Protokoll: Verwaltungsausschuss des Gemeinderats der Landeshauptstadt StuttgartNiederschrift Nr.
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VerhandlungDrucksache:
GZ:
Sitzungstermin: 20.07.2016
Sitzungsart: öffentlich
Vorsitz: BM Dr. Schairer
Berichterstattung:Frau Koller (AföO)
Protokollführung: Herr Häbe fr
Betreff: Keine Amtshilfe für hinterhältige Abschiebepraxis
- Antrag und Anfrage Nr. 175/2016 der
Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS vom
07.06.2016

Vorgang: Verwaltungsausschuss vom 06.07.2016, öffentlich, Nr. 279

Ergebnis: Vertagung


Der im Betreff genannte Antrag ist dem Originalprotokoll sowie dem Protokollexemplar für die Hauptaktei beigefügt.


Einführend bemerkt BM Dr. Schairer, es sei ein absolut rechtsstaatliches Verfahren zur Anwendung gekommen. Im Übrigen würden die Personen in der Abschiebehafteinrichtung Pforzheim sich dort aufgrund eines richterlichen Beschlusses befinden.

Anschließend wird von StR Rockenbauch (SÖS-LINKE-PluS) der Antrag begründet.

Von Frau NN (Name wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen gelöscht) wird in ihrem Sachvortrag berichtet, bereits bei Rückführungen von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien habe es in der Vergangenheit die im Antrag kritisierte Praxis gegeben. Dieses Verfahren sei dann lange Zeit ausgesetzt worden, da es auch keine entsprechende Abschiebeeinrichtung mehr gegeben habe. Wie früher handle es sich allerdings auch heute um Einzelfälle. Zunächst gelte immer noch das Prinzip der freiwilligen Ausreise. Alle Behörden versuchten freiwillige Ausreisen durchzusetzen. Festnahmen bei der Ausländerbehörde erfolgten nur dann, wenn vorab verschiedene Versuche, die Betroffenen zurückzuführen, gescheitert seien. Bei den genannten Fällen habe es sich stets um drei bis fünf Versuche gehandelt. Den Betroffenen sei bekannt, dass sie von einer Abschiebung bzw. einer Rücküberstellung bedroht sind. Außerdem hätten die genannten Fälle die Besonderheit, dass es nicht um Rückführungen in die Herkunftsländer gegangen sei. In allen drei Fällen, mittlerweile sei ein weiterer Fall hinzugekommen, habe es sich um Rücküberstellungen nach Spanien und Italien gehandelt. In diesen Ländern hätten die Betroffenen bereits Asylanträge gestellt gehabt. Nach der EU-Verordnung Dublin II seien diese Länder für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Ausschließlich sei es um den Vollzug dieser Rücküberstellungen gegangen. Vorausgegangen seien jeweils Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie teilweise gerichtliche Bestätigungen, dass die Zuständigkeit nicht auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei. Die Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts ausreisepflichtiger Ausländer würden in Stuttgart ausschließlich in der Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Karlsruhe liegen. Diese Behörde entscheide, ob Duldungen verlängert werden, oder ob Abschiebungen/Rücküberführungen vollzogen werden könnten. Das Stuttgarter Amt für öffentliche Ordnung sei auf Weisung dieses Regierungspräsidiums tätig, sowohl was die Verlängerung von Duldungen anbelangt, wie auch bei entsprechenden Auflagen (Erwerbstätigkeit gestattet, Erwerbstätigkeit nicht gestattet). All diese Dinge erfolgten auf Weisung des Regierungspräsidiums Karlsruhe. In den genannten Fällen habe das Regierungspräsidium jeweils ihr Amt angewiesen, die Duldungen nur noch monatlich zu verlängern. Für die Betroffenen sei dies ein Hinweis, dass, nachdem sie nicht freiwillig bereitgewesen seien, der Ausreisepflicht nachzukommen, möglicherweise eine Abschiebung droht. Wie gesagt, hätten in allen Fällen mehrere Versuche stattgefunden, die Betroffenen in ihren Unterkünften anzutreffen. Diese Versuche seien gescheitert. Teilweise habe es auch Widerstand gegen den Vollzug gegeben. Daraufhin habe das Regierungspräsidium das Amt für öffentliche Ordnung angewiesen, im Zusammenhang mit einem bereits festgelegten Termin zur Verlängerung der Duldung, die Festnahme zu ermöglichen. Parallel dazu sei jeweils auch ein Antrag auf Sicherungshaft beim Amtsgericht hinterlegt gewesen. BM Dr. Schairer habe bereits ausgeführt, dass in Deutschland eine Verbringung in Haft nicht ohne richterliche Bestätigung erfolgen könne. Das Amt für öffentliche Ordnung bewege sich hier also in einem mehrfach rechtlich abgesicherten Verfahren.

Zu den im Antrag gestellten Fragen fährt Frau NN (Name wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen gelöscht) fort, es handle sich nicht um Amtshilfe, sondern es handle sich um eine Weisung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Dieser habe ihr Amt Folge zu leisten. Zur zweiten Frage informiert sie, es werde keine Möglichkeit gesehen, einer Weisung des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht Folge zu leisten, um eine Überstellung zu vereiteln. Die Überstellungsmaßnahmen nach Dublin II würden nur durchgeführt, und wie gesagt sei dies bereits häufig gerichtlich überprüft worden, wenn es keine humanitären oder sonstigen Gründe gebe, die einen Übergang der Zuständigkeit für das Asylverfahren auf die Bundesrepublik Deutschland bewirken. Alle Flüchtlinge seien wie gesagt nicht in ihr Herkunftsland, sondern in einen EU-Mitgliedsstaat abgeschoben worden, nachdem sie dazu freiwillig nicht bereitgewesen seien.

In diesem Bereich, so der Vorsitzende ergänzend, handle das Amt für öffentliche Ordnung als staatliche Verwaltung, analog eines Landratsamtes. Von daher gehe es in keinster Weise um eine Angelegenheit der Selbstverwaltung. Für die Stadt gebe es keinen Raum für politische Äußerungen/Entscheidungen. Wenn dieser Sachverhalt klar kommuniziert werde, sollte es bei ehrenamtlichen Helfern etc. zu keinen Unsicherheiten kommen.

Die Ausführungen der Verwaltung zeigen StR Dr. Reiners (CDU), dass es in diesem Bereich für Politik und Ideologie keinen Spielraum gibt. Er appelliert an das Rechtsverständnis der Antragsteller und lehnt für die CDU-Gemeinderatsfraktion den Antrag ab.

Für StR Stopper (90/GRÜNE) weist der Antrag den falschen Adressaten auf. Das Antragsanliegen könne nachvollzogen werden, aber es gehe hier nicht um die Integration, sondern der Status der Betroffenen sei so, dass diesen Personen zu keiner Zeit suggeriert werden sollte, es gehe bei ihnen um Integration. Unabwendbar sei, dass sie zwingend in ein anderes Land oder Herkunftsland zurückkehren müssen. Insofern gehe es um die Frage der humanen Abschiebepraxis. Auch dafür sei die Stadt nicht der richtige Adressat, aber wenn das Vertrauensverhältnis durch die geschilderte Vorgehensweise zu den städtischen Behörden verschlechtert werde, sei dies einfach ungut. Dies gehöre dem Regierungspräsidium Karlsruhe signalisiert. Gegenüber diesem zuständigen Regierungspräsidium politisch zu argumentieren sei aber nicht die Aufgabe der Stadtverwaltung, sondern der Parteien bzw. der Zivilgesellschaft. Die Praxis nächtlicher Abschiebungen steht für ihn ebenfalls im Widerspruch zu einer humanen Abschiebepraxis. Gegenüber den Betroffenen sollte stets klargemacht werden, dass eine Abschiebung die schlechteste Form der Rückkehr sei. Für die Zukunft würden dadurch auch Rückkehraussichten in EU-Länder verschlechtert. Freiwillige Ausreisen sollten für die Betroffenen Vorrang haben.

StR Perc (SPD) schließt sich den Ausführungen von StR Stopper im Namen seiner Fraktion an. Er kann bei den geschilderten Fällen keine besondere Härte feststellen. Die Rechtslage sei eindeutig. Abschiebungen seien für alle Beteiligten nicht erfreulich. Eine Flüchtlingsaufnahme könne aber ohne den unschönen Aspekt der Abschiebung nicht erfolgen, da eine unbegrenzte Zuwanderung nicht funktioniere.

Davon, dass die nach Italien oder Spanien abgeschobenen Personen diese Länder innerhalb von fünf Tagen wieder verlassen müssen, geht StR Rockenbauch aus. Er befürwortet, nächtliche Abschiebungen zu verurteilen. Seine Hoffnung ist, dass die im Gemeinderat vertretenen Parteien entsprechend gemeinsam gegenüber dem Land aktiv werden.

Für StR Conz (FDP) steht fest, dass die Verwaltung fehlerfrei gehandelt hat.

Auf die StRe Rockenbauch und Stopper eingehend, die von einem zunehmend rabiaten Vorgehen des Regierungspräsidiums Karlsruhe sprechen, unterstreicht BM Dr. Schairer mit Nachdruck, das Regierungspräsidium und auch das Land Baden-Württemberg seien, auch was die nächtlichen Abschiebungen angehe, nach Recht und Gesetz vorgegangen. Dies belegt für ihn nicht zuletzt der der Stadtverwaltung vorliegende Schriftverkehr. Zur Frage von StR Rockenbauch, ob die Verwaltung bei Weisungen Interpretationsspielraum hat, verweist der Vorsitzende auf das Remonstrationsrecht. Wenn ein Beamter zu der Auffassung gelange, es handle sich um eine offensichtlich rechtswidrige Anweisung, könne er gegen diese Einwände erheben.

Gegenüber StR Perc informiert BM Dr. Schairer, das Verwaltungsgericht Stuttgart und der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hätten vor Kurzem die Verhältnisse in Ungarn so bewertet, dass Ungarn nicht mehr als sicheres Drittland bzw. als Abschiebeland angesehen werden kann. Da die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden sei, werde natürlich diese Rechtsprechung beachtet.


Nachdem sich keine weiteren Wortmeldungen ergeben, bezeichnet er den Antrag Nr. 175/2016 als erledigt und schließt diesen Tagesordnungspunkt ab.

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