Stellungnahme zum Antrag
185/2015

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 09/15/2015
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 8201-00



Stellungnahme zum Antrag
Stadträtinnen/Stadträte - Fraktionen
    SPD-Gemeinderatsfraktion
Datum
    06/10/2015
Betreff
    Vor der Diskussion zum Nahverkehrsplan: Wir brauchen klare und realistische Ziele zur Stärkung des ÖPNV in Stuttgart!
Anlagen
    Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

zu 1a)
Die Studie „Stadt der Zukunft - Lebenswerte Innenstädte durch emissionsfreien Verkehr“ vom November 2014 wird im Frühjahr 2016 und damit vor der Beschlussfassung des Nahverkehrsplanes (NVP) im UTA durch einen Vertreter des Öko-Instituts vorgestellt werden. Die Vorstellung und Diskussion der Studie in der gemeinsamen Sitzung von UTA und VA am 29.09.2015 bei der Einbringung des NVP ist aufgrund der großen Themenfülle dieser Sitzung nicht sinnvoll.

Vom VVS wird allerdings hingewiesen, dass der Nahverkehrsplan mit einer eher kurzen Planungsperspektive bis etwa Ende des Jahrzehnts die Ansätze der eher längerfristig angelegten Studie mit den Planungshorizonten 2030 bzw. 2050 nicht aufnehmen kann. Es wäre daher nach Ansicht des VVS sachgerecht, die in der Studie aufgezeigten Entwicklungsperspektiven im Zusammenhang mit dem Nahverkehrsentwicklungsplan zu diskutieren.

zu 1b)
Im Vorfeld der beabsichtigten Fortschreibung des Regionalverkehrsplans hat der Verband Region Stuttgart (VRS) sein Verkehrsmodell aktualisiert. Mit diesem Verkehrsmodell ist auch bereits ein Prognoseszenario für den Zeithorizont 2025 berechnet worden, in das alle Infrastrukturmaßnahmen, deren Umsetzung finanziell gesichert ist, eingegangen sind. Auch die im Antrag genannten Maßnahmen sind darin weitestgehend enthalten. Dieser Prognoseplanfall fließt in den Nahverkehrsplan und - in vertiefter Darstellung - auch in den Nahverkehrsentwicklungsplan mit ein.

Eine erste Auswertung im Vergleich Analyse 2010 und Prognose 2025 führt zu folgenden Ergebnissen:

Der motorisierte Gesamtverkehr (IV + ÖV) bezogen auf die Landeshauptstadt steigt von 1,984 Mio. Personenfahrten an Normalwerktagen (Mo-Fr) im Jahr 2010 auf 2,018 Mio. Personenfahrten 2025, also um 1,7 %.
Der ÖV-Anteil an diesen motorisierten Fahrten steigt dabei von 33,1% auf 35,5%, also um 2,4 Prozentpunkte. Im Binnenverkehr ergibt sich ein höherer Anteil (2010: 37%, 2025: 39%), beim Quell- und Zielverkehr zwischen Landeshauptstadt und Umland wird ein geringerer Anteil erwartet (2010: 29,4%, 2025: 32,3%).

zu 2 Punkt 1)
Auf der Grundlage der SSB-Langfristplanung (Stand: Februar 2015) werden sich die Defizite der SSB, bei gleichzeitiger Konstanz aller anderen ökonomischen Variablen, auf 31 Mio. (2019) und später (2030) auf 46 Mio. € im günstigsten angenommenen Szenario bzw. auf 78 Mio. € im ungünstigsten Szenario erhöhen. In allen Szenarien sind noch keine weiteren Optimierungsmaßnahmen der SSB enthalten, an denen zur Zeit gearbeitet wird. Im ungünstigsten Szenario ist keine Neuregelung von Zuschüssen (z. B. für Instandhaltung und Ersatzinvestitionen) enthalten.

Nach 2019 sind, von Bahnsteigverlängerungen abgesehen, keine größeren Neubaumaßnahmen bei der Stadtbahn und keine Leistungsmehrungen berücksichtigt. Außer für die U 6 zur Messe sind weitere Maßnahmen als insgesamt kostenneutral geplant.

Auch sind keine Werte zu weiteren ÖPNV-Maßnahmen als Teil von übergeordneten Mobilitätskonzepten hinterlegt.

zu 2 Punkt 2)
Die Struktur der SVV ist bei entsprechend positiver Entwicklung der Finanzmärkte, geeignet, mit den Erträgen aus den Spezialfonds sowie den Überschüssen der Stadtwerke Stuttgart und des Hafen Stuttgart ein jährliches Defizit der Stuttgarter Straßenbahnen von rund 25 Mio. Euro zu decken. Eine Entnahme der in der SVV eingelegten Mittel würde die Defizittragfähigkeit reduzieren.

Zu 2 Punkt 3)
Bereits in den letzten Jahren und insbesondere zum Fahrplanwechsel im Dezember 2014 wurden auf den Stadtbahn- und Buslinien zahlreiche Verbesserungen im Taktangebot, insbesondere im Abendverkehr umgesetzt. Darüber hinausgehend sind im Busverkehr zahlreiche angebotsorientierte Maßnahmen denkbar, um das ÖPNV-Angebot noch attraktiver zu gestalten. Das entsprechende Maßnahmenpakt würde zu jährlichen Mehrkosten von ca. 2,5 Mio. € mit steigender Tendenz führen und beinhaltet überwiegend Taktverbesserungen in der Nebenverkehrszeit ohne Auswirkungen auf den Fahrzeugbedarf.

Zusätzliche Angebote wie z.B. neue Tangentiallinien oder Schnellbuslinien befinden sich aktuell noch in der frühen konzeptionellen Phase, so dass eine Ermittlung der dafür benötigten Finanzierungsmittel nicht möglich ist.

Die ÖPNV-Bevorrechtigung an Signalanlagen wird in Zusammenarbeit zwischen SSB und Tiefbauamt kontinuierlich ausgebaut. Die dafür von der Landeshauptstadt als Straßenbaulastträger zu finanzierenden Maßnahmenpakete sind in den jeweiligen Haushaltsplanansätzen für die IVLZ enthalten.

Darüber hinausgehende sinnvolle bzw. notwendige Maßnahmen werden fortlaufend ermittelt, eine Abschätzung des entsprechenden Finanzierungsbedarfs ist derzeit aber nicht möglich.

zu 2 Punkt 4)
Nach den Ergebnissen von Marktforschungen (sowohl global als auch konkret in Stuttgart) ist neben dem Fahrpreis vor allem das Leistungsangebot – d.h. Taktdichte, Reisezeit, Lage der Haltestellen – entscheidend für die Wahl des ÖPNV als Verkehrsmittel. Attraktive Tarifangebote sind insofern eines von mehreren Elementen, um die Nutzung des ÖPNV zu steigern.

Mit der Einführung des neuen JahresTicket-Abonnements 2011, des neuen FirmenTicket-Abonnements 2012 und dessen Weiterentwicklung 2014 sowie der Weiterentwicklung des SeniorenTickets 2014 gibt es aus den letzten fünf Jahren auch im VVS mehrere Beispiele für eine Steigerung der ÖPNV-Nachfrage durch tarifliche Maßnahmen.

Diese gingen allerdings auch hier einher mit einer kontinuierlichen Angebotsverbesserung im gleichen Zeitraum, z.B. der Inbetriebnahme der Stadtbahnstrecken zum Fasanenhof, nach Stammheim und zum Hallschlag sowie der S-Bahn-Strecken nach Kirchheim/Teck, zwischen Böblingen und Renningen, sowie zwischen Marbach und Backnang.

Dazu kommen intensive Vermarktungsaktivitäten der Verkehrsunternehmen wie z.B. Abo-Einstiegs-Kampagnen und „Key Account Management“ für Firmen. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat mit dem Arbeitgeberzuschuss für ihre Beschäftigten sowie der Einführung des Sozialtickets (Verbesserung der Konditionen für Bonuscard-Inhaber) einen wichtigen Beitrag geleistet, die Fahrpreise für bestimmte Kundengruppen attraktiver zu gestalten und damit die Nachfrage deutlich zu erhöhen.

Insofern ist die deutlich gestiegene Zahl der Fahrgäste in den letzten Jahren, die verändertes Verhalten bei der Verkehrsmittelwahl belegt, auf eine Kombination von Angebots-, Vermarktungs- und Tarifmaßnahmen zurückzuführen.

Dem Tarif kommt darüber hinaus eine wichtige Funktion für die Finanzierung des ÖPNV-Angebots zu. Rund 60 % der Kosten der Verkehrsbedienung im VVS-Gebiet werden durch die Fahrgäste gedeckt. Allein zum Ausgleich der jährlichen Kostensteigerungen sind entsprechende Tarifanpassungen erforderlich, wenn nicht die öffentliche Hand in zunehmendem Maße für die ÖPNV-Finanzierung aufkommen soll. In den letzten Jahren konnten die jährlichen Tarifanpassungen zwischen 2,5 und 2,9% stets am Markt realisiert werden. Das zeigt, dass für ein hochwertiges ÖPNV-Angebot bei den Kunden eine entsprechende Zahlungsbereitschaft besteht.

Dennoch muss auch darauf geachtet werden, dass die ÖPNV-Tarife „bezahlbar“ sind; hier spielt auch der Vergleich mit den Kosten des motorisierten Individualverkehrs eine Rolle. Das Tarifsystem muss verständlich und übersichtlich sein und die Fahrscheine müssen einfach erworben werden können.

Eine Preissenkung führt in aller Regel nicht zu so vielen zusätzlichen Fahrgästen, dass die aus der Absenkung entstehenden Erlösverluste bei den bereits bestehenden Kunden kompensiert werden können – die Mengenänderung verhält sich im ÖPNV üblicherweise unterproportional zur Preisänderung (volkswirtschaftlich gesprochen, liegt die Preiselastizität der Nachfrage stets unter -1, d.h. bei 10% Preissenkung können weniger als 10% zusätzliche Fahrgäste gewonnen werden). Insoweit können mit einer Preissenkung zwar durchaus zusätzliche Fahrgäste gewonnen werden, damit einher geht aber ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf durch die öffentliche Hand – auch für jene Fahrgäste, die vorher bereit waren, den höheren Preis zu zahlen (ein bekanntes Beispiel dafür ist z.B. die 365-EUR-Jahreskarte in Wien).

In Verbindung mit der hohen Bedeutung eines attraktiven Leistungsangebots für die Verkehrsmittelwahl und den vorhandenen Zahlungsbereitschaften der Kunden ist es daher in der Regel effizienter, öffentliche Finanzmittel für den Ausbau des ÖPNV-Leistungsangebots statt für den Ausgleich einer Preissenkung einzusetzen.


zu 3)
Der aktuelle Nahverkehrsplan wird derzeit fortgeschrieben. Längerfristig zu realisierende Verbesserungen oder noch in der Diskussion befindliche Maßnahmen werden in einen im Jahr 2016 zu erarbeitenden Nahverkehrsentwicklungsplan aufgenommen.

Der modal split der Stuttgarter Wohnbevölkerung wurde vom VRS im Rahmen der Untersuchung "Mobilität und Verkehr in der Region Stuttgart" 2009/2010 erhoben. Er stellt sich wie folgt dar: MIV 45%, ÖPNV 24%, Fußverkehr 26%, Radverkehr 5%.
Bei der Erstellung des Verkehrsentwicklungskonzepts der Landeshauptstadt
Stuttgart (VEK 2030) wurde bewusst auf die Erarbeitung von Prognoseszenarien
verzichtet. Vielmehr hat der Gemeinderat konkrete Zielsetzungen für die
künftige Mobilität in Stuttgart beschlossen. Auf dieser Grundlage werden Maßnahmen mit dem Ziel einer Veränderung des modal split hin zu einer Stärkung des
Umweltverbunds umgesetzt.

Die Definition von Zielgrößen des modal split würde eine regelmäßige Evaluierung
erforderlich machen. Voraussetzung ist dann eine Befragung der Stuttgarter Bevölkerung über mehrere Jahre bzw. Zeitabstände zu ihrem Mobilitätsverhalten, unabhängig von einer Fortschreibung der Untersuchung des VRS. Dazu wären entsprechende Mittel bereit zu stellen.






Fritz Kuhn
Oberbürgermeister



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