Antrag und Anfrage vom 07/14/2011
Nr. 280/2011

Antrag und Anfrage
Stadträtinnen / Stadträte - Fraktionen

Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
Betreff

Auf Treu und Glauben?
War die Stadt über die tatsächliche Kostenentwicklung bei Stuttgart 21 informiert?

Der Spiegel wirft in seiner Ausgabe 27/2011 die Frage auf, ob die Bahn bei den Kosten für Stuttgart 21 ehrlich gerechnet hat. Interne Dokumente der Bahn legen nahe, dass der Konzern die Öffentlichkeit getäuscht hat: Über Jahre sind die Kosten für Stuttgart 21 systematisch geschönt worden. Diesem Bericht zufolge sind auch den Beschluss fassenden Gremien der Vertragspartner falsche Zahlen vorgelegt worden.

März 2005 – Bahninterne Kalkulation der Bahn
Bereits im März 2005 kalkulierte die Bahn intern mit Kosten in Höhe von 4,1 Milliarden EUR.
Juli 2007 – Memorandum of Understanding
Zwei Jahre später am 19.07.2007 unterzeichnen die Vertragspartner – für die Stadt OB Schuster – das sogenannte "Memorandum of Understanding", in dem festgehalten ist: "Die Kosten für das Projekt betragen voraussichtlich rd. 2,8 Mrd. EUR."
Oktober 2007 – Ergänzungsvereinbarung
Die Mehrheit des Stuttgarter Gemeinderats stimmte am 04.10.2007 für die Ergänzungsvereinbarung (GRDrs 790/2007) zwischen dem Land, der Landeshauptstadt und dem Verband Region Stuttgart und damit für Stuttgart 21. Bestandteil der Ergänzungsvereinbarung ist das Memorandum of understanding mit den dort genannten Kosten.
April 2009 – Finanzierungsverträge
Auch die am 02.04.2009 abgeschlossenen Finanzierungsverträge beruhen nach wie vor auf einem Planungs- und Preisstand vom 01.01.2004, jetzt aber zuzüglich einer unterstellten "allgemeinen Kostensteigerung": Die Gesamtkosten des Projekts wurden zum Planungs- und Preisstand 01.01.2004 mit vsl. 2.810,4 Mio. EUR ermittelt und einschließlich einer unterstellten allgemeinen Kostensteigerung auf 3.076 Mio. EUR festgesetzt (…)
In dem Vertrag und in den dazu ergangenen Pressemitteilungen heißt es, dass eine Kostensteigerung von über 1 Mrd. EUR "unwahrscheinlich" seien.
Juli 2009 – Prüfung durch Drees und Sommer
Drees und Sommer überprüft im Auftrag der Bahn die Kostenkalkulation: Je nach Methode kommt der Projektsteuerer auf Kosten in Höhe von 5 bis 5,2 Mrd. EUR.

Unserer Rechtsauffassung zufolge wäre die Bahn verpflichtet gewesen, ihre jeweils aktuelle eigene Kalkulation und deren Überprüfung durch externe Projektsteuerer den Vertragspartnern mitzuteilen, da (durch die in der DIN 276 und die nach § 15 HOAI beschriebenen Leistungsphasen) mit jeder Planungsstufe die Kosten genauer ermittelt werden können und zu höherer Kostenwahrheit und -klarheit führen. Vor allem aber dürfen sich redliche Vertragspartner wichtige Umstände nach § 242 BGB nicht vorenthalten:

OB Schuster hat wiederholt die "grundsolide Kalkulation" des Projekts Stuttgart 21 betont. Es stellt sich daher die Frage, ob er, die Landeshauptstadt (und das Land Baden-Württemberg) Opfer einer arglistigen Täuschung geworden sind. Für die Frage der arglistigen Täuschung kommt es sowohl auf die Kenntnisse der Deutschen Bahn als auch die Kenntnisse bei Stadt und Land (das die Stadt bei Abschluss der Finanzierungsverträge vertreten hat) an.


Wir fragen daher an:

1. Welche Informationen hat die Deutsche Bahn der Stadt Stuttgart (oder dem von der Stadt ermächtigten Land Baden-Württemberg) über die tatsächliche oder mögliche Kostenentwicklung seit 2004 zukommen lassen? Insbesondere: Welche Anhaltspunkte haben die Stadt oder das Land vor Abschluss des Finanzierungsvertrages vom 02.04.2009 erhalten, dass die Kostenfortschreibung des veralteten Planungs- und Kostenstandes zu einer deutlichen Erhöhung der bisher geschätzten Baukosten für Stuttgart 21 von 3,076 Mrd. EUR führen kann?
2. Wann wurde die Stadt bzw. das von der Stadt ermächtigte Land über Kostensteigerungen informiert, die über den im so genannten Memorandum of Understanding genannten Betrag von 2,8 Mrd. EUR bzw. über den in den Finanzierungsverträgen genannten Betrag von 3,076 Mrd. EUR hinausgehen?
3. Aufgrund welcher Informationen ist die Stadt davon ausgegangen, dass eine Kostensteigerung von über 1 Mrd. EUR "unwahrscheinlich" sei (vgl. Anlage zur GRDrs 609/2007)?
4. Welche Rechtfolgen haben eine etwaige arglistige Täuschung oder Aufklärungspflichtverletzung über die Projektkosten von Bahn oder Land gegenüber der Stadt und dem Gemeinderat in Bezug auf den Gemeinderatsbeschluss vom 04.10.2007, die Ergänzungsvereinbarung vom 05.10.2007 und den Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 vom 02.04.2009? Welche Rechte können die Stadt und der Gemeinderat als Konsequenz einer etwaigen arglistigen Täuschung oder Aufklärungspflichtverletzung geltend machen?


Und wir beantragen:

1. Die Dokumente, die Informationen über die Kostenschätzung und die Kostensteigerung enthalten, sind dem Gemeinderat vorzulegen. Erforderlichenfalls sind die Dokumente beim Land anzufordern.
2. Die oben unter Punkt 4. genannten Fragen werden zusätzlich durch einen unabhängigen – mit Stuttgart 21 noch nicht befassten – Rechtsexperten geprüft.
3. Künftig berichtet der Oberbürgermeister nach jeder Sitzung des Stuttgart 21-Lenkungskreises in einer eigens zu diesem Zweck einberufenen Sitzung des Unterausschusses Stuttgart 21 über die Lenkungskreissitzung.


Jochen Stopper Muhterem Aras


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