klage gegen die Landeshauptstadt Stuttgart der Klage entgegenzutreten, und die Kanzlei Dolde Mayen mit der Prozessvertretung zu beauftragen.


Die Beratungsunterlage ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


OB Kuhn nimmt Bezug auf seine Informationen in der Sitzung des Ältestenrats am 01.12.2016 und führt anschließend im Sinne der Vorlage in den Tagesordnungspunkt ein. Die Stadtverwaltung, aber auch die anderen Projektpartner hätten sich entschieden, eine Verjährungshemmungsvereinbarung nicht abzuschließen. Dieses Vorgehen der Verwaltung sei im Ältestenrat auf Zustimmung gestoßen.

Zwischenzeitlich sei von der Bahn AG ein Anspruchsschreiben eingegangen. Dort werde noch für das laufende Jahr eine Klage angekündigt. Seitens der Bahn AG werde erklärt, dass sich die Projektpartner entsprechend der in der Finanzierungsvereinbarung von 2009 festgelegten Risikofinanzierungsquoten an den durch den Bahn-Aufsichtsrat im März 2013 zusätzlich zur Verfügung gestellten 2 Mrd. € sowie an zukünftigen Kostensteigerungen beteiligen müssten. Diese Position würden die Partner rechtlich angreifen.

Ausgeführt werde seitens der Bahn AG, dass diese in den 90er-Jahren eigentlich etwas anderes gewollt habe, dass aber das Land und die Stadt darauf gedrängt hätten, den Bahnhof so wie er sich nun im Bau befinde zu realisieren. Deshalb müssten Land und Stadt zusätzliche Kosten tragen. In dieser Legende erscheine die Bahn als die durch Land und Stadt Getriebene. Es habe zwar in den 90er-Jahren Vordiskussionen über unterschiedliche Konzepte gegeben, aber tatsächlich sei in der Ergänzungsvereinbarung im Jahr 2007 und in der Finanzierungsvereinbarung 2009 der derzeit im Bau befindliche Bahnhof beschlossen worden. Daher sei die Position der Bahn zu bestreiten.

In der GRDrs 956/2016 werde vorgeschlagen, den Bericht über die seitens der Bahn erhobenen Ansprüche zur Kenntnis zu nehmen, die Verjährungshemmungsvereinbarung nicht abzuschließen und die Kanzlei Dolde Mayen und Partner zu beauftragen, die Landeshauptstadt Stuttgart in diesem Verfahren zu vertreten.

StR Kotz (CDU) teilt im Namen seiner Fraktion grundsätzlich die Argumentation des Oberbürgermeisters. Diese Argumentation sei logisch und in sich schlüssig. Alleiniger Bauherr sei die Bahn AG. Die Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) habe sich lediglich bereit erklärt, einen gedeckelten Finanzierungsbeitrag zu leisten.

Ihre Fraktion, so StRin Deparnay-Grunenberg (90/GRÜNE), vertrete die Auffassung, dass die Bahn keinen Anspruch an die LHS habe, und insoweit könne es auch keine Verjährung geben. Daher werde der Beschlussantrag unterstützt.

Durch StR Körner (SPD) wird der Abschluss einer Verjährungshemmungsvereinbarung ebenfalls abgelehnt. Unterstützt werde, dass die Stadt einer möglichen Klage der Bahn entgegentrete.

Von StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) wird ausgeführt, seine Fraktionsgemeinschaft folge dem Beschlussantrag, obwohl die Vorlagenbegründung nicht geteilt werde. An den Oberbürgermeister gewandt führt er an, im Jahr 1999 habe der damalige Vorstandsvorsitzende der Bahn, Herr Ludewig, das Bahnprojekt S21 eingestellt. Schon damals habe die Bahn AG erklärt, das Projekt rechne sich nicht. Erst durch das Engagement der öffentlichen Hand, vorneweg der LHS, sei nach Grundstückskäufen das Projekt fortgesetzt worden. Für ihn steht außer Frage, dass, wenn für ein Projekt gemeinsame Verträge abgeschlossen werden, hinterher eine gemeinsame Haftung für das Projekt besteht. Die damals geschlossenen Verträge hätten ja bereits eine Risikoaufteilung zum Inhalt gehabt. Wenn sich das städtische Engagement auf einen fixen Zuschuss beschränkt hätte, wäre dies nicht notwendig gewesen. Wenn die Logik der Bahn AG von Gerichten geteilt würde, beziffert StR Rockenbauch die zusätzliche finanzielle Belastung der LHS aus heutiger Sicht auf 261 Mio. €. Ohne Grundstücke bezahle die Stadt als Finanzierungsbeitrag plus Risiko Stand heute bereits 290 Mio. €, wobei sich der fixe Finanzierungsanteil lediglich auf 31 Mio. € belaufe. Diese zusätzlichen Kosten habe die Bahn gegenüber der Stadt konkret formuliert. Dies müsse zu einer Neubewertung der Vertragsbeziehung Bahn AG/LHS führen.

Für die Gemeinderatsfraktion Freie Wähler stimmt StRin von Stein (FW) dem Beschlussantrag zu. Sie räumt ein, dass für sie als Projektbefürworterin eine Verteuerung des Projekts sehr wahrscheinlich war. Gesehen werden müssten jedoch auch die Vorteile. Je nachdem ob Projekte befürwortet würden oder nicht, würden Kostensteigerungen kritisiert oder mitgetragen.

Der Beschlussantrag ist für StR Prof. Dr. Maier (AfD) logisch und den städtischen Interessen Rechnung tragend. Er signalisiert Zustimmung. Entsprechend äußert sich StR Dr. Oechsner (FDP).

Außer Frage steht für den Oberbürgermeister, dass die Stadt und die anderen Projektpartner an abgeschlossene Verträge gebunden sind. Diese Verträge besagten eindeutig, dass in Risikostufen bis 4,5 Mrd. € das Projekt S21 finanziert werden könne. Zu darüber hinausgehenden Entwicklungen gebe es die Sprechklausel. Von dieser Sprechklausel seien die Bahn und das Land betroffen.

Wert legt der Vorsitzende gegenüber StR Rockenbauch darauf, dass er alle problematischen Themen, wie z. B. Tunnelbau im Anhydrit, transparent, kritisch, aber in ruhiger Art und Weise begleite. Er wolle nicht die Hoffnung suggerieren, aus S21 könne noch ausgestiegen werden. Das Projekt sei beschlossen, und für die Stadt könne Vertragstreue nicht eine Frage politischer Willkür sein. Es werde nicht weggeschaut. Mit der Bahn würden in einem Arbeitskreis und im Lenkungskreis schwierige Fragen erörtert, und wenn seitens des Gemeinderats der Wunsch bestehe, bestimmte Themen im Gemeinderat zu erörtern, habe der Rat oder die Verwaltung die Möglichkeit, den Ausschuss S21 einzuberufen.

Für StR Körner ergibt sich zwischen der Bahn und der Stadt Einigkeit bei der Frage, ob die Deutsche Bahn überhaupt auf der Basis der Sprechklausel der Finanzierungsvereinbarung gegenüber der Stadt Ansprüche geltend machen kann. Dabei zitiert er aus dem zweitletzten Absatz der Vorlagenseite 2 den letzten Satz: "Verhandlungen mit der LHS fänden seither nicht statt, da § 8 Abs. 4 FinV (sog. Sprechklausel) besage, dass Bahn und Land - nicht die Stadt oder weitere Projektpartner - im Falle weiterer Kostensteigerungen Gespräche aufnehmen." Von der Haltung des Landes, von dort sei die Bahn ja aufgefordert worden, sich auch an die LHS zu wenden, sei er irritiert. Wichtig sei, deutlich zu machen, dass keine Möglichkeit gesehen werde, dass die Bahn gegenüber der Stadt Ansprüche geltend machen könne. Er gehe davon aus, dass die Bahn in der Hauptsache das Land verklagen wolle, und aufgrund der Rechtsauffassung des Landes plane wohl die Bahn hilfsweise auch eine Klage gegen die Stadt.

Seitens des Oberbürgermeisters wird angemerkt, die Bahn hoffe, dass es bezüglich der Fragen im Zusammenhang mit der Übernahme zusätzlicher Kosten eine Poolführerschaft des Landes in dem Sinne gebe, dass das Land auch darüber verhandle, in welchem Umfang die Stadt, die FSG und die Region zu beteiligen seien. Diese Poolführerschaft habe er zurückgewiesen. Die Poolführerschaft beziehe sich im Vertrag lediglich auf die Abwicklung der zu zahlenden Finanzbeiträge. Dort sei es faktisch so, dass die Stadt ihre fälligen Beträge an das Land überweise, und das Land das Weitere wie ein Poolführer veranlasse. Das Land sei aber kein Poolführer in sonstigen Fragen. Die Stadt lege Wert darauf, dass - und dies stehe im Vertrag - in der Sprechklausel ausschließlich das Land und die Bahn betroffen seien. Hier zähle der Wortlaut der Vereinbarung. Sollte ein Gerichtsurteil dazu führen, dass zusätzliche Kosten durch das Land übernommen werden müssten, würde dies natürlich zu einem Interessensgegensatz zwischen Land auf der einen Seite und der Stadt, der Region und der FSG auf der anderen Seite führen. Dann würde ja das Land versuchen, Teile der Kosten von den anderen Partnern zurückzuerhalten. Dem würde die Stadt aber auch nicht nachgeben. Soweit ihm bekannt, wolle die Bahn gegen alle Partner klagen.

StR Kotz zeigt sich erstaunt, dass der Vorlage u. a. auch der Antrag Nr. 286/2016 "Stuttgart 21: Bürgerentscheid bei Mehrkosten - wasserdicht, weiterführend und vor allem auch redlich!" der SPD-Gemeinderatsfraktion vom 22.07.2009 anhängt. Daran anknüpfend vertritt StRin Deparnay-Grunenberg die Einschätzung, und sinngemäß äußert sich StR Rockenbauch, dass, wenn die Bahn ihre Ansprüche vor Gericht geltend machen könnte, ein Bürgerentscheid obsolet wäre. Daher, so StRin Deparnay-Grunenberg weiter, sei die Idee eines Bürgerentscheids von vornherein etwas skurril gewesen. Betont wird von StR Körner, der Antrag seiner Fraktion sei Beschlusslage des Gemeinderats. Sollte das Land auf die Stadt mit der Forderung, zusätzliche Kosten zu tragen, zukommen, sei die SPD-Gemeinderatsfraktion sehr wohl der Auffassung, dass ein Bürgerentscheid noch ein Thema sein könne. Grundsätzlich fährt er fort, angesichts der in der Vergangenheit aufgetretenen Legitimationsschwierigkeiten des S21-Projekts nehme die SPD für sich in Anspruch, den Volksentscheid auf den Weg gebracht zu haben. Dieser Volksentscheid sei der entscheidende Beitrag zur Befriedung Stuttgarts gewesen.

Bezug nehmend auf die Ziffer 1 des Antrags Nr. 286/2009 hat der damalige Oberbürgermeister laut OB Kuhn keinen Text für einen Bürgerentscheid formuliert. Dies sei später dann auch von niemandem mehr eingefordert worden, da die Dinge 2009 noch offen gewesen seien und erst dann der Vertrag entschieden worden sei. Durch ein zukünftiges Gerichtsurteil, so seine Annahme, werde die Position der Stadt bestätigt. Für ihr Recht müsse sich die Stadt aber aktiv einsetzen. Die Frage eines Bürgerentscheids könnte sich seines Erachtens theoretisch nur dann stellen, wenn sich die Stadt durch eine "vorauseilende Kompromissbildung" mit der Bahn und dem Land auf einen zusätzlichen städtischen Finanzierungsanteil einigen würde. Es könne aber davon ausgegangen werden, dass sich bis zum Ende des Klageweges die Frage eines Bürgerentscheids nicht stelle.

Für StR Körner lässt sich nicht zuletzt auch aus der Vorlage ablesen, dass nur dann ein Bürgerentscheid infrage kommt, wenn in dem anstehenden Gerichtsverfahren laut Sprechklausel zwischen Bahn und Land sich eine außergerichtliche Einigung ergibt. Bei Gerichtsverfahren über hohe Summen sei dies nichts Außergewöhnliches. Sollte sich dabei das Land beispielsweise bereit erklären, sich an den Mehrkosten mit 500 Mio. € zu beteiligen, könnte es sein, dass das Land von der Stadt beispielsweise 100 Mio. € fordere. Dann käme für ihn ein Bürgerentscheid infrage.

Anschließend führt der Vorsitzende an, die Bahn verklage alle Projektpartner. In diesem Verfahren werde eine Rolle spielen, wie die Formulierung der Sprechklausel (Land und Bahn) und die Formulierung des Aufsichtsratsbeschlusses der Bahn über die Bereitstellung weiterer 2 Mrd. € (Land und Partner) interpretiert werden. In einem Urteil der höchstrichterlichen Instanz könnte beispielsweise stehen, in welcher Weise die Partner zu beteiligen seien. Nach einer höchstrichterlichen Klärung wäre das Thema im Gegensatz zu einer Klärung im Rahmen eines Vergleichs nicht mehr bürgerentscheidsfähig.

Das der Vorlage beigefügte Schreiben der Bahn, so StR Rockenbauch, werde als Beleg angesehen, dass die Geschäftsgrundlage für das Bahnprojekt entfallen sei. Mit großem Nachdruck kritisiert er, die Bahn AG habe dadurch, dass das Gutachten zu den Tunnelbauten in Anhydrit noch nicht zu den beiden Sitzungen des Ausschusses S21 vorgelegt worden sei, wieder einmal demokratische Entscheidungen unterlaufen. Zum wiederholten Male werde die Taktik angewandt, dass Ratsmitglieder, sich berufend auf den Baufortschritt, sich gegen einen Projektausstieg aussprechen. In Bezug auf die GRDrs 956/2016 sei dies besonders dramatisch, da die Kosten unabhängig von den Themen Anhydrit, Brandschutz etc. falsch kalkuliert worden seien. Dies habe die Bahn AG im März 2013 mit der Erhöhung des Kostenrahmens um 2 Mrd. € zugegeben. Die Kosten seien politisch heruntergerechnet worden. Die Frage sei, weshalb die Bahn, obwohl sie das Projekt nicht gewollt habe, so vorgegangen sei. Mit den nun durch die Bahn formulierten zusätzlichen finanziellen städtischen Belastungen seien neue, unzumutbare Tatsachen eingetreten. Daher sei die Geschäftsgrundlage für S21 entfallen.

Im weiteren Verlauf geht StR Rockenbauch, abhebend auf § 60 Verwaltungsverfahrensgesetz davon aus, dass es grundsätzlich möglich ist abgeschlossene Verträge aufzulösen. Die Finanzierungsvereinbarung zu S21 regle die Finanzierungsanteile und die Risikoanteile. Für den Fall des Überschreitens der Summe der Risikoanteile gebe es allerdings keine Regelung, außer dass es Gespräche zwischen Bahn und Land geben soll. Unabhängig davon sei es nach Wegfall von Geschäftsgrundlagen gesetzlich möglich, Verträge zu kündigen. Angesichts der nun von der Bahn gegenüber der Stadt formulierten Forderungen müsse sich damit die Stadt befassen. Aufgrund der Informationspolitik der Bahn liege dem Gemeinderat keine beurteilungsfähige Entscheidungsgrundlage vor. Dem Oberbürgermeister wirft er am Beispiel des Themas Brandschutz vor, dass die Stadtverwaltung den Gemeinderat nicht darin unterstützt, diverse Gutachten, Berechnungen, Zeitpläne und einen Zugang zu dem DB-Datenraum zu erhalten. Erst dann hätte der Rat dieselben Informationen wie die Bahn, und erst dann könnten gemeinderätliche Entscheidungen auf Augenhöhe mit der Bahn getroffen werden.

Im Kern, so daraufhin OB Kuhn, werde es im anstehenden Verfahren um die Klärung der Frage gehen, wer eigentlich für die Kostensteigerungen verantwortlich sei (z. B. Verantwortung für Kostensteigerungen, die sich daraus ergeben, dass Planfeststellungsunterlagen nicht richtig eingereicht wurden). Eine große Rolle werde dabei dem Eisenbahnbundesamt (EBA) und dem Regierungspräsidium Stuttgart zukommen. Darauf sei die Stadt vorbereitet. Seit 2013 dokumentiere die Stadt alle strittigen Fragen.

In den beiden Anhörungssitzungen des Ausschusses S21 hätten die meisten Fragen geklärt werden können. Einige Fragen seien noch offen geblieben. Zu deren Beantwortung, und dies habe er Herrn Dr. Engelhardt per E-Mail mitgeteilt, benötige er das EBA und die Bahn. Mit den Entscheidungen über die Bürgerbegehren Storno und Leistungsfähigkeit hätten diese Fragen allerdings nichts zu tun. Es sei nicht zutreffend, dass die Verwaltung den Gemeinderat nicht korrekt informiere. Mit Ausnahme der Fraktionsgemeinschaft (SÖS-LINKE-PluS) gebe es keine Kritik an der Informationspolitik der Verwaltung.

Zur Lehre der Geschäftsgrundlage trägt Herr Dr. Porsch (Kanzlei Dolde Mayen und Partner) vor, zunächst würden Vertragsinhalte gelten. Für alle Umstände, für die die S21-Verträge Regelungen vorhielten, sei die Lehre der Geschäftsgrundlage mit ihren Konsequenzen erst gar nicht anwendbar. Für den Umstand, dass es bei dem Bahnprojekt ständig Kostensteigerungen gebe und dass der Risikotopf nicht ausreiche, sehe einer der Verträge mit der Sprechklausel eine Regelung vor. Aus Sicht der Bahn sei dies sicherlich eine sehr schlechte, inhaltsleere Regelung. In den Vertrag hätte ja aufgenommen werden können, was die Bahn haben möchte, nämlich dass für weitere Kostensteigerungen § 8 Abs. 3 entsprechend gelte. Dies stehe aber nicht in diesem Vertrag. Deshalb habe sich die Bahn bewusst auf eine sehr unqualifizierte, inhaltlich nicht bestimmte Sprechklausel eingelassen.

Wenn man bei einer Bewertung dennoch zu dem Ergebnis käme, dass es sich um keine abschließende Regelung handle und die Grundsätze der Lehre der Geschäftsgrundlage greifen würden, würde sich ein mehrstufiges System ergeben. Für alle Anspruchsvoraussetzungen würde die Bahn die Darlegungs- und Beweiskraft tragen. Dann müsste die Bahn beispielsweise nicht offengelegte Kalkulationsinformationen offenlegen. Sollte die Bahn ihrer Beweispflicht nicht nachkommen, würde der Anspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zunächst müsste bezüglich des mehrstufigen Systems definiert werden, was eigentlich die gemeinsame Geschäftsgrundlage gewesen sei. Er meine, dass dem Vertrag nicht entnommen werden könne, dass zu der Geschäftsgrundlage gehört habe, dass Kosten nicht mehr steigen dürfen. Eher das Gegenteil sei der Fall, da ja durchaus die Möglichkeit von Kostensteigerungen erkannt worden sei.

Wenn gesagt würde, und damit kommt er zu einer weiteren Stufe, dass zur Geschäftsgrundlage keine Mehrkosten über das Geregelte hinaus gehören sollen, müsste jetzt von einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage ausgegangen werden. Die Bahn hätte dann auf keinen Fall den Vertrag so wie geschehen abschließen dürfen. Dies könne in Zweifel gezogen werden, da ja die Sprechklausel vereinbart worden sei.

Ein Hauptpunkt dieses mehrstufigen Systems, so Herr Dr. Porsch weiter, wäre die Risikobetrachtung. Hier wirft er die Frage auf, in welchen Risikobereich eigentlich die ganzen Mehrkosten fallen. Er vertritt dazu die Auffassung, wenn es im Planfeststellungsverfahren Verzögerungen gebe, sei dies zunächst einmal dem Vorhabenträger zuzurechnen. Konkret spricht er folgende Aspekte an, die dem Risikobereich der Bahn zuzurechnen sind: doppelt so viel Grundwasserentnahme als ursprünglich geplant, Steigerung der Baupreise, Änderung von Brandschutzanforderungen, Nichtbeachtung des Artenschutzes (der Juchtenkäfer wurde bereits 1992 unter Schutz gestellt). Im Prozess werde wohl hauptsächlich zu klären sein, wer für welche Risiken die Verantwortung zu tragen habe. Wenn dann immer noch von gemeinsamen Risikobereichen gesprochen werden sollte, dann sei die Frage, ob das Festhalten an dem unveränderten Vertrag für die Bahn unzumutbar sei oder nicht. Selbst wenn es der Bahn gelingen sollte, all diese Anforderungen darzulegen/zu beweisen, würde über Vertragsanpassungen und nicht über Vertragskündigung gesprochen. Die Vertragsanpassung und nicht die Kündigung sei die geborene Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Dies bedeute, der Vertrag müsste so angepasst werden, dass er für die Bahn wieder zumutbar werde. Eine Kündigung komme als letzte Möglichkeit eigentlich nur dann in Betracht, wenn die Vertragsanpassung verboten, undurchführbar oder sinnlos wäre.

Eine Besonderheit sei, dass alle Vertragspartner nicht insolvenzfähig, sondern alle relativ gut leistungsfähig seien. Von daher könne er sich nicht vorstellen, "dass man die Mehrkosten nicht geregelt bekommt". Insofern steht seines Erachtens ein Kündigungsrecht überhaupt nicht im Raum.

Für StR Rockenbauch ist, wenn der von Herrn Dr. Porsch skizzierten Rechtsposition gefolgt wird, entscheidend, dass alle Entscheidungen von Gerichten getroffen werden. Die Politik übertrage die Verantwortung auf Gerichte, indem sie die Bewertung neuer Sachverhalte nicht ernsthaft wahrnehme.

Diesbezüglich unterstreicht der Oberbürgermeister erneut, die Stadt sei an die abgeschlossenen Verträge gebunden. Entwicklungen wie das aktuelle Thema "Tunnelbau im Anhydrit" führten nicht dazu, dass die Verträge für die Stadt nicht mehr gelten. Eine Mehrheit des Gemeinderats stehe zudem unverändert zu S21. Angesichts der Folgekosten eines Projektausstiegs treffe dies auch auf ihn zu. Vor diesem Hintergrund und angesichts der legitimatorischen Entscheidung des Volksentscheids zu S21 könne er das Projekt nicht bei jedem neu auftretenden Thema infrage stellen.

Zudem merkt Herr Dr. Porsch ebenfalls auf StR Rockenbauch eingehend an, wenn von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgegangen würde, müsste vor dem Verwaltungsgericht angesichts der Klage erklärt werden, dass im Grunde genommen der Wegfall der Geschäftsgrundlage anerkannt werde. Und mit der Bahn müsste dann über Vertragsanpassungen verhandelt werden mit dem Ziel, die Verträge zumutbar zu gestalten, also zu klären, in welchem Umfang die Stadt sich an Mehrkosten beteilige. Seine Kanzlei vertrete die Auffassung, dass es keinen Anpassungsanspruch gibt.

Zum Abschluss dieses Tagesordnungspunktes stellt OB Kuhn fest:

Der Verwaltungsausschuss stimmt dem Beschlussantrag einmütig zu.
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